57
verschiedenen Fürstentümer durchsetzen konnte. Langfristig gesehen profitierte das
Großherzogtum Berg durch die französische Besetzung hinsichtlich einer dauerhaft
existenten Handlungsinfrastruktur zum Zwecke der Organisation und Sicherung der
territorialen Herrschaft, deren zunächst vorwiegend institutionell ausgerichteten
Zellen bereits im französischen Reich eingeführt und erprobt worden waren. Durch
die klare Unterteilung des Gesamtterritoriums in kleinere Verwaltungseinheiten
wurde zugleich auch die Anzahl der Verwaltungsinstitutionen erhöht. Die zunächst
spontan im Rahmen einer zur Systemverteidigung zeitlich begrenzten Handlungs-
infrastruktur eingerichteten Zellen, beispielsweise mit der Erhöhung der Anzahl der
Nachtwächterposten, durch welche eine bessere Kontrolle gewährleistet werden
sollte, wurden langfristig gesehen mit der Umstrukturierung der Verwaltung in eine
dauerhaft präsente Handlungsinfrastruktur zu Zwecken der territorialen Organisation
und Kontrolle überführt. Im Rahmen der Verbesserung der Strukturen nahm auch die
kommunikative Vernetzung zu. Der Präfekt des Rheindepartements wurde dabei in
drei von vier Fällen gebeten, einem ihm unterstellten Angestellten völlige
Handlungsbefugnis zu erteilen, damit mit allen Mitteln gegen die Diebesbanden
vorgegangen werden konnte.
25
Dabei wurden dann auch die Stadtgrenzen außer Acht
gelassen und der Auftrag erteilt
,
den verdächtigen Personen nachzureisen. Daraus
wird ebenfalls ersichtlich, dass es zu einer Infrastrukturausweitung bzw. zu einer
Vervielfachung von Netzwerkzellen kam, die es den Beamten ermöglichte, innerhalb
weniger Tage untereinander zu kooperieren, um die Sicherheit der Bevölkerung zu
gewährleisten. Während aufgegriffene Verbrecher im 17. Jahrhundert noch in Zucht-
häusern zusammen mit Armen, Obdachlosen, Irren und Kranken untergebracht
wurden, lassen sich im späten 18. Jahrhundert auch in deutschen Gebieten eigens für
Verbrecher errichtete Strafanstalten finden. Damit lässt sich allerdings erst mit dem
Beginn des 19. Jahrhunderts
26
eine sichtbare Steigerung der Effizienz im Vorgehen
der Behörden erkennen.
27
25
Dokument (18.02.1807), in: Bestand Großherzogtum Berg Nr. 12490, Landesstaatsarchiv NRW, Ab-
teilung Rheinland; Dokumente (05.07.1813/07.07.1813), in: Bestand Großherzogtum Berg Nr. 10936,
Landesstaatsarchiv NRW, Abteilung Rheinland.
26
Habermas, Rebekka (Hg.): Verbrechen im Blick: Perspektiven der neuzeitlichen Kriminalitäts-
geschichte. Frankfurt a. Main 2009, S. 120 ff.
27
Küther, Carsten: S. 149.
58
Von der Systemverteidigung zur dauerhaften Organisation: Die
Eliminierung kleiner Religionsgemeinschaften während der NS-
Zeit
von Julia Ostrop und Oleg Uteuov
Der zentrale Aspekt der Ausarbeitung liegt in der Verfolgung verschiedener Reli-
gionsgemeinschaften und Sekten während des NS-Regimes. Dabei wird der Fokus
auf die Internationale Bibelforscher-Vereinigung (IBV), auch Zeugen Jehovas ge-
nannt, gelegt. Damit folgt die Darstellung dem bisherigen wissenschaftlichen Main-
stream, denn bis zum heutigen Zeitpunkt sind insbesondere zu den Zeugen Jehovas
zahlreiche Publikationen verfasst worden. Diese stellen mehrheitlich die Verfolgung
dieser Religionsgemeinschaft in den Mittelpunkt, andere religiöse Gruppen finden
dabei jedoch selten Erwähnung. So thematisiert beispielsweise Daniel Heinz (2011)
in seinem Aufsatz „Missionarische Offenheit in der Welt, ideologische Anpassung in
Deutschland: Siebenten-Tags-Advenisten und Juden in der Zeit des Nationalsozialis-
mus“
1
zwar das Verhalten der Advenisten gegenüber den Juden, die Verfolgung
dieser Gruppierung selbst verbleibt jedoch weitgehend in der Grauzone.
Wenn auch die folgende Darstellung die Zeugen Jehovas in den Mittelpunkt rückt,
unterscheidet sie sich thematisch dennoch von bisherigen Ausarbeitungen, erfolgt die
Untersuchung doch aus einer infrastruktur-historischen Perspektive. In diesem Rah-
men wird vor allem auf die Frage eingegangen, wie das Handlungsnetzwerk um die
Gestapoleitstelle Düsseldorf herum die für den Staat eine Bedrohung darstellenden
Zeugen Jehovas überwachte und versuchte, diese mithilfe differenzierter Maßnahmen
im Rahmen infrastruktureller Zellen zu neutralisieren.
Als Quellen liegen verschiedene Akten und Rechtsschreiben – in den meisten Fällen
Verhör- und Ermittlungsprotokolle – vor, insbesondere von den einzelnen Außen-
dienststellen der Gestapo an die Leitstelle in Düsseldorf, welche im Nordrhein-West-
fälischen Landesstaatsarchiv, Abteilung Rheinland, eingesehen wurden. Der Doku-
mentationszeitraum der Akten umfasst die Jahre 1932 bis 1939, das Einzugsgebiet
bezieht sich hauptsächlich auf die Außendienststellen in Essen, Duisburg und
Krefeld.
2
1
Vgl. Heinz, Daniel: Missionarische Offenheit in der Welt, ideologische Anpassung in Deutschland:
Siebenten-Tags-Advenisten und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. In: Freikirchen und Juden im
„Dritten Reich“. Instrumentalisierte Heilsgeschichte, antisemitische Vorurteile und verdrängte Schuld
(Kirche – Konfession – Religion 54), Göttingen 2011, S. 281-311.
2
Vgl. Einlieferungs-Anzeige (26.06.1936), in: Bestand BR 2278 Nr. 27, Landesstaatsarchiv NRW,