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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Postcards for Gaza
Während des israelischen Angriffs auf den Gaza-
streifen im Dezember 2008/ Januar 2009 ging das
Leben in Tel Aviv seinen gewöhnlichen Gang, auch
wenn man die nur wenige Kilometer entfernten
Ereignisse im Fernsehen beobachten konnte. In Re-
aktion auf diese schizophrene Situation kontaktierte
Norma Musih den Fotografen Shareef Sarhan,
132
der
in Gaza die Zerstörungen und das Leid der Bevölke-
rung auf Fotos festhielt und über Flickr (Web-Portal
für digitale Bilder) ins Netz stellte. Seine Aufnah-
men
und
Reaktionen
israe-
lischer Künstler stellte sie am 28. Januar 2009 in der
Zochrot Galerie in Tel Aviv als Postkartenserie aus,
während der Fotograf aus Gaza über Telefon sprach.
Das Format der Postkarte wurde deshalb gewählt,
um die Information über den Kreis der Galeriebesu-
cher hinaus zu verbreiten.
http://www.youtube.com/watch?v=yz7iSJuJgBQ&fea
ture=player_embedded
http://www.medico.de/datei/postcards-for-gaza.pdf
Hana Farah: Kufr Bir’im
Der Künstler Hana Farah hat ein Modell des 1953
zerstörten Dorfs Kufr Bir’im angefertigt, das unter
anderem im September/Oktober 2010 in der Galerie
im Körnerpark in Berlin-Neukölln ausgestellt war.
133
http://nakbainhebrew.org/images/Sedek-eng-
final%5B1%5D.pdf, S.76
David Reeb
David Reeb, Teilnehmer der Documenta X und 2003
bis 2007 Lehrer an der Bezalel Academy in Jerusalem,
beteiligt sich seit 2005 an den wöchentlichen De-
monstrationen gegen die Trennmauer im Grenz-
ort Bil’in. Er dokumentiert die Ereignisse mit der
Videokamera, stellt die Bilder über seine Website
und YouTube ins Netz und verwendet einzelne,
ausgewählte Stills auch als Vorlagen für Gemälde.
Die Bilder finden auf diese Weise in sehr verschie-
denen Umgebungen Verbreitung: bei Menschen-
132
http://www.shareefphoto.ps/index.php.
133
http://kultur-neukoelln.de/galerie-im-koernerpark-programm-
veranstaltung-708.php.
rechtsorganisationen, als Beweismaterial vor Ge-
richt, aber auch in Kunstausstellungen.
http://www.davidreeb.com/
http://www.youtube.com/user/davidreeb
Yael Bartana
Seit 2006 in mehreren Einzelausstellungen gewür-
digt und auch auf der Documenta 12 vertreten, ge-
hört Yael Bartana heute zu den prominentesten
Künstlerinnen Israels. In ihren Arbeiten beschäftigt
sie sich mit der Militarisierung der israelischen Ge-
sellschaft, indem sie die Verhaltensweisen der Men-
schen zeigt: ruhig, nüchtern, ohne Kommentar.
„Profile‚ (2000) zeigt Soldatinnen bei einer Schieß-
übung, „Trembling Time‚ (2001) das Ritual einer
Gedenkminute, mitten auf einer Hauptstraße. In
„Low Relief II‚ (2004) ist auf vier Bildschirmen eine
gemeinsame
Demonstra-
tion israelischer und palästinensischer Jugendlicher
zu sehen: ganz in grau wie ein steinernes Relief, das
jedoch in Bewegung gerät. In „Wild Seeds‚ (2005)
spielen Jugendliche die Evakuierung eines Hauses,
noch bevor in Realität der Gazastreifen geräumt
wurde. In jüngerer Zeit geht Bartana über das reine
Abfilmen der Erscheinungen hinaus und beschäftigt
sich mit den zionistischen Gründungsmythen des
Landes. „Summer Camp‚ (2007) besteht aus einer
doppelten Videoprojektion: Auf der einen Seite der
Leinwand sind Freiwillige des Israeli Committee
Against House Demolitions (ICAHD) zu sehen, die
ein in Hebron von der Arme zerstörtes Haus in Jeru-
salem wieder aufbauen, auf der anderen ein zionis-
tischer Propagandafilm aus dem Jahr 1935; beide
Projektionen sind zum selben Ton synchronisiert.
