Biographien und biographische Skizzen



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hohe Begabung. Moritz Hartmann und Alfred Meißner knüpfen mit ihren ersten Dichtungen an die Erinnerungen

ihres engeren Vaterlandes, Böhmen, an, jener mit seiner Sammlung «Kelch und Schwert» (1845), dieser mit seinem «Ziska» (1846). Beide ließen dann noch lyrische und erzählende Dichtungen folgen, die ihnen die Sympathien ihrer österreichischen Volksgenossen in reichem Maße brachten.

Ein Freiheitssänger in ganz anderem Sinne als die genannten war der in Ungarn geborene, aber von deutschen Eltern stammende Nikolaus Lenau. Seine Werke sind nicht aus der politischen Begeisterung, sondern aus der Sehnsucht nach seelischer, innerer Befreiung hervorgegangen; seine schmerzlichen Klagen galten nicht den Verhältnissen der Zeit, sondern der Unvollkommenheit alles Irdischen überhaupt. Eine Weltanschauung, die dem menschlichen Herzen keinerlei Trost bietet, verband sich bei ihm mit einer hohen dichterischen Kraft, die es ihm möglich machte, die schmerzvollen Grundempfindungen seines Wesens in einer erhebenden Weise zum Ausdruck zu bringen. Es ist bezeichnend für Lenau, daß er fand, Goethe habe den FauststofE «nicht bis in den Grund erschöpft», und diesen deshalb in seiner Weise aufs neue behandelte. Die über den Widersprüchen der Welt schwebende höhere Auffassung, von der Goethe beherrscht war, befriedigte Lenau nicht. In seinen «Gedichten», die 1831 und 1838 erschienen, gibt sich seine Fähigkeit zur Darstellung von Naturstimmungen und die Zerrissenheit seines Gemütes in gleicher Weise kund. In «Savonarola» (1837) und in den «Albigensern» (1842) schilderte er religiöse Kämpfe in düstern Bildern; im «Don Juan», den Anastasius Grün nach seinem Tode herausgab, führte er das Schicksal dieser im Sinnengenuß schwelgenden Persönlichkeit in lyrisch schönen Einzelheiten vor Augen, brachte es aber nicht zu einer planvollen, einheitlichen Lösung der

gestellten Aufgabe. Der Dichter verfiel 1844 in unheilbaren Wahnsinn und starb 1850. - In scharfem Gegensatz zu Lenaus Lebensansicht stand diejenige seines Freundes Ana-stas'ius Grün (Anton Graf von Auersperg), des poetischen Anwaltes einer zugleich freisinnigen und Österreichisch-patriotischen Gesinnung. Die günstige Aufnahme, die er schon in seinem vierundzwanzigsten Jahre mit seinen «Blättern der Liebe», dem «Letzten Ritter» und dann 1831 mit den anonym erschienenen «Spaziergängen eines Wiener Poeten» fand, ist zum nicht geringen Teile dadurch zu erklären, daß ein Mitglied einer alten, hohen Adelsfamilie in kampflustiger und siegesfreudiger Weise sich in den Dienst der Freiheit und des Fortschrittes stellte. Seine rückhaltlose Art, von den Menschen und Dingen zu sprechen, sein Mut und sein hoffnungsvoller Blick in die zukünftige Entwicke-lung der politischen Verhältnisse wirkten überzeugend; er konnte manches scharfe Wort sagen, weil die Lauterkeit seiner Gesinnung und die Echtheit seines Patriotismus nie in Frage gestellt wurden. 1836 veröffentlichte er den epischlyrischen Zyklus «Schutt», in dem er von einem überlegenen Gesichtspunkt aus für eine freie Gestaltung Österreichs eintrat. «Der Pf äff von Kahlenberg» (1850), Grüns reifstes Werk, ist weniger bedeutend in seiner Grundidee, enthält aber eine herrliche Darstellung des Lebens in der Umgebung Wiens zur Zeit Ottos des Fröhlichen. Durch seine Nachbildungen hat Anastasius Grün einen Schatz slovenischer Volksdichtungen in die Literatur eingeführt.

Die Ziele und Anschauungen des «Jungen Deutschland» und der politischen Dichter gaben der literarischen Bewegung des deutschen Volkes in der Zeit von Goethes Tod bis zur Revolution im Jahre 1848 ihre hervorstechendsten

