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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
http://www.vaslart.org/xhtml/artnow/events/2008/M
useum%20of%20Non%20Participation
Amar Kanwar
Amar Kanwar, Teilnehmer der Documenta 11 und
12, begann um 1985 Dokumentarfilme zu drehen.
Anlass waren die Massaker an den Sikhs vor und
nach dem Attentat auf Indira Gandhi, denen rund
5000 Menschen zum Opfer fielen, sowie die Giftgas-
Katastrophe von Bhopal. Sein bekanntester, auf der
Documenta 11 gezeigter, Film „A Season Outside‚
(1998) zeigt die Wachablösungsrituale an der in-
disch-pakistanischen Grenze. Aber Kanwar hat sich
mit vielen Aspekten der gewaltgeprägten Geschich-
te Indiens und seiner Nachbarländer beschäftigt.
„The Lightning Testimonies‚ (2007) konfrontiert auf
acht Bildschirmen Zeugnisse der unzähligen Ver-
gewaltigungen im Zuge der Teilung sowie Bilder
von heutigen Orten und Nachfahren mit histori-
schen Dokumenten.
170
„The Torn First-Pages‚ (2008)
stellt das Bild des birmanischen Diktators General
Than Shwe, der an der Gandhi-Gedenkstätte in Del-
hi Blumen niederlegt, der Geschichte eines Buch-
händlers in Myanmar gegenüber, der aus den Bü-
chern, bevor er sie verkaufte, die mit Propaganda
bedruckten ersten Seiten herausriss.
http://amarkanwar.com
M. S. Umesh: Rights? – Riots?
In seiner 2005 in Bangalore ausgestellten Arbeit
„Rights? – Riots?‚ kontrastiert M. S. Umesh zwei
ikonische Pressebilder: Qutubuddin Ansari, ein
Überlebender der Gujarat Riots im Jahr 2002, denen
an die 2000 Menschen islamischen Glaubens zum
Opfer fielen, legt die Hände zusammen und bittet
mit verzweifeltem Gesichtsausdruck: „How can I
convince you not to kill me?‚ Ihm gegenüber steht
das Bild von Dhananjay Chatterjee, gegen den we-
gen Vergewaltigung und Tötung einer Vierzehnjäh-
rigen 2004 zum ersten Mal seit
neun Jahren in Indien
die Todesstrafe verhängt worden war. Die Installati-
on reflektiert die Rolle von Medienbildern in der
170
Vgl. Urvashi Butalia:
The Other Side of Silence. Voices from the
Partition of India. Durham (NC) 1998.
Auseinandersetzung mit gewaltsamen Ereignis-
sen.
171
China
Huang Yong Ping: The Bat Project
Als mittlerweile französischer Künstler war Huang
Yong Ping, der 1989 von der Ausstellung ‚Magi-
ciens de la Terre‛ im Centre Pompidou in Paris nach
dem Massaker auf dem Tian’anmen-Platz nicht
mehr nach China zurückgekehrt war, erstmals wie-
der zu einer Ausstellung in China eingeladen. Zu
einem bereits bewilligten, außergewöhnlich hohen
Etat, wollte Huang in Shenzhen Teile eines amerika-
nischen EP-3-Spionageflugzeugs – genannt „Bat‚ –
im Maßstab 1:1 nachbauen, das im April des Jahres
im chinesischen Luftraum kollidiert und abgestürzt
war. Die Chinesen hatten das Flugzeug zuerst aus-
einandergenommen und genauestens studiert, bevor
sie die Überreste an die USA zurückgaben. Was
folgte, war ein diplomatischer Konflikt, in dem sich
Elemente des alten (kommunistisch-kapitalistischen)
und
neuen
(westlich-islamischen)
Ost-West-
Konflikts überlagerten. Denn nach den Anschlägen
vom 11. September wollten offenbar weder Frank-
reich noch China durch eine solche, möglicherweise
als provokativ empfundene Geste, das jeweilige
Verhältnis zu den USA aufs Spiel setzen, und das
Projekt wurde abgesagt. Auf eine weitere, kurzfris-
tige Absage anlässlich der
Biennale von Guangzhou
im Jahr
2002 folgte die Präsentation der Skizzen und
Entwürfe auf der Biennale von Venedig
2003 und
schließlich die Realisierung des „Bat Project‚ in der
ersten großen Retrospektive des Künstlers im
Walker
Art Center in Minneapolis (2005/06), wo Huang so-
gar ein originales Cockpit ausstellte, das ihm auf
einem Militärschrottplatz zu finden gelungen war.
172
http://visualarts.walkerart.org/oracles/details.wac?id
=2224&title=works
http://www.orbit.zkm.de/?q=node/10
171
Dietrich Heißenbüttel: „Das Spiel der Differenzen: Sieben
KünstlerInnen aus Asien‚, in:
Ungleiche Voraussetzungen. Zur
Globalisierung der Künste, Stuttgart 2008, S. 178.
172
Ebd. S. 163-165.
