52
Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
und der Hisbollah überlassen und immer wieder
auch Ziel israelischer Luftangriffe. Yacoub / Lasserre
zeigen Orte, wo einmal Häuser oder Dörfer standen,
oder den Blick zur israelischen Grenze. Häuser wie
Grenze sind unsichtbar, zu sehen sind nur die Hügel
der Landschaft, die aber immer weniger landwirt-
schaftlich genutzt wird.
145
In der 2003 auf der Bien-
nale von Venedig gezeigten digitalen Diashow
„O.V.‚ (Original Version) überblenden sie Bilder der
Stadt Beirut mit Geschehnissen aus der ersten Wo-
che des Irakkriegs. Alltägliche Ansichten wirken so
aufgeladen mit einer Atmosphäre immanenter Be-
drohung.
146
Was im zweiten Libanonkrieg, drei Jahre
später, Wirklichkeit wird, scheint hier bereits vor-
weggenommen.
Akram Zaatari
Akram Zaataris künstlerische Praxis gründet unmit-
telbar in der Zeit seines Heranwachsens im Süd-
Libanon während der Zeit des Bürgerkriegs. Wäh-
rend er dort oft hinter verschlossenen Türen im
Haus ausharren musste, fing er an, fotografische
und schriftliche Aufzeichnungen anzufertigen. „All
is Well on the Border‚ (1997) reflektiert – in Form
einer Collage von Nachrichtenbildern, Propaganda-
filmen und Interviews mit Kämpfern und Gefange-
nen – den militanten Kampf gegen die israelische
Besatzung im Südlibanon; Zaatari lebte zu dieser
Zeit in den muslimischen, südlichen Vororten von
Beirut und hatte keinen Zugang in den Süden des
Landes.
147
In der Videoarbeit „This Day‚ (2003)
kombiniert er Bilder aus dem Bürgerkrieg mit histo-
rischem Archivmaterial, das er in dreijähriger Re-
cherche zusammengetragen hat, zu einer Meditation
über die Rolle von Bildern in der Konstruktion der
Geschichte des Nahen Ostens. „In This House‚
(2005) zeigt ihn beim Ausgraben eines Briefs im
Garten eines Hauses in Ain el Mir im Südlibanon,
das die Familie Dagher während des Bürgerkriegs
145
Paola Yacoub, Michel Lasserre, „ Ausgesetzte, ausgestellte
Dörfer. Eine künstlerische Reportage über das libanesische
Grenzgebiet zu Israel‚, springerin 2/02,
http://www.springerin.at/dyn/heft_text.php?textid=1029&lang=d
e.
146
http://www.fluctuating-images.de/en/node/148.
147
http://universes-in-
universe.org/deu/nafas/articles/2009/akram_zaatari.
hatte räumen müssen; 1991 schrieb Ali Hashisho,
einer der in dem Haus stationierten Kämpfer, einen
Brief an die Familie, in dem er sie einlud, zurückzu-
kehren, und steckte ihn in eine Granathülse, die er
im Garten vergrub.
http://www.vdb.org/smackn.acgi$artistdetail?ZAAT
ARIA
Walid Raad, The Atlas Group
Als Gründer des fiktiven Künstlerkollektivs The
Atlas Group legt Walid Raad, der im Libanon gebo-
ren ist und in den USA studiert hat und lebt, seit
1999 ein ebenso fiktives Archiv von Dokumenten
aus dem libanesischen Bürgerkrieg an. Die Fiktivität
des Unterfangens ist weniger das Resultat des Feh-
lens echter Dokumente, als vielmehr der Unmög-
lichkeit, in der Situation des Libanon, wo verschie-
dene Versionen dieser Geschichte unvermittelt ne-
beneinander stehen, einen autoritativen Standpunkt
einzunehmen, von dem aus sich ein solches Archiv
aufbauen ließe. An die Stelle einer nicht zu erlan-
genden Objektivität setzt Raad daher eine bewusst
subjektive und als solche erkennbare Konstruktion.
http://www.theatlasgroup.org/
http://www.vdb.org/smackn.acgi$artistdetail?RAAD
W
Rabih Mroué
Rabih Mroué, der häufig mit seiner Frau Lina Saneh
zusammenarbeitet, kommt ursprünglich aus dem
Bereich des Theaters und arbeitet auch im Bereich
der bildenden Kunst sowie in einem nicht eindeutig
zuzuordnenden Grenzbereich der Performance.
Mroué untersucht die Grenzlinie zwischen künstle-
rischen und anderen Bildern und Handlungen. In
„Who’s Afraid of Representation?‚ (2004) konfron-
tiert er Akte der Selbst-Verletzung in der westlichen
Performancekunst mit den Bedrohungen der körper-
lichen Unversehrtheit aus ganz anderen Gründen im
Libanon.
148
„On Three Posters. Reflections on a Vi-
deo-Performance‚ (2006), ursprünglich eine Perfor-
mance, untersucht in Zusammenarbeit mit dem
148
http://www.schauinsblau.de/rabihmroue/bild_ton/its-a-total-
experiment-there-are-no-limits.
