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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
zugeben. Ein neues Projekt sieht vor, nach dem Mo-
dell der Palme, einen alten Fabrikschornstein in
einem Industriegebiet von Poznan (Posen), optisch
in ein Minarett zu verwandeln, der mit seinen Mo-
bilfunkantennen schon fast danach aussieht.
http://www.rajkowska.com/en
http://www.rajkowska.com/en/jenin_blog.php
http://www.minaret.art.pl/index.php?lang=en
Artur Żmijewski
In verschiedenen Versuchsanordnungen führt Artur
Żmijewski seit Mitte der 1990er Jahre in Fotos und
Videos Situationen vor Augen, die kontrovers gele-
sen, aber nicht in die eine oder andere Richtung
aufgelöst werden können. So könnte die Fotoserie
„Eye for an Eye‚ (1998), auf der Beinamputierte von
einem Partner oder einer Partnerin, beide nackt,
gestützt werden, schon allein aufgrund des Titels an
Kriegsinvaliden denken lassen. Żmijewski selbst
enthält sich allerdings eines entsprechenden Kom-
mentars. In „KR WP‚ (2000) marschiert eine Gruppe
Soldaten zuerst in Uniform und dann nackt. Der
nackte Körper, auch in dem kontrovers diskutierten
Video „The Game of Tag‚ (1999), in dem Erwachse-
ne nackt in der Gaskammer von Auschwitz Fangen
spielen, leitet sich einerseits ab aus der klassischen
Aktdarstellung und zeigt andererseits die Verletz-
lichkeit des menschlichen Körpers. In einer dreiteili-
gen Israel-Serie (2003) wählt Żmijewski ebenfalls
einen indirekten Ansatz, indem er zeigt, wie die
heutige Situation auf verschiedene Weise mit der
Vergangenheit Deutschlands und Polens verknüpft
ist: In „Itzik‚ beruft sich ein Mann, dessen Sohn in
der israelischen Arme dient, vor laufender Kamera
auf biblische Legenden und den Holocaust, um zu
begründen, dass Israel das Recht habe, Araber zu
töten. „Lisa‚ zeigt dagegen eine in Tel Aviv lebende
Deutsche, die glaubt, in einem früheren Leben als
jüdischer Junge von den Deutschen ermordet wor-
den zu sein. „Pilgrimage‚ wiederum begleitet eine
Pilgerfahrt polnischer Juden ins Heilige Land. Nicht
am zionistischen, sondern am christlichen Beispiel
führt der Künstler vor Augen, wie die Imagination
heiliger Räume den Blick auf die aktuelle Realität
total verstellen kann. In neueren Arbeiten wie „Oni‚
(Sie / Them), zu sehen 2007 auf der Documenta 12 in
Kassel) bringt er Rechte und Linke, Katholiken und
Juden zusammen und versucht diese, ausgehend
von ihren jeweiligen Abzeichen und Symbolen, zu
einer Verständigung über wichtige gesellschaftliche
Anliegen zu bewegen. „Demokracje" (Demokratien,
2009) zeigt Aufnahmen öffentlicher Kundgebungen
und Demonstrationen in verschiedenen Ländern,
denn: „Many similar videos end up on Youtube,
because the official media won't show them.‚
http://www.culture.pl/en/culture/artykuly/os_zmijew
ski_artur
John Jordan: Clandestine Insurgent Rebel Clowns
Army
1987 bis 1995 Kodirektor der interdisziplinären social
practice art group platform, die von Beuys ausgehend
Kunst und sozialen Wandel verknüpft, anschließend
Mitbegründer des Netzwerks Reclaim the Streets, hat
John Jordan bis 2003 an der Sheffield Hallam Universi-
ty unterrichtet und ist dann nach Argentinien ge-
gangen, um zusammen mit Naomi Klein Formen
direkter Demokratie und Selbst-Management in
Fabriken zu erproben.
202
Die Zeit der argentinischen
Wirtschaftskrise 2001, des beginnenden Afghanis-
tankriegs und des G8-Gipfels in Genua verbrachte er
als Stipendiat der Akademie Schloss Solitude in
Stuttgart, wo er die wichtige Ausstellung „Collective
Distribution‚ kuratierte, an der auch die argentini-
sche Künstler/-innengruppe El Fantasmas de heredia
teilnahm.
