Leitfaden und
QRC für die Physiotherapie
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Retropulsions Test
Mehrere Tests sind verfügbar um Gleichgewichtsprobleme zu testen, aber kein Messinstrument misst das ganze
Spektrum der Gleichgewichtsreaktionen. Am meisten gebraucht, schnell und einfach durchführbar ist der
Retropulsionstest, bei dem ein unerwarteter Stoss an der Schulter (schnell und bestimmt nach hinten) angewendet wird
(27).
Timed Up an Go Test (TUG)
Der Timed Up an Go Test ist ein kurzer, praktischer Test, bei dem Gang und Gleichgewicht getestet werden (28). Der
TUG ist ein reliables und valides Instrument für Patienten mit MP (29). Es ist wichtig, dass der Patient bei allen
Messungen die gleichen Schuhe trägt (30).
6 Minuten Gehtest
Patienten mit MP haben die Tendenz inaktiv zu sein. Um die körperliche Leistungsfähigkeit bei Patienten, die nicht
durch „Freezing“ beeinträchtigt sind, zu identifizieren und evaluieren, wird der Sechs – Minuten Gehtest angewendet
(31). Dieser Test ist funktionell, leicht anzuwenden und reliabel für diese Patientengruppe (32). Ausserdem kann der
Sechs – Minuten Gehtest Veränderungen aufgrund des Trainings in dieser Population entdecken (33). Wird dieser Test
in einem markierten quadratischen Feld ausgeführt, sollte der Therapeut nicht mit dem Patienten gehen (34). Wird
der Test auf einem Laufband durchgeführt, muss die Neigung 0 sein und wenn der Patient es verlangt, kann die
Geschwindigkeit gesteigert werden (dies sollte nicht durch den Patienten selbst gemacht werden) (34). Es ist wichtig,
dass der Patient bei allen Messungen die gleichen Schuhe trägt (30) und dass der Therapeut den Patienten im
gleichen Ausmass ermutigt (34).
10 Zehn – Meter Gehtest
Der Zehn – Meter Gehtest ist ein reliables Instrument, um die angenehme Gehgeschwindigkeit von selbständig
gehfähigen Patienten mit MP zu ermitteln (32). Ausserdem wird die Anzahl benötigter Schritte in angenehmer
Gehgeschwindigkeit für 10 Meter benutzt um die Schrittlänge zu bestimmen (in Verbindung mit einem möglichen
Gebrauch von visuellen „Cues“). Während der Ausführung des Test kann wenn nötig eine Gehhilfe benutzt werden.
Parkinson Disease Questionnaire-39 (PDQ-39)
Der Fragebogen zur Erhebung der alltagsrelevanten, gesundheitsbezogenen Lebensqualität und des
Wohlbefindens von Parkinson-Patienten hat 39 Items. Diese werden zu den folgenden Subskalen zusammenaddiert:
Mobilität, Alltagsaktivitäten, emotionales Wohlbefinden, Stigma, soziale Unterstützung, Kognition, Kommunikation,
körperliches Unbehagen. Dieser in Deutsch übersetzte und validierte (35) Fragebogen kann als übergreifendes
Verlaufsinstrument angewendet werden.
3.
Stadien-spezifische Behandlungsziele (Quick Reference Card 4)
Die KNGF-Richtlinien definieren Zielsetzungen, welche spezifisch auf die jeweiligen Stadien ausgerichtet sind. Bis
zum Krankheitsstadium 2,5 stehen intensives Kraft-, Ausdauer-, Gleichgewichts- und Koordinationstraining im
Vordergrund. Vor allem in den ersten Krankheitsjahren sollte diesbezüglich eine ‚Reserve‘ aufgebaut werden.
Studien belegen, dass gerade im frühen Krankheitsstadium Bewegung eine neuronale protektive Wirkung hat und
der Krankheitsverlauf durch Üben beeinflusst werden kann (36) (37) (38) (39).
Patienten müssten von Anfang an gecoacht und informiert werden über Krankheitsverlauf und
Therapiemöglichkeiten. Sie brauchen Begleitung und viel Selbstdisziplin, um ihren Sport und die Bewegungen
selbständig und konsequent durchzuführen. In den ersten Stadien können so sekundäre Defizite hinausgezögert
werden. Physiotherapie kann ausserdem die Gangparameter Gehgeschwindigkeit und Schrittgrösse positiv
beeinflussen und somit das typische Parkinsongangbild hinaus zögern.
In späteren Stadien werden Bewegungsstrategien prioritär, um „Freezingepisoden“ zu reduzieren und um die
Selbständigkeit zu erhalten. Im H&Y Stadium 4 und 5 bleibt der Erhalt der Gehfähigkeit wichtig, hinzu kommen
Kontraktur-und Pneumonieprophylaxe.
Selbsthilfegruppen, Informationsbücher und –Broschüren oder die Gratis-Hotline „Parkinfon“ können sowohl
Patienten als auch Angehörige in allen Krankheitsstadien unterstützen (40).
Behandlungsort
Physiotherapeutische Behandlungen finden in Privatpraxen, beim Patienten zuhause, in einem
Rehabilitationszentrum, einem Pflegeheim oder im Spital statt. Die Wahl des Behandlungsortes wird einerseits
bestimmt durch die Behandlungsziele, hängt aber auch von den Fähigkeiten des Patienten und des Therapeuten sowie
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von anderen äusseren Faktoren ab (41). Aufnahme neuer Informationen ist bei Patienten mit MP oft verlangsamt und
die Anwendung neuen Wissens und Fähigkeiten in fremder Umgebung ist reduziert (42) (43). Einschränkungen in
Aktivitäten zeigen sich oft in häuslicher Umgebung. Behandlungen zur Aktivitätsverbesserung finden deshalb
vorzugsweise zuhause statt, Verbesserungen der körperlichen Fähigkeiten in Physiotherapiepraxen (sofern ein Raum
mit geeigneter Einrichtung für diesen Zweck vorhanden ist), in einem Turnsaal oder während Freizeitaktivitäten.