„We will be strong in our weakness‚, lautete der
Titel einer Performance am 25. Mai 2010 im Berliner
Theater Hebbel am Ufer, in der Bartana die Siedler-
Rhetorik auf eine jüdische Rückkehr nach Polen
projizierte. Das Plakat versprach in einer der Bild-
rhetorik der 1930er Jahre entlehnten Ästhetik „Key-
notes from the first congress of the Jewish Renais-
sance Movement in Poland‚. Dies als Kritik am pol-
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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
nischen Antisemitismus zu deuten,
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ist billig, wird
aber der Brisanz der Arbeit nicht gerecht, die mit
ihrem Aufruf zur „Rückkehr‚ nach Polen die innere
Logik des Zionismus untergräbt. Dvora Ben David,
Kulturattaché Israels, schien diese Intention sehr
genau zu verstehen, als sie verärgert den Saal ver-
ließ.
http://www.youtube.com/watch?v=o_OEcB8dH6Q&
feature=related
http://www.artnet.de/magazine/die-
documentakunstlerin-yael-bartana
http://www.cargo-film.de/blog/2009/feb/23/yael-
bartana-summer-camp/
http://liminalspaces.org/?page_id=27
http://www.my-i.com
Tamar Riklis, Anat Shalev: The Sentences Project
Tamar Riklis und Ana Shalev sprühten während der
zweiten Intifada mit Schablone Zeugenaussagen auf
die Hauptstraßen von Tel Aviv, die vor der Or-
Kommission gemacht worden waren. Die Kommis-
sion war 2000 eingesetzt worden, um Vorkommnis-
se am Beginn der Intifada zu untersuchen, im Ver-
lauf derer zwölf palästinensische Staatsbürger Isra-
els und ein Palästinenser getötet worden waren. Es
handelte sich um Aussagen über Gewalttaten der
Armee, aber auch von Kriegsdienstverweigerern
sowie juristische Formulierungen. Die Sätze waren
bis zu 30 Meter lang.
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Ronen Eidelman: The Ghosts of Manshia
Der Charles-Clor-Park an der Grenze von Jaffa und
Tel Aviv befindet sich an der Stelle des alten, ge-
mischt jüdisch-palästinensischen Stadtteils Manshia.
Um „Raum für die Vergangenheit zu schaffen‚,
markierte Ronen Eidelman das Straßennetz des
ehemaligen Stadtteils mit weißer Farbe – in der Art
und Weise von Markierungen auf einem Fußballfeld
– auf dem Rasen des Parks. Während der vier Tage,
die diese Markierung Bestand hatte, kam es zu zahl-
134
Deutschlandradio Kultur, 28.5.2010,
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/ausderjuedischenwelt/
1191773.
135
Friedensschauplätze, S. 23.
reichen Diskussionen mit Bewohnern, die sich noch
an den Stadtteil erinnerten.
http://www.digitalartlab.org.il/ArchiveVideo.asp?id=
186
http://www.youtube.com/watch?v=L-LfvAX6egY
Yosi Atia, Itamar Rose
In ihren Performances im öffentlichen Raum, die sie
auf Video aufzeichnen, fordern Yosi Atia und Itamar
Rose Passanten auf, Grenzposten zu spielen, die
Flüchtlinge aus Darfur abweisen. Sich als Palästi-
nenser ausgebend, bitten sie Picknicker, des Hauses
zu gedenken, das sich einmal an der Stelle befand,
an der sie gerade sitzen. Sie fordern Palästinenser
auf, die Nationalflagge eines künftigen, gemeinsa-
men israelisch-palästinensischen Staates zu zeichnen
und möchten von ihnen wissen, welches der ge-
meinsame Feind dieses Staates werden solle. In
„Machsom Wash‚ (der Titel spielt auf die Men-
schenrechtlerinnen-Organisation Machsom Watch an,
welche die Checkpoints beobachtet) waschen sie die
Scheiben von Automobilen, die in einer langen
Schlange an einem Checkpoint warten. Durch die
satirischen Überspitzungen locken sie ihre Ge-
sprächspartner aus der Reserve und spielen, einge-
fahrene, meist nur passiv aus Mediendarstellungen
rezipierte, Vorurteile selbst durch. Wenn sie aller-
dings in „Sorry about the bomb‚, verkleidet als Be-
amten des Außenministeriums, die einen pädagogi-
schen Film drehen wollen, Passanten auffordern,
Mitleid gegenüber bei Militärangriffen ums Leben
gekommenen Zivilisten – Kindern oder einer
Schwangeren – zu äußern, fördern sie das Bild einer
erschreckend verhärteten Gesellschaft zutage.
http://www.youtube.com/watch?v=VWvrOYTKI1Y
http://www.youtube.com/watch?v=dvBlY0edaEE
http://www.digitalartlab.org.il/ArchiveVideo.asp?id=
252
http://www.youtube.com/watch?v=0UKtYKGlfsg&fe
ature=related
Khalil Rabah: The Museum of Natural History and
Humankind
Der in Jerusalem geborene und in Ramallah lebende
Künstler Khalil Rabah hat an der University of Texas
studiert und zuerst Architektur an der Birzeit Uni-
versity und dann von 1997 bis 2000 Kunst an der
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