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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Charles Heller, Crossroads at the Edge of the
Worlds (2007)
Im Zusammenhang mit Ursula Biemanns Projekt
‚The Maghreb Connection‛ entstand dieser Film
über Migrationswege von Marokko in Richtung
Europa. Brennende Fischerboote in der Sahara
kennzeichnen die Aussichten des Unterfangens. In
„Home Sweet Home‚ (2009) untersucht Heller das
Thema Migration in der Schweiz.
Paul Rowley, Nicky Gogan: Seaview (2008)
‚Seaview‛ zeigt Asylbewerber, zusammengewürfelt
aus aller Herren Länder, in der ehemaligen Ferien-
siedlung Mosney nördlich von Dublin. Der Film, der
ohne viel Dramatik auskommt, bezieht seine Span-
nung aus den gegensätzlichen Formen des Reisens,
die in dem Ort impliziert sind.
Ruanda
Christophe Gargot: D’Arusha à Arusha (2008)
Im Namen der gesamten Menschheit tagt seit 1995
in Arusha, im Norden Tansanias, ein internationaler
Strafgerichtshof zur Aufarbeitung des Völkermords
in Ruanda. Christophe Gargot hat dort gefilmt und
zeigt dieses Material Gesprächspartnern in Ruanda,
die ihre eigenen Erinnerungen haben, aber in den
Prozess nicht eingebunden sind.
Weitere Filme
Philip Scheffner: The Halfmoon Files (2007) / Der
Tag des Spatzen (2010)
„The Halfmoon Files – A Ghost Story‚ basiert auf
der Stimme eines indischen Kriegsgefangenen im
Ersten Weltkrieg, die auf einer Schellackplatte im
Lautarchiv der Humboldt-Universität Berlin zu hö-
ren ist. Scheffner rekonstruiert die Geschichte der
Aufnahmen aus dem Halbmond-Lager in Wünsdorf,
die Ethnographen und Linguisten weite Reisen er-
sparten, und sucht die Nachfahren des Sprechers,
dessen Ende ungewiss ist, im heutigen Indien auf.
„Der Tag des Spatzen‚ stellt mit ornithologischem
Blick Fragen wie: „Ist der Einsatz der Bundeswehr in
Afghanistan überhaupt ein Krieg? Wo hinterlässt er
Spuren in unserer friedlichen Idylle? Leben wir im
Frieden oder im Krieg?‚
221
Zwischen Truppen-
übungsplatz und Vogelschutzgebiet beobachtet
Scheffner die Bundeswehr und gerät selbst unter
Beobachtung.
James Benning: 13 Lakes / Ten Skies (2004)
„Meine Landschaftsarbeiten erscheinen mir heute
als Antikriegs-Kunstwerke‚, sagt James Benning,
„es geht in ihnen um die Antithese zum Krieg, um
jene Art von Schönheit, die wir zerstören. Die Auf-
nahmen zu “Ten Skies‘ entstanden aus meinem
Nachdenken darüber, was wohl das Gegenteil des
Krieges wäre.‚ Bennings Aussage zeigt, dass auch
die unbewegte Kameraeinstellung auf die scheinbar
unberührte Natur nicht losgelöst von, sondern in
Reaktion auf die Politik der damaligen US-
Regierung zu sehen ist. Dies ist allerdings den Bil-
dern nicht anzusehen.
Theater
Die Illusion, in fernen Ländern zu reisen, in fremden
Häusern ein- und auszugehen oder durch die Au-
gen eines Anderen zu blicken, kann Theater nicht
bieten. Dafür bietet es gegenüber dem Film einen
unvergleichlichen Vorteil, nämlich auf die Zuschau-
er reagieren zu können. Dieser Dialog mit dem Pub-
likum ist im bürgerlichen Regietheater, wo professi-
onelle Schauspieler berühmte Werke von bekannten
Schriftstellern auf die Bühne bringen, ein wenig in
Vergessenheit geraten. Wo er wiederbelebt wird,
wie etwa in der von Augusto Boal entwickelten Pra-
xis des Forumtheaters, ist Theater von allen Kunst-
formen am besten in der Lage, konflikttransformie-
rend zu wirken. Dies belegen die vielen Theater-
gruppen in allen Teilen der Welt, die an Konflikten
arbeiten und zum Teil untereinander auch gut ver-
netzt sind. Theater bietet zudem den Vorteil, dass es
als performative, zum Gesamtkunstwerk tendieren-
de Kunstform ursprünglichen Kunstformen in vie-
len Teilen der Welt näher steht als die unbewegliche,
stille Kunst im Ausstellungsraum.
221
Aus der Begründung der Jury zum Klaus-Wildenhahn-Preis
der 7. Hamburger Dokumentarfilm-Woche,
http://www.dertagdesspatzen.de/index.php?id=1&lang=de&LAN
G_USER=de.
