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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
1.
Zur Einführung: Diskussionen und Definitionen
Francis Fukuyamas eschatologische Idee eines „En-
des der Geschichte‚ nach dem Ende des Kalten
Krieges hat sich in den 1990er Jahren schneller erle-
digt, als der Autor seine Thesen in Buchform veröf-
fentlichen konnte.
1
Insbesondere der Einmarsch
irakischer Truppen in Kuweit und der Zerfall Jugo-
slawiens führten der Welt vor Augen, dass militäri-
sche Konflikte keinesfalls der Vergangenheit ange-
hörten, sondern dass vielmehr neue Bedrohungen
und Risiken für die bestehende Weltordnung ent-
standen waren. Der zweite Golfkrieg und die Jugo-
slawienkriege stellen die Reaktion der USA und
ihrer Verbündeten, der UNO, der NATO und der
Europäischen Union auf diese neu entstandene Situ-
ation dar. Zu einer weiteren Zuspitzung kam es, als
die USA am 11. September 2001 erstmals auf eige-
nem Territorium angegriffen wurden. Der schnelle
militärische Erfolg in Afghanistan und im Irak hat
sich jedoch als Pyrrhussieg erwiesen: Inzwischen ist
längst klar, dass von einem dauerhaften Frieden
schwerlich die Rede sein kann und sich mit militäri-
schen Mitteln allein keine Sicherheit herstellen lässt.
Aus diesen Gründen ist die Rolle der Kultur in der
Konfliktprävention und –bearbeitung in letzter Zeit
immer mehr in den Mittelpunkt der Aufmerk-
samkeit gerückt. Das Verhältnis von Kultur und
Konflikt bildet mittlerweile einen Schwerpunkt der
Arbeit des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa),
des Goethe-Instituts und des Prince Claus Funds
und war allein 2011 Gegenstand einer ganzen Reihe
von Tagungen, Diskussionsveranstaltungen und
Workshops.
2
Unscharf bleibt dabei jedoch der Be-
1
Francis Fukuyama: „The End of History‛, in: The National
Interest, Sommer 1989, http://www.wesjones.com/eoh.htm; ders.:
2
Beispielsweise seien genannt: Kultur und Konflikt. Unser Auftrag,
unsere Interessen, unsere Möglichkeiten, Goethe-Institut, München,
2. bis 4. Februar 2011; vgl. http://www.wanderlust-
blog.de/?p=3548; Kunst. Kultur. Konflikt, 17./18. Mai 2011, Goethe-
Institut Bonn; Christa Meindersma, die Direktorin des Prince
Claus Fund, hat das Verhältnis von Kultur und Konflikt ebenfalls
zu einem der Hauptgebiete ihrer Arbeit in den kommenden
Jahren erklärt, s.
griff der Kultur. Zwischen den Gefahren eines es-
sentialistischen,
homogenisierenden
Kultur-
begriffs etwa in Samuel P. Huntingtons „Krieg der
Kulturen‚
3
und den Hoffnungen auf die „wei-
chen‚ Faktoren einer nicht näher definierten Kultur
liegt ein weites Feld. Werden sich die Beteiligten im
Einzelfall manchmal schnell einig, so bleibt eine
globale Einschätzung der Chancen und Risiken kul-
tureller Projekte und Fördermaßnahmen ausgespro-
chen schwierig. „Arbeiten wir auf der Grundlage
von Wissen oder von Hoffnung und Glauben?‚,
fragte jüngst ifa-Generalsekretär Roland Graetz in
eine Runde der Europäischen Nationalen Kulturin-
stitute (Eunic).
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Die folgende Studie möchte dazu beitragen, einen
bestimmten Bereich dieses Problems schärfer zu
fassen. Der Begriff der Kultur hat, wie Gerhart
Schröder einmal gesagt hat, seit dem „Cultural
Turn‚ in den Geisteswissenschaften eine solche
Ausweitung erfahren, dass er nahezu alles
bezeich-
nen
kann und erklären soll.
5
Hier soll es ausschließ-
lich um Kunst gehen: ein wie sich zeigen wird eben-
falls weiter Begriff, der sich jedoch ohne Schwierig-
keiten näher eingrenzen lässt. Kunst im Konflikt soll
in den kommenden Jahren einen Arbeitsschwer-
punkt des ifa bilden. Die Studie besteht aus zwei
Teilen: Teil 1 liefert eine grundlegende Erörterung
der Möglichkeiten und Grenzen künstlerischer Ar-
beit in Situationen von Gewalt und Konflikt. Aus-
gangspunkt sind zwei zentrale Diskussionen, die
auf Initiative des ifa 2010 stattgefunden haben. Der
zweite Teil listet exemplarisch künstlerische Arbei-
http://www.princeclausfund.org/files/docs/Press%20Release%20
Christa%20Meindersma%20new%20director%20of%20the%20Pri
nce%20Claus%20Fund%2008022011.pdf.
3
Samuel P. Huntington: Der Kampf der Kulturen: Die Neugestaltung
der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, München [u.a.] 1996.
4
European Union National Institutes for Culture (Eunic) / ifa:
‚Culture and Conflict‛ Roundtable: Conflict resolution through
cultural and civil society initiatives? Setting the framework right, 7.
Dezember, Baden-Württembergische Staatsvertretung Brüssel.
5
Vgl. Kulturtheorien der Gegenwart: Ansätze und Positionen, Hrsg.
