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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
den Terror‚ geführt wurde. Wenn nach dem 11.
September 2001 die Fronten klar gezogen schienen,
so hat sich allerdings nach dem schnellen Sieg der
überlegenen Armeen der „Koalition der Willigen‚
bald gezeigt, dass jede gewaltsame und plötzliche
Änderung im Machtgefüge diese lokalen Konflikte
nur um so stärker zum Ausbruch brachte. Daran ist
letztlich die militärische Interventionspolitik ge-
scheitert.
Der Begriff Ost-West-Konflikt lässt sich hier nur mit
Einschränkungen verwenden, da Russland in der
Kaukasusregion ebenso einen „Krieg gegen den
Terror‚ führt. Er soll Zweierlei verdeutlichen: ers-
tens, dass sich die Kriege im Irak und Afghanistan
nicht auf lokale Ursachen reduzieren lassen; und
zweitens, dass die globale Konfliktkonstellation
einer „westlichen Welt‚ gegen eine im Osten vermu-
tete „Achse des Bösen‚ offenkundig an die Stelle des
Kalten Krieges der Nachkriegsordnung getreten ist,
von der sie eine globale Polarisierung und das Be-
drohungsszenario übernimmt.
Wie bereits anhand der nordafrikanischen Länder
dargelegt, gibt es zwar Wechselwirkungen zwischen
der jeweiligen aktuellen Kunst und der lokalen Poli-
tik einzelner Länder. Die Entwicklung der zeitge-
nössischen Kunst etwa im Libanon oder in Ägypten
dürfte hier ebenso starke Impulse gesetzt haben wie
die aktuellen Demokratisierungsbewegungen. Zu-
dem steht mit der Biennale von Sharjah, vor allem
seit der sechsten Ausgabe 2003, eine groß-regionale
Austauschplattform zur Verfügung, die allerdings
kaum lokale Probleme des kleinen Emirats verhan-
delt,
151
sondern eher als Treffpunkt und Forum der
Gegenwartskunst mit Schwerpunkt auf den „islami-
schen Ländern‚ verstanden werden muss. Die Ge-
genwartskunst ist jedoch von Land zu Land unter-
schiedlich weit entwickelt und unter repressiven
Systemen zum Teil mit Zensur konfrontiert.
152
Insbe-
151
http://www.sharjahbiennial.org; http://www.sharjahart.org;
http://www.universes-in-universe.de/car/sharjah/index.htm; vgl.
„Unsere Sänger sind stolz‚, Interview mit Heimo Lattner von der
Künstlergruppe e-Xplo,
taz, 08.05.2007,
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2007/05/08/a0013.
152
Vgl. etwa Charlotte Bank: „Schritt aus der Isolation. Junge
Kunst aus Syrien: eine Bestandsaufnahme‚, in:
springerin 4/2009, S.
sondere in Ländern und Regionen, die unter jahr-
zehntelangen kriegerischen Auseinandersetzungen
zu leiden hatten, wie etwa Afghanistan, Tschetsche-
nien oder die Kurdengebiete in der Türkei, im Iran,
Irak und Syrien, ist mit einer aktuellen Gegenwarts-
kunst kaum zu rechnen.
153
Dagegen dominieren auch in Ländern wie Malaysia,
die weitab von den großen Krisengebieten liegen,
Themen wie der Nahostkonflikt oder der Irakkrieg
die Wahrnehmung. Im Folgenden soll daher nicht
länderweise nach künstlerischen Initiativen in loka-
len Konflikten Ausschau gehalten werden, sondern
global nach künstlerischen Reaktionen insbesondere
auf den Irakkrieg. Dass Kunst in einem Konflikt
zwischen der letzten verbleibenden Supermacht der
Welt und einem unterlegenen, diktatorischen Sys-
tem keine unmittelbar friedensstiftende Wirkung
entfalten kann, liegt auf der Hand. Wohl aber haben
Künstler/-innen
in allen Teilen der Welt, also auch in
den USA, mit künstlerischen Arbeiten zu dem Kon-
flikt Stellung genommen.
Im Folgenden werden einige Ausstellungen und
künstlerische Projekte vorgestellt, die sich aus unter-
schiedlicher geografischer Perspektive und mit un-
terschiedlichen Mitteln und Zielen dem Thema der
Kriege im Irak und Afghanistan nähern. Soweit sich
einige der hier aufgeführten Künstler/-innen auch
darüber hinaus mit dem Thema Krieg und Konflikt
beschäftigen, werden ihre Namen weiter unten noch
ein zweites Mal auftauchen.
Contemporary Arab Representations: The Iraqi
Equation
Die dritte Etappe von Catherine Davids Projekt
„Contemporary Arab Representations‚ war eine
Ausstellung unter dem Titel ‚The Iraqi Equation‛,
die im Dezember 2005 in den Berliner
Kunst-Werken
eröffnet wurde und danach in Barcelona und Umeå
zu sehen war. Der Impetus der Ausstellung bestand
darin, vorwiegend aus dem Irak stammenden Akt-
euren des Kulturlebens ein Forum zu bieten, eine
andere Ansicht des Irak zu zeichnen als in der tägli-
54-57; zum Iran: http://universes-in-
universe.org/deu/nafas/articles/2011/tehran_art_scene.