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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Dabei kann Theater im Konfliktfall verschiedene
Funktionen erfüllen. Es kann ganz grundsätzlich –
und dies schon bei Shakespeare – der gesellschaftli-
chen Verständigung ein Forum bieten, indem be-
stimmte Konfliktsituationen fiktiv oder am histori-
schen Beispiel durchgespielt werden. Es kann – etwa
beim jungen Schiller, Kleist oder Büchner – auch
Bühne für Kritik sein. Besonders interessant wird es
vor allem, wo die Darsteller selbst Konflikte erlebt
haben, im Theater ihre Erfahrungen verarbeiten und
Lösungsansätze durchspielen. Auf einer aus dem
akuten Konfliktgeschehen herausgenommenen Ebe-
ne können Zuschauer und Akteure plastisch, am
eigenen Körper, Alternativen zur Gewalt und Kon-
flikttransformations-Strategien erproben, die da-
raufhin in reale Prozesse eingehen können. Darüber
hinaus kann Theater vor allem im öffentlichen Raum
Probleme ansprechen, Aufmerksamkeit erregen und
Lethargien entgegenwirken. Die Grenzen zur künst-
lerischen Performance einerseits und aktivistischen
Strategien andererseits sind dabei fließend.
Es kann hier nicht darum gehen, das weite Feld der
Theaterarbeit in Konfliktsituationen umfassend ab-
zudecken, zumal auch viele primär in der Konflikt-
transformation tätige Organisationen häufig mit den
Mitteln des Theaters arbeiten. Der Akzent soll im
Folgenden auf einigen der wichtigsten deutschen
Akteure, Methoden, Ressourcen und Hinweisen auf
weitere Informationen liegen sowie auf Initiativen in
Ländern und Konfliktgebieten, die bisher nicht in
den Blick gerieten.
Internationales Theater-Institut, Berlin (seit 2002)
Seit 1948 gibt es das Internationale Theaterinstitut
(ITI), gegründet von der Unesco, das auch 1970 in
Zimbabwe den ersten Workshop zu Theater und
Entwicklung durchführte. Seit 2002 entwickelt das
deutsche Zentrum des ITI eine Workshop-Reihe
unter dem Titel „My Unkown Enemy‚ zum Theater
als Mittel der Konfliktbewältigung. Stationen waren
die Festivals „Theater der Welt‚ 2002 in Bonn und
2005 in Stuttgart sowie Workshops in Kairo 2003,
Dhaka 2004 und schließlich die Gründung des
„Centre for Theatre in Conflict Zones‚ in Khartum
2005.
http://www.iti-germany.de/pro_mue.shtml
http://unesdoc.unesco.org/images/0015/001502/1502
13e.pdf
Sabisa – Performing Change e.V. (seit 2003)
Im Bereich zwischen Pädagogik, Kunst und Wissen-
schaft arbeitet der Verein „Sabisa – Performing
Change‚ mit den Mitteln des Theaters in der Kon-
flikttransformation. Zu den Aktivitäten der sieben
unabhängigen Mitglieder gehört ein Austausch zwi-
schen Ländern des Nordens und Südens, wobei in
diesem Fall die im globalen Süden entwickelten
Methoden für vorbildlich erachtet werden. Ein enger
Austausch besteht etwa mit Gruppen des indischen
Subkontinents, Afrika und Lateinamerika, aber auch
Südost- und Osteuropa. So ist etwa Till Baumann
zugleich am Paulo-Freire-Institut der Freien Univer-
sität Berlin tätig und hat unter anderem 2003 ein
Schülertheaterprojekt in Sarajewo geleitet. Darüber
hinaus ist er häufig in Lateinamerika unterwegs und
hat wie eingangs erwähnt im Projekt „Omnibus
1325‚ zusammen mit OWEN – Mobile Akademie für
Geschlechterdemokratie e.V. auch Workshops im Kau-
kasus durchgeführt. Baumann arbeitet außerdem
mit Strafgefangenen. Die Methoden der Konfliktbe-
arbeitung unterscheiden sich dabei seiner Auskunft
nach nicht von denen in Konfliktgebieten.
http://www.sabisa.de
http://www.tillbaumann.de
PeaceXchange (2006)
„PeaceXchange‚
ist
ein
deutsch-polnisch-
tschechisch-österreichisches Gemeinschaftsprojekt,
das mit den Mitteln von Musik, Fußball und Theater
mit Jugendlichen an der gewaltfreien Transformati-
on von Konflikten arbeitet. Die Theaterworkshops
wurden von Awino Okech vom Amani People’s The-
atre aus Kenia und Flávio Sanctum vom Theater der
Unterdrückten aus Brasilien geleitet.
http://www.peacexchange.eu
Rimini Protokoll: Münchner Sicherheitskonferenz
(2009)
Die Theatergruppe „Rimini Protokoll‚ hat sich da-
rauf spezialisiert, in Theaterstücken zu bestimmten
Themen Experten aus verschiedenen Bereichen der
realen Welt in einen Dialog zu bringen. Auf ihrer
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