Zeugen des gegenwärtigen Gottes Band 071 Johann Georg Hamann Ein Prediger in der Wüste



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unserer natürlichen Weisheit verwesen, in Unwissenheit vergehen muß, und wie aus diesem Tode, aus diesem Nichts das Leben und das Wesen einer höheren Erkenntnis neu geschaffen hervorkeime, soweit reicht die Nase eines Sophisten nicht.“

Dieses Letjte, Entscheidende, dieses Wunder des Glaubens, das Leben und Wesen einer höheren Erkenntnis, die aus dem Nichts, aus dem Tode unseres eigenen Lebens hervorgeht — dieses Wunder kann und will gerade der sokratische Weise nicht beweisen oder erklären; darauf kann er nur hinweisen, wie ein Wegweiser, der es dem Wanderer überlassen muß, den Weg, auf den er gewiesen wird, nun allein zu beschreiten und auf ihm bis zum Ziel vorzudringen. Der wirklich Weise denkt also sehr bescheiden von dem, was er kraft seines natürlichen Erkenntnisvermögens sich selber und anderen zu helfen vermag. Die Vernunft ist nicht schöpferisch. Sie bringt das neue Leben so wenig hervor wie die Hebamme, die der gebärenden Frau beisteht und das Leben von ihr entgegennimmt. Sie gestaltet wie der Bildhauer den Stoff, der ihr gegeben wird. Der Mensch aber, der sich zu dieser Erkenntnis leiten läßt, wie Sokrates seine Mitbürger lockte „aus den Labyrinthen ihrer gelehrten Sophisten zu einer Wahrheit, die im Verborgenen liegt, einer heimlichen Weisheit, und von den Gö^enaltären ihrer andächtigen und staatsklugen Priester zum Dienst eines unbekannten Gottes“, ein solcher Mensch ist dem Entscheidenden, dem neuen Leben ganz nahe.

Hamann rechnet freilich nicht damit, daß es viele sein werden, die sich auf den neuen Weg weisen lassen, sowenig einst die Athener dem Sokrates folgten, ihm vielmehr als Feind und Verderber ein schmachvolles Ende bereiteten. Ihm ist längst deutlich, daß „wer nicht


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von Brosamen und Almosen noch vom Raube zu leben und für ein Schwert alles zu entbehren weiß, ist nicht geschickt zum Dienste der Wahrheit; der werde früh ein vernünftiger, brauchbarer, artiger Mann in der Welt oder lerne Bücklinge machen und Teller lecken; so ist er für Hunger und Durst, für Galgen und Rad sein Leben lang sicher“.

Für sich ist unser Autor, der die „Sokratischen Denkwürdigkeiten“ „als ein Liebhaber der langen Weile für die Langeweile des Publikums“ zusammenträgt, entschlossen, nicht den Weg des vernünftigen, brauchbaren, artigen Mannes, der Bücklinge machen und Teller lecken lernt, zu gehen. Er fragt nicht nach dem Urteil der Vielen, die doch nichts weiter als „Niemand“ sind. Der Autor spricht sich selber das Urteil, indem er weiß, daß seine Gedanken der verständnislosen Menge ein sich langweilendes Gähnen des Nichtverstehens und der Ablehnung bereiten werden.

Was macht es? Als einer, der erkannt hat, daß die Wahrheit über uns verfügt, steht er der Tagesmeinung, dem Zeitgeiste als ein ganz Freier gegenüber. „Nicht der Beifall des gegenwärtigen Jahrhunderts, das wir sehen, sondern des künftigen, das uns unsichtbar ist, soll uns begeistern“, so meint er. Es ist fast, als hörten wir den großen Boten Jesu Christi, wenn er ausruft: „Mir ist es ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage ..."

