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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
Kleinstädten und Dörfern auf, deren Bewohner/-
innen für Theater sonst nicht erreichbar wären. Ziel
der Arbeit ist es, die Zuschauer auch mit humorvol-
len Mitteln zur Reflexion über die patriarchalischen
Strukturen der Gesellschaft, Gewalt, insbesondere
auch gegen Frauen, Ehrenmorde, Fundamentalis-
mus, Identität und Religion anzuregen. Nach einem
Anti-Taliban-Meeting‚ im Mai 2009 organisierte das
Theater 2010 das zweite „T’lism Theatre and Dance
Festival for Peace and Disarmament‚.
http://www.tehrik-e-niswan.org.pk
Ajoka Theatre (seit 1984)
In Lahore gibt es seit 1984 das Ajoka Theatre, ge-
gründet von Madeeha Gauhar, bekannt als Fernseh-
schauspielerin. Auf der Agenda des Theaters steht
der Kampf für eine säkulare, demokratische, gerech-
te, humane und egalitäre Welt, insbesondere der
Einsatz für Frieden und Toleranz, auch im Aus-
tausch mit anderen Theatergruppen im südostasiati-
schen Raum.
http://www.ajoka.org.pk/ajoka/theatre.asp
Indien
Jana Sanskriti (seit 1985)
Jana Sanskriti ist ein vor mehr als 20 Jahren in Kolka-
ta (Kalkutta) gegründetes Netzwerk von heute 30
Forum-Theatergruppen, die allein in Westbengalen
in 150 Dörfern und insgesamt in zwölf Bundesstaa-
ten operieren. Damit ist das Netzwerk die wohl
größte Forum-Theater Organisation weltweit. Aus-
gangspunkt war eine Begegnung mit Augusto Boal.
Auf dem „Muktadhara II Festival‚ 2006 in Kolkata
gründete Jana Sanskriti die Indian National Theatre of
the Oppressed Organisation.
226
http://www.janasanskriti.org
226
http://www.univie.ac.at/afrika/mitarbeiterinnen/fritz_indien.pdf
Sri Lanka
Janakaraliya (seit 2005)
Janakaraliya – Makkal Kalari – Theatre Of the People
arbeitet mit einer mobilen Bühne in ganz Sri Lanka.
Singhalesische, tamilische und muslimische Jugend-
liche erhielten eine Theaterausbildung und perfor-
men zusammen in singhalesischer und tamilischer
Sprache. Ziel ist die Anhebung des kulturellen und
spirituellen Niveaus auch in unterprivilegierten
Dorfgemeinschaften in Hinblick auf ein Leben in
Frieden und Harmonie.
http://www.janakaraliya.org
Musik
Angefangen mit „Give Peace a Chance‚ und den
Happenings „Bed Peace‚ und ‚Hair Peace‚ von
John Lennon und Yoko Ono über Joseph Beuys’
Auftritt zusammen mit der Kölsch-Rock-Gruppe
BAP und dem Titel „Sonne statt Reagan‚ bis hin
zum Neue-Musik-Festival und Symposium des
Friedensforschers Dieter Senghaas, „Den Frieden
komponieren?‚ 2009 in Bremen
227
gibt es eine Un-
zahl von Liedern, Kompositionen und Musikveran-
staltungen für den Frieden. „Wo man singt, da lass‘
dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lie-
der‚, lautet ein berühmtes, aus einem Gedicht Jo-
hann Gottfried Seumes abgeleitetes Bonmot. Tat-
sächlich scheint die Aktivität des Musikmachens
und Zuhörens im Gegensatz zu kriegerischen Aus-
einandersetzungen zu stehen – obwohl es überall
auf der Welt auch Militärmusik gibt. Die Frage, die
sich stellt, ist allerdings, inwieweit wohlmeinende
Aufrufe, schöne Lieder oder gut gemeinte Solidari-
tätsveranstaltungen an den Problemen etwas ändern
können und ob darüber hinaus Erfolg versprechen-
de Aktivitäten möglich sind.
Ein Überblick kann an dieser Stelle nicht geboten
werden, doch können einige Beispiele andeuten, in
welche Richtung solche Aktivitäten gehen können.
Sehr bekannt ist das 1999 von Edward Said und
227
Den Frieden komponieren?, hrsg. von Hartmut Lück, Dieter
Senghaas, Rof W. Stoll, Mainz 2009.
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Daniel Barenboim gegründete West-Eastern Divan
Orchestra, in dem junge Musiker aus Israel und Pa-
lästina zusammen musizieren. Das Repertoire be-
steht aus dem Kanon klassischer Musik, was einer-
seits professionelle Musiker voraussetzt, anderer-
seits das Thema kultureller Differenz ausklam-
mert.
