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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Marie-Chantal Locas, Artistic Resistance at the US-
Mexico Border: From Chicano Art to Tactical Me-
dia
http://stockholm.sgir.eu/uploads/Locas_SGIR%2020
10.pdf
Antonio Prieto, Border Art as a Political Strategy,
isla (Information Services Latin America)
http://isla.igc.org/Features/Border/mex6.html
Border Art Workshop / Taller de Arte Fronterizo
Seit 1984 arbeitet der „Border Art Workshop‚ des
Centro Cultural de la Raza in Balboa Park, ursprünglich
bestehend aus sieben Künstlerinnen und Künstlern,
in den eigenen Räumen in San Diego (Kalifornien)
sowie unmittelbar an der mexikanischen Grenze
und stellt auch in anderen Orten bis nach Australien
und Südafrika aus. Von Anfang an kamen verschie-
dene Medien wie Wandmalerei, Video, Perfor-
mance, Fotografie und Skulptur zum Einsatz, und
zwar sowohl im öffentlichen Raum als auch im Ga-
lerieraum. Um ein Beispiel herauszugreifen: Am 28.
Mai 1988 konstruierte der Künstler Richard Lou eine
„Border Door‚, die nur von der mexikanischen Seite
aus zu öffnen war, wo 134 Schlüssel aufgehängt
waren, mit der Einladung, „die Grenze mit Würde
zu überschreiten‚. Bei einer Ausstellung 1997 im
Centro Cultural de la Raza waren auch Arbeiten aus
Afghanistan, zur kroatisch-bosnischen und der süd-
libanesisch-palästinensischen
Grenze
vertreten.
„The show featured ways that traditional forms of
culture are transformed into peaceful forms of re-
sistance.‛
http://www.borderartworkshop.com/
Marco Ramírez: Toy an Horse, 1997
Seit 1992 fand auf beiden Seiten der US-
mexikanischen Grenze die Ausstellung ‚inSITE‛
statt. 1997 war der spektakuläre Höhepunkt ein
zehn Meter hohes, zweiköpfiges trojanisches Pferd
aus Holz, das der Künstler Marco Ramírez am
Grenzübergang San Ysidoro aufstellte. Es wirkte als
offenes, in verschiedene Richtungen interpretier-
bares Symbol für die Grenzsituation und Unterbre-
chung in der Routine von täglich 50 000 Grenzüber-
tritten.
http://marcosramirezerre.com
Ricardo Dominguez: Transborder Immigrant Tool,
2007/08
Mit einem ‚Transborder Immigrant Tool‛, das sich
in Mobiltelefone implementieren lässt und die Ori-
entierung mittels GPS erlaubt, hilft der Künstler
Ricardo Dominguez, ehemals Mitglied des Critical
Arts Ensemble, Migranten, auf ihrem Weg durch die
mexikanisch-kalifornische Wüste die Orientierung
zu behalten.
http://post.thing.net/node/1642
Javier Téllez, One Flew Over the Void (Bala
Perdida), 2005
Javier Téllez, dessen Eltern beide Psychiater waren,
arbeitet ebenfalls mit psychisch Kranken. In seiner
Arbeit „One Flew Over the Void (Bala Perdida) ver-
anstaltet er mit einer Gruppe Patienten des Baja Cali-
fornia Mental Health Center in Mexicali eine Prozessi-
on zur US-amerikanischen Grenze am Strand. Dort
lässt sich der „Human Cannonball‚ Dave Smith
über die Grenze schießen.
http://www.orbit.zkm.de/?q=node/16
Ursula Biemann
Australien
Dierk Schmidt: SIEV-X
In seinem neunzehnteiligen Bildzyklus „SIEV-X –
Zu einem Fall von verschärfter Flüchtlingspolitik‚
behandelt der Künstler Dierk Schmidt 2001-2003 den
Fall eines Flüchtlingsboots aus Indonesien, das vor
der australischen Küste gesunken war. Nur 44 der
397 Menschen an Bord überlebten. Das Kürzel SIEV
bedeutet „Suspected Illegal Entry Vessel‚. Hilfestel-
lung war unterblieben, das Ziel der Abschreckung
weiterer Flüchtlinge wurde erreicht. Anfangs gab es
zu diesem Vorfall keine Bilder und keine Namen.
Dem begegnet Schmidt, indem er das Schiff darstellt
41
Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
und Géricaults „Floß der Medusa‚ gegenüberstellt
und Überlebende porträtiert.