Charakterzüge. Es gehören aber auch einzelne dichterische Persönlichkeiten dieser Epoche an, in deren Wesen nichts oder doch nur wenig von dieser allgemeinen Zeitphysiognomie zu bemerken ist. Für die wenig tiefgehenden geistigen Bedürfnisse sorgte Ernst Raupacb mit seinen Dramen, die von 1818 bis 1850 erschienen. Hohen künstlerischen Aufgaben strebte der Dramatiker Chr. Dietrich Grahhe nach, dessen Dichtungen trotz der Kraft des Ausdruckes und einer genialen Darstellungsgabe einem gebildeten Ge-schmacke wenig bieten können. Karl von Holtet ist der Schöpfer schlesischer Gedichte, eines anziehenden Romans «Christian Lammfell» und trefflicher Lustspiele, «Wiener in Paris», «Pariser in Wien». Johann Ludwig Franz Dein-hardstein schenkte der Bühne geschmackvolle Stücke: «Hans Sachs» (1829) und «Garrick in Bristol» (1834), die einen großen Erfolg hatten. Eduard Bauernfeld verband in seinen zahlreichen Lustspielen Geist und Charakteristik mit großem theatralischen Geschick. 1834 fand er mit seinen «Bekenntnissen» zum ersten Male Anerkennung als Lustspieldichter, und von da ab erfreute er sich bis in die siebziger Jahre als solcher der Beliebtheit weitester Kreise. Neben dem fruchtbaren Roderich Benedix, dessen Situationskomik nie in die Tiefe geht, aber oft von gesundem Sinn zeugt, und der in Theaterwirkungen bewanderten, immer auf Rührunghinarbeitenden Charlotte Birch-Pfeiffer} nahm Bauernfeld einen hervorragenden Platz im Spielplan der deutschen Bühnen in dieser Zeit ein. Auf dem Gebiete des ernsteren Dramas wirkte Friedrich Halm (Freiherr von Münch-Bel-linghausen), dessen Trauerspiel «Griseldis» 1835 im Wiener Burgtheater großen Beifall fand, der 1857 durch den seines «Fechters von Ravenna» noch überboten wurde. Sein

Drama «Wildfeuer» (1864) ist bis zur Gegenwart ein gern gesehenes Bühnenstück geblieben.

Aus dem sinnigen und humorvollen Wienertum heraus hat sich der Märchendramatiker Ferdinand Raimund entwickelt, dessen Dichtungen «Der Barometermacher auf der Zauberinsel», «Alpenkönig und Menschenfeind», «Der Verschwender» anfangs nur im Heimatlande des Schöpfers sich Geltung erringen konnten, dem aber eine spätere Zeit volle Würdigung zuteil werden ließ und einen Ehrenplatz neben seinem Landsmann Grillparzer einräumte. Er hat auf dem Gebiete der Wiener Posse keinen ebenbürtigen Nachfolger gefunden.

Einen eigenen Weg, abseits von den großen Zeitbewegungen, ging auch der schwäbische Dichter Eduard Mörike. Ihm stand Goethes Vorbild stets vor Augen; sein Roman «Maler Nolten» (1832) ist in deutlicher Weise von «Wilhelm Meister», seine gemütvollen Gedichte sind von der Goetheschen Lyrik beeinflußt.

Eine bedeutende Wirkung als Lyriker erzielte Emanuel Geibel, dessen Gedichte in den Jahren 1840-64 56 Auflagen erlebten. Natürliche Anmut, ein vollständiges Maßhalten der Empfindungen und die Leichtigkeit, mit der sich seine Lieder singen lassen, machten Geibel zum Liebling breiter Massen der Gebildeten. Von reizvollen Melodien getragen, haben es Gedichte wie «Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus», «Ein lustiger Musikante marschierte am Nil», «Mag auch heiß das Scheiden brennen» zu einem seltenen Grade von Popularität gebracht. Den stürmischen Leidenschaften ging Geibel aus dem Wege; er war der Dichter der zarten Gefühle. Auch dort, wo seine Phantasie sich in die Natur vertiefte, suchte sie nicht das Gewaltige, sondern das

Liebliche, wie die Frühlings-, Herbst- und Trinkgesänge seiner «Juniuslieder» (1848) beweisen. Die wilden Freiheitsrufe der politischen Dichter waren ihm zuwider. Dagegen widmete er lange vor der Errichtung des deutschen Reiches dem nationalen Einheitsstreben und dem deutschen Kaisertum, dessen Kommen er voraussah, manches schone Wort; das Beste davon wurde 1871 in der Sammlung «Heroldrufe» vereinigt. In Geibels Dichtung sind alle Charakterzüge zu bemerken, die das literarische Leben der fünfziger und sechziger Jahre beherrschten. An die Stelle der Forderung nach fernliegenden Idealen und Zielen trat das Interesse für die unmittelbare Gegenwart, für das im Augenblick Erreichbare auf der einen Seite, eine gewisse Mutlosigkeit, ein Mangel an Lebensfreude auf der anderen Seite. Der ersteren Strömung entsprangen nicht nur die Dichtungen eines Oskar von Redwitz, Chr. Fr. Scherenberg, Otto Roquette, Friedrich Martin Bodenstedt, die eine Gegenbewegung gegen die politische Literatur brachten, sondern auch diejenigen Gustav Freytags, Gottfried Kellers, Willibald Alexis', Adalbert Stifters, der Gräfin Ida Hahn-Hahn und der Fanny Lewald, ferner die Schöpfungen Berthold Auerbachs. Die andere Strömung fand ihren Ausdruck in dem tiefgehenden Einfluß, den die lebensfeindliche Lehre Schopenhauers (S. 20) übte. Dieser Philosoph war bis zu dieser Zeit so gut wie unbekannt geblieben. Jetzt erlangte er für alle diejenigen einen Wert, die wegen der gescheiterten Hoffnungen der vierziger Jahre zu einer gewissen Resignation gegenüber der Wirklichkeit getrieben wurden und sich deshalb gerne asketische Ideale und die Willensverneinung von einem Denker rechtfertigen ließen. Dazu kam allerdings, daß Schopenhauer sich durch seine

im Jahre 1851 erschienenen «Parerga und Paralipomena» wieder in Erinnerung brachte, und daß er in diesem Werke seine Weltanschauung in faßlicherer Weise und mit mehr Witz aussprach, als dies in seinen früheren Büchern der Fall war.

