78
Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
2.2
Medien
Der öffentliche Raum: Graffiti
Kunst im öffentlichen Raum ist zumeist, wenn sie
nicht als Denkmal auf Dauer angelegt ist, temporä-
rer Natur. Denkmale sind häufig während der Zeit
ihrer Planung und Entstehung umstritten, sollen
aber „für immer‚ bestimmte Erinnerungen in einer
ein für alle Mal sanktionierten Form festhalten. Die-
ser offizielle Charakter gilt zumeist auch für Wand-
bilder, deren Anbringung in der Regel einer Ge-
nehmigung bedarf. Anders verhält es sich bei Graffi-
ti, die zumeist unerlaubt über Nacht angebracht
werden. Obwohl Graffitikünstler/-innen bald nach
dem Aufkommen des Graffiti in New York um 1980
auch in Galerien gearbeitet haben und ihre Werke in
Kunstsammlungen aufgenommen wurden, halten
sich Sprayer in der Regel eher abseits vom Kunstbe-
trieb und bilden eine eigene „Szene‚. Einerseits be-
stimmten Codes unterworfen, bieten Graffitis ande-
rerseits die Möglichkeit, ungefragt öffentlich Stel-
lung zu beziehen. Zwei in der Ausstellung „Frie-
densschauplätze‚ gezeigte Arbeiten sollen hier die
Möglichkeiten und Grenzen des Graffiti andeuten.
Akim: Theater of Peace
Der in Vietnam geborene, in Berlin lebende Graffiti-
künstler Akim bezeichnet Graffiti als „Krieg der
Zeichen‚: Im „White Cube‚ des Ausstellungsraums
sei dieser Krieg befriedet. Folgerichtig brachte Akim
mit einer Truppe von Helfern für die Ausstellung
Friedensschauplätze in den Räumen der NGBK ein
weißes Graffiti an der weißen Wand an. „Theater of
Peace‚, so Akim, „für die gleichnamige Ausstellung
konzipiert, zeugt von der Unmöglichkeit, den
Kampf um die Sichtbarkeit in der spätkapitalisti-
schen westlichen Welt im Innenraum zu repräsen-
tieren.‚
Kenia: Solo7, Peace Wanted Alive
Vernetzung: Weblog, Videoletter
Wo in Krisengebieten und Diktaturen der öffentliche
Raum nicht nur umkämpft, sondern ein ausgespro-
chen gefährliches Gebiet ist, um wirksam Dissens zu
artikulieren, bietet das Internet neue Möglichkeiten
der Stellungnahme, Kommunikation und Vernet-
zung. „Ist irgendjemandem aufgefallen, dass es in
unseren öffentlichen Toiletten kaum noch Graffiti
gibt, seit die Weblogs aufgetaucht sind?‚, fragt eine
iranische Autorin in ihrem Weblog.
206
Der Iran ist
berühmt geworden als Land der Blogger/-innen.
Weblogs bieten neue Möglichkeiten der Meinungs-
äußerung, neben anderen Social Media-Formen wie
Foren, Newsgroups und sozialen Netzwerken. Be-
rühmt wurde der Blogger Salam Pax, der der Welt
ein Bild des Irak von innen, während der Bomben-
angriffe 2003 und danach vermittelte.
207
Blogs bieten
in der Regel ein Forum für sprachliche Äußerungen,
die auch poetischer Natur sein können wie im Falle
von Ritta Baddoura, die – wie viele Andere – wäh-
rend des Libanonkriegs 2006 ihren Blog „Ritta parmi
les bombes‚ begann.
208
Blogs bieten jedoch auch die
Möglichkeit, Fotos, Filme oder Zeichnungen einzu-
betten, insbesondere Karikaturen, die die kritischen,
bisweilen satirischen Aussagen der Texteinträge
unterstützen oder für sich wirken. Obwohl das Netz
letztlich nur eine andere Publikationsform für
Zeichnungen darstellt, die auch gedruckt erscheinen
könnten, sollen zwei Blogs von Karikaturisten und
Comiczeichnern, die vor allem durch das Internet
weit bekannt wurden, an dieser Stelle erwähnt wer-
den.
Mazen Kerbaj: Kerblog (ab 2006)
„2 years of laziness before starting this blog. I’ll
begin then by thanking Israel who burned in one
night two years of efforts to avoid getting myself
trapped in this adventure. Good job guys! Especially
the airport party. And the bridges. No way to leave
the country. Nothing else to do than this blog. After
206
Nasreen Alavi: Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs - die
junge persische Weblog-Szene, Köln 2006, zit. nach:
http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,396072,00.html.
207
http://dear_raed.blogspot.com; http://salampax.wordpress.com.
208
http://rittabaddouraparmilesbombes.chezblog.com.