So frei macht allein das Evangelium von dem Gott, der nach „dem guten Zeugnis, das er vor Pilatus ablegte, selbst dazu ein Mensch wurde und dazu in die Welt kam, daß er für die Wahrheit zeugen möchte“. „Es brauchte“, so meint Hamann, „keine Allwissenheit, vorherzusehen, daß er nicht so gut wie Sokrates von der Welt kommen, sondern eines schmählicheren und grau




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sanieren Todes sterben würde als der Vatermörder des allerchristlichsten Königs.“ So steht am Ende der „Sokratischen Denkwürdigkeiten“ die Erinnerung an die Passion Jesu Christi. Über dem Wege des Zeugen der Wahrheit steht das Zeichen des Kreuzes. Wer ein gesichertes, befriedigtes Leben sucht, ist nicht zu gebrauchen zum Kriegsdienst der Wahrheit und ihres ewigen Königs.


Widersacher und Freunde

Zu Weihnachten 1759 war die kleine Schrift an die Öffentlichkeit gedrungen. Sie blieb nicht unbeachtet. Die Gegner meldeten sich zu Wort. Der herausgeforderte, beleidigte Zeitgeist blieb die Antwort nicht schuldig. In den „Hamburger Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit“ wurde der „Frevel an der gesunden Menschenvernunft“ mit starken Ausfällen angeprangert. Ernsthaft warnte der Kritiker vor den krausen Gedankengängen eines, der, durch seine Langeweile um den Verstand gekommen, in ein „Spinn- und Raspelhaus“ — sprich: Irrenhaus — gehöre, da er sonst leicht auch die andern um den gesunden Verstand bringe.

Nun wüßten wir wahrscheinlich kaum noch etwas von diesem heftigen Angriff, hätte nicht Hamann durch eine neue Schrift selbst dafür gesorgt, daß das Denkmal, das der „Nachrichter“ ihm gesetjt, der Vergessenheit entrissen wurde. Er griff aufs neue zur Feder und schrieb ein „Nachspiel Sokratischer Denkwürdigkeiten“, nicht um seiner gekränkten Ehre willen, sondern um die „vier Bogen in Kleinoktav“, seine erste Schrift, die hier erledigt werden sollte, noch einmal


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aller Welt zur Augen- und Ohrenweide darzubieten. Der Kritiker gab ihm also höchsterwünschte Gelegenheit, das ihm am Herzen liegende Thema noch einmal aufzurollen und zu entwickeln.

Der kluge Beurteiler beklagt sich über „die Dunkelheit“ Hamannscher Darstellungsweise, die das helle Sonnenlicht verstandesklarer Erkenntnis mehr verdecke als erhelle und alles in ein trübes Zwielicht tauche. Hamann gibt dieser Klage recht: Dunkel muß sein, was er redet und schreibt. Die sokratische Weisheit, wie er sie verkündigt, kann nie so hüllenlos einhergehen, daß sie zur platten Allerweltserkenntnis würde. Sie ist die Wahrheit, die im Verborgenen liegt und sich nur dem aufrichtig nach ihr Fragenden erschließt. Übrigens muß aber auch den Feinden von ihrem Geheimnis etwas aufgegangen sein. Warum sollten sie sich sonst so über sie ereifern?

Sie wollen diese Wahrheit und Weisheit nicht, sie ist ihnen im Innersten zuwider; darum schmähen und lästern sie, sie sei einem kranken, unklaren Kopf entsprungen. Das hat man auch von dem König der Wahrheit gesagt, er habe den Teufel, und von seinem Boten, er rase (Joh. 10,20; Apg. 26,24). Hamann stellt die naheliegende Frage nach der Grenze zwischen krankhafter Veranlagung und Eingebung des Geistes. Sie ist von außen überhaupt nicht festzustellen, und keine Überlegung dieser Art entbindet von der Verpflichtung des Gehorsams der erkannten Wahrheit gegenüber. Wer nicht folgen will, mag sich entschuldigen, wie die Juden in ihrem Gespräch mit Christus und wie der römische Landpfleger, als er die Predigt des Paulus gehört. Wer sich entschuldigt, klagt sich an. Sie lieben die Wahrheit nicht, weil sie, die göttliche Torheit der Predigt vom Kreuz, die Salzkraft im dumm