Von Oskar von Redwitz erschien 1849 die erzählende Dichtung «Amaranth», die einen bedeutenden Eindruck machte, was wohl weniger auf ihren Wert als Erzählung, als auf die zarten lyrischen Bestandteile zurückzuführen ist, in denen eine wunderbare Naturstimmung zum Ausdruck kommt. Scherenbergs Bedeutung lag in seiner Fähigkeit zum Erzähler welthistorischer Ereignisse. Die Schlachtenbilder, die er in «Waterloo» (1849), «Ligny» (1849), «Leu-then» (1852) entwirft, haben einen Zug von Größe. Otto Roquettes «Prinz Waldmeisters Brautfahrt» (18 51) ist ein mit allen den lyrischen Mitteln, die auch Redwitz zur Verfügung standen, durchgeführter anmutiger Schwank. Auch seine Gedichte sind durch einen gleichen Grundcharakter beliebt geworden. Großes Aufsehen machte Fr. M. Boden-stedts gehaltvolles Werk «Tausend und ein Tag im Orient» (1850) besonders durch die fesselnden Schilderungen und die eingefügten Lieder, die 18 51 vermehrt als «Lieder des Mirza Schaffy» neu herauskamen. Der Dichter suchte, wie Goethe im «Westöstlichen Divan», in der Weise des morgenländischen Geistes seine Empfindungen auszusprechen und trat deshalb in fremder Maske auf.

Ganz im Banne der Anschauungen, die sich mit dem Scheitern der Märzbewegung abgefunden hatten, vorläufig mit dem Errungenen rechneten und das Leben ihrer Zeit dichterisch zu gestalten suchten, standen Gustav Freytags Leistungen. Auf ihn und einige andere hier genannte Schrift-

steller müssen wir im dritten Teile noch zurückkommen, da ihre Wirkungen zum Teil in eine spätere Zeit fallen. Erobert hat sich aber Freytag die deutsche Leserwelt bereits 1855 durch seinen Roman «Soll und Haben», in dem die sozialen Verhältnisse der damaligen Zeit eine künstlerische Behandlung erfahren haben. Die Richtung des Romans ist in dem Motto angegeben, das von Julian Schmidt herrührt, dem geistreichen Literarhistoriker, der mit Gustav Freytag zusammen eine Zeitlang die «Grenzboten» herausgegeben hat. Es heißt: «Der Roman soll das deutsche Volk da suchen, wo es in seiner Tüchtigkeit zu finden ist, nämlich bei seiner Arbeit.» Die kaufmännische Welt wird in ihrer zukunftversprechenden Tätigkeit anderen gesellschaftlichen Kreisen, besonders dem Adel, gegenübergestellt, ganz im Sinne einer bürgerlich freisinnigen Lebensauffassung. Eine treffliche Zeichnung der politischen Verhältnisse, der Wahlumtriebe der Parteien, des Einflusses der Presse im konstitutionellen Staatswesen, hatte Freytag schon 18 5 3 in seinem Lustspiel «Die Journalisten» geliefert, von dem heute noch vielfach die Meinung gilt, daß ihm nicht leicht ein zweites in der deutschen Literatur an die Seite zu setzen ist.

Ein Meister in der Wiedergabe des wirklichen Lebens, ein feiner Beobachter der kleinsten Züge in den Vorgängen und Charakteren, insofern diesen eine wesentliche Bedeutung zukommt, war Gottfried Keller. Sein Roman «Der grüne Heinrich» zog gleich bei seinem Erscheinen (1854) die Aufmerksamkeit der ersten Kritiker in größtem Maße auf sich. Mit einer seltenen Naturtreue, mit hoher psychologischer Kunst schildert der Dichter dieEntwickelung eines Künstlers mit all den Schwierigkeiten und Verirrungen, denen ein schwärmerischer, unpraktischer Idealist ausgesetzt ist. In

den Erzählungen «Die Leute von Seldwyla» (1856) erreichte er in der Darstellung der schweizerischen Natur und ihres Volkes eine klassische Vollendung. Die Novelle «Romeo und Julia auf dem Dorfe», welche dieser Sammlung angehört, zählt dank der Wahrheit in der Zeichnung der Charaktere, Kraft in der Darstellung der Handlung und dem überlegenen Humor mit Recht zu den Perlen deutscher Dichtkunst.

Bei Keller sehen wir das Bestreben, ein Feld der Dichtung zu suchen, das keinen Anlaß zum Aussprechen unbestimmter Zukunftsideale gibt, bei dem der Dichter vielmehr die Möglichkeit hat, mit künstlerischem Sinne sich ganz in das zu versenken, was das Leben bietet. Der gleiche Drang liegt der Entstehung der «Dorfgeschichten» zugrunde, deren hervorragendster Pfleger Bertbold Auerbach war. In den anspruchslosen Verhältnissen des Volkes, in dessen Gesundheit und Ursprünglichkeit, glaubte Auerbach einen Stoff zu finden, dem jene Harmonie in der künstlerischen Darstellung, die Goethe forderte, im höheren Maße entspricht, wie dem Leben der gebildeten Stände. Auerbachs «Schwarzwälder Dorfgeschichten» bringen uns die Bewohner des Schwarzwaldes mit künstlerischer Anschaulichkeit vor die Seele. Nach dem Idyllischen, nach dem bildungsfernen Lande zog es diesen Dichter; aus ihm heraus hat er seine Erzählungen «Barfüßele» (1856), «Neues Leben» (1852), «Josef im Schnee» (1861), «Edelweiß» (1861) geschaffen. In dem großen Roman «Auf der Höhe» (1865) hat er dann diese ihm bestvertraute Welt jener der höheren Kreise gegenübergestellt. Auerbach wußte überall in gleicher Weise durch Wärme der Darstellung wie durch scharfe Charakteristik zu fesseln.

