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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
keine allzu ungewöhnlichen Einblicke in Lebensbe-
reiche, die dem Außenstehenden ansonsten ver-
schlossen geblieben wären.
216
Ein Fotoworkshop in
Bamiyan, so lobenswert die Initiative sein mag, lie-
ferte zum Teil genau die Art von Gegenbildern la-
chender Kinder und freundlicher alter Leute, die
Andreas Rost als unzureichend kritisiert.
217
Diese
Ansicht teilte ein lokaler Besucher der Ausstellung:
„This Photo exhibition was a symbolic for interna-
tional people who believes that there is development
in Afghanistan, but unfortunately until now nothing
has changed in Bamyan.‛
218
Einen Schritt weiter
ging Roberto Galante, der mit Jugendlichen, die auf
einer gigantischen Müllhalde in Hulene, einem Vor-
ort von Maputo, ihr Leben fristen, einen Foto- und
Videoworkshop durchführte. „A Mundzuku Ka
Yina‚, der Titel steht für: unsere Zukunft. Zwar
zeigen die Bilder auch in diesem Fall viele lachende
Kinder, doch der positive Eindruck wird empfind-
lich in Frage gestellt durch die desolate Umgebung,
in der die Kinder aufwachsen. Zudem gelang es
dem Filmemacher, mehreren Teilnehmern zu einem
Praktikum bei der auf bescheidenem Niveau aufla-
genstärksten Zeitung des Landes zu verhelfen. Ga-
lantes eigenes, fünfzehnminütiges Video „L’ora di
pranzo‚ (Mittagessen) erhielt auf dem Kurzfilmfes-
tival von Bolzano 2010 eine Auszeichnung.
http://www.amundzukukayina.org/
http://vimeo.com/20363145
Film
„Le cinéma – retour à la visibilité‛ titelt ein Aufsatz
von Elias Sanbar in der französischen Zeitschrift
Mouvement. Was Sanbar zufolge durch das Kino zur
Sichtbarkeit zurückkehrt, ist das palästinensische
Volk, das durch die zionistische Fiktion vom „Land
ohne Volk‚ in die Unsichtbarkeit verbannt war.
219
In
dieser Unsichtbarkeit, dieser scheinbaren Inexistenz
216
http://www.b-books.de/verlag/stagings/index.html.
217
http://www.princeclausfund.org/en/activities/afghanistan-
pictured-anew.html.
218
http://www.demotix.com/news/503171/photography-
exhibition-bamiyan.
219
Elias Sanbar, „Le cinéma, retour à la visibilité‛, in: Mouvement.
L’indisciplinaire des arts vivants 42, Januar - März 2007, S. 24-26.
auf der Bühne der weltweiten Aufmerksamkeit hat
schon Edward Said 1980 einen der Gründe erkannt,
warum Guerillakämpfer oder Terroristen Anschläge
verüben: weil sie so sicher Aufmerksamkeit erlan-
gen und sie somit aus der Unsichtbarkeit ver-
schwinden.
220
Die Entstehung einer palästinensi-
schen Filmkunst in den 1990er Jahren stellt für San-
bar einen anderen Weg zur Sichtbarkeit dar.
Wenn auch der Fall ein spezieller ist, lässt er sich
doch auch auf andere Konflikte übertragen: Was ist
letztlich bekannt über Tschetschenen, Tamilen, Kur-
den in der Türkei, Albaner in Mazedonien, die viel-
leicht aus ähnlichen Gründen Gewalt anwenden, um
auf ihre Lage aufmerksam zu machen? Gleichwohl
stellt sich die Frage, was sichtbar gemacht werden
soll und wie. Alles, was zur Fotografie gesagt wur-
de, gilt hier nicht minder: die Frage der Ästhetik
ebenso wie die nach dem Kontext, in dem die be-
wegten Bilder gezeigt werden. Aber darüber hinaus
vermittelt der Film so etwas wie eine unmittelbare
Illusion, den Ereignissen beizuwohnen, nimmt seine
Zuschauer gefangen, „erzählt‚ durch die zeitliche
Abfolge mehr noch als andere Medien eine Ge-
schichte.
Damit kann er sein Publikum auch stärker manipu-
lieren, und bei bekannten Filmen ist dieses Publi-
kum sehr groß. Eine in diesem Fall auch ethische
Anforderung an die Filmkunst könnte daher lauten,
nicht eine perfekte Illusion zu erzeugen, sondern die
Illusion erkennbar zu machen. Es ist allerdings kei-
nesfalls so, dass alle Filme ein Millionenpublikum
erreichen, im Gegenteil: Der überwiegende Teil aller
produzierten Filme wird bestenfalls einmal auf ei-
nem Filmfestival gezeigt. Gerade künstlerisch an-
spruchsvolle Produktionen brauchen eine Nische
zwischen Festival, Programmkinos, speziellen, the-
matisch ausgerichteten Veranstaltungen oder Rah-
menprogrammen zu Kunstausstellungen. Darüber
hinaus ist die Grenze zu Film- und Videokunst als
Segment der zeitgenössischen Kunst ohnehin flie-
ßend. Video ist vielleicht heute das meist verwende-
te Medium der Kunst, es kann also hier nicht darum
gehen, Videokunst eigens zu thematisieren. Es ge-
nügt darauf hinzuweisen, dass Video seit seiner
220
Edward W. Said, The Question of Palestine, New York 1979, S. 39.