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gewordenen Salz menschlicher Gelehrsamkeit, den Menschen angreift und demütigt. Wie das Geset} das sittliche Unvermögen des Menschen aufdeckt, ihn zur Erkenntnis der Sünde statt zur Freiheit führt, so gilt es von der Vernunft, dem natürlichen Erkenntnisvermögen: „Durch sie kommt nichts als Erkenntnis der überaus sündigen Unwissenheit.“ Sie ist, wie Moses, ein Zuchtmeister auf Christus, auf die Offenbarung hin, niemals aber die Offenbarung, das Licht, das Leben, selbst. Darum bleibt hier der le^te Schluß immer: „Wer sich unter euch dünkt, weise zu sein, der werde ein Narr in dieser Welt, daß er möge weise sein“ (1. Kor. 3,18). Wer die Freiheit, die Wahrheit, das Leben sucht, der traue auf den Geist, von dem es heißt: „Der Flerr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2. Kor. 3, 17).

Von dieser fruchtbaren Erkenntnis her gewann Hamann seinen Stand im Geistesleben seiner Zeit, das er trotj seiner reichen Vielgestaltigkeit als innerlich hohl erkannte, weil es sich von der ewigen Wahrheit gelöst hatte. Dabei blieb ihm „nichts Menschliches fremd“. Wie weit sein Gesichtskreis geworden war, merkt man, wenn man das Büchlein zur Hand nimmt, das er 1762 unter dem Titel „Kreuzzüge eines Philologen“ veröffentlichte. Die Titel Hamannscher Schriften wollen bedacht sein. Der Autor hat es seinen Kritikern übelgenommen, daß sie sie nicht genügend beachteten. „Ein solcher Titel“, schreibt er, „ist ein mikrokosmischer Same, ein orphisches Ei, worin die Muse Gezelt und Hütte für ihren Genius bereitet hat.“

So will denn auch diese Überschrift richtig verstanden sein. Als nichts anderes tritt Hamann vor uns hin denn als rechter Philologe, als ein Liebhaber des Wortes, in dem Gott, der Ewige und Verborgene, sich uns


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kundgetan, indem er sich zu uns „heruntergelassen1' hat, so daß wir ihm nun, wenn uns Augen und Ohren aufgetan sind, auf allen Wegen begegnen können. Wir hörten ja, wie Hamann, nachdem er die Stimme seines Redens vernommen, überall, auch bei den „Heiden“, auch bei Sokrates, das Zeichen und Zeugnis ewiger Wahrheit antrifft.

Aber das hat ihn nun auch zum Kreuzritter, zum Kämpfer für die Wahrheit gemacht. Das läßt ihn leidenschaftlich widerstehen, wenn die Menschen mit falschen Parolen in die Irre geführt werden, wenn man sie nicht auf das Wort, das allein ans Ziel bringen kann, sondern auf das Irrlicht der eigenen Vernunft, der eigenen, vermeintlich guten Meinung, hinweist. „Der größte Liebesdienst, den man seinem Nächsten tun kann, ist, ihn zu warnen, zu bestrafen, zu erinnern, sein Schutzengel, sein Hüter zu werden; diesen Kreuzzug hält nicht jeder Ritter aus.“

Er, der diese Worte seinem Freunde in Riga schrieb, hat diesen Kampf ritterlich ausgefochten. Mit jenem „Heldengeist eines Weltweisen“, von dem er in den „Sokratischen Denkwürdigkeiten“ gesprochen, ausgerüstet, mit einem „brennenden Ehrgeiz nach Wahrheit und Tugend und einer Eroberungswut aller Lügen und Laster, die nämlich nicht dafür erkannt werden, noch sein wollen,“ begabt, hat er allen widerstanden, die im Namen einer falsch verstandenen Vernunft das Volk verführten. Mochte es sich um die „blinden Nikolaiten“ handeln, wie er die führenden rationalistischen Kreise in Berlin mit Nikolai und Moses Mendelssohn an der Spitze nannte, mochte es Kant sein oder irgendeine andere geistige Größe, — er ist keinem jenen ritterlichen Freundesdienst schuldig geblieben; er ist ihnen ein unbequemer Mahner gewesen in der


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Überzeugung: „Nichts als die Höllenfahrt der Selbsterkenntnis bahnt uns diesen Weg zur Vergötterung.“ Der Mensch scheut diesen Weg in die Tiefe, und doch kann er ihm nicht erspart bleiben.

