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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Historische Präzedenzfälle
Vietnam
Eine ernsthafte, intensivere Beschäftigung mit der
Rolle von Kunst in kriegerischen Konflikten kann
nicht umhin, über die gegenwärtigen Bemühungen
von Künstlern/-innen hinaus auch die Antworten
der Kunst auf vorangegangene Konflikte mit in Be-
tracht zu ziehen. An der Art der Konflikte, den his-
torischen Begleitumständen, den gesellschaftlichen
Reaktionen und nicht zuletzt der Kunst selbst mag
sich manches geändert haben. In jedem Fall kann die
Kenntnis dessen, was war, Anregungen geben, Feh-
ler und Wiederholungen vermeiden zu helfen. Ein
kompletter Überblick über die vielfältigen Aktivitä-
ten von Künstlern/-innen in Zusammenhang mit
dem Vietnamkrieg würde an dieser Stelle zu weit
führen. Einige Hinweise auf Ausstellungen, Bücher,
Links sowie einzelne beispielhafte Arbeiten sollen
hier nur einen Hinweis auf ein weites Feld geben,
das einer näheren Recherche bedürfte.
Heute ist nicht mehr ohne Weiteres bekannt, dass
etwa Jasper Johns im Auftrag der Galerie von Leo
Castelli in New York ein Poster anlässlich der gro-
ßen Demonstrationen für ein Vietnamkriegs-
Moratorium am 15. Oktober 1969 designte. Es stellt
ein Negativ seiner berühmten Flagge dar, also
schwarz mit grünen Streifen und ein gelbes Feld mit
schwarzen Sternen. Duane Hanson gestaltete eine
„Vietnam Scene‚ aus fünf tot oder verletzt am Bo-
den liegenden Figuren.
184
Leon Golub, der sich seit
den 1950er Jahren mit der Thematik von Krieg und
Gewalt auseinandergesetzt hatte, malte zwei Serien
unter den Titeln „Vietnam‚ und „Napalm‚ und
verwendete dazu als Vorlagen auch Pressebilder.
185
Hans Haacke ließ bei einer Soloausstellung im Mu-
seum of Modern Art 1978 die Besucher abstimmen, ob
sie Gouverneur Nelson Rockefeller wieder wählen
würden, obwohl er sich nicht gegen die Indochina-
Politik Richard Nixons gewandt habe.
186
184
http://www.art-for-a-change.com/vietnam/vietnam.htm.
185
http://www.tfaoi.com/aa/2aa/2aa534.htm.
186
http://www.arts.ucsb.edu/faculty/budgett/algorithmic_art/haacke
.html.
Maya Lin: Vietnam Veterans Memorial (1982)
Für die Auseinandersetzung mit späteren Gedenk-
stätten wie dem September 11 Memorial spielt das
1982 fertig gestellte Vietnam Veterans Memorial in
Washington von Maya Lin eine prägende Rolle. Es
handelt sich um eine moderne, abstrakte Form eines
Kriegerdenkmals. 1979 war eine Stiftung gegründet
worden, über 1400 Vorschläge waren eingereicht
worden. Eine lange, spiegelglatt geschliffene,
schwarze Wand trägt die Namen von über 58 000
gefallenen oder vermissten amerikanischen Solda-
ten. Aufgrund verschiedener Kritiken an der Form
und an der Auswahl der Geehrten wurden noch
zwei figürliche Denkmäler daneben gestellt.
Artists’ Tower against the War in Vietnam (Peace
Tower) (1966)
Eine ganz andere Art von Monument errichteten
bereits 1966 die Künstler Mark di Suvero und Mel
Edwards nach einem Aufruf des Artists‘ Protest
Committee in Los Angeles. Es handelte sich um ein
fast zwanzig Meter hohes, stählernes Gerüst, an dem
418 Gemälde – unter anderem von Elaine de Koon-
ing, Leon Golub, Philip Guston, Eva Hesse, Donald
Judd, Jack Levine, Roy Lichtenstein, Robert
Motherwell, Ad Reinhardt, James Rosenquist, Tom
Wesselman und vielen anderen, zum Teil weniger
bekannten Künstlern/-innen – aufgehängt waren,
die später versteigert wurden. Der Turm stand drei
Monate und war physisch umkämpft. Frank Stella
soll jedem 1000 Dollar versprochen haben, der sein
Werk verteidigt.
