Leitfaden und
QRC für die Physiotherapie
A
npa
ss
un
g de
r K
N
G
F
-R
ic
h
tl
in
ie
n
3
Nachfolgend werden die fünf angepassten QRC präsentiert und erläutert:
1.
Anamnese
2.
Befund Funktionsebene
3.
Befund Aktivitäts- und Partizipationsebene
4.
Stadien-spezifische Behandlungsziele
5.
„Cueing“ oder Strategien
Die Interessengruppe ist davon ausgegangen, dass viele Begriffe selbsterklärend sind und direkt angewendet werden
können. Falls dies nicht der Fall ist, kann jederzeit auf das Original in Englisch (1) zurückgegriffen werden. Für
Informationen bezüglich des Levels der Evidenz beruft sich die Gruppe, unter Vorbehalt der Aktualität der
Publikation, ebenfalls auf das Original. Andere Punkte wurden näher beschrieben oder weiter erklärt. So kann dieses
Dokument als eine Art unterstützenden „Leitfaden oder Gebrauchsanleitung“ für die QRC eingesetzt werden. Die
QRC beinhalten auch Empfehlungen von Assessments. Dabei ist zu beachten, dass nicht alle in validierter Form in
Deutsch zur Verfügung stehen. Für Gütekriterien bezüglich Assessments verweisen wir auf Schädler et al. (13).
1.
Anamnese (Quick Reference Card 1)
Während der Anamnese stellt der Physiotherapeut gezielte Fragen, die notwendig sind, um das Problem des
Patienten zu eruieren. Auch die Erwartungen des Patienten bezüglich Behandlung und Behandlungserfolg werden
aufgenommen. Der Physiotherapeut versucht herauszufinden, ob die Erwartungen des Patienten realistisch sind.
Wenn mentale Faktoren oder Kommunikationsprobleme vorhanden sind und der Patient vorwiegend von
Hilfspersonen abhängig ist, müssen Bezugspersonen involviert werden, um ein adäquates Bild der Probleme des
Patienten zu erhalten. Basierend auf der Anamnese formuliert der Physiotherapeut gemeinsam mit dem Patienten
und/oder seinen Bezugspersonen die Behandlungsziele.
QRC 1 zeigt schematisch die wichtigsten Elemente einer Anamnese bei Parkinsonbetroffenen. Vor allem die
Auswirkungen von primären Parkinsondefiziten im Alltag und die Wirkungen/Nebenwirkungen von
parkinsonspezifischen Medikamenten werden befragt.
Ein bekanntes primäres Parkinsonsymptom ist die akinetische Phase oder das sogenannte „Freezing of Gait“.
Patienten fühlen sich unfähig zu bewegen und sind oft nicht mehr in der Lage zu gehen. Diese akinetischen Phasen
treten meistens in der „Off-Phase“ auf (14), in der Zeitspanne wo parkinsonspezifische Medikamente nicht wirken.
Das „Freezing“ wird zusätzlich durch Emotionen, Stress oder enge räumliche Verhältnisse negativ beeinflusst oder
sogar provoziert. In der Anamnese sollte deswegen die Zeitspanne des „Freezings“ und die möglichen Auslöser gut
hinterfragt werden. Patienten fühlen sich durch Bewegungsblockaden sehr oft stark eingeschränkt und reduzieren
ihre sozialen Aktivitäten. Als Folge vermindert sich die Lebensqualität und Isolation kann sich einschleichen (15).
Ausserdem hat „Freezing“ sehr oft auch Stürze und Verletzungen zur Folge, da die normalen Reflexe und die
posturale Haltungsstabilität fehlen (16). Hier darf eine Fallanamnese nicht fehlen. Der „Falls Efficacy Scale-I“ als
Selbstwirksamkeitsfragebogen kann dabei zusätzliche Infos vermitteln über vorhandene Sturzangst.
QRC 1 hilft die wichtigsten Auskünfte bezüglich der parkinsonspezifischen Symptome und deren Einfluss im Alltag
auf verschiedenen ICF-Ebenen einzuholen.
