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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
menhang zwischen Geschehnissen an verschiedenen
Enden der Welt hervorzuheben.
http://www.womenvideoletters.com
Film: Who Hangs the Laundry
Comic / Cartoon
Malerei, Zeichnung, Druckgrafik, Fotografie, Film
und Video gehören zu den gebräuchlichsten alten
und neuen Medien der Kunst. Alle finden jedoch
auch außerhalb des eigentlichen Bereichs der „ho-
hen‚, anspruchsvollen Kunst Verwendung. Sie er-
reichen dann unter Umständen ein viel größeres
Publikum, folgen aber auch anderen Konventionen
und Erwartungshaltungen. Comics und Cartoons
haben eine gemeinsame Herkunft im Bereich karika-
turistischer Zeichnungen von Zeitungen und Zeit-
schriften. Was den Comic Strip vom Cartoon unter-
scheidet, ist, dass er als ganzer „Streifen‚ aus meh-
reren Bildern zusammengesetzt ist, die zu einer
kleinen Erzählung verbunden sind. Der karikaturis-
tische Zug macht Comics und Cartoons zu einem
idealen Medium, um publikumswirksam Zeitkritik
zu äußern.
Allerdings tritt in „Erwachsenencomics‚ das Komi-
sche oftmals in den Hintergrund. Die „Graphic No-
vel‚, wie der englische Begriff lautet, ist in besonde-
rer Weise geeignet, in der Kombination von Text
und Bild eine Innenansicht auch von Gesellschaften
zu geben, in denen sich gerade weibliche Autorin-
nen, wie Marjane Satrapi („Persepolis‚, 2000/01),
Karlien de Viliers aus Südafrika („Meine Mutter war
eine schöne Frau‚, 2006) oder Marguerite Abouet
aus der Elfenbeinküste („Aya‚, 2006), nicht ohne
Weiteres frei äußern können. Damit eröffnen sie
auch einen anderen Blick auf diese Länder, die in
der Außensicht oftmals als gewaltgeprägt wahrge-
nommen werden. Lässt die Entwicklungsgeschichte
des Comics in der Regel zuerst an die USA, Frank-
reich oder Belgien denken, so gibt es doch auch in
anderen Ländern, zum Teil schon seit längerer Zeit,
außergewöhnliche Comiczeichner, wie etwa Sid Ali
Melouah, der 1968 das erste Comicmagazin Algeri-
ens gründete.
Comicromane können je nach Anspruch an die gra-
fische Ausarbeitung in der Herstellung sehr zeit-
aufwendig sein, sodass sie, um wirtschaftlich erfolg-
reich zu sein, sehr viele Leser erreichen müssen.
Allerdings ändert sich diese Rechnung, wenn Zeich-
ner/-innen aus innerem Antrieb daran arbeiten, ih-
ren Lesern/-innen etwas mitzuteilen, was sie viel-
leicht auf anderem Wege nicht könnten. So fielen die
1000 Exemplare des Comics „Metro‚, in dem Magdy
al-Shafee seinem Ärger über die Verhältnisse im
Ägypten Mubaraks Luft macht, 2009 sofort der Zen-
sur zum Opfer.
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Welcher Aufwand betrieben wird,
hängt aber auch von Funktion und Zielgruppe ab.
Das Spektrum reicht von handkopierten, direkt ver-
triebenen Heften von Popok Tri Wahjudi aus Indo-
nesien über die aus aktivistischem Kontext entstan-
denen Strips der koreanische Gruppe Mixrice bis hin
zu den reflektierten, auch grafisch sehr sorgsam
ausgearbeiteten Bildergeschichten eines Sarnath
Banerjee, die auf einen Zwischenbereich zwischen
Hoch- und Populärkultur zielen.
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Art Spiegelman: Maus (ab 1986)
Obwohl nicht unmittelbar in den Kontext aktueller
Konflikte gehörig, verdient Art Spiegelmans Comic
„Maus‚ in diesem Zusammenhang deshalb Erwäh-
nung, weil er für viele spätere Versuche, ernste
Themen in Form von Comicgeschichten aufzuarbei-
ten, vorbildlich geworden ist. Spiegelman, Sohn
eines Holocaust-Überlebenden, schildert dessen
Geschichte in Form einer Tierfabel.
Joe Sacco: Palestine (1993) / Safe Area Goražde
(2000) / Footnotes in Gaza (2010)
Auf der Suche nach einer Antwort auf den Golf-
krieg, bereiste Joe Sacco, zwischen seinem Geburts-
ort auf Malta und Portland / Oregon pendelnd, 2001
den Nahen Osten. Von Art Spiegelman angeregt,
verfasste er die Comic-Reportage „Palestine‚, später
„Safe Area Goražde‚ und weitere dokumentarische
Comics über den Bosnien-Konflikt, darunter auch
eine sechsseitige Comicreportage über das Kriegs-
verbrechertribunal in Den Haag, im Auftrag von
Spiegelman. Sein letztes Buch ist „Footnotes in Ga-
za‚, veröffentlicht 2010. Darin befragt er im Jahr
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Mona Sarkis: „Magdy al-Shafee‚, in: springerin 2/10, S. 74-75.
