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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
tendienste oder Science Fiction & Ökonomie antwor-
tete. Zum Thema Grenzpolitik heißt es im Konzept:
„‘Grenzpolitik (Gratwanderungen)‘ fragt nach gän-
gigen und neuen Konfliktlösungsstrategien. Wie
wurden und werden Konflikte ausgetragen? Wie
könnten Konflikte ausgetragen werden? Es sollen in
beispielhaften Vorführungen Impulse für unsere
renovierungsbedürftige Streitkultur geliefert wer-
den.‚
27
Diese „Konfliktlösungsstrategien‚ orientier-
ten sich allerdings weniger an aktuellen, mit Waf-
fengewalt ausgetragenen Konflikten, sondern konn-
ten zum Beispiel so aussehen: „In “Selbstversuch I:
Tränenrückführung‘ dokumentiert Birgit Brenner
auf Fotografien, anhand von Relikten und mittels
Statistiken ihren Versuch, sich die statistische
Durchschnittsmenge der innerhalb eines Jahres ge-
weinten Tränen zurückzuführen.‚
28
Insbesondere
die eher innenpolitischen Themen der Ausstellung
wie Überwachung, Sicherheit, Kontrolle und Nach-
richtendienste sind seither von den beteiligten und
anderen Künstlern/-innen weiter verfolgt und in
etwa im Steirischen Herbst 2006 oder der Ausstel-
lung „Embedded Art‚ 2010 in der Akademie der
Künste Berlin präsentiert worden.
29
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich
Kunst zu bewaffneten Konflikten eigentlich erst im
20. Jahrhundert überwiegend kritisch positioniert
hat. Prinzipiell gilt dies für die Moderne – mit Aus-
nahme des Futurismus – nicht weniger als für die
verschiedenen realistischen Tendenzen. Dies lässt
sich an Picassos „Guernica‚ und an der Frieden-
staube zeigen, die er 1949 für den Pariser Weltfrie-
denskongress entwarf. Die Gegenüberstellung of-
fenbart aber zugleich ein Problem: Die Taube ist ein
aus der biblischen Geschichte Noahs übernomme-
nes, konventionelles Symbol, wohl geeignet als Sig-
net, aber kaum als ein interessantes künstlerisches
Motiv. Wesentlich Aufsehen erregender sind ohne
Zweifel die verrenkten Leiber der schreienden, flie-
henden Menschen und Tiere in der Darstellung des
deutschen Fliegerangriffs auf die baskische Stadt.
27
http://www.projects.v2.nl/~arns/Archiv/Discord/konzDT.htm.
28
http://www.projects.v2.nl/~arns/Archiv/Discord/inke-dt.htm.
29
http://www.steirischerherbst.at/2006/deutsch/programm/bilden
de_kunst.php; http://www.embeddedart.de/.
Paradoxien der Darstellung: Die
Ausstellung „Friedensschauplätze /
Theater of Peace‚
Neue Gesellschaft für Bildende Kunst
(NGBK), Berlin, 1.Mai – 13. Juni 2010
Diese und weitere Paradoxien standen am Aus-
gangspunkt des Konzepts der Ausstellung, Veran-
staltungsreihe und Website „Friedensschauplätze /
Theater of Peace‚ vom 1. Mai bis 13. Juni 2010 in der
NGBK, Berlin. Noch immer dominieren selbst in
Aufrufen zum Frieden, ob von künstlerischer oder
anderer Seite, Bilder der Gewalt, Grausamkeit und
menschlichen Leids, dargestellt in der Regel in wir-
kungsvoll starken Hell-Dunkel-Kontrasten, die Täter
anklagend, die Opfer bemitleidend. Nun besteht
nicht nur keinerlei Gewähr, dass dieser Gestus tat-
sächlich der Intention, Frieden zu stiften, dient. An-
klagen heißt auch Partei ergreifen, Emotionen schü-
ren und im schlimmsten Fall die Spirale der Gewalt
weiter drehen. Es stellte sich die Frage, mit welchen
Mitteln sich anders für Frieden eintreten ließe.
Dabei geht es auch um einen Wettbewerb um die
mediale Aufmerksamkeit. Einerseits zeigt sich, dass
Frieden an sich überhaupt nicht darstellbar ist: All-
tag, friedliche Tätigkeiten wie Ackerbau, Arbeit oder
Freizeit, Gespräche und menschliches Miteinander
wirken nur dann als Sinnbilder des Friedens, wenn
sie explizit oder implizit zu Bildern oder Vorstellun-
gen von Krieg in Kontrast gesetzt werden – andern-
falls sprechen sie nur jeweils für sich selbst. Nun ist
auch Krieg oder bewaffneter Konflikt heute nicht
ohne weiteres darstellbar, wie etwa die Gegenüber-
stellung der Schlachtenmaler des zweiten Golfkriegs
mit den fehlenden Bildern lebendig begrabener ira-
kischer Soldaten in den tatsächlichen, ungleichen
Kämpfen im Sandsturm der Wüste auf gespensti-
sche Weise verdeutlichen.
30
Entscheidender als die Frage einer prinzipiellen
Darstellbarkeit von Krieg oder Frieden ist aber der
Umstand, dass in der medialen Wahrnehmung Bil-
30
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2003/03/26/a0189;
http://www.sueddeutsche.de/politik/die-folgen-des-zweiten-
golfkriegs-die-wueste-nach-dem-sturm-1.654058.
