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"In den Hochlanden", sagt Somers 1848, "sind die Waldungen sehr ausgedehnt worden. Hier auf der ei-
nen Seite von Gaick habt ihr den neuen Wald von Glenfeshie und dort auf der andren Seite den neuen
Wald von Ardverikie. In derselben Linie habt ihr den Bleak-Mount, eine ungeheure Wüste, neulich er-
richtet. Von Ost zu West, von der Nachbarschaft von Aberdeen bis zu den Klippen von Oban, habt ihr
jetzt eine fortlaufende Waldlinie, während sich in andren Teilen der Hochlande die neuen Wälder von
Loch Archaig, Glengarry, Glenmoriston etc. befinden ... Die Verwandlung ihres Landes in Schafweide ...
trieb die Gaelen auf unfruchtbarern Boden. Jetzt fängt Rotwild an, das Schaf zu ersetzen, und treibt jene
in noch zermalmenderes Elend ... Die Wildwaldungen und das Volk können nicht nebeneinander existie-
ren. Eins oder das andre muß jedenfalls den Platz räumen. Laßt die Jagden in Zahl und Umfang im näch-
sten Vierteljahrhundert wachsen wie im vergangenen, und ihr werdet keinen Gaelen mehr auf seiner hei-
mischen Erde finden. Diese Bewegung unter den Hochlands-Eigentümern ist teils der Mode geschuldet,
aristokratischem Kitzel, Jagdliebhaberei usw., teils aber betreiben sie den Wildhandel ausschließlich mit
einem Auge auf den Profit. Denn es ist Tatsache, daß ein Stuck Bergland, in Jagdung angelegt, in vielen
Fällen ungleich profitabler ist denn als Schaftrift ... Der Liebhaber, der ein Jagdrevier sucht, beschränkt
sein Angebot nur durch die Weite seiner Börse ... Leiden sind über die <760> Hochlande verhängt wor-
den nicht minder grausam, als die Politik normännischer Könige sie über England verhing. Rotwild hat
freieren Spielraum erhalten, während die Menschen in engen und engem Zirkel gehetzt wurden ... Eine
Freiheit des Volks nach der andren ward ihm geraubt ... Und die Unterdrückung wächst noch täglich.
Lichtung und Vertreibung des Volks werden von den Eigentümern als festes Prinzip verfolgt, als eine
agrikole Notwendigkeit, ganz wie Bäume und Gesträuch in den Wildnissen Amerikas und Australiens
weggefegt werden, und die Operation geht ihren ruhigen, geschäftsmäßigen Gang."
Der Raub der Kirchengüter, die fraudulente Veräußerung der Staatsdomänen, der Diebstahl des Gemein-
deeigentums, die usurpatorische und mit rücksichtslosem Terrorismus vollzogne Verwandlung von feu-
dalem und Claneigentum in modernes Privateigentum, es waren ebenso viele <761> idyllische Methoden
der ursprünglichen Akkumulation. Sie eroberten das Feld für die kapitalistische Agrikultur, einverleibten
den Grund und Boden dem Kapital und schufen der städtischen Industrie die nötige Zufuhr von vogelfrei-
em Proletariat.
3. Blutgesetzgebung gegen die Expropriierten
seit Ende des 15. Jahrhunderts.
Gesetze zur Herabdrückung des Arbeitslohns
Die durch Auflösung der feudalen Gefolgschaften und durch stoßweise, gewaltsame Expropriation von
Grund und Boden Verjagten, dies vogelfreie Proletariat konnte unmöglich ebenso rasch von der aufkom-
menden Manufaktur absorbiert werden, als es auf die Welt gesetzt ward. Andrer- <762> seits konnten die
plötzlich aus ihrer gewohnten Lebensbahn Herausgeschleuderten sich nicht ebenso plötzlich in die Diszi-
plin des neuen Zustandes finden. Sie verwandelten sich massenhaft in Bettler, Räuber, Vagabunden, zum
Teil aus Neigung, in den meisten Fällen durch den Zwang der Umstände. Ende des 15. und während des
ganzen 16. Jahrhunderts daher in ganz Westeuropa eine Blutgesetzgebung wider Vagabundage. Die Väter
der jetzigen Arbeiterklasse wurden zunächst gezüchtigt für die ihnen angetane Verwandlung in Vagabun-
den und Paupers. Die Gesetzgebung behandelte sie als "freiwillige" Verbrecher und unterstellte, daß es
von ihrem guten Willen abhänge, in den nicht mehr existierenden alten Verhältnissen fortzuarbeiten.
In England begann jene Gesetzgebung unter Heinrich VII.
Heinrich VIII., 1530: Alte und arbeitsunfähige Bettler erhalten eine Bettellizenz. Dagegen Auspeitschung
und Einsperrung für handfeste Vagabunden. Sie sollen an einen Karren hinten angebunden und gegeißelt
werden, bis das Blut von ihrem Körper strömt, dann einen Eid schwören, zu ihrem Geburtsplatz oder
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dorthin, wo sie die letzten drei Jahre gewohnt, zurückzukehren und "sich an die Arbeit zu setzen" (to put
himself to labour). Welche grausame Ironie! 27 Heinrich VIII.