Mit der Phantasie eines Malers schilderte Adalbert Stifter die Naturdinge und -Vorgänge. Seine «Studien» (1844-50) und die «Bunten Steine» (1853) sind Landschaftsbilder in Worten, durchdrungen von einer stillen Andacht gegenüber den herrlichen Schöpfungen der Natur und mit einer rührenden Hingabe an die geringsten Einzelheiten gezeichnet.

Abseits von dem fortschreitenden Gange der Literatur findet sich noch mancher deutsche Dichter, der vorübergehend sich einen Leserkreis erworben hat, wenn auch eine Geschichte des geistigen Lebens keine Veranlassung hat, ihn unter die führenden Geister zu zählen. So hat der von Walter Scott beeinflußte Willibald Alexis (Wilhelm Heinrich Häring) mit seinen Erzählungen «Der Roland von Berlin» (1840), «Der falsche Woldemar» (1842), «Die Hosen des Herrn von Bredow» (1846-48), «Ruhe ist die erste Bürgerpflicht» (1852), «Isegrim» (1854), «Dorothee» (1856) in weitesten Kreisen Preußens Anerkennung und Interesse gefunden. Er ist als Schilderer preußischer Zustände und Gegenden von großer Kraft und Fruchtbarkeit. Mit einem ergreifenden Volksschauspiele «Deborah» erwarb sich 1849 Salomon Hermann Mosenthal vielen Beifall. Dieselbe Kraft in der Darstellung zeigte er auch in späteren Dramen «Sonnwendhof» (1857), «Das gefangene Bild» (1858) und in anderen. Eine durch traurige Lebensverhältnisse an harmonischer Entwickelung gehinderte Persönlichkeit war Albert Emil Brachvogel, dessen Trauerspiel «Narziß» (1857) deutlich seinen Ursprung aus einem krankhaften Gemüt zeigt. Eine erfreulichere Dichtergestalt war dagegen Franz Nissel, der 1858 in dem Trauerspiel «Heinrich der Löwe» den Gegensatz zwischen dem Kaiser und dem mächtigen Vasallen mit großer dramatischer Kunst behandelt hat.

Von entscheidendem Einfluß auf die Dichtung nach der Mitte des Jahrhunderts wurde der neue Geist, der sich in den Wissenschaften geltend machte. Die Zeit der großen philosophischen Ideengebäude war zunächst vorüber. Die Sinnenwelt und ihre Erscheinungen und die Naturgesetze, die sich aus dieser Welt ergeben, traten in den Vordergrund des Interesses. Man stand am Vorabend des Ereignisses, das auf die Denkweise der zweiten Hälfte des Jahrhunderts einen mächtigen Einfluß ausüben sollte, des Auftretens der Lehre Darwins. Die Durchdringung von wissenschaftlicher Erkenntnis und Dichtung tritt uns schon früher in Deutschland bei Friedrich von Sollet entgegen. Er begann als reiner Gefühlsdichter, vertiefte sich aber dann in die Wissenschaft und hat in seinem «Laienevangelium» (1842) den Versuch gemacht, die Erzählungen der Evangelien mit dem modernen Bewußtsein zu vereinigen, um allen denen eine Art religiöses Erbauungsbuch zu liefern, denen der Radikalismus eines Strauß und Feuerbach zu weit ging und die doch nach einer Darstellung der biblischen Geschichte, die der neuen Zeit entsprach, Bedürfnis hatten.

Eine Persönlichkeit wie Sallet zeigt, wie stark der deutsche Geist dazu neigt, Dichten und Denken durcheinander zu befruchten. Noch auffallender tritt uns diese Erscheinung entgegen bei Wilhelm Jordan, der geradezu als dichterischer Prophet der Darwinistischen Auffassung bezeichnet werden kann. Er hat in seiner groß angelegten Dichtung «Demiurgos, ein Mysterium» (1852-54) Ideen über die Entwicklung des Menschengeschlechtes ausgesprochen, die durch den Darwinismus ihre wissenschaftliche Beleuchtung gefunden haben. Der «Demiurgos» ist eine Gedankendichtung, in der sich ein Geist, der die wissenschaftliche Bildung

seiner Zeit in umfassendster Weise beherrscht, über die treibenden Kräfte in der Welt und im Leben mit der entschiedenen Absicht ausspricht, alle Erscheinungen, auch die scheinbaren Übel und das Böse in der Welt, in ihrer Berechtigung für das Ganze des Alls darzustellen. Wie er dies in seinen späteren Werken zum Ausdruck gebracht hat, soll im dritten Teile dargestellt werden.