228
Dies schmälert keinesfalls die Verdienste des
Projekts, das sich allerdings nicht ohne Weiteres auf
andere Kontexte übertragen lässt. Einen ganz ande-
ren Weg geht etwa Bob Bates im Inner-City Arts Pro-
gram von Los Angeles, der mit musikalisch unvor-
gebildeten Kindern unterschiedlicher kultureller
Herkunft einfache Instrumente herstellt und sie
befähigt, durch Improvisation ihr musikalisches
Ausdrucksvermögen zu entdecken.
229
Musikinstrumente zu spenden, kann ein weiteres
probates Mittel sein, um Jugendlichen in unterprivi-
legierten Regionen einen Ausweg aus einer Perspek-
tive von Beschäftigungslosigkeit und Gewalt zu
bieten.
230
So ist es dem Jugendtheaterzentrum Espace
Masolo in Kinshasa gelungen, aus Spenden aus Eu-
ropa eine Blaskapelle zusammenzustellen, die auch
publikumswirksam im Stadtraum der kongolesi-
schen Hauptstadt auf die Aktivitäten des Zentrums
aufmerksam macht.
231
Victor Gama arbeitet dagegen
im ehemaligen Kriegsgebiet des angolanisch-
südafrikanischen Konflikts und darüber hinaus mit
lokalen Musikern zusammen, die er als gleichbe-
rechtigte Komponisten-Kollegen begreift und deren
Werke er mit eigenem Equipment aufnimmt und
archiviert. Sein Workshop „Odantalan‚ arbeitet mit
Musikern und Kunsthistorikern aus Angola, Ko-
lumbien und Kuba an der Aufarbeitung der kolonia-
228
http://www.west-eastern-divan.org.
229
http://www.inner-cityarts.org; Bates war anwesend beim
Kinder- und Jugendkongress „(N)you‚ im Rahmen des World
New Music Festival 2006 in Stutgart.
230
Musikinstrumente wollte auch die Jüdische Stimme für einen
gerechten Frieden in Nahost in den Gazastreifen bringen: Da nicht
genügend Spenden zusammenkamen, tat sich die deutsche
Gruppe der European Jews for a Just Peace in Palestine (EJJP) mit
anderen Gruppen zusamen; allerdings wurde das Schiff am 28.
September 2010 von der israelischen Marine am Anlanden in
Gaza gehindert und in den Hafen von Ashdod gebracht,
http://jewish-ship-to-gaza.jimdo.com.
231
http://www.guetesiegel-
kultur.de/index.php?title=Hauptseite#Fanfare_Masolo.
len Vergangenheit und der Restitution des gemein-
samen vorkolonialen Erbes.
Die mediale Vernetzung unter Musikern kann ein
Mittel sein, Aufmerksamkeit auf bestimmte Proble-
me und Sichtweisen zu lenken. Wenig bekannt
wurde etwa die 2005 von den improvisierenden
Musikern/-innen Ernesto Diaz-Infante und Majorje
Storm kompilierte CD „Voices in the Wilderness‚,
die den gemeinsamen Dissens der beteiligten Musi-
ker/-innen gegenüber der Politik der amerikani-
schen Regierung Ausdruck verleihen sollte.
232
Dage-
gen erreichte Mazen Kerbaj eine weltweite Öffent-
lichkeit, als er sich 2006, während der Bombenan-
griffe auf Beirut, auf den Balkon seiner Wohnung
stellte, Trompete spielte und die Aufnahmen ins
Netz stellte.
233
Der ebenfalls bereits erwähnte Kom-
ponist Dror Feiler zeigte 2008 bei den Donaueschin-
ger Musiktagen innerhalb seines größeren Projekts
„Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahr-
heit‚ Lieder singende, kolumbianische FARC-
Guerilleros von hinten.
234
Die Installation gibt keine
Antworten, stellt aber Fragen wie: Böse Menschen
haben keine Lieder?
http://www.victorgama.org
http://www.tsikaya.org
Theater: Espace Masolo
Vernetzung, Weblog: Mazen Kerbaj
Nahostkonflikt: Dror Feiler
Kartografie, Architektur, Design
Kartografie war aufgrund der Beteiligung der Archi-
tektin Anke Hagemann aus dem Kreis der Zeit-
schrift AnArchitektur ein Schwerpunkt der Ausstel-
lung „Friedensschauplätze‚. Hier sollen kurz der
Hintergrund skizziert und die vorgestellten Projekte
aufgelistet werden.
Kriegerische Konflikte handeln immer von Raum. Es
sind räumliche Gegebenheiten, die durch militäri-
sche Interventionen verändert werden sollen. Gren-
232
http://www.paxrecordings.com.
233
Unter dem Titel „Starry Night‚,
http://mazenkerblog.blogspot.com.
234
http://www.swr.de/swr2/donaueschingen/programme/2008/-
/id=3488188/nid=3488188/did=3595616/4e4sqr/index.html.
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