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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Kenia
Solo 7: Peace Wanted Alive
Als nach den Wahlen in Kenia Ende 2007 verkündet
wurde, dass der Amtsinhaber Mwai Kibaki im
Wahlkreis Lang’ata die Wahl gewonnen habe, gin-
gen viele Menschen auf die Straße, um zu protestie-
ren. Der Zorn richtete sich gegen die Volksgruppe
der Kikuyu, der Kibaki angehörte. Als der Künstler
Solomon Muyundo alias Solo7 mit ansehen musste,
wie in Langata, dem größten Slum Nairobis und
einem der größten Afrikas, Häuser und Marktstände
angezündet wurden, begann er mit Holzkohle
„ODM – PEACE‚ an die Wände zu schreiben, nach
dem Orange Democratic Movement des Gegenkan-
didaten Raila Odinga. Er bemerkte, dass die so be-
zeichneten Bauten von Plünderungen verschont
blieben, und als am folgenden Tag Fernsehkameras
auftauchten, schrieb er überall an Wände und Türen
Slogans wie: „KEEP PEACE, FELLOW KENYANS‚,
„PEACE WANTED ALIVE‚ oder „DON’T KILL
INNOCENT KENYANS‚. Da sich die Kameras statt
auf die Protestierenden nun auf ihn richteten, hörten
die Brandschatzungen und Plünderungen auf.
Christian Hanussek hat diese Aktivitäten für die
Ausstellung „Friedensschauplätze‚ durch eine Foto-
serie und ein Interview dokumentiert. Zugleich we-
niger und mehr als gewöhnliche Graffiti zeigt die
Initiative von Solo7, dass sich durch ein flexibles
Agieren im öffentlichen Raum auch mit minimalen
Mitteln etwas bewegen lässt.
Graffiti
Republik Kongo
Bill Kouélany
Bill Kouélany, die als erste Künstlerin des subsahari-
schen Afrika 2007 an der Documenta 12 teilnahm, ist
Theaterautorin, Bühnenbildnerin und Künstlerin,
die in den Medien Malerei, Installation und Video
arbeitet. Ein bevorzugtes Material ist Pappmaché,
das sie in Mischtechnik zu raumgreifenden Installa-
tionen oder flächigen Bildern verarbeitet. Bei einer
Serie lebensgroßer Figuren ohne Kopf vertritt hand-
geschöpftes Papier die äußere Hülle des menschli-
chen Körpers, die aber nur zum Teil das gezeichnete
Gerippe bedeckt. Die Darstellungen laden zur Iden-
tifikation, zum Mit-Leiden ein, lassen sich aber nicht
auf bestimmte Ereignisse wie etwa den Bürgerkrieg
beziehen, der die Republik Kongo von 1997 bis 1999,
nach anderer Auffassung von 1993 bis 2002 trennte.
Eine andere Serie von unförmigen, grob ovalen,
grauen Formen mit schwarzen Löchern lässt an
Schädel in ruandischen Massengräbern denken,
ohne dass diese Assoziation eindeutig zu belegen
wäre.
http://www.galerie-
herrmann.com/arts/kouelany/index.htm
Kamerun
Malam
Ähnlich wie Bill Kouélany, wenngleich auf drasti-
schere Weise, beschäftigt sich Malam mit der Ver-
letzlichkeit des menschlichen Körpers. In einer Situ-
ation, in der es zu willkürlichen Verhaftungen, Ver-
schleppung, Folter, Haft ohne Anklage und Benach-
richtigung der Angehörigen sowie Hinrichtungen
ohne Gerichtsverfahren gekommen war, erregte er
2001 viel Aufsehen, als er lebensgroße Figuren aus
Holz, Gips und Harz auf einem Kanal in Duala da-
hintreiben ließ.
71
Mit deformierten Figuren, einge-
zwängt in rechtwinklige Strukturen, reagierte er auf
die Anschläge vom 11. September.
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In einer spektakulären Installation und Performance
stellte Malam, der seit 2004 in Paris lebt, 2009 eine
große Zahl deformierter Figuren mit waffenartigem
Gerät und Stahlhelmen unter der Pont Alexandre III
am linken Seineufer auf, die Gesichter zum Teil als
Gipsmasken vom lebenden Modell abgenommen,
anschließend mit weißer und roter Farbe bemalt, mit
Benzin übergossen, angezündet und wieder ge-
löscht. Bei 700 geladenen Gästen blieb die Vernissa-
ge am 4. Juni nicht ungestört von der Polizei. Die
Installation stand unter dem Titel „Mussango –
Frieden‚.
71
Dominique Malaquais, ‚The Lady in the Swamp: Art as
Political Ephemera‛, in: Nka. 2009, S. 48-55,
http://nka.dukejournals.org/cgi/pdf_extract/2009/24/48; vgl. Die
Berichte von Amnesty International,
http://www.amnesty.org/en/region/cameroon?page=3 und ff.
72
http://goddyleye.lecktronix.net/photo3.html.