79
Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
all, we all need sometimes a valid reason to start to
work. And a good old war soundscape is OK as a
starting point.‛ Mit diesem ersten Eintrag startet
Mazen Kerbaj, Improvisationsmusiker und Co-
miczeichner, am 14. Juli 2006, zwei Tage nach Be-
ginn des Libanonkriegs seinen Blog, der schon am
nächsten Tag mit achtzehn Einträgen und von da an
– von Stromausfällen abgesehen – täglich mit sarkas-
tischen Zeichnungen und Kommentaren den Liba-
nonkrieg kommentiert. Musikerkollegen aus der
ganzen Welt antworten mit Kommentaren und Soli-
daritätsadressen. Zusätzliche Aufmerksamkeit er-
hält Kerbaj, als er sich in der Nacht vom 15. zum 16.
Juli auf den Balkon seines Hauses stellt, vor dem
Hintergrund von Bombeneinschlägen Trompete
spielt und die Aufzeichnung ins Netz stellt. Eine
australische Radiostation schaltet ein Interview.
Kerbaj erhält zahlreiche Rückmeldungen bis nach
Argentinien, aber auch aus Israel: Einige davon
antworten in gebrochenem Englisch – offenkundig
Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, die
gegen die Hisbollah wettern und deren Kommenta-
re er nach mehreren Vorwarnungen löscht. Eine
junge Frau aus Tel Aviv schreibt, dort finde eine
Demonstration gegen den Krieg statt, sie werde
hingehen, zweifelt aber am Erfolg. Nach dem Ende
des Kriegs lässt Kerbajs Blogger-Aktivität nach,
während der Angriffe auf den Gazastreifen liefert er
mit seinen Cartoons noch einmal sarkastische
Kommentare. Neuerdings stellt Kerbaj mit seiner
Mutter Laure Ghorayeb aus und performt mit dem
Gitarristen Sharif Sehnaoui in „Wormholes‚ als
Zeichner. Etwas vom Tenor seines Blog bleibt erhal-
ten, wenn die von ihm auf Folie gezeichneten und
wieder ausgewischten Figuren fragen: Why are we
always disappearing?‚
209
http://mazenkerblog.blogspot.com
Ganzeer
Ganzeer ist ein von Mohammed A. Fahmy, im Jahr
2005 gegründetes Designbüro in Kairo. Ganzeer
bedeutet Fahrradkette und bezieht sich auf die
Kraftübertragung ebenso wie auf die Kette als Waffe
209
http://www.youtube.com/watch?v=FfQ9pi-
mUTk&feature=relmfu.
in der Hand von Straßengangs: „The essence of
what Ganzeer is all about; rebelling against the
common and the mainstream. The chain as a symbol
also acts as a metaphor for connection, communica-
tion, and continuous thinking, a ‘chain of thought’ if
you will *<+‛ Fahmys Intuition besteht darin, visu-
elle Sprache nicht einfach als Dienstleistung zu ver-
stehen, sondern nach ihrer Bedeutung und Wirkung
auf die Gesellschaft zu fragen. Er designt Comics, T-
Shirts, CD-Cover, Anzeigen, Flyer und vieles mehr
im Auftrag ebenso wie aus eigener Initiative und
gibt das Online-Magzin „Shakloh‚ heraus. Seit 2007
postet Ganzeer in einem Blog realisierte und abge-
lehnte Entwürfe: Fotos aus Kiel oder einem Work-
shop in Shatana in Jordanien, wo Fahmy eine (arabi-
sche) Schrift für Hinweisschilder entwirft, 72 grafi-
sche Porträts von Menschen aus der Kunstwelt, Mö-
bel- und Teppichentwürfe oder eine Anzeige für
einen Schutzanzug gegen die verunreinigte Luft von
Kairo. Im vorliegenden Zusammenhang sind
Ganzeers jüngste Aktivitäten interessant: Er betreibt
einen zweiten Blog für mobile Handy-Aufnahmen
von Straßenprotesten, entwarf Sticker mit einem
ausgestrichenen Mubarak, hat bisher acht Entwürfe
von Märtyrern der jüngsten Revolution ins Netz
gestellt und zugleich zwei von ihnen als großforma-
tige Wandbilder realisiert.
http://www.ganzeer.com
http://ganzeer.blogspot.com
http://ganzeer.tumblr.com
Women Videoletters
Von Vernetzung lässt sich auch vor der Ära von
Internet, Digitalkamera und DVD reden. Eine frühe-
re Periode war etwa die der Mail-Art der 1970er und
80er Jahre, an der sich auch viele Künstler/-innen
aus totalitären Staaten in Südamerika oder Osteuro-
pa beteiligten. Das Projekt „Women Videoletters – a
second text on war & globalization‚ entstand 2001
als feministische Antwort auf die Berichterstattung
der Medien nach dem 11. September. In Videointer-
views berichteten Aktivistinnen aus Kriegs- und
Krisengebieten, aber auch Deutschland und den
USA, aus ihrer jeweiligen lokalen Perspektive über
Auswirkungen von Ungleichheit, Militarisierung
und Krieg, um einen Austausch in Gang zu setzen,
Initiativen vorzustellen, über die sonst wenig zu
erfahren war, und um den wechselseitigen Zusam-
Dostları ilə paylaş: |