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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
‚Art is a powerful tool of diplomacy throughout most of the world.
In and of itself art does not build roads nor, certainly, does it dismantle roadblocks or solve the water crisis storming
down on the Middle East. But roads must lead somewhere to have purpose, and meaningful solutions only come from
communication.
Art and artists can go where government cannot. They turn televised terrors into face-to-face interaction and give
breathing space to politics and politicians. And they can do it for far less than today´s sophisticated weapons.‛
Paul Emerson, Direktor und Mitbegründer des City Dance Ensemble in Washington,
New York Times, 22. Mai 2010
Vorwort
Was kann Kunst in Konfliktregionen bewirken?
Welchen Stellenwert haben künstlerische Initiativen
im Umgang mit Konflikten? Und welchen Beitrag
können Kunst und Kultur in verschiedenen Phasen
von Auseinandersetzungen leisten?
Gewaltsame Konflikte sind ein Ausdruck von
Hilflosigkeit. Sie spiegeln das Unvermögen, mitei-
nander zu sprechen, sich auf andere Weise Gehör zu
verschaffen, um sein vermeintliches Recht zu be-
kommen. Kann Kunst noch bevor es zu Konflikten
kommt, diese ansprechen und zwischen den Stand-
punkten vermitteln?
Ein wichtiger Lösungsansatz für Konflikte ist der
Dialog zwischen den Kulturen, und es sind gerade
die Künste, die uns erlauben, den Dialog zwischen
Menschen und Kulturen herzustellen. Die Kunst ist
in der Lage, die vielschichtigen Elemente einer Kul-
tur zu transportieren. Kunst macht Kultur erfahrbar.
Damit kann Kunst Konflikte thematisieren und zu
ihrer Lösung beitragen. Dabei funktioniert sie als ein
Gradmesser gesellschaftlicher Prozesse und Verän-
derungen und birgt das Potenzial, neue Handlungs-
spielräume zu entwerfen und alternative Modelle
durchzuspielen.
„Wer den Raum der Kunst benutzen kann, wird so
leicht kein Terrorist‚ formulierte der Aktions-
künstler Christoph Schlingensief einmal. Den Raum
der Kunst benutzen, das bedeutet sich auszudrü-
cken, um wahrgenommen zu werden, um sich zu
beteiligen. Wer den Raum der Kunst benutzen kann,
der greift nicht zu Gewalt, um Konflikte zu lösen.
Konflikte gibt es in jeder Gesellschaft. Die Frage ist:
Welche Wege und welche Bilder finden Menschen,
um Konflikte auszutragen? Können traumatische
Erfahrungen verarbeitet werden, durch eine nicht
direkte, sondern symbolische fiktionale Ansprache?
Kunst kann mit neuen Bildproduktionen festgelegte
Klischees- und Feindbilder aufbrechen oder mit
konkreten Interventionen Reaktionen herausfordern
und Handlungen in Gang setzen. Ausstellungen,
künstlerische Workshops und andere Auseinander-
setzungsformen zeitgenössischer Kunst bieten eine
Plattform des Dialogs, sie verstehen sich als Ort des
sozialen Austauschs und der freien Imagination –
jenseits vorgegebener Kategorien und Denkmuster.
Das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) widmet
sich diesen Fragen in der Praxis seit vielen Jahrzehn-
ten, und das in sehr unterschiedlichen Programmen.
Als Mittlerorganisation der Auswärtigen Kultur-
und Bildungspolitik fördert das ifa den internationa-
len Kulturaustausch. Kulturaustausch ist Friedens-
arbeit. Friedenssichernde Programm-linien finden
sich im ifa in verschiedenen Bereichen.