110
http://www.springerin.at/dyn/heft_text.php?textid=1
609
Nahostkonflikt
Israel / Palästina
Wohl keine Konfliktregion der Welt steht internati-
onal so sehr im Zentrum der Aufmerksamkeit wie
der Nahe Osten. Der Konflikt zwischen Israelis und
Palästinensern gilt zugleich – auch wenn er sich auf
einem vergleichsweise kleinen Gebiet abspielt und
es keineswegs so viele Opfer gibt wie etwa in Ruan-
da und im östlichen Kongo – als Schlüssel zum Ver-
ständnis des globalen Konflikts zwischen der „Isla-
mischen Welt‚ und „dem Westen‚, der nicht zuletzt
aufgrund der Geschichte des Holocaust eine beson-
dere Beziehung zu Israel unterhält. Der Nahostkon-
flikt steht mit am Beginn der postkolonialen Kritik,
insofern er einen wichtigen Hintergrund für das
Werk Edward Saids darstellt.
111
Insbesondere in
neuerer Zeit vergleichen Kritiker die Situation oft
auch mit der Apartheid, wobei es sicher Ähnlichkei-
ten, aber eben auch Unterschiede gibt: eine äußerst
komplexe Gemengelage um einen Konflikt auf engs-
tem Raum, die andererseits bedingt, dass es nir-
gendwo sonst so viele Initiativen für den Frieden
gibt, darunter auch besonders interessante von
Künstlern.
Um zu verstehen, welche Rolle Kunst in diesem
Konflikt spielt und spielen kann, ist es notwendig,
etwas zum Hintergrund, zur Geschichte und den
Institutionen der Kunst auf beiden Seiten zu wissen.
Auf israelischer Seite beginnt diese Geschichte 1906,
lange vor der Staatsgründung, mit der Gründung
der Bezalel-Akademie in Jerusalem. Lange Zeit war
die Suche nach einer eigenen, jüdischen Identität im
Nahen Osten das vorherrschende Motiv bei der
Einrichtung der zahlreichen Museen, in der Archäo-
110
Ausst. Gesellschaft für aktuelle Kunst, Bremen, 04.12.2004-
06.02.2005; Buchveröffentlichung dazu, Berlin 2005.
111
Vgl. Saids einleitende Bemerkungen zu The Question of Palestine,
London 1980.
logie, aber auch in der Kunst. Künstler wie Avraham
Melnikov, Yosef Zaritzky und Reuven Rubin
„sought to pay homage to the Middle East and the
‘New Jew’ by depicting the landscape and local
people of the country‛, schreibt die israelische Tour-
ismus-Information, und diese Bewegung sei ‚con-
sidered to have had a major influence upon many
aspects of Israeli life to this day.‛
112
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Be-
zeichnung „local people‚, die jeden Hinweis darauf
vermeidet, ob es sich um alt eingesessene „palästi-
nensische‚ oder neu eingewanderte jüdische Be-
wohner des Landes handelt oder gar um die Projek-
tion einer vermeintlich ununterbrochenen Geschich-
te seit biblischen Zeiten. Die israelische Nation
musste sich erst erfinden oder imaginieren, wie der
Historiker Shlomo Sand neuerdings in Anknüpfung
an die Arbeiten von Benedict Anderson sagt.
113
So-
lange Kunst diese Imagination eines nationalen Er-
bes als ihre Hauptaufgabe betrachtete, konnte sie die
anders geartete Erfahrung der Palästinenser nicht
wahrnehmen und blieb zudem von der internationa-
len Entwicklung der neueren Kunst abgekoppelt.
Spätestens seit der Jahrtausendwende hat sich diese
Situation mit der Gründung von Kunstinstitutionen
wie dem Center for Contemporary Art in Tel Aviv 1998
und dem Israeli Center for Digital Art in Holon 2001
allerdings grundlegend gewandelt.
114
Die Geschichte der palästinensischen Gegenwarts-
kunst beginnt ungefähr zur selben Zeit, aber unter
radikal anderen Voraussetzungen. Beflügelt vom
Oslo-Friedensprozess hatte Jack Persekian 1992 in
Ost-Jerusalem die Anadiel Gallery gegründet, in der
Hoffnung auf Touristen, die sich für Kunst interes-
sierten.
115
Die Galerie stellte früh in der Diaspora
lebende palästinensische Künstler aus. Als der
kommerzielle Erfolg sich nicht einstellte, wurde
daraus 1998 die Al Ma’mal Foundation, die Work-
112
http://www.goisrael.com/Tourism_Eng/Tourist+Information/
Discover+Israel.
113
Shlomo Sand: Die Erfindung des jüdischen Volkes. Israels
Gründungsmythos auf dem Prüfstand, Berlin 2010.
114
http://cca.org.il; http://www.digitalartlab.org.il.
115
http://almamal.blogspot.com/2010/04/in-beginning-there-was-
anadiel.html; http://www.almamalfoundation.org/aboutus.php.
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