Der Gedankenschwere Jordans gegenüber steht der flotte, fröhliche Ton, den Joseph Viktor Scheffel fast gleichzeitig in seinem «Trompeter von Säckingen» (1853) anschlug. Die harmlos lustige Stimmung, von der diese Schilderung der Schicksale des treuherzigen deutschen Trompeters, der durch die päpstliche Gunst sein Edelfräulein erhält, beherrscht wird, erwarb dem Dichter rasch einen großen Leserkreis, der sich schon ein Jahr später durch den Roman «Ekkehard, eine Geschichte des zehnten Jahrhunderts», der auf dem Grunde einer großen Gelehrsamkeit in ansprechender Weise ein Kulturbild dieser Zeit entwirft, noch erweiterte. Auch in dem Liederbuche «Gaudeamus» (1868) und in den «Bergpsalmen» (1870) macht sich ein heiter-burschikoser Humor geltend, neben dem eine erstaunliche Gewalt über die Sprache und eine gemütvolle und geistreiche Schilderungskunst einhergeht.



Paul Heyses Novellen (deren erste Sammlung 1855 erschien) und Spielhagens «Problematische Naturen» (1860) waren die ersten Erscheinungen einer neuen literarischen Bewegung, der es vor allen Dingen auf die Lösung künstlerischer Aufgaben ankam. Das Ringen nach der vollkommensten dichterischen Darstellungsweise zeichnet diese Richtung aus. Ihr hat die wissenschaftliche Behandlung der Ästhetik vorgearbeitet, an der H. G. Hotho («Vorstudien

für Leben und Kunst» 1835), Christian Hermann Weiße («System der Ästhetik»), Friedrich Theodor Vischer mit seiner «Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen» (1846-55) und Moritz Carriere («Ästhetik» 1859 und «Die Kunst im Zusammenhange der Kulturentwickelung und die Ideale der Menschheit» 1863-73) teilgenommen haben. Die Frage nach der vollkommensten Form des Romans und der Novelle beschäftigte nunmehr die Geister, und unter ihrem Einflüsse standen auch die Dichter. Die literarischen Kämpfe und Bestrebungen, die sich in dieser Zeit abzuspielen begannen, dauern bis in die Gegenwart fort.

Um dieselbe Zeit, in der Männer wie Wienbarg, Mundt, Gutzkow dem literarischen Leben Deutschlands neue Forderungen stellten, vollzog sich auch in Frankreich ein gewaltiger Umschwung in der Dichtkunst. Die Entwickelung der französischen Verhältnisse am Ende des 18. und am Anfang des 19. Jahrhunderts gab ihm aber einen wesentlich anderen Charakter. Vor der Revolution wandten sich die bedeutendsten Köpfe der aufklärerischen Philosophie zu, die das Geistesleben beherrschte, und neben der die Dichtkunst nur eine untergeordnete Rolle spielte. In der Folgezeit verbrauchte das politische und staatliche Treiben die geistigen Kräfte, und zwar in so hohem Grade, daß Frankreich in den ersten beiden Jahrzehnten keine Ahnung von den Schöpfungen des Vorläufers einer neuen Kunstrichtung, Andre Cheniers, hatte, der 1794 auf dem Blutgerüste sein Leben endete. Von seinen Gedichten war bis 1819 fast nichts veröffentlicht; erst dann wurden seine Dichtungen aus seinem Nachlaß herausgegeben - die erste

Erscheinung in Frankreich, die aus dem künstlerischen Geiste heraus stammt, durch den wenige Jahre später ein junges Dichtergeschlecht neue Bahnen suchte. Schwer hatten auf der Poesie der Franzosen die ästhetischen Formeln gelastet, die sie so lange für unumstößlich, für die wahren, ewigen Gesetze des Schönen gehalten und die schon die Kunst der alten Griechen beherrscht haben. Was für die Deutschen bereits im vorigen Jahrhundert Lessing mit solcher Meisterschaft erkannt und dargelegt hat, daß man die antike Kunst mißversteht, wenn man sie durch solche Regeln gefesselt glaubt, das hat man in Frankreich erst gegen das Jahr 1830 zu verstehen angefangen. Vorher lebten hier in den Anschauungen über die Dichtung in allem Wesentlichen die Ideen, welche Boüeau im Jahre 1674 in seiner «Art poetique» vertreten hatte und die ihren Ausdruck in den klassischen Dramen Corneilles und Racines gefunden haben. Man hatte eine bestimmte Vorstellung davon, wie ein Kunstwerk beschaffen sein müsse, und in diese zwängte man jeden Stoff hinein, den man bearbeitete. Noch in den zwanziger Jahren wurden Versuche, Shakespeare auf die Bühne zu bringen, zurückgewiesen. Das änderte sich allerdings in wenigen Jahren. Schon 1826 fanden in Paris englische Vorstellungen des Lear, Hamlet, Othello Beifall; die französischen Übersetzungen der «Vorlesungen über dramatische Kunst und Literatur» von A. W. Schlegel, die in das Verständnis des großen Briten einführten, hatten ihre Wirkung getan. Man erkannte nun auch in Frankreich, daß es nicht Kunstgesetze gibt, die für alles gelten, sondern daß für jeden Stoff die ihm entsprechende Behandlung gefunden werden müsse. Zu dieser Einsicht trug fremder Einfluß viel bei. Bei Walter Scott hatte man gelernt, daß jede Gegend,