153
Vgl. die Ergebnise eines Workshops der Fakultät für Fine Arts
der Universität von Kabul (2004):
http://landscapememory.blogspot.com.
55
Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
chen Kriegsberichterstattung der Medien. Dem ist
hinzuzufügen, dass es sich Davids Ansatz gemäß
ohnehin nicht um eine reine Kunstausstellung han-
delte und in diesem Fall vielmehr Dokumentarfilme
und -videos neben Fotos des Vorkriegs-Irak und
aktuellen Blogs im Mittelpunkt standen. Die weni-
gen Künstler/-innen, und insgesamt die Mehrzahl
der Beteiligten, lebten zudem nicht im Irak, sondern
im Exil.
http://universes-in-
universe.org/deu/nafas/articles/2006/iraqi_equation
http://www.culturekiosque.com/travel/item9129.html
http://appartement22.com/spip.php?article13
Contemporary Art Iraq
Im April 2010 eröffnete die erste britische Ausstel-
lung zeitgenössischer Kunst aus dem Irak seit dem
ersten Golfkrieg im
Cornerhouse Manchester. Bei nä-
herer Betrachtung handelte es sich vorwiegend um
Kunst aus dem irakischen Kurdistan. In Sulayma-
niyah, dem kulturellen Zentrum des irakischen
Kurdistan, hatte die 2004 von Adalet R. Garmiany
gegründete Organisation für Kunst-Austausch
ArtRole bereits 2009 das erste „Post-War Art & Cul-
ture Festival‚ ins Leben gerufen, in Folge dessen die
Ausstellung entstand.
154
Eine aktuelle Kunst befin-
det sich in Sulaymaniyah noch in den ersten Anfän-
gen. Am
Department of Fine Arts der ursprünglich
1968 und 1992 neu gegründeten Universität wird
Malerei, Skulptur und Theater unterrichtet, Kunst
dabei nur bis zur klassischen Moderne.
155
Eine der
wenigen Arbeiten der Ausstellung, die sich mit dem
Thema Krieg beschäftigten, war eine Installation aus
Koffern mit Erinnerungsstücken von Zana Moham-
med Rasul.
156
http://www.cornerhouse.org/art/info.aspx?ID=410&
page=0
154
http://www.kadmusarts.com/festivals/4636.html;
http://www.artrole.org.
155
http://triptoiraq.wordpress.com/2010/11/24/women-in-iraq.
156
Vgl. oben:
Kontrastprogramm (ifa zivik): Konfliktintervention durch
künstlerische Aktionen? 01.12.2010.
Lida Abdul: White House (2005)
In einer viel beachteten Performance strich die aus
Afghanistan stammende Künstlerin Lida Abdul
2005 die Ruine eines Hauses in Kabul weiß an. Die
Aufzeichnung dieser Meditation über Zerstörung
und Wiedergutmachung in der Farbe Weiß, die für
Frieden steht, war auf der Biennale von Venedig
2005 und danach in vielen Ländern der Welt zu
sehen.
157
http://www.lidaabdul.com
Ayaz Jokhio: titled
In der Serie ‚Titled‛ vertauscht der pakistanische
Künstler Ayaz Jokhio die museale Anordnung von
großformatigem Gemälde und rechts unten daneben
angebrachtem Schild mit den dazu gehörigen In-
formationen: Das eigentliche Gemälde befand sich
jeweils in kleinem Format neben einer großen Lein-
wand, auf der nur die Konturen angedeutet waren,
worüber ein Titel wie „Mother and Child‚, „Lands-
cape‚ oder „Still Life‚ samt den Angaben „Oil on
canvas‚ und das Format geschrieben stand. Was
nicht viele Ausstellungsbesucher bemerkt haben
dürften: Die Sujets sind Zeitungsberichten über den
Irakkrieg entnommen, etwa von einer Mutter, die
sich im Krankenhaus über ihr Kind beugt. Daneben
steht: „Why do they have to use cluster bombs?‚
158
Weitere lokale Konflikte: Indien / Pakistan, Sohni
Dharti
Nur Hanim Mohamed Khairuddin: Se(Rang)ga
In ihrem elfminütigen Video „Se(Rang)ga‚ zeigt die
malaysische Künstlerin, Kuratorin und Kritikerin
Nur Hanim Mohamed Khairuddin ihr Gesicht, das
nach und nach von einem Schwarm von „Insekten‚
bedeckt wird, die schließlich eine Art Schleier oder
Burka bilden. In ihnen kommen sodann alle Arten
von gewaltgeprägten, stereotypen Bildern der isla-
mischen Welt zum Vorschein: fanatisierte Männer
157
Interview mit Lida Abdul:
http://www.artslant.com/ny/artists/rackroom/7567.
158
Dietrich Heißenbüttel: „Das Spiel der Differenzen: Sieben
KünstlerInnen aus Asien‚, in:
Ungleiche Voraussetzungen, S. 179-
182.