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http://popokberaksi.com; http://mixterminal.net;
http://www.sarnathbanerjee.net.
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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
2004 Bewohner des Gazastreifens nach einem trau-
matischen Ereignis aus dem Jahr 1956. Der indirekte
Blickwinkel auf ein bereits längere Zeit zurücklie-
gendes Ereignis, das von vielen weiteren Vor-
kommnissen verschüttet erscheint, erlaubt ihm, die
bedrückenden Umstände der Gegenwart ebenso wie
Äußerungen von Palästinensern und Israelis fast
beiläufig, kommentarlos zu schildern und zugleich
die Auswirkungen der historischen Traumata auf
das Verhalten der heute lebenden Menschen sicht-
bar zu machen.
Aleksandar Zograf
Zuerst in den USA erschien 1994 Aleksandar Zo-
grafs Band ‚Life under Sanctions‛ und 1999, unter
dem Titel „Regards from Serbia‚, seine wöchentli-
chen Berichte in Comicform über die NATO-
Bombenangriffe auf seine Heimatstadt Pančevo,
später zusammengefasst in dem Band „Bulletins
from Serbia‚. Von Art Spiegelman und Robert
Crumb ausgehend, war Zograf, mit bürgerlichem
Namen Saša Rakezić, wohl der erste Comiczeichner,
der auf diese Weise noch während der Bombenan-
griffe die Lage der Betroffenen darstellte: „Yea, my
town was exposed to NATO bombings‚, sagt er in
einem Streifen, „but don’t worry, I’m safe!!! I’m safe,
because their bombs are not rude, they are intelli-
gent, smart bombs!‛
http://www.aleksandarzograf.com
Max Andersson, Lars Sjunnesson: Bosnian Flat
Dog (2004)
Die eingefrorene Leiche Marschall Titos spielt eine
zentrale Rolle in der surrealen Reise, die Max An-
dersson und Lard Sjunnesson in ihrem Comicband
‚Bosnian Flat Dog‛ 1999 von Ljubljana nach Sara-
jevo unternehmen. Zu der angeblich auf wahren
Ereignissen beruhenden Geschichte gibt es auch eine
Ausstellung mit der Leiche Titos im Kühlschrank,
Granathülsen und anderen Exponaten, und mit
„Tito on Ice‚ entsteht weiterhin eine Verfilmung.
http://www.maxandersson.com
Harvey Pekar, Heather Roberson, Ed Piskor:
Macedonia (2006)
Die von Ed Piskor gezeichneten Comicreportage
„Macedonia: What does ist take to stop a war?‚,
geschrieben von Harvey Pekar, dem Autor der au-
tobiografischen Comicserie „American Splendor‚,
schildert die Reise der Friedensforscherin Heather
Roberson nach Mazedonien, um herauszufinden,
wie die Republik als einzige des ehemaligen Jugo-
slawien es trotz anhaltender Spannungen zwischen
Mazedoniern und Albanern bis heute geschafft hat,
einen offenen Konflikt zu vermeiden. Das Buch be-
ruht auf Robersons Abschlussarbeit an der Universi-
tät von Berkeley: eine eher ungewöhnliche Perspek-
tive für einen Comicband, der sich nach Aussage
Pekars an Joe Saccos „Safe Area Goražde‚ orientiert.
http://www.macedoniathebook.com
Oreet Ashery, Larissa Sansour, The Novel of Nonel
and Vovel (2010)
‚The Novel of Nonel and Vovel‛ ist nicht einfach ein
Comic, sondern eine Allegorie, die beschreibt, wie
die Künstlerinnen Oreet Ashery und Larissa
Sansour ihre begrenzt wirksamen künstlerischen
Fähigkeiten gegen die Superkräfte von Comic-
Heldinnen eintauschen. Durchsetzt von Kreuzwort-
rätseln, Gesundheitsratschlägen und Witzen über
Araber und orientalische Juden, exerziert der Band
verschiedene Bildsprachen durch, bis schließlich
professionelle Comiczeichner den Fall übernehmen
und die beiden Künstlerinnen im Superheldinnen-
kostüm Palästina und die Welt retten.
http://nonelandvovel.net
→ Nahostkonflikt: Oreet Ashery / Larissa Sansour
Fotografie
Fotografie gilt eigentlich schon seit den 1920er Jah-
ren, spätestens aber seit den 1970er Jahren als ein
gängiges Medium der Kunst. Zugleich findet Foto-
grafie aber auch und sogar vorwiegend in verschie-
denen anderen Bereichen Verwendung. Was Foto-
grafie als Kunst von Fotojournalismus, Werbefoto-
grafie usw. unterscheidet, ist zum einen die Art und
Weise ihrer Verbreitung, nämlich in Kunstausstel-
lungen und den dazu gehörigen Katalogen; zum
anderen bedingt schon die Präsentation als Kunst,
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