jede Bevölkerungssdiidit sorgfältig studiert und nach ihrer individuellen Wesenheit dargestellt werden müsse; an Byron hatte man sich herangebildet und die durch keinen ästhetischen Regelzwang beeinflußte freie Äußerung der Empfindungen und Leidenschaften erfaßt. Goethes Dichtung suchte man zu verstehen, und die deutschen Romantiker, besonders E. Th. A. Hoffmann, brachten das ungebundene Walten der Phantasie in Fluß. So kam es denn, daß sich, vom Jahre 1825 angefangen, ein ähnliches Streben zeigte, wie dasjenige war, das in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Deutschland zur Verjüngung aller künstlerischen Ideale führte. Ihren Ausdruck fand diese neue Richtung in der 1824 begründeten Zeitschrift «Le Globe», ihren Stimmführer in Victor Hugo. Bereits 1824 hatte er in seinen «Ödes et Ballades» einen von allen herkömmlichen Vorurteilen freien Ton angeschlagen; die dichterische Form war nicht mehr aus einer alten Kunstlehre entnommen, sondern aus der Natur der ausgesprochenen Empfindungen geboren. Und Hugos Drama «Hernani» (1830) bedeutete für Frankreich einen Bruch mit aller Überlieferung, wie einst in Deutschland Schillers «Räuber», mit denen es im Stoffe einige Ähnlichkeit hat. Das Drama rief zunächst einen Entrüstungssturm hervor. Aber das jüngere Geschlecht scharte sich um Hugo und brachte seine Anschauungen zum Siege. Wenn man näher zusieht, so zeigt sich, daß in dieser neuen Literaturbewegung, die man Romantik nannte, noch vieles von den charakteristischen Zügen der alten französischen Kunstauffassung zurückgeblieben ist. Zu einer solch unbefangenen, der Natur abgelauschten Dichtung, wie wir sie bei Shakespeare oder bei den deutschen Klassikern finden, kam man nicht. Das liegt im Charakter des französischen

Volkes. Es drängt sich immer das Bestreben vor, das Natürliche zu verkünsteln. Die Lyrik strebt von der einfachen Wiedergabe der Empfindung zum Pathos; im Drama wird eine Person nicht so charakterisiert, wie es nach den Voraussetzungen ihrer Individualität sein müßte, sondern so, daß sie zu anderen Personen des Werkes in einem bestimmten Verhältnis steht; das Herausarbeiten von Gegensätzen steht über der einfachen Wahrheit. Das kann an allen Schöpfungen Victor Hugos beobachtet werden. Innerhalb der hiermit gezogenen Grenzen ist ihm aber sowohl in seinen Dramen «Marion de Lorme» (1829), «Le roi s'amuse» (1832), «Lucrece Borgia» (1833) und anderen, sowie in seinen Romanen «Han d'Islande» (1823), «Notre Dame de Paris» (1831), «Le dernier jour d'un condamne» (1829), «Les travailleurs de la mer» (1866) ein Überwinden des steifen französischen Klassizismus gelungen. Er suchte die Menschen aus den Verhältnissen ihrer Umgebung und ihrer Zeit heraus zu verstehen und besaß eine ebenso reiche Phantasie, wie eine plastische, alle Kunstmittel beherrschende Darstellungsgabe. Am hinreißendsten sind seine Gedichte, die trotz aller Rhetorik, die in ihnen herrscht, der Ausdruck einer alle Seiten der menschlichen Natur erfassenden Persönlichkeit sind.

In Alfred de Müsset hat die französische Romantik ihren Dichter des Weltschmerzes gefunden. Bei ihm kommt eine hoffnungslose Stimmung, eine Verbitterung dem Leben gegenüber überall zum Durchbruch. Er hat sich in seinen «Confessions d'un Enfant du siecle» selbst geschildert. Eine schwadie Persönlichkeit, die aus sich nichts zu machen weiß, die von keinem Ereignisse etwas erwartet, tritt uns da entgegen. Seine Stoffe entnahm er mit Vorliebe den Schatten-

Seiten des Lebens; unerquickliche, abstoßende Vorgänge, moralisch anfechtbare Charaktere liebte er. Dazu kommt, daß in seiner Darstellung etwas Künstliches liegt, daß sich die Dinge bei ihm nicht nach natürlichen, sondern nach ausgedachten Gesetzen abspielen; er sprang mit Handlungen und Menschen in der absonderlichsten Weise um. Zuweilen allerdings gelangen ihm Meisterstücke der Charakteristik, wie in dem kleinen Drama «Bettine». Auf seine Entwickelung hat einen tiefgehenden Einfluß George Sand ausgeübt, mit der er eine Zeitlang befreundet war und auch eine gemeinsame Reise nach Italien unternahm. Doch hat auch diese in Zukunftsgedanken lebende, starke Persönlichkeit an dem Grundzug seines Wesens nichts Wesentliches geändert. Wie ein Einsiedler erscheint neben seinen Zeitgenossen, die in den weitesten Kreisen das stärkste Interesse hervorriefen, Marie Henry Beyle, der unter dem Namen Stendhal geschrieben hat. Er war vor allem ein intimer Kenner der menschlichen Seele und ein geistvoller Kopf. Allem, was er schuf, fehlt plastische Fülle; um so mehr aber war ihm Klarheit und Durchsichtigkeit der Ideen eigen. Für große, prachtvolle Persönlichkeiten hatte Beyle eine starke Neigung. Napoleon war ihm ein Muster des Menschlichen. Er betrachtete Menschen und Dinge gleichsam aus der Vogelperspektive. In seinem Roman «Le rouge et le noir» und einer Anzahl Tragödien prägt sich weniger eine sinnbildliche Phantasie, als vielmehr eine gewisse abstrakte Vorstellungsart aus. Deshalb mußte er auf augenblickliche Anerkennung verzichten. Er hat aber mit der Gabe des Sehers vorausgesagt, was eingetroffen ist, daß das Jahrhundert nicht zu Ende gehen werde, ohne auf ihn zurückzukommen. In den letzten Jahrzehnten hat er nicht nur in

Frankreich, sondern im ganzen gebildeten Europa seinen Leserkreis gefunden.

