54
ten Kern“ und immer wieder teilnehmenden Mitgliedern und fluktuierenden
lokalen
Aushilfen. Angeführt wurden sie von mindestens einem Bandenchef,
9
der vor dem
Einsatz zusammen mit dem Auskundschafter den Coup noch einmal ausspähte, die
Realisierbarkeit abwog und darauf die Aufgabenverteilung erledigte.
10
Die Banden
bestanden vor allem aus Juden, Handwerkern und ehemaligen Soldaten, aber auch
Bettler, Vagabunden, Gaukler und Wanderhändler schlossen sich ihnen an, wie auch
die vorliegenden Dokumente bestätigen, in denen es heißt: „Als Nachtrag zu meiner
Anzeige wegen der beiden Juden Mon. Isac und Leib Salomon […]“.
11
Unter-
stützung erhielten sie als Angehörige der Unterschicht zudem durch
die Einschüch-
terung von Nachbarn und Zeugen.
12
Grundsätzlich muss zwischen Räuberbanden und
reinen Diebesbanden unterschieden werden. Während erstere nicht davor scheuten,
zu Gewalt und sogar zu Mord zu greifen, verstanden sich die Diebesbanden auf ihren
Ehrencodex und vermieden Blutvergießen: Während es letztere beispielsweise auf
die Beschaffung von Uhren abgesehen hatten, gefährdeten die Räuberbanden „[…]
mittelst Einbrüche, Knebeleyen und gar Mordthaten die öffentliche Ruhe und
Sicherheit […]“.
13
Vorliegende Darstellung basiert auf insgesamt vier eingesehenen Schriftstücken, bei
denen es sich um Provinzialrätliche Schriftstücke bzw. Polizeiakten aus den Jahren
1807 und 1813 handelt. Sie
beschreiben
sowohl Räuberbanden als auch Einzeltäter.
Die Einzeltäter werden in den Quellen als Juden identifiziert; bei den Banden finden
sich keine Hinweise auf den ethnischen Hintergrund. Diese Banden versuchten, ihre
„Westfälische Mundarth“
14
hinter gebrochenem Französisch zu verstecken und ihr
Äußeres durch „blaue[n] Röcke[n] und Teils [in] blaue[n] Fracke[n] und runde[n]
Hüte[n]“
15
zu vereinheitlichen.
NRW, Abteilung Rheinland.
9
Küntzel, Astrid: Räuber und Gauner im Rheinland 1798-1814. Düsseldorf 2012 (http://www.Rheinische-
geschichte.lvr.de/themen/Epochen%C3%BCbergreifend/Seiten/RaeuberundGaunerimRheinland1798
-
1814.aspx; Stand: 16.04.2015, 15:58 Uhr).
10
Ebd.; vgl. ferner: Voldenberg, Günter: Räuber, Volk und Obrigkeit. In: Niederrhein-Magazin, Nr. 14
(2012), S. 28-38.
11
Dokument (05.07.1813), in: Bestand Großherzogtum Berg Nr. 10936, Landesstaatsarchiv NRW,
Abteilung Rheinland.
12
Vgl. Küntzel, Astrid.
13
Dokument (18.02.1807), in: Bestand Großherzogtum Berg Nr. 12490, Landesstaatsarchiv NRW, Ab-
teilung Rheinland.
14
Dokument (18.02.1807), in: Bestand Großherzogtum Berg Nr. 12490, Landesstaatsarchiv NRW,
Abteilung Rheinland.
15
Ebd.
55
Abb. 2: Dokument (05.07.1813), in: Bestand Großherzogtum Berg Nr. 10936, Landesstaatsarchiv
NRW, Abteilung Rheinland.
Per definitionem identifizierten die Verfasser der Quelle die Missetäter eindeutig als
zu einer Räuberbande dazugehörig, da sie zu „Einbrüche[n], Knebeleyen und gar
Mordthaten“
16
bereit waren. Für den Verfasser der Quelle war dies ein eindeutiges
Zeichen dafür, dass die öffentliche Sicherheit im Großherzogtum Berg gefährdet war.