53
Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Schriftsteller Elias Khoury unveröffentlichtes Mate-
rial aus einer Video-Botschaft eines frühen Selbst-
mordattentäters. Der Täter hatte seine Rede sorgfäl-
tig einstudiert. Durch das Reenactment rekonstruiert
Mroué diesen Auftritt als theatralischen Gestus. In
„I the undersigned‚ (2007) geht es um Schuld und
Verantwortung am Bürgerkrieg, „Noiseless‚ (2008)
basiert auf einer Sammlung von Vermisstenanzei-
gen. In „Grandfather, Father and Son‚ (2010) zeich-
net er die aufgrund der kriegerischen Ereignisse
immer wieder unterbrochene, lückenhafte geistige
Entwicklung in der eigenen Familie nach.
149
Lamia Joreige
In ihrer Video-Serie ‚Objects of War‛ (2000-2006)
lässt Lamia Joreige Zeitzeugen die Geschichte des
Libanonkriegs anhand einzelner Objekte erzählen.
Das Objekt illustriert als Fragment der Realität die
Unmöglichkeit, zu einer allgemeingültigen, alles
übergreifenden Erzählung der Geschichte zu gelan-
gen und gibt gleichzeitig als ein Stück materieller
Evidenz der Erzählung Halt. In „A Journey‚ (2006)
rekonstruiert Joreige die Lebensgeschichte ihrer
Großmutter, die in Jerusalem geboren, 1948 aus Jaffa
vertrieben und später im Libanonkrieg gekidnappt
wurde. Indem sie ihre Mutter und Großmutter be-
fragt, sucht die Künstlerin deren Wirklichkeit zu
verstehen, aber auch ihre eigenen Handlungsmög-
lichkeiten auszuloten. „Nights and Days‚ (2007)
verarbeitet auf sehr persönliche Weise den zweiten
Libanonkrieg 2006. Es sind scheinbar alltägliche
Bilder, abwechselnd bei Tag und bei Nacht, dann
auch solche, von einer Reise in den Süden des Lan-
des. Bis bei näherem Ansehen der Details die zerstö-
rerische Realität des Krieges erkennbar wird.
http://www.lamiajoreige.com
Comic, Musik: Mazen Kerbaj
Kartografie
Jordanien
Ala‘ Younis: Tin Soldiers
149
Ausstellung: Württembergischer Kunstverein, 22.05.-31.07.2011.
Wenn von palästinensischen Künstlern/-innen die
Rede ist, wird oft nicht unterschieden zwischen sol-
chen, die in der West Bank oder im Gazastreifen und
jenen, die in der Diaspora leben. Wie bereits gezeigt,
haben einige derjenigen, die in westlichen Ländern
studiert haben und leben, wesentlich zur Entstehung
einer aktuellen Gegenwartskunst in Ost-Jerusalem
und Ramallah beigetragen. Einen ganz anderen
Hintergrund bringt Ala‘ Younis mit, die palästinen-
sischer Abstammung und in Kuweit geboren ist, in
Jordanien Architektur studiert hat und als Künstle-
rin und Kuratorin auch dort arbeitet und lebt. In
einer Arbeit für das libanesische Kunstfestival Home
Works 5 (2010) lässt sie neun Armeen von Zinnsolda-
ten aufmarschieren, die in Kriege des Nahen Ostens
verwickelt waren. Sie reduziert damit ins Miniatur-
und spielerische Format, was ursprünglich einmal in
dieser Form begann: Söhne führender Familien
wurden früher mit Hilfe von Zinnsoldaten spiele-
risch auf ihre künftigen Aufgaben als Feldherren
vorbereitet.
150
Ost-West-Konflikt: Irak /
Afghanistan
Im weiten Gebiet der sogenannten islamischen Welt,
zwischen Marokko und Malaysia, gibt es eine Viel-
zahl lokaler Konflikte mit unterschiedlichen Ursa-
chen: Bereits angesprochen wurden der nordafrika-
nische Raum und der Nahe Osten. Demokratisie-
rungsbestrebungen wie in Ägypten oder Tunesien,
wenn auch bislang weniger erfolgreich, gibt es be-
kanntlich in vielen arabischen Ländern genauso wie
im Iran. Religiöse Differenzen zwischen Muslimen
und Christen oder auch zwischen Sunniten und
Schiiten spielen in unterschiedlicher Konstellation in
verschiedenen Ländern eine Rolle, ebenso in man-
chen Ländern, das Problem ethnischer oder nationa-
ler Minderheiten wie der Kurden oder das Problem
des Zusammenlebens unterschiedlicher Volksgrup-
pen in einem Land wie Afghanistan. All diese eher
lokalen Konflikte wurden jedoch im letzten Jahr-
zehnt von jenem neuen, globalen Ost-West-Konflikt
überlagert, der unter dem Stichwort „Krieg gegen
150
http://www.ashkalalwan.org/files/HomeWorks5_synopses.pdf.
Dostları ilə paylaş: |