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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Entstehung ein Medium der Demokratisierung war,
sei es im politischen Videoaktivismus oder in der
Kunst, da es wesentlich weniger kostenintensiv und
leichter zu handhaben ist als der Zelluloidfilm. Wel-
che Technik ein Künstler oder Filmregisseur letztlich
verwendet, hängt aber ebenso wie der Ort, wo der
Film anschließend zu sehen ist – Kino, Fernsehen,
Festival, käufliche DVD, Kunstausstellung usw. –
von vielen äußerlichen Faktoren ab, die am Gegen-
stand des Films und der Art, wie er gemacht ist,
nicht unbedingt etwas ändern.
Da jeder Film, der eine Geschichte erzählen will, ein
„Drama‚, also auch einen Konflikt braucht, gibt es
unzählige Filme über Konflikte, darunter auch eine
große Zahl über militärische Konflikte. Die Frage,
die sich stellt, ist aber, wie ein Film beschaffen sein
sollte, der den Zuschauer nicht zum Voyeur von
Gewalttaten macht, der nicht, indem er Kriegsgreuel
zeigt, Partei ergreift, Antipathien hervorruft und
damit Gewalt neue Nahrung gibt, der nicht von
einem auktorialen Standpunkt aus dem Publikum
suggeriert, selbst mitten im Geschehen zu sein und
genau zu wissen, was vorgefallen ist; der vielmehr
Probleme benennt, es schafft, Empathie zu wecken
und seinen eigenen Standpunkt nicht als alleinige
Wahrheit verkündet, sondern zur Diskussion stellt.
Ausgehend von Filmen, die Tobias Hering als Kura-
tor des Filmprogramms zum Projekt „Friedens-
schauplätze‚ vorgestellt oder vorgeschlagen hat,
sollen im Folgenden, zur besseren Vergleichbarkeit,
anhand verschiedener lokaler Schwerpunkte einige
Filme des letzten Jahrzehnts gegenübergestellt wer-
den.
Afghanistan
Sandra Schäfer, Elfe Brandenburger: The Making of
a Demonstration (2004)
Der Film rekonstruiert eine Filmszene aus Siddiq
Barmaks 2002 gedrehtem Film „Osama‚, in der über
1000 Frauen in der Burka gegen das von den Taliban
verhängte Arbeitsverbot demonstrieren. Realität
und Fiktion vermischen sich auf einzigartige Weise,
da die Frauen einerseits als Statistinnen arbeiten,
also Geld verdienen, zugleich aber auch real das
Anliegen der Demonstrantinnen vertreten, was der
Film in der Rekonstruktion reflektiert.
Iran
Bahman Kiarostami: Statues of Tehran (2008)
Der sechzigminütige Film zeigt die Nutzlosigkeit,
angesichts der wiederholten Umbrüche von der
iranischen Revolution 1979 bis heute, Denkmäler zu
errichten.
Tschetschenien
Johann Feindt, Tamara Trampe: Weiße Raben
(2005)
Der Film begleitet über drei Jahre hinweg ehemalige
Soldaten, die in Tschetschenien gekämpft haben, wie
sie versuchen, mit ihren Erinnerungen zurechtzu-
kommen und in die Gesellschaft zurückzufinden.
Eric Bergkraut, Coca die Taube aus Tschetschenien
(2005)
Sainap Gaschaiewa, von ihren Eltern Coca, die Tau-
be, genannt, hat hunderte von Videos über Men-
schenrechtsverletzungen im Tschetschenienkrieg
versteckt. Der Film zeigt nicht die Bilder auf diesen
Videos, sondern dokumentiert, wie die Bürgerrecht-
lerin versucht, das Beweismaterial außer Landes zu
schaffen. In „Letter to Anna‚ (Ein Artikel zu viel,
2008) dokumentiert Bergkraut den Mord an Anna
Politowskaja.
Naher Osten
Hrafnhildur Gunnarsdottir, Tina Naccache: Who
Hangs the Laundry (2001)
‚Krieg ist, wenn die Kanonen verstummt sind, wenn
es keine unmittelbare Gewalt mehr gegen Menschen
gibt, wenn keine Gebäude mehr zerstört werden‚,
sagt die Protagonistin und Koautorin des Films,
Tina Naccache, während sie in einem beschädigten
Gebäude ohne Strom, bei ständiger Wasserknapp-
heit Wäsche wäscht.
Ari Folman: Waltz with Bashir (2008)
Im ersten abendfüllenden dokumentarischen Ani-
mationsfilm rekonstruiert der israelische Regisseur
Ari Folman seine verdrängten, traumatischen Erleb-
nisse im Libanonkrieg 1982. Der Film auf der
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