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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Leone übergriff und mehr als zehn Jahre anhielt.
76
Just 1991 wurden die Arbeiten von John Goba durch
die New Yorker Ausstellung „Africa Explores‚
erstmals einem internationalen Publikum bekannt.
2001 war er auf der Biennale von Venedig vertreten.
Seine Arbeiten befinden sich auch in der Sammlung
Jean Pigozzi in Genf und sind seither immer wieder
in Ausstellungen zu sehen, zuletzt in den USA, Mo-
naco, Bilbao und Marrakesch.
77
Über den Künstler
selbst ist jedoch in jüngerer Zeit kaum etwas zu er-
fahren, sodass sich die Frage stellt, ob er den Bür-
gerkrieg überhaupt überlebt hat oder ob nur noch
seine Figuren durch den internationalen Kunstmarkt
zirkulieren und immer höhere Preise erzielen.
Goba kam Mitte der 1970er Jahre aufgrund einer
Offenbarung dazu, Masken für den Odelay-
Geheimbund herzustellen. Es handelt sich dabei um
eine städtische, interethnische Gemeinschaft, ähnlich
den Hauka im heutigen Ghana, die Jean Rouch in
dem berühmten Film „Les maitres fous‚ porträtiert
hat. Die Funktion solcher Geheimbünde, die in ihren
Riten traditionellen Mustern folgen, besteht darin,
unter den prekären Lebensbedingungen der verarm-
ten heutigen Städte Solidarität und Gemeinschaft
herzustellen.
78
Dies scheinen Gobas farbenfrohe, mit
zahlreichen,
spitzen
Stachel-
schweinborsten bewehrte Figuren unmittelbar zur
Anschauung zu bringen.
Sudan
Wie Kampala und verschiedene Städte in Nigeria
gehört Khartum zu den Orten, die in der Kunst der
frühen postkolonialen Zeit eine führende Rolle ge-
spielt haben. Eine direkte Bezugnahme der heute
immer noch lebendigen Kunstszene, die eher als
modern denn als zeitgenössisch zu bezeichnen ist,
76
Neben den Diamantenvorkommen des Landes sind auch die
Folgen der Weltbank-Strukturanpassungsprogramme zu den
Ursachen zu zählen, Ibrahim Abdullah, „Space, Culture, and
Agency in Contemporary Freetown: The Making and Remaking
of a Postcolonial City‚, in: Under Siege. Four African Cities.
Freetown, Johannesburg, Kinshasa, Lagos. Documenta 11, Platform 4,
Ostfildern 2002, S. 201-212.
77
http://www.caacart.com/pigozzi-artist.php?i=Goba-
John&bio=en&m=55.
78
Vgl. Abdou Maliq Simone, ‚The Visible and Invisible‛, in:
Under Siege, zit., S. 23-43.
zu den weitab von der Hauptstadt gelegenen Kri-
sengebieten ist nur in Ausnahmefällen zu erkennen.
So ist etwa auf der erstaunlich gut informierten
Website der nicht-kommerziellen Sudan Artists Gal-
lery eine Ausstellung in Philadelphia (USA) mit
Kinderzeichnungen aus einem Flüchtlingslager in
Darfur im Dezember 2004 verzeichnet, eine Ausstel-
lung zugunsten von Darfur in Wales 2008, an der
der sudanesische Maler Mohamed Hamza teilnahm,
und eine Einzelausstellung des in Kairo arbeitenden
nubischen Künstlers Hassaan Ali zum Thema
„Dislocation‚ (Vertreibung) in der Gallery Asmara in
Eritrea, organisiert vom Peacebuilding Centre for the
Horn of Africa (PCHA).
79
Theater
Westsahara
Artifariti
Tifariti, einstmals Schlachtfeld und Militärstütz-
punkt, ist nun der Ort eines jährlichen „Kunstfesti-
vals in der Wüste‚, im nicht von Marokko besetzten,
kleineren Teil des Landes. Es ist ein friedlicher Weg,
um die Aufmerksamkeit auf den ungelösten Kon-
flikt und die illegale Ausbeutung der Phosphatvor-
räte durch internationale Unternehmen zu lenken.
http://www.artifariti.org
http://artifariti.blogspot.com/2010/03/artifariti-09-
eine-kunstlerische.html
Nordafrika/ Mittelmeerraum
Die Situation in den Ländern nördlich der Sahara
unterscheidet sich vom Rest des Kontinents inso-
fern, als sich hier verschiedene Problemstellungen
überlagern: Einerseits sind sie, was Geschichte,
Sprache, Religion und Kultur angeht, eher Teil der
islamischen Welt. Andererseits haben sie durch das
angrenzende Mittelmeer auch eine gemeinsame
Grenze mit Europa. Diese Nähe zu Europa zeigt sich
nicht zuletzt in der aktuellen Kunst, vor allem in
Ägypten, aber auch in Algerien, Tunesien oder Ma-
79
http://www.sudanartists.org/artnews.htm; vgl.
http://www.pchasmara.org/index.php/activities.
33
Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
rokko. Eine interessante Frage wäre, inwieweit
Kunst zu den aktuellen Demokratisierungsbestre-
bungen beigetragen hat.