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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
der der Gewalt ungleich mehr Aufmerksamkeit
erregen als Bilder des Friedens. Frieden bedeutet,
dass nichts Besonderes „passiert‚. Bilder von Krieg
und Gewalt dagegen alarmieren, „zwingen‚ zum
Hinsehen, lösen Reflexe und Reaktionen aus. Jede
Nachrichtenagentur,
Fernseh-
und
Zeitungs-
redaktion sucht nach solchen außergewöhnlichen
Bildern, die zugleich manipulierbar sind. Denn das
Ausmaß an Gewalttaten, die über die Bildschirme
flimmern, entspricht in keiner Weise den im realen
Leben anzutreffenden Proportionen. Wer einen Kon-
flikt in einer bestimmten Weise medial vermittelt,
steuert das Bild, das sich die Betrachter von diesem
Konflikt machen. Denn die Bilder sind in aller Regel
nicht für diejenigen gemacht, die selbst in diesem
Konflikt agieren oder von ihm betroffen sind. Dies
bedingt nicht nur eine voyeuristische Komponente,
da der Fernsehzuschauer bequem im Wohnzimmer
die Schrecken verfolgt, unter denen Andere leiden.
Es bedeutet auch, dass vielleicht mehr noch als die
gezeigten Bilder eben auch das, was nicht zu sehen
ist, die Wahrnehmung des Konflikts prägt, wie etwa
Noam Chomsky anhand von Statistiken der Opfer-
zahlen auf Seiten „befreundeter‚ und „feindlicher‚
Mächte in amerikanischen Nachrichten gezeigt hat.
31
Die Asymmetrie heutiger Kriege, dies wurde bei der
Vorbereitung der Ausstellung immer deutlicher,
erstreckt sich nicht nur auf Waffensysteme und
wirtschaftliche Ungleichheiten, sondern hängt auf
entscheidende Weise auch mit Bildern zusammen.
Edward Said hat diesen Zusammenhang 1980 in
„The Question of Palestine‚ beschrieben, indem er
gezeigt hat, dass eine fehlende Repräsentation in
medialen Darstellungen unmittelbar Ursache für
gewalttätige Handlungen sein kann: Bomben kön-
nen ein Weg sein, um auf sich aufmerksam zu ma-
chen.
32
Umgekehrt erkennt Elias Sanbar im Entste-
hen einer palästinensischen Filmkunst in der Zeit
der Oslo-Verträge einen anderen Ausweg aus dem
Dilemma.
33
Neue Nachrichtenkanäle wie Al-Jazeera
können ebenfalls dazu beitragen, einer möglichen
31
Noam Chomsky, Edward Herman: Manufacturing Consent: The
Political Economy of the Mass Media, New York 1988.
32
Edward W. Said: The Question of Palestine, New York 1979, S. 16.
33
Elias Sanbar: „Le cinéma, retour à la visibilità‛, in: Mouvement.
L’indisciplinaire des arts vivants, 42, Januar- März 2007, S. 24-26.
Einseitigkeit aufgrund westlicher Dominanz über
die Medien eine andere Perspektive entgegensetzen.
Als ein entscheidendes Stichwort des Ausstellungs-
projekts „Friedensschauplätze / Theater of Peace‚
kristallisierte sich daher, neben der Frage der
Asymmetrie, das Thema der Sichtbarkeit heraus.
Bilder von Krieg und Gewalt, wie sie in den media-
len Darstellungen dominieren, sind aus einer be-
stimmten Perspektive aufgenommen, die andere
Positionen ausschließt. Sie verdecken zudem den
Überlebenskampf der Zivilbevölkerung und ihre
Sehnsucht nach einem ganz normalen Leben in
Frieden, aber auch die wirtschaftlichen und macht-
politischen Hintergründe der Konflikte, Traumata,
historische Leidenserfahrungen sowie umgekehrt
auch positive Ansätze und Initiativen, aus der Spira-
le der Gewalt herauszukommen.
Sichtbarkeit ist auch das eigentliche Gebiet der
Kunst. Inwieweit künstlerische Initiativen entweder
selbst Wege zu einem friedlichen Miteinander auf-
zeigen und in Gang setzen, unterrepräsentierten
Bereichen zu mehr Sichtbarkeit verhelfen oder aber
die Logik der Gewalt in den medialen Repräsentati-
onen unterbrechen und eine andere Perspektive
einführen können: dies waren einige der Fragen, die
bei der Vorbereitung des Projekts „Friedensschau-
plätze / Theater of Peace‚ eine Rolle spielten. Dabei
ging es um vorbildliche Initiativen, unabhängig von
der geografischen Lokalisierung, also nicht vorran-
gig um den spezifischen Konflikt, in dem diese ope-
rieren und in den sie intervenieren, sondern um
Wege, Ansätze, Methoden, Verfahren: Best-Practice-
Beispiele, die zugleich als künstlerische Arbeiten
immer ihre Einzigartigkeit bewahren.
Insoweit diese Arbeiten in Konflikte eingreifen,
handelt es sich dabei jedenfalls nicht um Kunst im
geschlossenen System des „White Cube‚ der Gale-
rien und Ausstellungshäuser. Man könnte auch von
künstlerischem Aktivismus sprechen, während sich
umgekehrt politische Aktivisten/innen in Friedens-
initiativen häufig auch künstlerischer Mittel bedie-
nen, um Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu erzie-
len. Die Ausstellung „Friedensschauplätze / Theater
of Peace‚ hat bewusst auf eine Unterscheidung zwi-
schen diesen beiden Bereichen verzichtet, um eine
willkürliche Trennung zu vermeiden und ein mög-
lichst breites Spektrum von Handlungsansätzen
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