Bei den Einzeltätern handelte es sich um Diebe, die in Wohnungen und Häuser von
Fremden einbrachen, um sich an ihrem Eigentum zu bereichern. In zwei der vier
Quellen liegt der Tatbestand eines Uhrenraubs vor. Die Einsatzgebiete der Täter wa-
ren nicht lokal begrenzt, sondern erstreckten sich über mehrere Ortschaften.
17
Dies
erschwerte die Strafverfolgung erheblich, da die zuständigen Polizeikommissariate
16
Ebd.
17
Dokumente (05.07.1813/07.07.1813), in: Bestand Großherzogtum Berg Nr. 10936, Landesstaatsarchiv
NRW, Abteilung Rheinland.
56
sich verständigen und die Verfolgung der Ganoven untereinander koordinieren mus-
sten.
18
Durch den Minister des Inneren erging der Erlass, dass „die Herrn Provin-
zialräthe auf der Stelle an die sämtlichen Beamten ihren Bezirken die Weisung er-
gehen lassen, damit mittelst genauer Beobachtung der Nachtwachen alle Vorsichts-
Maßregeln ergriffen, und diese Räuber, wenn sie sich in dem Großherzogtum sollten
antreffen lassen, entdeckt und zu den Haften gebracht werden.“
19
Im Falle der Ein-
zeltäter lässt sich eine Verhaftung
via Quellen nachweisen, was auf den Erfolg der
eingeleiteten Maßnahmen schließen lässt.
20
Das Großherzogtum im Strukturwandel
Im Alten Reich gelang es der Obrigkeit nur in geringem Maße, die Räuberbanden
festzunehmen. Es war eher Zufall, welcher Gesetzesbrecher einem Verhör unterzo-
gen wurde. Bei diesem gaben die Verhörten niemals die echten Namen preis.
21
Zu-
dem mangelte es, wie beschrieben, an einem effizienten Justizsystem, welches einen
Verhafteten schnell und zuverlässig aburteilte. Auch überregionale Strafverfolgung
war durch die finanzielle Lage der Fürsten kaum möglich.
22
Unter der französischen
Herrschaft änderte sich die Lage. Schon 1798 gab es eine Neuorganisation der
französischen Gendarmerie, welche „Aufgaben einer modernen Polizei“
23
über-
nehmen und für Sicherheit sorgen sollte. Die radikale Neuordnung der rheinischen
Territorien begünstigte die Abnahme der Bandenkriminalität. Hinzu kam die Zentra-
lisierung des Informationsflusses, beispielsweise wurden Wohnortswechsel melde-
pflichtig. Außerdem wurden mehr Landesverweisungen statt härterer Strafen sowie
das Passwesen eingeführt, welches die Kontrolle der Mobilität begünstigen sollte.
Naturgemäß fanden auch hier die Gauner Mittel und Wege, die Lücken dieses Sys-
tems zu nutzen, beispielsweise durch den gleichzeitigen Besitz mehrerer Pässe.
24
Es
sollten noch viele Jahrzehnte vergehen, bis sich Napoleons
Code Civil/Code Pénal
gegen die lokal ausgerichtete, partikulare strafrechtliche Einzelgesetzgebung der
18
Dokument (10.07.1813), in: Großherzogtum Berg Nr. 10936, Landesstaatsarchiv NRW, Abteilung
Rheinland.
19
Dokument (18.02.1807), in: Großherzogtum Berg Nr. 12490, Landesstaatsarchiv NRW, Abteilung
Rheinland.
20
Dokument (05.07.1813), in: Großherzogtum Berg Nr. 10936, Landesstaatsarchiv NRW, Abteilung
Rheinland.
21
Vgl. Küntzel, Astrid.
22
Vgl. Küther, Carsten: Räuber und Gauner in Deutschland. Das organisierte Bandenwesen im 18. und
frühen 19. Jahrhundert (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 20), Göttingen 1976, S. 121-126.
23
Ebd.
24
Vgl. Küther, Carsten: S. 121-126.