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dargelegten Resultate.
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Die theoretischen Erörterungen erbrachten zunächst den
Konsens, dass die beiden, aus der jüngeren Zeit stammenden Begriffe „Netzwerk“
und „Infrastruktur“ aus der Perspektive des Historikers synonym zu verwenden sind.
Auf der Basis verschiedener Arbeiten von van Laak, Engels, Greifenberg und der
Dozentin wurden Netzwerke im Weiteren als wandelbare Instrumente verstanden,
welche den grundlegenden Aufbau und die Versorgungsstruktur einer Gesellschaft
widerspiegeln und damit deren Fundament bilden. Soziale Gruppierungen oder ganze
Gesellschaften werden durch sogenannte Netzwerkzellen über deren verschiedenen
Funktionen als Teile der Infrastruktur geordnet, zusammengehalten und miteinander
verbunden. Eine Zelle wird dabei durch unterschiedliche geographisch-technische,
sozialpolitische sowie institutionelle Faktoren determiniert und durch die Infrastruk-
turausrichtung bewusst konstruiert, bestätigt und/oder modifiziert. Netzwerkzellen
dienen dabei der Steuerung und Kontrolle von Handlungsabläufen und Verhalten, er-
füllen eine Speicherfunktion (z. B. Herrschaft), dienen der Versorgung, Vermittlung
bzw. der Eliminierung von Bedrohungen oder fungieren als Brücke. Mit wachsender
Größe und Komplexität generiert eine Infrastruktur insbesondere durch verschiedene
dynamische Einflüsse zunehmend Konfliktpotential, wodurch die Protokollführung
zunimmt und damit vermehrt Quellenmaterial erwächst. Netzwerke führen einerseits
zur Überwindung, andererseits zur Festlegung von Grenzen zwischen sozialen Grup-
pen und Gesellschaften. Sie sind, historisch betrachtet, in ihrer Gesamtheit epochen-
unabhängige Objekte. Im Verlauf der Jahrhunderte werden lediglich Aufbau und
Funktion der einzelnen Netzwerkzellen modifiziert. Die Erscheinung der Infra-
struktur ist somit zugleich kulturabhängig und unterliegt, abhängig von der jewei-
ligen Gesellschaftsform und -organisation, gewissen Verhandlungsprozessen auf der
Basis eines bereits bestehenden Netzwerkes. Eine voraussetzungslose Infrastruktur
gibt es somit nicht. Der Mensch positioniert sich in Relation zu den konstruierten
Netzwerkzellen in vier unterschiedlichen Perspektiven: als Initiator, Betreiber, Nut-
zer bzw. Beobachter, Doppelrollen sind hierbei nicht ausgeschlossen. Die Netzwerk-
zellen der Handlungsinfrastrukturen unterscheiden sich hinsichtlich denen der Ver-
sorgungsinfrastruktur im Wesentlichen durch drei Merkmale: erstens durch die mate-
rielle Determinante, zweitens durch ihre zeitliche Begrenztheit sowie drittens durch
ihre Variabilität. Wegen der hohen finanziellen Investitionen und ihrer zeitaufwän-
(2014), S. 9-14; Greifenberg, Dominik: Überlegungen zu Sinn und Nutzen einer Infrastrukturgeschichte
des Mittelalters. In: Niederrhein-Magazin, H. 19 (2015), S. 10-19.
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Schröder, Lina: Das europäische Wasserstraßenprojekt Rhein-(Maas-)Schelde-Kanal 1946-85: Studien
zur Infrastruktur- und Netzwerk-Geschichte. Vor dem Abschluss stehende Dissertation.
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digen Konstruktion bedürfen die Netzwerkzellen der Versorgungsinfrastruktur einer
umsichtigen und vorausschauenden Planung. Im Gegensatz zu den Handlungsinfra-
strukturen sind ihre Zellen, nicht zuletzt wegen ihrer dominanten materiellen Kom-
ponente, damit auf Dauer angelegt. Die situative Komponente hinsichtlich eines
Handlungsnetzwerkes erlaubt eine große Variabilität bezüglich der Konstruktion und
der Anlage der jeweiligen Infrastrukturzellen. Eine Handlungsinfrastruktur lässt sich
damit variabel den aktuellen Erfordernissen anpassen.
In jedem Fall soll, so die These, bezüglich der Handlungsinfrastruktur zwischen Or-
ganisations-, Vermittlungs-, Angriffs- und Verteidigungsinfrastrukturen unterschie-
den werden. Diese Untertypen werden dadurch determiniert, welche gesellschaftliche
Rolle die jeweiligen Initiatoren einnehmen. Im Fokus der nachstehend wiedergege-
benen Aufsätze steht die Verteidigungsinfrastruktur.
Untersuchungsergebnisse
Im Hinblick auf die beiden ausgewählten Untersuchungen ist festzustellen, dass auf-
grund der begrenzten zeitlichen Möglichkeiten im Rahmen der Lehrveranstaltung je-
weils nur eine exemplarische Bearbeitung erfolgen konnte. So wurden etwa für das
Thema Räuberbanden insgesamt vier handschriftliche Archivalien transkribiert und
interpretiert. Die nachstehend abgedruckten Ausführungen sind somit als Denkanstoß
für weitere Forschungen in Richtung der Handlungsinfrastrukturen zu verstehen. Ins-
besondere zur Klärung der Frage, ob sich bezüglich der Funktionalität und der Rol-
lenzuteilung des Menschen innerhalb und außerhalb der Zellen des Handlungsnetz-
werkes Unterschiede zum Versorgungsnetzwerk feststellen lassen, sind weitere ana-
lytische Betrachtungen erforderlich. Die Verfasserin bedankt sich bei Adrian Mijas,
Vanessa Müller, Julia Ostrop, Mohammend Öztürk, Oleg Uteuov und Julia Wrede
für die harmonische und engagierte Zusammenarbeit und gratuliert herzlich zur er-
sten Publikation.
Systemangriff und -verteidigung: Diebes- und Räuberbanden als Bedro-
hung für die bestehende Gesellschaft
von Vanessa Müller, Julia Wrede, Adrian Mijas und Mohammed Öztürk
Diebes- und Räuberbanden sind keinesfalls ein Phänomen der jüngeren Zeitge-
schichte. Eine Archivarbeit im Landesstaatsarchiv NRW, Abteilung Rheinland, zum
Thema „Infrastruktur-Geschichte“ ermöglichte einen Einblick in das gesellschaft-