Es ist verwunderlich, wieviel Zuneigung, ja innerste Verbundenheit Hamann sich tro§ dieser geraden Haltung immer wieder erworben hat. Selbst zu solchen, die sachlich seine Gegner waren, wurde das freundschaftliche Band nicht durchschnitten. Wir haben schon gemerkt, wieviel ihn von seinem großen Landsmann, dem Philosophen Immanuel Kant, trennte. Offenherzig und gerade haben die beiden sich gesagt, was sie widereinander auf dem Herzen hatten. Doch hat es nie ein ernsthaftes Zerwürfnis zwischen ihnen gegeben.

So gilt es aber auch von den anderen Geistesgrößen der Zeit. Es war ja keiner unter ihnen, der Hamanns Glauben geteilt hätte. Aber es waren wenige, die nicht willig auf ihn gehört und mit Ehrfurcht zu ihm aufgeschaut hätten. Goethe, der für alles wahrhaft Große und Bedeutungsvolle ein feines Organ hatte, wollte in Hamann den „Ältervater“ der Nation erblicken.

Als Hamann 1762 nahe Verwandte in Elbing besuchte, begegnete er zum ersten Male dem 18jährigen jungen Herder, der im nahen Mohrungen 1744 das Licht der Welt erblickte. Bald kam der Lehrerssohn nach Königsberg, um sein Augenübel kurieren zu lassen. Dabei trat er mit dem Stadtchirurgen, Hamanns Vater, in Verbindung. Vor allem aber gewann er, während er nun in Königsberg sein Studium begann, die Freundschaft des Sohnes, dem die Gabe, Freundschaft zu halten, in besonderem Maße verliehen war. Das Band ist fest geblieben durch all die Jahre, die den Freund über Riga und Bückeburg nach Weimar führten. Ein aufschlußreicher Briefwechsel wurde ge




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führt, in welchem alle Ereignisse des persönlichen Lebens, aber auch die Fragen des geistigen Ringens sich widerspiegelten. Hamann las die Schriften Herders mit wachsender Zustimmung, da sie aus der Welt des kalten Verstandes ins wirkliche Leben führten und neues Verständnis für die Gegebenheiten der Geschichte, für das Werden und Wachsen in der Natur zeigten. Freilich war auch hier ein fühlbarer innerer Abstand. Denn schließlich blieb Herder doch dem gottentfremdeten Denken seiner Zeit verhaftet. Der Mensch blieb auch für ihn Ausgang und Mittelpunkt. Hamann aber führte über den Menschen hinaus zum Urgrund alles Seins. Darum stand er auch Herder gegenüber so da, daß er mit ihm halten mußte gegen seine Feinde, aber wider ihn stehen mußte mit seinen Freunden.


Harte Dienstjahre

Hamann ist schließlich doch ein einsamer Mann geblieben. Und der Weg, den er gehen mußte, war ein Weg in großer Verborgenheit.

Mit dem Jahre 1763, in dem der Siebenjährige Krieg zu Ende ging, nahm sein Leben eine unerwartete Wendung. Seit seiner mißglückten Londoner Reise hatte er es nicht mehr gewagt, in ein öffentliches Amt zu treten. Er hoffte, wenn sein Vater einst nicht mehr sein würde, beim Bruder ein Unterkommen zu finden. Als dieser aber, nachdem er unter dem Einfluß der Rigaer Freunde innerlich längst von ihm abgerückt war, des Berufes müde wurde und wegen geistiger Störungen nach Hause zurückgeholt werden mußte, um ebenfalls dem Vater zur Last zu fallen, sah sich Hamann vor