Die Aktivitäten der Abteilung Kunst begleiten den
interkulturellen Austausch durch Ausstellungen,
Förderungen und Workshops. Nach dem Auseinan-
derbrechen des osteuropäischen Staatenverbundes
im Zuge der Perestroika – dem Umbau und der
Modernisierung des gesellschaftlichen, politischen
und wirtschaftlichen Systems der Sowjetunion in
den späten 80er-Jahren und dem Zerfall Jugoslawi-
ens sind auch die meisten Balkanstaaten zumindest
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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
zeitweise von einer Krisen- und teilweise auch
Kriegssituation geprägt. Zur Etablierung und Wie-
derbelebung regionaler Kooperationsstrukturen und
der Verbesserung der „nachbarschaftlichen‚ Bezie-
hungen hat das ifa zahleiche Ausstellungen in dieser
Region präsentiert, wie z.B. die Ausstellung über
den deutschen Zero-Künstler Günther Uecker, die u.
a. in Belgrad, Sarajewo, Baku und Taschkent gezeigt
wurde .
Zum Thema „Gewalt in Bildern‚ fanden Kunstver-
mittlungsprogramme mit Lehrern, Kunstvermittlern
und Multiplikatoren in Nikosia auf Zypern oder mit
Jugendlichen in Sibiu, Cluj-Napoca, Brasov und
Timisoara in Rumänien und in Seoul statt. In Af-
ghanistan, Algier, Sudan initiierte das ifa Work-
shops im Bereich Design und Fotografie und bot
Bildungsangebote und Unterstützung im Aufbau
von Hochschulstrukturen.
Auch im Bereich der beruflichen Weiterbildung ist
das ifa im Austausch mit Krisenregionen aktiv. Die
Rave-Stipendien sind ein Förderprogramm zur Wei-
terbildung im Kunstmanagement und in museums-
technischen Berufen für Nachwuchskräfte aus Ent-
wicklungs- und Transformationsländern. Ehemalige
Stipendiaten des Programms arbeiten z. T. in Füh-
rungspositionen deutscher Museen. Mit den Cross-
Culture Praktika fördert das ifa junge Berufstätige
aus islamisch geprägten Ländern.
Das zivile Konfliktmanagement ist ein zentraler
Bestandteil der Auswärtigen Kultur- und Bildungs-
politik. Das ifa wird diesem politischen Auftrag mit
dem Förderprogramm zivile Konfliktbearbeitung
(zivik) gerecht. Zivik unterstützt nicht-staatliche
Friedensprojekte in Krisenregionen. Diese Unter-
stützung reicht von der Ausbildung in gewaltfreier
Konfliktbearbeitung bis hin zur Unterstützung ver-
trauensbildender Maßnahmen zwischen Konflikt-
parteien. Mit dem Programm wird nicht nur zivile
Konfliktbearbeitung gefördert, sondern auch ein
Beitrag zur Vernetzung staatlicher und nichtstaatli-
cher Akteure initiiert.
2010 kuratierte der Kunsthistoriker und Journalist
Dr. Dietrich Heißenbüttel in der Neuen Gesellschaft
für Bildende Kunst (NGBK) in Berlin das Projekt
„Theater of Peace – Friedensschauplätze‚. Das kri-
senpräventive Potenzial von Kunst und Kultur der
ifa-Programme im Rahmen einer Veranstaltung
näher zu beleuchten, war eine Idee von Dietrich
Heißenbüttel. In die vorliegende Studie fließen Ge-
danken und Ergebnisse dieser Projekte mit ein. In
der Studie versucht der Autor Dietrich Heißenbüttel
das Thema „Kunst und Konflikt‚ theoretisch zu
reflektieren und durch praktische Beispiele zu ver-
deutlichen.
Im ersten einführenden Teil diskutiert er grundle-
gende Fragen des Themenfelds anhand von in
Deutschland stattgefundenen Veranstaltungen. Die-
ser Analyse stellt er internationale Beispiele für
künstlerische Formulierungen in Konfliktregionen
gegenüber, so dass ein Kompendium zahlreicher
Initiativen entsteht, die weltweit die Mittel der Bil-
denden Kunst nutzen, um in Konflikte einzugreifen,
traumatische Erfahrungen zu verarbeiten oder Öf-
fentlichkeit zu erzeugen.
Für diese fundierte Arbeit gilt Dietrich Heißenbüttel
mein großer Dank.
„Frieden ist das größte Kunstwerk.‚
Wolf Vostell
Elke aus dem Moore
Leiterin der Abteilung Kunst des ifa
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