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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
http://www.galerie-
herrmann.com/arts/art2/2009_Malam_Paris/Fotogal
erie.html#3
Nigeria
Von der einstmals führenden Rolle Nigerias in der
frühen postkolonialen Kunst des afrikanischen Kon-
tinents ist heute nur noch wenig zu spüren. Wenn
auch die Kunst-Departments von Nsukka, Ibadan
oder Zaria weiterhin existieren und Altmeister
Bruce Onobrakpeya seit 1998 in Agbarha-Otor die
Harmattan Workshops abhält, haben doch der Bia-
fra-Krieg und die anschließenden jahrzehntelangen
Militärdiktaturen dazu geführt, dass sich die leben-
dige Entwicklung der frühen 1960er Jahre nicht fort-
gesetzt hat.
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Kunst konnte ihrer gesellschaftskriti-
schen Funktion, die sich in der Literatur und dem
Theater Wole Soyinkas und vieler anderer Autoren
durchaus feststellen lässt, allenfalls indirekt in ver-
steckten Anspielungen nachkommen, die nur einer
gebildeten Minderheit zugänglich und verständlich
waren.
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Zwar gibt es vielversprechende neuere
Ansätze, etwa das Committee for Relevant Art (CO-
RA), das sich allerdings eher mit Kunst im erweiter-
ten Sinne, das heißt mit Literatur, Kino, Theater,
Comics usw. beschäftigt, oder das seit 2007 beste-
hende Centre for Contemporary Art (CCA) und das
2009 ins Leben gerufene Video Art Network, allesamt
in Lagos.
75
Aber von den Konfliktregionen im Nor-
den des Landes und in der Ölregion des Nigerdelta
ist die Metropole weit entfernt, über deren Gebiet
diese Entwicklung noch kaum hinausreicht.
Middle Art
1971 begann der Maler Middle Art (Augustin O-
koye), der ansonsten wie üblich vor allem Laden-
73
Dietrich Heißenbüttel, „Vom Wandel der Begriffe: Mbari und
die frühe postkoloniale Kunst Nigerias‚, in: ders., Ungleiche
Voraussetzungen, S. 61-95.
74
Vgl. etwa die Werke von Erhabor Emokpae, „Struggle between
Life and Death‚; Obiora Udechukwu, „Tycoon adn
Stevedores‚ oder den Zyklus „Tyranny and Democracy‚ von
Chika Okeke, Chika Okeke, „The Quest: from Zaria to Nsukka‚,
in: Seven Stories, zit., S. 53, 56, 74 f.
75
http://ccalagos.org; http://www.vanlagos.org.
schilder anfertigte, in seinen Gemälden den Biafra-
Krieg anzuprangern.
Ken Saro-Wiwa
Hauptsächlich als Schriftsteller tätig, nutzte Ken
Saro-Wiwa 1987 das Medium des Fernsehens, um in
der äußerst erfolgreichen Comedy-Serie „Basi and
Company‚ Missstände der nigerianischen Gesell-
schaft aufs Korn zu nehmen. 1994 wurde er mit dem
„Alternativen Nobelpreis‚ ausgezeichnet. Trotz
weltweiter Proteste wurde der Aktivist, der sich für
die Rechte des Ogoni-Volkes im Niger-Delta enga-
gierte, 1995 hingerichtet.
George Osodi: Oil Rich Niger Delta
In seiner 2007 auf der Documenta 12 ausgestellten
Arbeit „Oil Rich Niger Delta‛ dokumentiert George
Osodi, bekannt durch die Fotografengruppe Depth of
Field, die Umweltzerstörungen durch die Erdöl-
förderung im Niger-Delta.
Mark Boulos: All that is Solid, Melts into Air
Auf der Berlinale 2010 zeigte der amerikanisch-
schweizerische Künstler Mark Boulos die Zweika-
nal-Videoprojektion „All that is Solid, Melts into
Air‚. Die beiden Videos stehen sich gegenüber und
nehmen jeweils die ganze Wand ein. Die Größe und
das Geräuschniveau verhindern die Distanzierung.
Auf der einen Seite zeigt Boulos die Börsenspekula-
tion in Chicago, auf der anderen die Zerstörung des
Landes und die verzweifelten Aktionen vermumm-
ter Guerillatruppen, die auf Booten durch das Delta
fahren und Pipelines in Brand setzen. Der Titel
stammt aus dem Kommunistischen Manifest und
bezieht sich auf Marx‘ Auffassung von Fetischismus.
Während die Kämpfer der Ijaw-Nationalität sich mit
dem Kriegsgott Egbisu geweihten Amuletten un-
verwundbar zu machen suchen, huldigen die Ban-
ker einem Fetisch im Marx’schen Sinne.
Sierra Leone
John Goba
Sierra Leone gehört zu den kleineren und ärmsten
Ländern des afrikanischen Kontinents, ebenso wie
das Nachbarland Liberia, wo 1989 ein Bürgerkrieg
begann, der 1991, zwei Jahre später, auch auf Sierra
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