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die Notwendigkeit gestellt, selber für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Da er, im 33. Lebensjahre stehend, über keinerlei praktische Ausbildung verfügte und durch einen Sprachfehler behindert war, blieb ihm kein anderer Weg, als daß er als Volontär in die Schreibstube des Kneiphoffschen Rathauses seiner Vaterstadt einzog, um sich dann als Kanzlist der Königlich Preußischen Kriegs- und Domänenkammer anstellen zu lassen. Wie sauer es ihm geworden ist, „auf zwei Kanzleien einen Monat und 6 Monate umsonst gedient zu haben und dabei nicht einmal zu dem bescheidenen Glück, in seinem Vaterlande ein ehrlicher Torschreiber zu werden, gelangt zu sein“, davon weiß er viel später noch zu sagen.

So war er froh, als zunehmende Beschwerden des Vaters ihn nötigten, die Stellung aufzugeben. Freunde suchten zu helfen. Friedrich Karl v. Moser, Regierungspräsident in Hessen-Darmstadt, hatte Hamanns Schriften gelesen und bot ihm die Stelle eines Erziehers am herzoglichen Hofe an. Im Juni 1764 reiste der Magus, wie Moser ihn nannte, über Lübeck, Braunschweig und Kassel nach Frankfurt, kehrte aber, da sich der Gönner auf einer Auslandsreise befand, unverrichteter Dinge nach Königsberg zurück. Eine eigenartige Unruhe hatte ihm den Weg in eine bessere Zukunft verbaut. Bald nach der Rückkehr aus dem Süden brach er nach Kurland auf in der Hoffnung, bei einem befreundeten Rechtsanwalt in Mitau Arbeit zu finden. Doch verlief auch diese Reise ergebnislos. Während seiner Abwesenheit starb der Vater, und als er nach anderthalb Jahren, im Januar 1767, nach Königsberg zurückkehrte, fiel ihm die Aufgabe zu, den Nachlaß zu ordnen und sich des hilflosen, verlassenen Bruders anzunehmen. Dabei stand er selber vor dem




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Nichts und mußte froh sein, daß ihm auf Fürsprache hin — vor allem Kant setjte sich für ihn ein — die Stelle eines Übersetjers bei der Königsberger Zollverwaltung geboten wurde.

Damit begann im Leben Hamanns der schwere Weg, den er fast zwanzig Jahre zu gehen hatte: In das harte Joch einer ihm innerlich fremden, freudlosen Berufsarbeit gespannt, hat er sich schinden und abplagen müssen, um notdürftig seinen Unterhalt zu haben. Verdankte er seine Anstellung bei der Zollverwaltung dem Umstand, daß er im Französischen besonders gut zu Hause war, so wurde ihm bald deutlich, welchem System er sich damit verschrieben hatte. Der König, dessen Franzosenfreundlichkeit bekannt ist, hatte, um die durch die langen Kriege leer gewordenen Staatskassen wieder aufzufüllen, zur Führung des Finanzwesens ein Heer von französischen Beamten ins Land gerufen, da er sie für besonders befähigt hielt. Sie verstanden es gut, das von ihnen verachtete deutsche Volk zu berauben und auszusaugen, und während sie sich selbst bereicherten, ließen sie ihre preußischen Angestellten um einen Hungerlohn arbeiten. Als Hamann nach fünfjähriger Dienstzeit um eine Aufbesserung seines geringen Einkommens von jährlich 300 Talern einkam, wurde statt dessen sein Lohn noch gekürzt. Und als er dem König Aufklärung schuldig zu sein glaubte und freimütig die „Verlorenen Briefe eines nordischen Wilden“ schrieb, wurden diese Briefe dem Monarchen einfach vorenthalten, so daß der bedrängte Schreiber auch dadurch keine Hilfe erfuhr.

