Leitfaden und
QRC für die Physiotherapie
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4.
„Cues“ (Quick Reference Card 5)
Die Ausführung von automatischen und repetitiven Bewegungen ist gestört infolge eines grundlegenden Problems der
internen Kontrolle (Basalganglien). Um diese reduzierte oder fehlende interne Kontrolle zu ergänzen oder zu ersetzen
werden sogenannte“ Cues“ oder Strategien verwendet (Ergänzend zum pharmatherapeutischen Ansatz ). „Cues“ sind
externe oder interne Reize, die die Initiierung und/oder das Beibehalten von Bewegungen unterstützen. Diese können,
entweder vom Patient selber oder von aussen (Angehörige, Umgebung) angewandt werden. Es gibt 4 Formen: visuell,
auditiv, propriozeptiv und kognitiv (QRC 5). Diese „Cues“ erhöhen die Aufmerksamkeit und erleichtern die
(automatischen) Bewegungen. Es wird vermutet, dass durch „Cues“ die Bewegung direkt vom Cortex kontrolliert
wird, mit nur geringem oder keinem Einbezug der Basalganglien.
Nicht alle Patienten profitieren vom Gebrauch von „Cues“. Diese können innerhalb (kognitive „Cues“) oder
ausserhalb (visuelle, auditive und propriozeptive „Cues“) des Körpers erzeugt werden. Stimuli von ausserhalb des
Körpers können unterteilt werden in Bewegungsstimuli (Licht eines Laserstifts, eine bewegender Fuss, ein
herunterfallender Schlüsselbund) und Nicht-Bewegungsstimuli (Ton eines Metronoms, Streifen am Fussboden).
QRC 5 bietet einen Überblick von möglichen „Cues“, Zielen und Beispielen.
Gehen verbessern
Von allen Patienten mit MP berichten bis zu 60% (3) über regelmässige „Freezingepisoden“. 90% davon berichten
von keiner Verbesserung nach dopaminerger Therapie (3). „Cues“ können die Qualität des Gehens verbessern (14).
Für das Erreichen der Ziele „Sicheres und selbständiges Gehen, Steigern von komfortabler Gehgeschwindigkeit“
sind die folgenden Behandlungsmassnahmen hilfreich: Gehen üben mit Hilfe von „Cues“, Instruktionen geben und
trainieren von Muskelkraft (siehe Krafttraining).
•
Cues: Lewis et al. (72) und Morris et al. (73) zeigten, dass mit Hilfe von rhythmischen repetitiven visuellen
„Cues“ die Schrittlänge und Schrittfrequenz für Patienten mit MP verbessert werden können (74) (75) (76)
(77). Freeland et al. (78) zeigten, dass mit Hilfe von repetitiven auditiven „Cues“ Gehgeschwindigkeit,
Schrittlänge und Frequenz für Patienten mit MP verbessert werden können. Nieuwboer et al. (69) zeigte,
dass visuelle und auditive „Cues“ (kombiniert mit der Instruktion der Fussabhebung, dem Fokus auf
Schrittlänge und Körperhaltung) das Loslaufen und die Schrittlänge bei Patienten mit MP verbessern. Müller
et al (71) zeigte, dass ein intensives (Heim) Übungsprogramm, fokussiert auf „Cues“, den Gehbeginn und
die Schrittlänge verbesserten. Es ist bis heute unklar, welche Patienten von welchen „Cues“ profitieren.
Basierend auf dem oben Genannten formuliert die Guideline-Entwicklungsgruppe folgende Empfehlung:
-
Bei Patienten mit MP kann das Gehen mit Hilfe von visuellen und auditiven „Cues“ verbessert werden, wenn
diese während eines aktiven Gehtrainings geübt werden (74) (75) (69).
-
Die Anwendung von „Cues“ in Kombination mit Instruktionen kann den Gehbeginn und die Schrittlänge
verbessern (71).
-
Kognitive und propriozeptive „Cues“ können angewendet werden bei einer motorischen Blockade oder
„Freezing“.
Bevor der Patient losgeht, kann er das Gewicht von einer Seite zur anderen Seite verlagern,
unterstützt durch innerliches Zählen wie z.B.: ‘eins, zwei und gehen...’, um das Losgehen zu vereinfachen.
•
Instruktionen geben: Der Physiotherapeut gibt gezielte Instruktionen während eines variablen Gehtrainings:
Gehrichtung wechseln, anhalten, drehen, Hindernisse bewältigen, abwechselnd über unterschiedlich
beschaffene Flächen gehen . Damit sich der Patient diese Instruktionen merken kann, ist eine häufige
Wiederholung notwendig. Zusätzlich soll der Patient lernen seine Aufmerksamkeit auf ein Item zu richten.
Jede Instruktion verursacht im Prinzip eine Doppelaufgabe. Deswegen ist es wichtig bei jedem Patienten
festzustellen, ob ein positiver Effekt überwiegt.