Heinrichs VIII. Die bei den folgenden Angaben an zweiter Stelle gegebenen Ziffern sind die Nummern
der in dem betreffenden Regierungsjahr erlassenen Gesetze> wird das vorige <763> Statut wiederholt,
aber durch neue Zusätze verschärft. Bei zweiter Ertappung auf Vagabundage soll die Auspeitschung wie-
derholt und das halbe Ohr abgeschnitten, bei drittem Rückfall aber der Betroffne als schwerer Verbrecher
und Feind des Gemeinwesens hingerichtet werden.
Edward VI.: Ein Statut aus seinem ersten Regierungsjahr, 1547, verordnet, daß, wenn jemand zu arbeiten
weigert, soll er als Sklave der Person zugeurteilt werden, die ihn als Müßiggänger denunziert hat. Der
Meister soll seinen Sklaven mit Brot und Wasser nähren, schwachem Getränk und solchen Fleischabfäl-
len, wie ihm passend dünkt. Er hat das Recht, ihn zu jeder auch noch so eklen Arbeit durch Auspeit-
schung und Ankettung zu treiben. Wenn sich der Sklave für 14 Tage entfernt, ist er zur Sklaverei auf Le-
benszeit verurteilt und soll auf Stirn oder Backen mit dem Buchstaben S gebrandmarkt, wenn er zum
drittenmal fortläuft, als Staatsverräter hingerichtet werden. Der Meister kann ihn verkaufen, vermachen,
als Sklaven ausdingen, ganz wie andres bewegliches Gut und Vieh. Unternehmen die Sklaven etwas ge-
gen die Herrschaft, so sollen sie ebenfalls hingerichtet werden. Friedensrichter sollen auf Information den
Kerls nachspüren. Findet sich, daß ein Herumstreicher drei Tage gelungert hat, so soll er nach seinem
Geburtsort gebracht, mit rotglühendem Eisen auf die Brust mit dem Zeichen V gebrandmarkt, und dort in
Ketten auf der Straße oder zu sonstigen Diensten verwandt werden. Gibt der Vagabund einen falschen
Geburtsort an, so soll er zur Strafe der lebenslängliche Sklave dieses Orts, der Einwohner oder Korporati-
on sein und mit S gebrandmarkt werden. Alle Personen haben das Recht, den Vagabunden ihre Kinder
wegzunehmen und als Lehrlinge, Jungen bis zum 24. Jahr, Mädchen bis zum 20. Jahr, zu halten. Laufen
sie weg, so sollen sie bis zu diesem Alter die Sklaven der Lehrmeister sein, die sie in Ketten legen, ge i-
ßeln etc. können, wie sie wollen. Jeder Meister darf einen eisernen Ring um Hals, Arme oder Beine seines
Sklaven legen, damit er ihn besser kennt und seiner sicherer ist. Der letzte Teil dieses Status sieht vor, daß
gewisse Arme von dem Ort oder den Individuen beschäftigt werden sollen, die ihnen zu essen und zu
trinken geben und Arbeit für sie finden wollen. Diese Sorte Pfarreisklaven hat sich bis tief ins 19. Jahr-
hundert in England erhalten unter dem Namen roundsmen (Umgeher).
<764> Elisabeth, 1572: Bettler ohne Lizenz und über 14 Jahre alt sollen hart gepeitscht und am linken
Ohrlappen gebrandmarkt werden, falls sie keiner für zwei Jahre in Dienst nehmen will; im Wiederho-
lungsfall, wenn über 18 Jahre alt, sollen sie – hingerichtet werden, falls sie niemand für zwei Jahre in
Dienst nehmen will, bei dritter Rezidive aber ohne Gnade als Staatsverräter hingerichtet werden. Ähnli-
che Statute: 18 Elisabeth c. 13 und 1597.
Jakob 1.: Eine herumwandernde und bettelnde Person wird für einen Landstreicher und Vagabunden er-
klärt. Die Friedensrichter in den Petty Sessions sind bevollmächtigt, sie öffentlich auspeitschen zu lassen
und bei erster Ertappung 6 Monate, bei zweiter 2 Jahre ins Gefängnis zu sper- <765> ren. Während des
Gefängnisses soll sie so oft und soviel gepeitscht werden, als die Friedensrichter für gut halten ... Die
unverbesserlichen und gefährlichen Landstreicher sollen auf der linken Schulter mit R gebrandmarkt und
an die Zwangsarbeit gesetzt, und wenn man sie wieder auf dem Bettel ertappt, ohne Gnade hingerichtet
werden. Diese Anordnungen, gesetzlich bis in die erste Zeit des 18. Jahrhunderts, wurden erst aufgehoben
durch 12 Anna c. 23.
Ähnliche Gesetze in Frankreich, wo sich Mitte des 17. Jahrhunderts ein Vagabundenkönigreich (royaume
des truands) zu Paris etabliert hatte. Noch in der ersten Zeit Ludwigs XVI. (Ordonnanz vom 13. Juli
1777) sollte jeder gesund gebaute Mensch vom 16. bis 60. Jahr, wenn ohne Existenzmittel und Ausübung
einer Profession, auf die Galeeren geschickt werden. Ähnlich das Statut Karls V. für die Niederlande vom
Oktober 1537, das erste Edikt der Staaten und Städte von Holland vom 19. März 1614, das Plakat der
Vereinigten Provinzen vom 25. Juni 1649 usw.