Dabei befand er sich wirklich in größter Verlegenheit. Er hatte ja keineswegs nur für sich zu sorgen. Seit der Vater die Augen geschlossen, fühlte er sich verpflichtet, für den Bruder, der immer mehr in seinem


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Stumpfsinn versank und ihm, bis er im Sommer 1778 sein trauriges Erdendasein endete, viel Not bereitet hat, zu sorgen, obwohl die Verwandten das nidit zulassen wollten. Neben dem Bruder aber hinterließ ihm der Verstorbene seine treue Pflegerin, die dem Alten bis in seine letjten Lebenstage soviel Liebe und Geduld bewiesen hatte, daß er sie in gleicher Weise wie seine Kinder am Erbe beteiligte.

Hamann hatte, während er drei Jahre zu Hause weilte, sich zu dem urwüchsigen, gesunden Bauernmädchen in eigenartiger Weise hingezogen gefühlt, obwohl sie keineswegs in der Lage war, seine Liebe zu erwidern. Völlig unkultiviert, selbst des Lesens und Schreibens unkundig, konnte sie ihm keine ebenbürtige Partnerin sein. Dennoch scheint seine Leidenschaft für sie zeitweise so stark gewesen zu sein, daß er ihre Nähe floh. Seine Briefe deuten an, daß seine Reisen nach Frankfurt und Mitau auch hiermit Zusammenhängen. So schreibt er wohl im Hinblick auf diese Zustände 1774 an Moser: „Eine der seltsamsten Leidenschaften, die sich aus einer Hölle auf Erden für mich in einen irdischen Himmel verwandelt, trieb mich von meiner fruchtlosen Wallfahrt zu einer noch fruchtloseren nach Kurland, und ich war im Begriff, dem wirksamen und bei mir vorzüglichen Grundgesetje der Selbsterhaltung alles aufzuopfern.“

Es gelang ihm nicht, seiner Triebe Herr zu werden. Als ihn des Vaters Tod nach Königsberg zurückrief und er sich anschickte, sein eigenes Hauswesen zu begründen, bat er Regina, bei ihm zu bleiben, und versprach, mit ihr in ehelicher Gemeinschaft zu leben. Aber das ist nun der eigenartig dunkle Punkt in seinem Leben, daß er sich zu ihr, die die Mutter seiner vier


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Kinder wurde, nicht öffentlich zu bekennen wagte, indem er sie sich kirchlich antrauen ließ. Niemand hat dieses Verhalten bisher befriedigend erklären können. Hamann gibt in seinen Briefen völlig ungenügende Hinweise. Er empfand selbst das Fragwürdige und Anstößige des Verhältnisses und suchte es doch zu rechtfertigen, indem er meinte, daß es sich höchstens um einen Verstoß gegen menschliche Ordnung und bürgerliche Sitte handele, keineswegs aber um eine Übertretung göttlicher Gebote. Er hält seine „Gewissens-Ehe“, „oder wie man meinen Fuß zu leben nennen will“, in Preußen sogar für gesetjmäßig, obwohl „doch selbige gewissen Leuten anstößig zu sein scheint, als Hurerei und Ehebruch“. Hamann war nicht gewillt, sich dem Urteil dieser Leute zu beugen. Was die Beweggründe angeht, so gibt er an, daß er nicht aus Stolz diesen Weg gehe, sondern weil er die Überzeugung habe, daß er, würde er sie zu seiner Ehefrau machen, dadurch ihrer eigenen Glückseligkeit und vielleicht dem Glück ihrer Kinder nachteilig sein könnte. Wir können uns das nicht recht vorstellen, möchten vielmehr meinen, Hamann sei es seinen Kindern und ihrer Mutter einfach schuldig gewesen, sie zur vollen Ehre einer ihm angetrauten Lebensgefährtin zu erheben. Er selbst hat hier offenbar anders empfunden. Die Wahrhaftigkeit und die Liebe verboten ihm, der andern eine Rolle zuzumuten, die sie niemals führen konnte. Lieber trug er die Schmach dieses in den Augen der Zeitgenossen illegitimen Verhältnisses, das ihn selbst wie auch seine treue „Hausmutter“ in Glück und Zufriedenheit leben ließ und ihn nicht hinderte, sie trot; ihrer großen Unfähigkeit und all ihres Versagens zu achten, auch die Kinder zur Ehrfurcht zu erziehen. Vor allem hat er mit den Seinen die Gemeinschaft vor


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dem Angesichte Gottes gesucht, täglich Hausandacht mit ihnen gehalten, Sonntags- und Wochentagsgottesdienste, Beichte und Abendmahl mit ihnen besucht.