Falls Efficacy Scale-International (FES-I)
Vertrauen, das Gleichgewicht beibehalten zu können, scheint bei älteren Menschen ein Mediator zwischen „Angst
zu fallen“ und „Funktionellen Fähigkeiten“ zu sein. Wenn Patienten im letzten Jahr gefallen sind, oder wenn es
Situationen gab, in denen sie fast gefallen wären, ist es notwendig, die Angst vor dem Fallen zu objektivieren. Die
„Falls Efficacy Scale –I“ ist ein ausgedehnter Selbstwirksamkeitsfragebogen, in welchem die Patienten über ihre
Angst zu fallen befragt werden, dies bei 16 verschiedenen Aktivitäten. Das Testresultat, das sich aus der Summe der
Punkte ergibt, liegt zwischen 16 (keine Sturzangst) und 64 Punkten (maximale Sturzangst).
Goal Attainment Scale (GAS) und Canadian Occupational Performance Measure (COPM)
Zentral in der Anamnese steht die Zielformulierung, bei der kurz- oder langfristige Ziele formuliert
werden sollten.
Die Formulierung von Patienten-Rehabilitationszielen sollte ein interaktiver Prozess sein und die Bedürfnisse und
Erwartungen des Patienten (und/oder Angehörigen) wiedergeben. Assessments wie z.B. GAS (Goal Attainment
Scaling) oder COPM (Canadian Occupational Performance Measure) sind dafür geeignet und sinnvoll für die
Quantifizierbarkeit der Zielerreichung. Sie helfen „SMART“ (Spezifisch, Messbar, Aktionsorientiert, Realistisch,
Terminiert) Ziele zu formulieren und die Therapieziele objektiv zu überprüfen (z.B. „Die kommenden 4 Wochen
mache ich jeden Montag, Mittwoch und Freitag einen halbstündigen Spaziergang“). Anhand der Goal Attainment
Leitfaden und QRC für die Physiotherapie
A
npa
ss
un
g de
r K
N
G
F
-R
ic
h
tl
in
ie
n
4
Scaling kann dieses Ziel schriftlich und detailliert festgelegt werden (-2 bis +2). Auf einer Skala von 0 bis 10 hat man
eine andere Möglichkeit festzulegen, wie sicher der Patient ist, dass dieses Ziel erreicht wird. Hier zeigen Studien,
dass bei einer Patientenbewertung von 7/10 dieses Ziel realisierbar ist (17).
Caregiver Strain Index (CSI)
In den Spätphasen dieser Krankheit spielen Angehörige oder betreuende Personen eine immer grösser werdende Rolle.
Mit zunehmenden pflegerischen Verantwortlichkeiten steigt aber auch deren Belastung. Besonderes Interesse sollte
deswegen auch auf die Angehörigen und deren Lebensqualität gerichtet werden. Der modifizierte Fragebogen
„Modified Caregiver Strain Index“ (CSI), besteht aus 13 Fragen mit folgenden Themen: psychische, soziale,
berufliche und finanzielle Belastung sowie zeitliche Beanspruchung durch die Pflege. Höhere Scores bedeuten eine
grössere Belastung der pflegenden Person. Die deutsche, nichtvalidierte Version wurde in Assessments in der
Rehabilitation – Band 1: Neurologie publiziert (18). Um das Ausmass der subjektiv empfundenen Pflegebelastung der
Betreuungsperson zu erfassen, sollte der CSI erhoben werden. Er zeigt eine hohe Korrelation zum PDQ-39 (19).
2.