Von Konflikt zu sprechen, kann hier Verschiedenes
bedeuten: Historische Konflikte der Dekolonisie-
rung wie den Algerienkrieg; die Demokratisie-
rungsbewegung, die trotz einiger hundert Todesop-
fer in Ägypten und Tunesien bisher nur in Libyen
zu einem bewaffneten Konflikt eskaliert ist; den
Konflikt um die europäischen Außengrenzen und
die Bootsflüchtlinge im Mittelmeer; den globalen
Konflikt zwischen militantem Islamismus und west-
licher Hegemonie; lokale Konflikte religiöser oder
anderer Ursache auf Länderebene, etwa zwischen
Kopten und Muslimen in Ägypten, die ungelösten
Grenzstreitigkeiten zwischen Marokko und Westsa-
hara (s. dort), die Tuareg-Aufstände in der ersten
Hälfte der 1990er Jahre oder die gewaltsamen Aus-
einandersetzungen in der Kabylei zu Beginn des 21.
Jahrhunderts (s. → Musik, Festival au desert).
Es handelt sich also um eine äußerst komplexe Prob-
lemstellung, die sich gegenwärtig im Fluss befindet
und sich zudem von Land zu Land in vieler Hin-
sicht unterscheidet. Eine junge Szene zeitgenössi-
scher Kunst ist zum Teil noch im Entstehen. So fand
im Oktober 2010 in Tunis zum zweiten Mal das Fes-
tival „Dream City‚ statt, gedacht als „Denklabor‚
und „Brutstätte für kreatives Schaffen‚ in Hinsicht
auf eine „Demokratisierung der Kunst‚, wobei al-
lerdings explizit politische und gesellschaftskritische
Ansätze ausgespart blieben.
80
Inwieweit Kunst
überhaupt in gesellschaftliche Zusammenhänge
intervenieren kann, hängt auch sehr stark von der
jeweiligen politischen Lage ab. In Libyen hat es Saif
El Islam El Gaddafi, der Sohn des Diktators, bis vor
kurzem noch fertig gebracht, sich auch international
als wichtigster Künstler des Landes zu präsentieren.
80
http://universes-in-
universe.org/deu/nafas/articles/2010/dream_city; vgl.
http://universes-in-
universe.org/deu/nafas/articles/2010/tunisia_art_scene und
http://universes-in-
universe.org/deu/nafas/articles/2011/mohamed_ben_soltane;
ähnliches ließe sich zu Marokko sagen, s. Toni Maraini, „Kunst in
einer globalen Welt – der Fall Marokko. Zum Zusammenhang
von Globalismus, Postmoderne und lokaler Praxis‚, in: springerin
1, 2010, S. 44-49.
Nur sehr langsam kam es in jüngster Zeit zu neue-
ren Entwicklungen.
81
Der ägyptische Künstler Geor-
ge Fikry fragte 2007 Passanten nach ihrer Meinung
zu dem, was gerade passiert und erhielt nur auswei-
chende Antworten.
82
Heute würden die Reaktionen
wohl anders ausfallen. Hier sollen anhand zweier
Länder, Ägypten und Algerien, exemplarisch ver-
schiedene Tendenzen illustriert werden.
Ägypten
Eine intensive Hinwendung zur sozialen Realität
des heutigen Ägypten ist in Arbeiten etwa von Hala
ElKoussy, Nermine El Ansari, Hany Rashed oder
Ahmed Khaled, wie sie in der Ausstellung „Cairos-
capes‚ vorgestellt wurden – Arbeiten, die bereits
2006-2007 entstanden –schon seit einiger Zeit deut-
lich erkennbar.
83
„Diese Revolution. Das ägyptische
Volk entdeckt sich selbst‚, so benennt ElKoussy in
einer Dokumentation vom 4. Februar 2011 den Zu-
sammenhang zu den aktuellen Ereignissen: „Früher
lebten wir ohne Hoffnung. Mit einem Gefühl, dass
man sich gegenseitig nicht erträgt.‚ Und weiter: „Ich
bin hier, weil ich seit Jahren als Künstlerin arbeite.
Was hier geschieht, ist mein Anliegen.‚
84
Lara Baladi sieht dies ähnlich. Sie thematisiert in
ihrer Arbeit „Borg El Amal‚ (Kairo Biennale 2008/09)
und der daraus hervorgegangenen Publikation
„Hope‚ für die Ausstellung „Afropolis‚ (Rauten-
strauch-Joest-Museum Köln 2010/11) die informellen,
„ashwa‘iyat‚ genannten Wohnbauten, die etwa 40
Prozent der Stadt Kairo bedecken. Dabei geht es,
wie der Buchtitel besagt, eben auch um die Frage,
welche Hoffnungen sich die dort lebenden, unter-
privilegierten Menschen auf eine bessere Zukunft
81
Florian Pumhösl, „Die Wüste schläft nicht. Einblicke in ein
kunstreiches Libyen‚, in: springerin index 1995-2005, S. 24-25;
Christine Wagner, „Ausbruch aus der Isolation. In Libyen lässt
ein kultureller Frühling nicht mehr lange auf sich warten‚, in:
springerin 1, 2009, S. 41-45,
http://www.christinewagner.nl/images/LIBIEwagner_41-45.pdf.
82
Spot on Dak’art. Die 8. Biennale zeitgenössischer afrikanischer Kunst,
Institut für Auslandsbeziehnugen, Berlin, Stuttgart 2009, S. 30-33.
83
Cairoscape. Images, Imagination and Imaginary of a Contemporary
Mega City, Berlin 2009.
84
http://www.3sat.de/mediathek/frameless.php?url=/kulturzeit/
themen/151790/index.html;
s. http://www.afropolis.net/de/kairo/stadt.html.
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