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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Korea
Die anhaltende Teilung des Landes prägt bis heute
auch die südkoreanische Gesellschaft. Private und
familiäre Beziehungen mögen heute nur noch eine
untergeordnete Rolle spielen, wirken jedoch in das
Geschichtsverständnis und die Identitätsauffassun-
gen hinein. Gelegentliche Scharmützel wie zuletzt
nach dem Untergang des südkoreanischen Kriegs-
schiffs Cheonan im März 2009, der Nordkorea zur
Last gelegt wurde, versetzen das Land in einen la-
tenten, permanenten Alarmzustand. Außenpoliti-
sche Themen, allen voran der Konflikt mit Nordko-
rea, verbunden auch mit der amerikanischen Mili-
tärpräsenz, dienten verschiedentlich dazu, von in-
nenpolitischen Spannungen abzulenken. Kunst
spielt in dieser komplexen Konstellation insofern
eine wichtige Rolle, als der rapide Aufstieg der zeit-
genössischen Kunst seit den 1990er Jahren – in
Gwangju fanden 1995 und 1997 die nach Etat wie
Besucherzahlen bisher größten Kunstausstellungen
der Welt statt – in engem Zusammenhang mit der
Demokratisierung des Landes steht.
Park Chan-Kyong
In verschiedenen Arbeiten beschäftigt sich Park
Chan-Kyong immer wieder mit dem Verhältnis zwi-
schen Nord- und Südkorea, einerseits im Kontext
der globalen Politik des Kalten Krieges, andererseits
auf der Suche nach Verbindungen. Er fotografierte
die Attrappe eines traditionellen koreanischen Dor-
fes im Grenzgebiet, die für Schießübungen Verwen-
dung fand.
173
In „Sets‚ (2001) verwendet er Propa-
gandamaterial aus beiden Teilen des Landes. In
„Power Passage‚ (2004) stellt sich die Verbindung
auf verschiedenen Umwegen her: 1975 kam es zum
Andockmanöver der amerikanischen
und russischen
Raumschiffe Apollo und Sojus im All; das System
entwickelte der Waffenhersteller Rockwell, der zu-
sammen mit Samsung auch Waffensysteme für Süd-
korea herstellt. Zugleich sollen nordkoreanische
Tunnel die Grenze angeblich bis nach Seoul unter-
graben haben.
174
„Flying‚ (2005) kam zustande
173
Akademie Schloss Solitude, Stuttgart 2002.
174
Stadtansichten Seoul, Räume, Menschen, ifa-Galerien, Stuttgart
2007, S. 26-29,
durch einen Auftrag des koreanischen Fernsehens,
unveröffentlichtes Dokumentationsmaterial vom
ersten Gipfeltreffen beider Länder fünf Jahre zuvor
zu einem Film zu verarbeiten.
175
Park zeigt den ers-
ten Flug von Süd- nach Nordkorea, unterlegt mit
einem Doppelkonzert des Komponisten Isang Yun,
das, von einer mythischen Erzählung ausgehend,
auf eine mögliche Wiedervereinigung anspielt.
Sindoan spielt in der Region um den „heiligen‚ Berg
Gyeryong, einerseits Projektionsfläche mythischer
Fantasien von der vergangenen Größe Koreas, ande-
rerseits eine Region mit einer erhöhten militärischen
Präsenz.
176
„Black Out‚ (2009) zeigt als Videoinstal-
lation heroische nordkoreanische Landschaften, in
denen Wellen an steile Klippen branden, immer
wieder jedoch von Stromausfällen unterbrochen.
177
In der Fotoserie „Three Cemeteries‚ (2010) zeigt
Park Friedhöfe verschiedener Bevölkerungsgrup-
pen, etwa im Koreakrieg gefallener chinesischer
Soldaten oder Prostituierter in amerikanischen
Camps, die ihr Leben abseits des Orts ihrer Her-
kunft, aber auch der koreanischen Gesellschaft be-
endeten.
178
Middle Corea
Das 2005 gegründete Projekt „Middle Corea‚ ent-
wirft einen utopischen Staat in der Demilitarisierten
Zone (DMZ) zwischen Nord- und Südkorea. Der
Künstler Yangachi entwarf den Pass für die künfti-
gen Staatsbürger und eine nicht mehr verfügbare
Website. Nathalie Boseul Shin gab zusammen mit
Tae Jun Kim ein Middle Corea Handbuch heraus
und stellte das Projekt 2006 in der Ausstellung „On
Difference #2‚ des
Württembergischen Kunstvereins
vor. Die bewusste Neutralität der Beiträge, etwa die
Nationalflagge von Ligyung, die aus einer Fotogra-
fie des Himmels über der DMZ bestand, und bei
weiteren Ausstellungen den Himmel über dem je-
weils vorangegangenen Ausstellungsort zeigte, ilus-
175
http://www.insaartspace.or.kr/mediaWorksViewEN.asp?idx=110.
176
http://www.e-flux.com/journal/view/176.
177
Shared. Divided. United. Deutschland-Korea:
Migrationsbewegungen im Kalten Krieg, NGBK, Berlin 2009, S. 182-
185.
178
http://www.e-flux.com/shows/view/7705.