Unter denen, die mit ihm lebten, hatte er nur einen Verehrer, sein Gegenbild in jeder Beziehung: Honore de Balzac, ein Schriftsteller von der denkbar größten Fruchtbarkeit, ein Darsteller der Wirklichkeit in ihren kleinsten Einzelheiten. Er kannte alle Strömungen und Kräfte des gesellschaftlichen Lebens und setzte sich zum Ziele, sie allseitig, genau und mit der Ruhe des Naturforschers zu schildern. Er wollte, daß sich seine Werke zu einer großen «menschlichen Komödie» zusammenschließen, die das menschliche Treiben und Denken seiner Zeit widerspiegelt. An der vollendeten künstlerischen Form lag ihm wenig; er griff jeden charakteristischen Zug auf und stellte ihn dar. Das unterscheidet ihn von seinen Zeitgenossen. Sein auf das Wirkliche gerichteter Sinn brachte Werke wie «Scenes de la vie parisienne», «Scenes de la vie de province» hervor. Er gab sich nirgends Illusionen über die Beweggründe hin, aus denen die Menschen handeln. Er spürte dem Eigennutz nach, um ihn in den verborgensten Schlupfwinkeln zu finden. Lange Zeit hat Balzac mit den traurigsten Lebensverhältnissen zu kämpfen gehabt. Er hat dabei alle möglichen Widerwärtigkeiten kennengelernt und seine Begabung ganz in den Dienst des literarischen Erwerbes stellen müssen. Seit 1822 schrieb er große Romane, die er selbst für Machwerke hielt. 1831 trat er mit dem Werke «La Peau de Chagrin» hervor, in dem er sich als Künstler zeigte, der die verschiedensten Zustände und Personen der Gesellschaft in ihrem gegenseitigen Verhältnisse zu zeichnen weiß. Über die Gesellschaftsschichten, in denen er selbst lebte, reichte allerdings sein Verständnis nicht hinaus. Deshalb erscheinen

die ländlichen Charaktere, die er in «Les paysans» schildert, durchaus unwahr.

In bezug auf die kühle, naturwissenschaftliche Erfassung der Dinge verwandt mit Balzac ist Prosper Merimee. Ihn interessierten die Dinge nur insofern, als sich ihnen künstlerisch etwas abgewinnen läßt. Er strebte nach einer Einfachheit und Ruhe der Darstellung, die oft den Eindruck des Gesuchten macht. Seine Novellen «Mosaique» (1833), «Contes et nouvelles» (1846), «Nouvelles» (1852) zeigen einen vornehmen Künstler, weniger aber einen warm empfindenden Menschen. Das Leben hat für Merimee etwas, das sich gleich den Naturvorgängen mit einer gewissen Notwendigkeit abspielt; so schilderte er in der Novelle «Carmen» - der Quelle zu Bizets berühmter Oper — einen Menschen, der mit einer Gewalt zum Mörder wird, mit der eine Kugel fortrollt, die auf einer schiefen Ebene sich befindet. Die deutschen Romantiker wollten durch die Kunst sich ein eigenes, höheres Leben begründen, das nichts mit der Alltäglichkeit zu tun hat. Derselbe Zug ist bei Merimee vorhanden. Das geht bei ihm so weit, daß er, der auch wissenschaftlich, als Geschichtsschreiber, tätig war, auf diesem Gebiete einen ganz anderen Geist zeigt. Da wird er trocken, pedantisch, ganz Beschreiber des Tatsächlichen. So wenig soll das gewöhnliche Leben mit der Kunst zu tun haben, daß er beide in seinem eigenen Schaffen ganz voneinander scheidet. Noch entschiedener auf diesem Standpunkt stand Theophile Gautier; Hugos begeistertster Anhänger, der es mit seinem romantischen Sinn so weit trieb, daß er in den abenteuerlichsten Trachten herumging. Bei ihm ward der Satz «Die Kunst um der Kunst willen» zum Glaubensbekenntnis. Sein Buch «Mademoiselle de Maupin» (1836)

ist der Ausfluß dieser Auffassung, die nur eine Göttin, die Schönheit, kennt. Er war ein künstlerischer Genußmensch; das Nützliche, die Zwecke des Tageslebens haßte er förmlich; seine Phantasie schwelgte in sinnlichen Bildern und Farben. Der Roman «Le Capitaine Fracasse» wirkt plastisch wie ein Saal, in dem Werke der Bildhauerkunst aufgestellt sind.