Soviel ist aber deutlich geworden: Es lagen tiefe Schatten über seinem Leben. Neben der Last der innerlich fremden Berufsarbeit und der täglichen drük- kenden Nahrungssorge die Not eines ihn einsam lassenden Familienlebens, einer Ehe, die im lebten Grunde keine Ehe war. Hamann hat an allen diesen Nöten hart getragen und oft darunter geseufzt. „Ich lebe den ganzen Tag wie im Pfluge“, so schreibt er schon 1767 an Herder und spricht dann von einem schweren Berufe, von allerlei Nebenarbeiten, von mühseligen Auktionstagen, von Posttagen, auch von der Verlegenheit, „Stuben zu finden“. „Das sind andere Fragen, liebster Herder, als Ihre“, so schließt er.

Im Sommer 1768 konnte Hamann aus der väterlichen Wohnung in eine neue Häuslichkeit ziehen: „vier artige Stuben“ und „einen geräumigen Garten“ hatte er von dem Tribunalrat von Bondeli, „einem sehr würdigen Greise, gegen den ich eine kindliche Liebe habe“, gemietet. Mit seinem alten Freunde Lind- ner und einem Arbeitskollegen feierte er in der neuen Wohnung seinen 38. Geburtstag. Drei Tage später erlitt der Bruder, der sich in der neuen Umgebung nicht zurechtfand, in Hamanns Abwesenheit einen schlimmen Anfall, der le^teren bewog, einen Wärter für den Kranken zu bestellen. Seine Unterbringung im Hospital wurde in Erwägung gezogen, doch scheint sich der Zustand wieder gebessert zu haben.

Am 27. September 1769 wurde der älteste und einzige Sohn, Johann Michael, geboren. Im nächsten Jahr kaufte Hamann für 2000 Taler ein eigenes Haus, das




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nahe seiner Dienststelle am Pregel lag und ihm die weiten Wege zur Zollverwaltung, die er zwei Jahre lang viermal täglich zurücklegen mußte, abnahm. Neue Hoffnung keimte in dem fast Verzweifelnden auf. Eben noch hatte er über sein Los geklagt: er sei nun im vierten Jahr schon bei der Provinzial-Accise- und Zolldirektion als Sekretärtraducteur (Überse^er) tätig; den ganzen Tag sei er so mit Arbeit besetjt, daß er für seine Augen und seine Gesundheit fürchten müsse. Wenn er abends nach Hause komme, wisse er nichts mehr anzufangen, indessen in seinem Busen immer noch die „Erbsünde der Lesesucht“ wohne und „einer gewissen unbestimmten Lüsternheit nach Dingen, die nicht der Mühe wert oder die über meinem gegenwärtigen Horizont sind“.

Die schwere Berufsarbeit ließ in diesen Jahren seine literarische Produktion fast ganz aufhören; selbst der briefliche Austausch mit den Freunden, ohne den Hamann fast nicht leben konnte, mußte beinahe eingestellt werden. Aber Hamann hoffte, in dem neuen Hause „etwas mehr Ruhe und Stetigkeit“ zu finden. Ja, er fährt fort: „Ich schmeichle mir noch immer, da schon so viele meiner Ahnungen eingetroffen, noch einen Sabbat in meinem Alter zu erleben, der mich wieder verjüngen wird . . .“

Es sollte freilich noch manches Jahr vergehen, bis solche Erwartungen sich erfüllten. Noch manches Jahr hat Hamann unter seiner schweren Last gehen müssen. Wir hörten bereits, daß seine Bitte um Gehaltsaufbesserung nicht beantwortet, im Gegenteil das Einkommen von 30 auf 25 Taler herabgese^t wurde. Hart drückten ihn die Schulden, die er durch den Hauskauf auf sich geladen. Zu den wirtschaftlichen


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