63
der „Deutsche Gruß“ als auch jede Eidesleistung
von den Zeugen Jehovas zu
verweigern.“
24
Des Weiteren galt neben dem Studium der Bibel das Missionieren –
„das Warnen der Ungläubigen vor der ihnen drohenden göttlichen Strafe“ als
zentrales Gebot.
25
Das absolute Tötungsverbot, welchem die Zeugen Jehovas folgten,
führte ferner zur Verweigerung des Wehrdienstes, was durch
das NS-Regime mit
strenger Bestrafung geahndet wurde. In der Folge gerieten sie mehr und mehr in den
Fokus staatspolizeilicher Maßnahmen. Um die Sekten gefügiger zu machen,
sozusagen als „Warnschuss“, wurde ihnen gegenüber oftmals zunächst ein
vorläufiges Verbot ausgesprochen, welches dann später wieder aufgehoben wurde,
die Siebten-Tags-Adventisten können hierfür beispielhaft angeführt werden.
26
Die
Einsicht der Akten im Landesstaatsarchiv bestätigt
dies auch für die IBV, die als
staatsgefährlich eingestuften Personen wurden im Weiteren mit Haft oder sogar
Deportation bestraft.
27
Erst im Jahre 1936 sollten die Zeugen Jehovas ihre Ansichten gegenüber dem deut-
schen Staat ändern. Das Flugblatt „Resolution“, welches nach der Konferenz der
Ernsten Bibelforscher in Luzern erschien, gilt nach Zipfel als „offene Kampfansage
an die Regierung Hitlers.“
28
Die IBV verweist in diesem Flugblatt auf die Situation
in Deutschland und die Verfolgung
der eigenen Mitglieder, indem sie zum Ausdruck
bringt, dass: „Alle diese verruchten Taten [Verfolgung, Inhaftierung und Tötung]
[…] von einer grausamen, heimtückischen und bösen Macht verübt [werden]“ und
die „Hitlerregierung, […] wahren Christen jeder Art grausame Bestrafung aufer-
legt.“
29
Des Weiteren heißt es im Flugblatt: „Aus diesem Grunde lassen wir heute die
Warnung an
die Herrscher in Deutschland, an die römisch-katholische Hierarchie
und alle ähnlichen Organisationen, die die wahren und treuen Nachfolger Christi
Jesus grausam verfolgen, ergehen, dass ihr Geschick nach Gottes Wort vollständige
Vernichtung sein [wird].“
30
24
Ebd.
25
Zipfel, Friedrich: S. 179 f.
26
Heinz, Daniel: S. 258.
27
Vgl. Anmerkung 19.
28
Zipfel, Friedrich: S. 186 f.
29
Vgl. auch Ermittlungsprotokoll (15.02.1938), in: Bestand BR 2396 Nr. 933, Landesstaatsarchiv NRW,
Abteilung Rheinland, S. 32; siehe auch Abb. 2: Ermittlungsprotokoll (15.02.1938), in: Bestand BR 2396
Nr. 933, Landesstaatsarchiv NRW, Abteilung Rheinland, S. 32.
30
Ermittlungsprotokoll (15.02.1938), in: Bestand BR 2396 Nr. Nr. 933, Landesstaatsarchiv NRW,
Abteilung Rheinland, S. 33.
64
Abb. 2: Ausschnitt aus Ermittlungsprotokoll (15.02.1938), in: Bestand BR
2396 Nr. 933, Landesstaatsarchiv NRW, Abteilung Rheinland, S. 32.
Bei der Verteilung dieses Flugblatts am 12. Dezember 1936 wurden einige Zeugen
Jehovas von der Gestapo Düsseldorf verfolgt und in Gewahrsam genommen. Die
Begründung zur Beschlagnahmung der Flugblätter und Inhaftierung der Lehren-
verbreiter lautete in einem der Protokolle, dass „bei der Strafzumessung […] davon
auszugehen [war], dass die IBV angesichts ihrer ganzen Lehre und der Zusammen-
setzung ihrer Anhänger eine nicht zu unterschätzende Gefahr für den nationalen Staat
bildet“,
31
da sie die „Verweigerung des Wehrdienstes“
32
fortführen und „das Pro-
gramm der IBV […] auch die nationalsozialistischen Rassengrundsätze ablehnt und
stark mit kommunistischen Ideen durchsetzt ist.“
33
So bildet die IBV „ein Sammel-
31
Ebd. S. 42.
32
Ebd.
33
Ebd.
65
becken für staatsfeindliche […] Elemente“
34
, dessen Irrlehren-Verbreitung „mit der
ganzen Strenge des Gesetzes“
35
geahndet werden muss.
Von der kurzfristigen Systemverteidigung zur langfristigen Organisa-
tion des NS-Staates
Als Basis der Legitimierung der polizeilichen Verfolgungsmaßnahmen diente, wie
bereits oben genannt, die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk
und Staat vom 28. Februar 1933. Erschwert wurde die Ausübung der staatlichen
Kontrolle und Überwachung jener kleinen Religionsgemeinschaften jedoch durch die
Tatsache, dass diese nicht offiziell als Religionsgruppen, sondern als Vereine tätig
waren. So schreibt Zipfel, dass „[d]ie im allgemeinen erst im 19. und 20. Jahrhundert
in Deutschland entstandenen oder heimisch gewordenen Glaubensgemeinschaften
[…] zwar gemäß Artikel 137 der Reichsverfassung Freiheit und Religionsausübung
[genossen], im Übrigen aber […] den Status von Vereinigungen [hatten], die den
allgemeinen Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts unterworfen waren.“
36
Im Ge-
gensatz zu den „großen“ Religionen jedoch fungierten die Sekten nicht als „Körper-
schaften des offiziellen Rechts“ und hatten infolgedessen auch keinen Anspruch auf
Staatsleistungen, die beispielsweise der evangelischen und katholischen Konfession
zuteil wurden, was die Überwachung der IBV von Seiten des Staates erschwerte. Die
allerdings mitunter sehr „enge Auslegung der allgemeinen vereinsrechtlichen
Bestimmung“
37
des Staates diente jedoch zugleich dazu, die „Propaganda- und
Missionstätigkeit dieser Vereinigung praktisch zum Erliegen zu bringen“,
38
die
weitere Ausbreitung zu stoppen und letzten Endes die Glaubensgemeinschaft der
IBV zu eliminieren. So basierte die Handlungsinfrastruktur zum Zwecke der
Systemverteidigung des NS-Regimes im Wesentlichen auf drei Zellen: zum einen auf
der Gestapo, als Zelle mit vornehmlich institutionellen Charakter. Dazu gehörten
ebenfalls die neuen, erlassenen Gesetze, die zur Steuerung und Kontrolle – zur
Überwachung des Staates und seines Innenlebens – dienten. Die zunächst „aus der
Not heraus“ angelegte Zelle zur Systemverteidigung etablierte sich und wurde, wie
das Beispiel Düsseldorf zeigt, kopiert, da der Erfolg einer Maßnahme bzw. Institution
zwangsläufig zu einer Zellvervielfachung führt. Zum zweiten sind die Gefängnisse
34
Ebd.
35
Ebd.
36
Zipfel, Friedrich: S. 174.
37
Ebd.
38
Ebd.