Vorlesung I.
Gegenstand der Fachdisziplin „Deutsche Sprachgeschichte“.
Das Indogermanische und die Verwandtschaftsbeziehungen der deutschen Sprache
Plan:
Die deutsche Sprachgeschichte als Zweig der Germanistik
Das Indogermanische
Der Sprachwandel des Wortschatzes
Die Verwandtschaftsbeziehungen der deutschen Sprache
Stichwörter:
Teilgebiet, diachronische Sicht, Existenzform, Sprachwandel, Diphtongierung, Spitzenstellung des Verbs, Stilnormen, Literatursprache, Territorialdialekt, Halbmundart, Ausgleichssprache, Sprachzweig, Sprachfamilie, Sprachstamm, Verwandtschaft der Sprachen, morphologische Struktur.
Die Geschichte der deutschen Sprache ist ein Teilgebiet der Germanistik, eine historische Disziplin im Rahmen der Sprachwissenschaft. Die Sprachgeschichte studiert:
die Existenzformen der deutschen Sprache
ihren geschichtlichen Wandel
das Werden der deutschen Nationalsprache.
Sie erforscht und beschreibt aus diachronischer Sicht das phonetische System, den grammatischen Bau, den Wortschatz und das System der Stile der deutschen Sprache. Gegenstand der Sprachgeschichte sind außerdem die Existenzformen der deutschen Sprache, ihr sozialhistorisch bedingter Wandel und das Werden der modernen deutschen Nationalsprache. Die Sprachgeschichte hat einen selständigen Status als eine historische Disziplin im Rahmen der Sprachwissenschaft und ist zugleich ein wichtiges Mittel zum tieferen Verständnis des modernen Sprachsystem.
Das Indogermanische (oder auch »Indoeuropäische«) ist die früheste einer seriösen wissenschaftlichen Forschung zugängliche Vorstufe des Deutschen. Diese nur rekonstruierbare Sprache muss etwa drei Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung gesprochen worden sein. Es handelt sich nicht etwa um eine Ursprache im Sinne unstrukturierter Urlaute irgendeiner prähistorischen Primatenpopulation, sondern um eine hochkomplexe Sprache mit ausgeprägter
Grammatik und Lexik. Über das Indogermanische ist das Deutsche heute mit einer Vielzahl von Sprachen auf allen Kontinenten verwandt. Etwa 2,5 Milliarden
Menschen sprechen heute eine Sprache, die sich letztlich auf diese prähistorische Grundsprache zurückführen lässt. Damit ist die indogermanische Sprachfamilie global gesehen die größte.
Das Indogermanische ist insofern eine Ursprache, als sich die germanischen, slawischen, keltischen, indoiranischen (und andere) Sprachfamilien, die sich im Lauf der Geschichte wiederum in Einzelsprachen aufgegliedert haben, daraus hervorgegangen sind. Die Indogermanen hatten eine schriftlose Kultur. Textüberlieferungen gibt es erst aus frühen Einzelsprachen, z. B. dem Hethitischen (16. Jh. v. Chr.), dem Mykenischen (17. bis 13. Jh. v. Chr.) und dem Indischen
(13. Jh. v. Chr.). Die frühesten altlateinischen Inschriften stammen aus dem 7., die ältesten keltischen Sprachzeugnisse aus dem 2. Jh. v. Chr. (zur germanischen Sprachfamilie, aus der das Deutsche hervorgegangen ist.
Die Sprachveränderung oder Sprachwandel lässt sich am leichtesten am Wortschatz erkennen. Der Wortschatz ist der sprachliche Bereich, der sich am schnellsten verändert, weil die Sprecher mithilfe von Wörtern in einem weitaus größeren Umfang auf Gegebenheiten und Veränderungen der außersprachlichen
Welt reagieren können und müssen als mit Phonemen oder Flexionsformen. Die Folge ist, dass neue Wörter entstehen, vorhandene Wörter mit veränderter Bedeutung verwendet werden oder ganz außer Gebrauch kommen. Die Wörter, die in einem gegenwartssprachlichen Text verwendet werden, haben eine unterschiedlich lange und unterschiedlich bewegte Geschichte hinter sich.
Der Wortschatz einer Sprache ist empfindlich für alle Ereignisse und Wandlungen im sozialen Leben, für den Fortschritt in Wissenschaft und Technik. Neue Wörter bereichern den Wortschatz fortwährend, andere Wörter veralten oder kommen aus dem Gebrauch, z.B. Wandel im phonologischen System – nhd. Diphtongierung: din – dein, lut – laut; s –sch: snell – schnell, swarz – schwarz; Wandel im grammatischen Bau: Spitzenstellung des Verbs im ahd. Satz: Einan kuning uueiz ih, Heizsit her hluduig. Veränderlichkeit der Existenzformen der Sprache: 1) die gemeindeutsche nationale Literatursprache; 2) deutsche Territorialdialekte (Niederdeutsch, Hochdeutsch – Mitteldeutsch - Oberdeutsch); 3) städtische Halbmundarten und Umgangssprache; 4) großlandschaftliche Umgangssprache bzw. Ausgleichsprache (Obersächsisch, Berlinisch, Pfälzisch, Bayrisch-Schwäbisch).
Die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den indogermanischen Einzelsprachen und Sprachgruppen werden auf verschiedene Weise erklärt. Das Stammbaummodellwurde schon in einer frühen Phase der Indogermanistik entworfen. Es versucht, die mehr oder weniger ausgeprägten Ähnlichkeiten zwischen den Sprachfamilien und den Einzelsprachen nach Art eines genealogischen Stammbaums darzustellen (erstmals Schleicher 1863). Demnach gliedern sich die nach indogermanischen Sprachfamilien und die daraus hervorgegangenen Einzelsprachen (stark vergröbernd) in folgender Weise:
Indogermanisch und Germanisch
Keltisch→ z. B. Irisch (Gälisch), Walisisch
Italisch → Latein mit Tochtersprachen (z. B. Italienisch, Französisch, Spanisch)
Indoiranisch→ z. B. Vedisch, Sanskrit, Pali, Iranisch
Slawisch→ z. B. Altkirchenslawisch, Russisch, Tschechisch, Polnisch
weitere → z. B. Baltisch, Griechisch, Armenisch, Hethitisch
Die Darstellung der Abstammungs- und Verwandtschaftsverhältnisse ist einerseits plausibel, andererseits aber nicht unproblematisch, denn sie impliziert, dass sich (analog zum Darwin’schen Stammbaum der biologischen Arten, der in gewisser Weise das Vorbild abgab) die Sprachen getrennt haben, dass kein weiterer Kontakt und damit auch kein gegenseitiger Einfluss mehr möglich war. Solcher Kontaktbruch ist aber nur dann möglich, wenn größere räumliche Distanzen gegeben sind. Das heißt, diese Stammbaumtheorie muss notwendigerweise von Abwanderungen und geographischer Expansion ausgehen.
Dostları ilə paylaş: |