Einbezug der betreuenden Angehörigen
Die betreuenden Angehörigen in die Behandlung einzubeziehen ist sehr wichtig. Bezugspersonen können helfen,
„Cues“ oder kognitive Bewegungsstrategien anzuwenden, sofern der Patient in der Anwendung dieser Strategien im
Alltag Schwierigkeiten hat (z.B. im Falle reduzierter kognitiver Funktionen). Die Anzahl Instruktionen sollte
beschränkt sein, denn der Patient profitiert eher von einer einzelnen Instruktion, insbesondere wenn er kognitive
Einschränkungen (wie z.B. reduzierte Aufmerksamkeit oder Gedächtnis) hat. Die Betreuungspersonen müssen nicht
die Therapeutenrolle einnehmen. Trotzdem sind sie oft die Schlüsselpersonen bei der Pflege von Patienten mit MP.
Patienten mit vielschichtigen Problemen können oft nur in der häuslichen Umgebung funktionieren, wenn die
Betreuungsperson anwesend ist. Es ist daher wichtig, die Angehörigen bei der Betreuung des Patienten zu
unterstützen, z.B. durch Instruktion von Transfertechniken für Bett oder Rollstuhl, durch Instruktion von
Hilfestellungen bei „Freezing“ oder bei „on/off“ Perioden.
Erkennen von Fluktuationen
Typisch für diese Krankheit sind starke und/oder schnelle Zustandsveränderungen beziehungsweise „On-„ (= gute,
bewegliche, selbständige Phase) und/oder „Off-Phasen“ (akinetische Phase). So entsteht ein Tagesablauf mit
Wirkungsfluktuationen. Ein gut kontrolliertes Medikationsregime ist in der Verantwortung von Hausarzt und dem
Spezialisten (meist ein Neurologe, manchmal ein Geriater oder ein Rehabilitationsmediziner). Aufgrund des
regelmässigen Patientenkontakts können Physiotherapeuten bereits zu
einem frühen Zeitpunkt
Wirkungsfluktuationen erkennen. Diese Fluktuationen treten häufig auf, wenn die Krankheit fortschreitet oder die
Medikation schon lange besteht. Es kann teilweise durch eine Medikamentenanpassung korrigiert werden.
Behandlungszeit
Bei der Planung der Behandlung ist es wichtig, die „on/off“ Perioden zu berücksichtigen. Kognitive Bewegungs- und
„Cueing“ Strategien werden am besten in „on“ Phasen angewendet, weil zu diesem Zeitpunkt die neurologischen
Probleme weniger Einfluss auf die Ausführung haben. Auch die physischen Fähigkeiten sollten in diesen Phasen
trainiert werden.
Dual Tasks
Bei der gleichzeitigen Ausführung von zwei oder mehreren Aufgaben („Dual- oder Multitasking“) ist es für Patienten
mit MP schwierig, die volle Aufmerksamkeit auf alle Aufgaben gleichzeitig zu lenken. Meistens müssen sie bereits
gezielte Aufmerksamkeit aufbringen, wenn sie eine automatisierte Aufgabe, wie z.B. gehen, sicher ausführen wollen.
Dies kann zu unsicheren Situationen führen, sowohl im Alltag als auch in der Übungssituation und einen negativen
Effekt auf Gang und Gleichgewichtserhaltung bewirken (44) (45) (46) (47) (48). Die Vermeidung von „dual Task“
Aufgaben während der Behandlung und im Alltag erhöht daher die Sicherheit von Patienten mit MP und verringert
Stürze. Physiotherapeuten sollten Patienten instruieren, eine Aktivität nach der anderen auszuführen und wenn nötig
bewusste visuelle Kontrolle anzuwenden (49) (50).
Der Physiotherapeut gibt dem Patienten vor der Aufgaben- oder Bewegungsausführung eine einfache Instruktion.
Während der Aufgaben- oder Bewegungsausführung werden keine weiteren Instruktionen gegeben, weil dies zu
„dual Task“ oder geteilter Aufmerksamkeit führt. Innerhalb der Therapie soll eine Aktivität optimiert werden bevor
eine nächste geübt wird.
Gleichgewicht stimulieren und verbessern
Anhand von Gleichgewichtsübungen und Krafttraining ist es möglich, das Gleichgewicht während der
Durchführung von Aktivitäten zu optimieren: Hirsch et al (51) und Toole et al. (52) zeigten dass ein
Übungsprogramm von 10 Wochen (60 Minuten, 3x wöchentlich) mit Gleichgewichtsübungen und Krafttraining sehr
effektiv ist. Die Übungen bestanden aus Pro- und Retropulsionstests (Instruktion des Patienten zur Nutzung von
visuellem und vestibulärem Feedback) und aus Krafttraining von Knieflexoren/-Extensoren und den Muskeln des
Fussgelenkes (mit 60 Prozent der maximalen Kraft).
Es ist denkbar, dass bei Interventionen in der Behandlung von Gleichgewichtsstörungen bei gesunden älteren
Personen folgende Strategien am effektivsten sind (53) (vor allem in der Frühphase der Erkrankung):