Befund Körperfunktionsebene, Aktivitäts- und Partizipationsebene (Quick Reference Cards 2 und 3)
Basierend auf den Informationen aus der Anamnese formuliert der Physiotherapeut eine Anzahl Probleme, die im
Rahmen der Befundaufnahme zu testen sind. Möglichkeiten sind (siehe QRC 2 und QRC 3) z.B.: körperliche
Leistungsfähigkeit, Transfers, Körperhaltung, „ reaching and grasping“ (ausreichen und greifen) , Gleichgewicht
und Gang. Die Hauptprobleme des Patienten mit MP können während des Tages stark fluktuieren zwischen „On-
und Off-Phasen“. Dies sollte beachtet werden bei den Ergebnissen der Assessments. Der Physiotherapeut kann die
Quick Reference Card 2 und 3 als Leitfaden für eine strukturierte Befundaufnahme und Hinweise auf angemessene
Assessments benutzen. Die oben beschriebene Einteilung der Parkinsonsymptomatik in primäre, sekundäre und
kombinierte Defizite, Nebenwirkungen von Medikamenten und andere Faktoren (Tabelle 1: Parkinsonsymptomatik
auf Funktionsebene) wurden integriert in die Quick Reference Card 2 der KNGF.
Assessments
Outcomemessungen oder Assessments dienen dazu, Gesundheitsprobleme aufzuzeigen und objektiv zu bewerten.
Zusätzlich kann eine Reihe von Assessments zur Objektivierung der (primären) Wirksamkeit der Behandlung
genutzt werden. Es sind zahlreiche Assessments verfügbar, um Gesundheitsprobleme im Zusammenhang mit
Parkinson zu identifizieren und evaluieren. Die Mehrheit dieser Instrumente wurde entwickelt für wissenschaftliche
Forschung und ist darauf fokussiert, Gesundheitsprobleme zu identifizieren und den Effekt von Gruppenbehandlung
für Patienten mit MP zu evaluieren. Die Guideline – Entwicklungsgruppe wählte Assessments, die für den
„Alltagsgebrauch“ geeignet schienen. Im Auswahlprozess wurden klinimetrische Eigenschaften berücksichtigt (18).
Die Guideline-Entwicklungsgruppe ist der Ansicht, dass sich Assessments, die den ICF – Domänen untergeordnet
sind, am besten eignen.
Durch die obengenannten Wirkungsfluktuationen ist es wichtig, dass Assessments zur gleichen Zeit am Tag
durchgeführt werden, in der Annahme, dass auch die Medikamente täglich zur selben Zeit eingenommen werden.
Unified Parkinson Disease Rating Scale (UPDRS)
Der UPDRS gilt als Standard bei grossen klinischen Studien und ist in sechs Subskalen unterteilt. Für
Physiotherapeuten ist Teil III (motorische Untersuchung) und IV (Komplikationen der Behandlung) relevant. Diese
motorische Untersuchung erfasst klinische Parkinsonsymptome (Akinese, Tremor, Rigor, posturale Stabilität) sowie
einfache Bewegungsabläufe (u.a. Aufstehen, Gang, Körperhaltung) (18). Teil IV beurteilt anamnestisch die
Dyskinesien, klinische Fluktuationen und andere Komplikationen. Für die Einteilung wird eine Ordinalskala
angewendet: 0=normal, 4 = deutliches Symptom.
Freezing Of Gait Questionnaire (FOGQ)
„Freezing“ ist ein Erstarren, charakterisiert durch die reduzierte Fähigkeit, das Gehen zu initiieren oder zu erhalten
(20) und wird mit einem erhöhten Fallrisiko in Bezug gebracht (21) (22) (15) (23). Während des Befundes ist es
schwierig, „Freezing“ zu bewerten, weil es selten während der Befunderhebung auftritt
(24).
Physiotherapeuten sind
deshalb oft auf den subjektiven Bericht des Patienten angewiesen. Anhand dieser Informationen kann man
bestimmte Situationen im Befund überprüfen (z.B. Gehen und Drehen unter Zeitdruck, Gehen und Drehen bei engen
Raumverhältnissen (25)). Wenn Patienten kürzlich die Erfahrung machten, dass ihre Füsse am Boden kleben
blieben, bittet der Physiotherapeut den Patienten, die 6 Fragen des „Freezing Of Gait Questionnaire“ zu beantworten
(26). Dieses Instrument eignet sich, „Freezing“ bei Patienten mit MP zu identifizieren (18).