203
2002 gründete Jordan die „Clandestine
Insurgent Rebel Clown Army‚, die in vielen Län-
dern operiert.
204
Das Prinzip der Aktionen der
Clownsarmee besteht darin, sich bei Demonstratio-
nen, Kundgebungen, Aufmärschen, Rekrutierungs-
veranstaltungen in Clownsmaske unter die Soldaten
und Ordnungskräfte zu mischen und deren Verhal-
ten auf freundliche Weise zu verdoppeln und zu
parodieren.
http://www.social-sculpture.org/people/wider-
network/johnjordan-platform.htm
www.platformlondon.org
http://rts.gn.apc.org
http://www.clownarmy.org
202
http://www.guardian.co.uk/world/2003/jan/25/argentina.
weekend71.
203
Jahrbuch 6, Akademie Schloss Solitude, Stuttgart 2002, S. 158-193.
204
http://eipcp.net/transversal/1007/jordan/de.
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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Circus 2 Iraq
Eine andere Initiative von Clowns, die, obwohl nicht
in den Kontext zeitgenössischer Kunst gehörig, hier
kurz gegenübergestellt werden soll, gründete sich
ebenfalls 2003, als Antwort auf den Irakkrieg. Der
„Boomchucka Circus 2 Iraq‚ reiste tatsächlich 2004
in den Irak und hat seither 14 Monate im Nahen und
Mittleren Osten verbracht, vorwiegend in Palästi-
na/Israel, aber auch in Jordanien, Ägypten und Kur-
distan. Der einfache Vorsatz der Gruppe, an der
Jeder, der möchte, mitzuwirken aufgefordert ist,
besteht darin, Kinder zum Lachen zu bringen, auch
und gerade unter den schrecklichen Bedingungen
von Krieg und Gewalt.
http://rumble.ironfire.org/circus2iraq.org
Theater: Freedom Theatre, Jenin
Lukas Einsele: One Step Beyond / The Many
Moments of a M85 – Zenon’s Arrow Retraced
‚One Step Beyond‛ ist ein von Lukas Einsele 2001
ins Leben gerufenes, multimediales künstlerisches
Projekt, das sich mit Landminen beschäftigt. Einsele
ist in die vier am stärksten verminten Länder der
Welt gereist: Angola, Afghanistan, Bosnien und
Kambodscha. Menschen, die von einer Mine verletzt
wurden, hat Einsele interviewt und ihre Geschichte
den genauen Angaben jeweils einer Dokumentation
über eine bestimmte Landmine gegenübergestellt,
die den Unfall hätte verursachen können. Dazu stellt
der Künstler Karten und viele Hintergrund-
informationen zu den einzelnen Ländern zur Verfü-
gung, etwa über Minensuch- und -sprengtrupps,
eine Demonstration Amputierter in Luanda, die
Rehabilitation mittels Fahrrädern oder Prothesen in
Afghanistan oder ein eigenes Dorf für Minenopfer in
Kambodscha.
In seinem neuen Projekt ‚The Many Moments of a
M85 – Zenon’s Arrow Retraced‛ verfolgt Einsele
den Weg vom Einschlag eines Sprengkörpers, der
sich als Submunition einer Streubombe in eine Bank-
filiale im Libanon verirrt hat, zurück bis zum Ort
der Herstellung. Bilder der Büroräume sind zu se-
hen, Bankangestellte, die erläutern, wo die Munition
überall Schaden angerichtet hat, aber auch die Pro-
duktionsstätte einer ähnlichen Waffe in Deutsch-
land, das solche Streubomben in einem Abkommen
(2008) als einer von 103 Staaten geächtet hat.
205
http://www.one-step-beyond.de
Susanne Bosch
Die seit 2006 in Belfast lebende und lehrende Künst-
lerin Susanne Bosch hat im Jahr 2004 an einem
viermonatigen Konfliktmanagement-Training teil-
genommen und konzentriert sich in ihrer Arbeit auf
langfristig angelegte Projekte zur Rolle von Kunst
im öffentlichen Raum, insbesondere in Ländern, die
Demokratie und Menschenrechte verletzen.
http://www.susannebosch.de
205
http://www.muenster.de/stadt/ausstellungshalle/ausstellungen
_65633.htm.
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