Gerhart Schröder, Helga Breuninger, Frankfurt am Main [u.a.]
2001.
4
Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
ten und Projekte in allen Teilen der Welt auf, geglie-
dert nach regionalen Schwerpunkten und künstleri-
schen Genres.
Konfliktszenarien. Künstlerische
Initiativen in Krieg und Krise
Podiumsdiskussion, ifa-Galerie
Berlin, 26. Mai 2010
Unter dem Titel „Konfliktszenarien‚ diskutierten
am 26. Mai 2010 in der ifa-Galerie Berlin des Insti-
tuts für Auslandsbeziehungen die Geschäftsführerin
des
Ost-West-Europäischen
Frauen-Netzwerks
OWEN
6
, Joanna Barelkowska, der Kurator Eyal
Danon und der Fotograf Andreas Rost „Künstleri-
sche Initiativen in Krieg und Krise‚. Moderatorin
war die Videokünstlerin Marina Gržinić, Intention
der Veranstaltung, einer gemeinsamen Initiative des
Instituts für Auslandsbeziehungen und der Neuen
Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), Berlin, aus
dem laufenden NGBK-Ausstellungsprojekt „Frie-
dens-
schauplätze / Theater of Peace‚
7
eine erste Bilanz zu
ziehen und für eine weitere Auseinandersetzung mit
dem Thema Perspektiven zu entwickeln. Am Aus-
gangspunkt stand die Beobachtung, dass sich zent-
rale Anliegen des Projekts „Friedensschauplät-
ze‚
mit
den
Tätigkeitsfeldern
zweier
ifa-
Abteilungen, nämlich Kunst und Zivik (Zivile Kon-
fliktbearbeitung), überschneiden.
Es waren drei sehr unterschiedliche Szenarien, die
Barelkowska, Danon und Rost aufzeigten. Andreas
Rost, Fotograf, Bildjournalist und Kurator, hat im
Auftrag des ifa, im Rahmen des Programms Europä-
ische
Verständigung
mit
dem
Islam
Foto-
Workshops in verschiedenen islamischen Ländern
geleitet, unter anderem in Kairo, Algier, Ramallah,
Isfahan, Aden sowie im Sudan. Auf dem Panel im
Institut für Auslandsbeziehungen berichtete er über
seine Erfahrungen in Kabul.
8
Rost unterrichtete dort
eine Gruppe junger Fotoreporter, die als mehrspra-
6
http://www.owen-berlin.de/.
7
http://www.theaterofpeace.org/.
8
http://www.ankunft-bei-aufbruch.de/category/gruse-aus-kabul/.
chige und risikobereite Einheimische trotz unzu-
reichender fotografischer Kenntnisse alle bereits für
internationale Nachrichtenagenturen wie dpa oder
Reuters arbeiteten. Er bezeichnete es als sein erstes
Anliegen, „die Position der Teilnehmer auf dem
internationalen Agenturmarkt *zu+ verbessern‚, war
jedoch auch bemüht, sie im Laufe seiner drei Auf-
enthalte in Afghanistan mindestens einmal dazu zu
bewegen, eigene Projekte abseits der von den Agen-
turen gefragten Kriegsbilder zu entwickeln.
„Ich sehe den Krieg in Afghanistan vor allem als
einen Krieg, der mit Bildern und für Bilder geführt
wird‚, sagt Rost. „Die NATO-Armeen haben ein
Interesse an “guten‘ Bildern aus Afghanistan. Das
meint: sie brauchen Bilder, die Erfolge darstellen. *<+
Die Regierungen der NATO-Länder stehen unter
erheblichen Rechtfertigungsdruck, was ihr Engage-
ment in diesem Krieg angeht. Die Taliban wiederum
versuchen, möglichst “böse‘ Bilder zu produzieren,
um zu zeigen, dass jede Hilfe sinnlos ist und um die
Ausländer zur Aufgabe zu zwingen.‚
Rost vertritt nicht den Anspruch, mit seinen Teil-
nehmern „Kunst‚ zu produzieren. Allerdings
spricht er mit ihnen darüber, wie ein Bild eines „an-
deren Afghanistan aussehen könnte: „Das was sie
mir als das “andere‘ Afghanistan zeigten, waren
lachende Mädchen ohne Kopftuch auf der Schaukel.
Nun will ich nicht bestreiten, dass auch in Afghanis-
tan Mädchen lachen können. Aber reicht das aus als
Gegenbild? Ich möchte nicht gegen diese Bilder
argumentieren. Allerdings glaube ich, für ein “ande-
res‘ Afghanistanbild braucht es eine tiefer gehende
Auseinandersetzung mit dem Medium Fotografie
und ihren Beziehungen zur Realität.‚ Ebenso wenig
glaubt Rost, mittels Fotografie auf den Konflikt ein-
wirken zu können. Immerhin ist es ihm gelungen,
2009 erstmals in Kabul eine Ausstellung afghani-
scher Fotografen zu zeigen, die viel Aufsehen erregt
hat.
Ganz im Gegensatz dazu bezeichnet es Eyal Danon
als wenig sinnvoll, dem Fundus öffentlicher Bilder
zum Israel/Palästina-Konflikt weitere hinzuzufügen.
Aus diesem Grund verzichtete das Projekt „Liminal
Spaces‚, auf das er sich in seiner Präsentation bezog
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