Von Hugoschen Anschauungen gingen auch Casimir Delavigne und Alexandre Dumas aus, beide aber verflachten bald und lebten nicht künstlerischen Idealen nach, sondern kamen einem ungebildeten Geschmack entgegen. Delavigne war Meister in der Behandlung des Verses und geistreicher Dramendichter («Vepres siciliennes», «Marino Faliero» und andere), Dumas schrieb zahlreiche Romane, die dem Lesebedürfnis der Menge willkommenen Stoff boten. Auf einer noch tieferen Stufe steht Eugene Sue, welcher der Sensationslust diente und auf diesem Wege («Les Mysteres du Peuple») einer der meistgelesenen Schriftsteller wurde.

Wie in Deutschland die Romantik den kritischen Sinn zu einer hohen Vollendung brachte, so auch in Frankreich, das in Charles Sainte-Beuve einen Geist allerersten Ranges auf diesem Gebiete hervorbrachte. Er wirkte reformatorisch, indem er die Werke aus den Bedingungen ihres Entstehens, aus der Individualität ihres Schöpfers heraus begreiflich machte. Sein 1827-28 erschienenes «Tableau de la poesie francaise et du theatre francais au XVIe siede» war bahnbrechend für die moderne kritische Betrachtungsweise. In dieser Richtung bildete er die «zehnte Muse», wie er die Kritik nannte, immer mehr aus. Auf die französische Philosophie in dieser Zeit hatte die gleichzeitige deutsche einen

wesentlichen Einfluß. Victor Cousin machte in den Jahren 1817 und 1818 eine Reise durch Deutschland und trat zu Hegel in ein freundschaftliches Verhältnis. Er verpflanzte dessen Ansichten nach Frankreich.

Auch nach England wirkte der deutsche Geist hinüber. Thomas Carlyle, der sich mit tiefem Verständnis in die Werke Goethes und Schillers einlebte, wurde hier der Vermittler. Er ist eine idealistisch veranlagte Persönlichkeit, mit einem Hang, überall in der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit die Gipfelpunkte herauszuheben. Das führte ihn zu einer Art Vergötterung heroischer Persönlichkeiten. Die großen Individuen sind ihm die Träger des Kulturfortschrittes. Was in den Massen gärt, kommt für ihn weniger in Betracht. Die bevorzugten Geister will er verstehen und ihren Einfluß in der Geschichte kennzeichnen. Für das Verständnis der deutschen Gedankenwelt und Kunst hat er in England in der fruchtbringendsten Weise gewirkt. Er hat das Leben Schillers beschrieben und Goethes Wilhelm Meister übersetzt. Der Idealismus Carlyles ist der eine Grundzug, der durch Englands geistige Entwickelung in dieser Zeit geht. Der andere ist eine nüchterne, unpoetische Anschauung des Lebens, ein Nützlichkeitsstandpunkt. Zwischen beiden unsicher hin und her schwankte Edward George Lytton-Bulwer, der sich in seinen zahlreichen Romanen als Erzähler von großer Fähigkeit in der Charakteristik und in der Komposition der Handlungen erweist. Das Fesselnde seiner Darstellungsweise hat allerdings mehr in einem klug berechnenden Verstände als in einer fruchtbaren, gestaltenschaffenden Phantasie seinen Ursprung. Dennoch fanden seine Werke einen großen Leserkreis. Alle charakteristischen Eigentum-

lichkeiten des englischen Geistes in dieser Zeit vereinigt aber der wirksamste Erzähler dieser Epoche, Charles Dickensy der wie wenige es verstanden hat, aus der Volksseele heraus zu schaffen. Das wurde in weitesten Kreisen gleich bei seinem Auftreten verstanden. Seine «Sketches of London» (1836) und noch mehr die «Pickwick Papers» (1837) machten ihn zum volkstümlichen Schriftsteller. Die traulichen Vorgänge im Familienkreise, die alltäglichsten Vorgänge, die einfachsten Empfindungen und Leidenschaften wußte er in der anmutigsten Weise zu zeichnen. Die Sitten des Volkes, sein Denken und Fühlen belauschte er mit den feinsten Sinnen und stellte sie mit der größten Anschaulichkeit, mit unwiderstehlicher Liebenswürdigkeit, mit sinnigem Humor dar. Er ging an nichts vorüber, was das Kind des Volkes bewegt. Der Aberglaube, die natürliche Klugheit, der derbe Sinn, alles findet den berechtigten Platz in seinen Werken. «David Copperfield», «Little Dorrit», seine Weihnachts-bücher, besonders das spannende «A Christmas carol», gehören zu den gelesensten Schriften der Weltliteratur.

Die moralisierende Tendenz, die bei Dickens stark ausgeprägt ist, findet sich auch bei William Makepeace Thacke-ray. Ihm fehlte allerdings die Gemütsinnigkeit des ersteren. Dieser sprach zum Herzen und wirkte dadurch auf den sittlichen Sinn ein, ohne daß er unmittelbar Moral predigen wollte; Thackerays Bedeutung liegt in der Satire, mit der er Sitten und Verhältnisse geißelt. Schneidende Schärfe und Humor bestimmen die Physiognomie seiner in viele europäische Sprachen übersetzten Werke. Hinsichtlich des künstlerischen Verstandes verwandt mit ihm ist der Politiker Benjamin Disraeli, dem allerdings der anziehende Humor fehlt. Auch die Unzufriedenheit mit den Zuständen

der Zeit hat in England ihre Diditer gefunden, und zwar in


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