Weitere Künstler/-innen: Whitney Biennial Peace
Tower
A Different War: Vietnam in Art (1989-1992)
Eine wichtige Ausstellung zum Thema der Reaktio-
nen der Kunst auf den Vietnamkrieg war „A Diffe-
rent War: Vietnam in Art‚, 1989 kuratiert von Lucy
Lippard und zuerst im Whatcom Museum of History
and Art in Bellingham (WA) sowie anschließend bis
1992 in einer Reihe weiterer Museen gezeigt. Über
50 Künstler/-innen waren in der Ausstellung zu
sehen, weitere 35 sind im Begleitband genannt, da-
runter berühmte Namen wie Luis Camnitzer, der
eine „Agent Orange‚-Serie radierte, Öyvind Fahl-
ström, Robert Morris, Claes Oldenburg, Martha
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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Rosler, Dan Flavin, der mit Sol LeWitt, Robert
Ryman und anderen 1969 in einer Ausstellung der
Paula Cooper Gallery in New York zugunsten eines
studentischen Mobilisierungskommittees zur Been-
digung des Vietnamkriegs ausstellte, ebenso wie
Edward Kienholz, Robert Matta, Robert Rauschen-
berg, Ad Reinhardt, James Rosenquist, Robert
Ryman, Carolee Schneeman, George Segal, Robert
Smithson, Frank Stella und Andy Warhol, aber auch
Künstlergruppen wie die Art Workers Coalition, die
Guerilla Art Action Group und die Vietnam Veterans
Art Group.
187
http://www.leftmatrix.com/adifferentwar.html
As Seen By Both Sides: American and Vietnamese
Artists Look at the War
1991 fand eine weitere wichtige Ausstellung statt,
die nun auch künstlerische Darstellungen der ande-
ren Seite mit einbezog. Kuratiert von C. David
Thomas und organisiert vom Indochina Arts Project,
zeigte die Ausstellung, an der Lucy Lippard für den
amerikanischen Teil wiederum beteiligt war, je 20
Künstler/-innen aus beiden Ländern.
188
Wenn etwa
Tran Viet Son im Jahr 1968 gefangene amerikanische
Soldaten skizzierte, zeigt dies nicht nur die Wahr-
nehmung der anderen Seite, sondern zeugt auch von
einer Neugier, die von Hass auf den Gegner weit
entfernt scheint.
189
Es war der erste kulturelle Aus-
tausch zwischen den USA und Vietnam nach dem
Ende des Krieges.
Art Workers: Radical Practice in the Vietnam Era
(2009)
In ihrem Buch ‚Art Workers: Radical Practice in the
Vietnam Era‛ wirft Julia Bryan-Wilson einen Blick
auf Veränderungen in der künstlerischen Praxis der
1960er und 1970er Jahre, die sie mit dem Vietnam-
krieg in Verbindung bringt. Der Titel „Art Workers‚
spielt auf die 1969 ins Leben gerufene „Art Workers‘
Coalition‚ an, eine lose Vereinigung von Künstlern/-
innnen in New York, der unter anderen Carl Andre,
187
Lucy R. Lippard: A Different War: Vietnam in Art, Seattle 1990.
188
C. David Thomas: As seen by both sides: American and
Vietnamese artists look at the war, Amherst (MA) 1991.
189
http://www.iapone.org/Pages/Tran_viet_son.html.
Robert Morris, Hans Haacke und Lucy Lippard an-
gehörten, auf die sich Bryan-Wilson in ihrer Unter-
suchung konzentriert. Die Art Workers‘ Coalition
diskutierte
Museumspolitiken
und
Künstler/-
innenrechte und organisierte 1969 am 15. Oktober
das bereits erwähnte Moratorium of Art to End the
War in Vietnam, eine Massendemonstration mit rund
100 000 Teilnehmern allein in New York und Millio-
nen weltweit.
190
Harun Farocki: Nicht löschbares Feuer (1969)
Dass der Vietnamkrieg nicht allein in den USA die
Imagination der Künstler/-innen beschäftigt hat,
zeigt Harun Farockis ebenso didaktischer und in-
formativer wie künstlerisch stringenter Film über
die Produktion von Napalm. Farocki hat später wei-
tere wichtige Filme zu Technologien der Kriegfüh-
rung gedreht, etwa „Bilderkrieg‚ (1987) oder „Er-
kennen und Verfolgen‚ (2003).
191
http://www.farocki-film.de
Einige neuere Ausstellungen: Serious Games
Jugoslawienkriege / Balkankrise
In verschiedener Hinsicht spielen die mit dem Zer-
fall des ehemaligen Jugoslawien verbundenen Krie-
ge der 1990er Jahre für die heutige, globale Wahr-
nehmung von Krieg und militärischer Intervention
eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Kettenreak-
tion,
die
mit
der
Unabhängigkeits-
erklärung Sloweniens und Kroatiens am 25. Juni
1991 einsetzte, illustriert die Gefahren nationalisti-
scher und kulturalistischer Diskurse, aber auch der
unterbliebenen Aufarbeitung kollektiver historischer
Traumata. Jugoslawien wurde aber auch zum Prüf-
stein und ersten Beispiel des gemeinsamen militäri-
schen Eingreifens der „internationalen Gemein-
schaft‚ und somit zum ersten Baustein einer „neuen
Weltordnung‚. Der Kosovokrieg 1999 wurde zum
Präzedenzfall für Auslandseinsätze der Bundes-
wehr. Dass weder das Verbot militärischer Flüge
190
Julia Bryan-Wilson: Art Workers: Radical Practice in the Vietnam
Era, Berkeley 2009.
191
Vgl. auch
http://www.haussite.net/haus.0/PROGRAM/INFO_2001/farocki/f
arocki_D.html.
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