Instruktionen um das Gehen zu normalisieren können effektiv sein. Drei Studien beschreiben
Verbesserungen des Gehens in Bezug auf Instruktionen (43) (58) (75).
Basierend auf dem oben Genannten formuliert die Guideline-Entwicklungsgruppe folgende Empfehlungen:
- Es gibt Hinweise, dass gezielte Instruktionen für übertriebenen Armschwung (Rumpfdrehungen üben),
Gehen mit breiter Basis und gutem Fersenkontakt effektiv sind zur Verbesserung des Gehens
(Gehgeschwindigkeit oder Schrittlänge) (75) (58).
- Es gibt Hinweise, dass folgende Instruktionen das Gehen verbessern: gerade Stehen (Möglichkeit des
Nutzens eines Spiegels für visuelles Feedback). Vermeiden von plötzlichem Drehen (Verlust des
Gleichgewichtes, Instruktion: ‘machen Sie einen grösseren Bogen’).
Leitfaden und QRC für die Physiotherapie
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Eine komfortable Gehgeschwindigkeit und Schrittlänge kann verbessert werden durch Laufbandtraining (79)
(80). Ein Spiegel gibt visuelles Feedback über die Körperhaltung. Wenn Patienten sich am Gehbarren
abstützen und dadurch das Körpergewicht teilweise unterstützen (vorzugsweise 20%), können sie schneller
gehen und grössere Schritte machen (79). Der gleiche Effekt wurden durch Geode et al. gefunden, welche ein
Laufbandtraining als Teil ihrer Gruppentherapie anbieten, um das Gehen und ADL zu verbessern (81).
Kognitive „Cues“
Der Physiotherapeut kann kognitive „Cues“ anwenden, sofern Verständnis, Einsicht und Gedächtnis des Patienten
genügen. Oft wird die Lernfähigkeit des Patienten erst nach einigen Behandlungen klar. Dazu sind Rückmeldungen
der Betreuungspersonen wichtig.
Bei der Anwendung von kognitiven „Cues“ werden komplexe (automatische) Aktivitäten in eine Anzahl einzelner
Elemente unterteilt, welche in definierten Sequenzen ausgeführt werden. Diese bestehen aus
relativ einfachen
Bewegungselementen. Komplexe Bewegungen werden so organisiert, dass die Aktivitäten bewusst ausgeführt werden.
In diesen komplexen (automatischen) Alltagsaktivitäten werden Doppelaufgaben vermieden. Es werden die
einzelnen Bewegungen oder die (Teil-) Aktivitäten geübt und gespeichert. Es ist dabei explizit nicht die Idee, dass
die Aktivität oder Bewegung automatisiert wird. Die Ausführung muss bewusst kontrolliert werden und kann durch
„Cues“ für die Initiierung gelenkt werden (71). Der Physiotherapeut kann kognitive“ Cues“ zur Verbesserung des
Transfers anwenden (42) (43) (49) (69) (71).
5.
Schlusswort
Gerade Physiotherapeuten mit relativ wenig Parkinsonexpertise finden in diesem Leitfaden und den QRC‘s eine
praktikable und schnelle Hilfe, um im physiotherapeutischen Behandlungsprozess wichtige parkinsonspezifische
Faktoren zu erheben und erfolgreich zu therapieren. Zusätzlich wurden evidenzbasierte Tipps und Hinweise für
Interessierte gegeben. Dank der Arbeit unserer Guideline-Entwicklungsgruppe und der Erlaubnis der
Niederländischen KNGF ist diese Gebrauchsanleitung ein erster Schritt für zielgerichtete, parkinsonspezifische
Anamnese, Befund und Behandlung.
Jorina Janssens
MSc Master in Rehabilitation Sciences and
Physiotherapy
Klinik Bethesda Tschugg
Dank an:
-
Stefan Schädler für seine fachspezifische Informationen und Ratschläge bezüglich Assessments
-
die Niederländische Forschungsgruppe unter Leitung von Samyra Keus für ihre Publikation der KNGF-
Richtlinien und das Gutachten für die schweizerische zusammengefasste Version
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die Englische Fachgruppe unter Leitung von Bhanu Ramaswamy für die Idee, einen kürzeren Leitfaden
inklusive Assessments online zur Verfügung zu stellen
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Die finanzielle Unterstützung von: Parkinson Schweiz, IGPTR, Physioswiss
Guideline-Entwicklungsgruppe:
Jorina Janssens, Klinik Bethesda Tschugg
Susanne Brühlmann, Humaine Klinik Zihlschlacht
Thomas Gloor, Neurologie Unispital Zürich
Ida Dommen, Neurorehabilitation, Luzerner Kantonsspital
Tim Vanbellingen, Universität Bern
Annemarie Osterwald, Kantonsspital St. Gallen
Sandra Signer, Bürgerspital Solothurn
Louise Rutz-La Pitz, Rheinburg-Klinik Walzenhausen