54
Auffällig ist, dass diese Karten erst in den letzten dreißig Jahren des 18.
Jahrhunderts oder im
frühen 19. Jahrhundert entstanden sind, wenn man von der Karte 99.a.1.-50a von Johann Jakob
Lidl absieht, die nach Dörflinger in die Zeit des Siebenjährigen Krieges von 1756 bis 1763 zu
datieren ist.
227
An diesen 12 Karten lässt sich das Erstarken der österreichischen Privatkartographie gegen Ende
des 18. Jahrhunderts nachvollziehen und passt sich wunderbar in das Bild ein, dass in der
Literatur gezeichnet wird. So stellt Johannes Dörflinger in seinem zweibändigen Werk „Die
österreichische Kartographie im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts“ die These auf,
dass das
Erbe der süddeutschen Verlage in der österreichischen Privatkartographie der Jahre 1780 bis
1820 weitergeführt wird.
228
Auch Michael Ritter behandelt den Verlust der Marktführung der süddeutschen Verlage gegen
Ende des 18. Jahrhunderts.
„Unter dem Einfluss der von Frankreich ausgegangenen Reform der Kartographie vollzog sich in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum ein stilistischer und methodischer
Wandel in der Kartengestaltung. Die barocken, mit üppigen Schmuckelementen ausgestatteten Blätter
mussten mehr und mehr einem sachlich-nüchternen Kartenbild wissenschaftlicher Prägung weichen. Die
bis dahin marktbeherrschenden Firmen von Homann und Seutter fanden für ihre altmodisch
gewordenen Produkte immer geringeren Absatz.“
229
Der Wandel im Stil der Karten ermöglichte es anderen Städten, sich zu Zentren der
Privatkartographie zu entwickeln. In der Zeit davor wurde der Kartenbedarf auch in der
Monarchie durch die Produkte der Nürnberger und Augsburger Verlage gedeckt, da nur wenige
Kartenstecher in Wien und Umgebung tätig waren. Das änderte sich 1766 mit der Gründung einer
Kupferstecherschule in Wien, die für Dörflinger und Ritter
die Voraussetzung für ein
wettbewerbsfähiges Kartenverlagswesen darstellt. Die in Wien produzierten Karten waren für die
Einwohner der Stadt natürlich günstiger als die süddeutschen Produkte, was den heimischen
Markt wachsen ließ. Einen positiven Effekt für die Verbreitung von Karten sieht Dörflinger auch
in den bildungspolitischen Maßnahmen in der Regierungszeit von Maria Theresia und in der
aufklärerischen Haltung des Josephinismus.
230
Zu den bedeutenden Wiener Verlegern der Zeit nach 1770 zählten Franz Anton Schrämbl, Franz
Johann Joseph von Reilly, Tranquillo Mollo sowie die Verlagshäuser
Artaria und Compagnie,
227
Dörflinger, 18.
Jahrhundert, 56.
228
Dörflinger, 19. Jahrhundert, 779. Auch:
Ritter, Konkurrenten, 191f., 194. Neben Wien entwickelten sich im 19.
Jahrhundert auch Berlin und Weimar zu Zentren der Privatkartographie.
229
Ritter, Konkurrenten, 190.
230
Dörflinger, 19. Jahrhundert, 780f.
Ritter, Konkurrenten, 191.
55
das Kunst- und Industrie-Comptoir und das Cosmographische Bureau.
Johann Jakob Lidl, von
dem nur wenige biographische Daten überliefert sind, war um die Mitte des 18. Jahrhunderts in
Wien tätig. Seine Karten beziehen sich vor allem auf aktuelle politische Ereignisse, weswegen
auch die Karte mit der Signatur 99.a.1.-50a, eine Umgebungskarte der Stadt Nysa, auf den
Siebenjährigen Krieg bezogen werden kann.
231
Georg Philipp Wucherer war ein Wiener Buchhändler, in dessen Verlagsprogramm Landkarten
eine Ausnahme darstellten. Das bei Wucherer erschienene Kriegstheater mit der Signatur 99.a.1.-
52 aus dem Jahr 1789
ist auch deswegen ungewöhnlich, da es sich bei der Karte nicht um einen
Kupferstich, sondern um einen Holzschnitt handelt.
232
Sebastian Hartl war ebenfalls ein
Buchhändler, der beschlossen hatte, auch Karten in sein Sortiment aufzunehmen.
233
Von ihm ist
mit der Signatur 99.a.1.-53 ein Plan von Belgrad in der Kartensammlung des Schottenstifts
vorhanden, der mit der Eroberung Belgrads durch Laudon im Krieg zwischen Russland und
Österreich mit dem Osmanenreich in Verbindung zu bringen ist.
234
Die Distanzkarte des Mittelmeerraumes mit der Signatur 108.9-75, die vom Wiener Buchhändler
Josef Vinzenz
Degen herausgebracht wurde, bringt Dörflinger mit den Koalitionskriegen und vor
allem mit der Überfahrt der französischen Flotte nach Ägypten in Verbindung.
235
Neben diesen Buchhändlern, die einige wenige Karten in ihr Verlagsprogramm aufnahmen,
begannen sich im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts auch Verlage auf die Kartenproduktion
zu spezialisieren, wobei die oben genannten Verlagshäuser zu den bedeutendsten zählen. Laut
Dörflinger kamen 90 Prozent der privatkartographischen Produktion Österreichs aus Wien.
236
Die
Wiener Kartenverlage, deren Karten in den Sammelatlanten des Schottenstifts enthalten sind,
werden anschließend
an die Verlage vorgestellt, die eine bedeutendere Rolle in der
Zusammensetzung der Atlanten einnehmen.
231
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 56.
232
Dörflinger, Landkarten und Atlanten, 70.
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 98f., 109.
233
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 85f., 99.
234
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 95-101.
235
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 124f.
Vocelka, Neuzeit, 508f.
236
Dörflinger, 19. Jahrhundert, 785. Als kleinere Zentren der Kartographie in der Monarchie führt Dörflinger
Brüssel, Mailand, Venedig, Pest, Triest, Preßburg, Graz, Linz und Brünn an.