Osteuropa-institut



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OSTEUROPA-INSTITUT MÜNCHEN  Mitteilung Nr. 56
Kopeken pro Monat und wurde zum Zukauf von Zucker, Tee, Butter, Fischen, Tabak, 
Streichhölzern, Papier, Stiften und ähnlichem verwendet, also auch für die individuelle 
Essensaufbesserung. Ausgaben für Post und Telegramme gingen in der Regel zu Lasten 
der Kommune.
358
 Diese individuellen Ausschüttungen machten nur einen Teil – nämlich 
ein Drittel – der Gesamtsumme aus, die den Häftlingen (zu Kons und Deutschs Zeiten) 
zustand. Die Kommune verwendete die anderen zwei Drittel zum einen zur Aufbesse­
rung des allgemeinen Essens, indem etwa Fleisch für alle zugekauft wurde, und zum an­
dern zur Unterstützung freigelassener Genossen sowie für allgemeine Aufwendungen 
zugunsten der Gemeinschaft.
359
 
Nach welchen Regeln die Kommunen funktionierten, hing nicht allein von den Ge­
fangenen ab, sondern auch vom Rahmen dessen, was die Gefängnisleitung zuließ. Die 
Auflösung des politischen Gefängnisses in Nižnjaja Kara mit seiner Sonderstellung ge­
genüber   der   allgemeinen   (also   „kriminellen“)   Katorga   und   der   neue   Grundsatz   der 
Gleichbehandlung krimineller und politischer Häftlinge ab 1890 hatte auch für die Ver­
pflegung Konsequenzen. Im „Mustergefängnis“ Akatuj, wo die neue Ordnung umge­
setzt werden sollte und „Politische“ und Kriminelle daher in gemischten Zellen lebten, 
war geregelt, welche Grundnahrungsmittel zugekauft werden durften.
360
  Eine individu­
elle Essensaufbesserung nach dem bei Deutsch erwähnten Muster (etwa durch Fische, 
Butter und ähnliches) war nicht mehr möglich; hingegen spendeten die (gegenüber den 
Kriminellen zumeist wohlhabenderen) „Politischen“ gelegentlich Sonderrationen für das 
ganze Gefängnis – beispielsweise eine besonders schmackhafte Hammelfleischsuppe 
oder Fleisch- oder Beerenpiroggen.
361
  Diese Großzügigkeit zum Wohle der gesamten 
Katorga-Gesellschaft war erlaubt, bedeutete im Verhältnis zu den kriminellen Mitgefan­
genen jedoch eine stete Gratwanderung und führte zuweilen zu Friktionen, weil sich die 
Kriminellen dadurch von den politischen Leidensgenossen „gekauft“ fühlten und ihnen 
mit Misstrauen, bisweilen gar Hass gegenübertraten.
362
 
4.2.1. Suppe und Brot: Essen in der Katorga
Die Nahrung in den Katorga-Gefängnissen war, über die gesamte behandelte Zeit be­
trachtet, zumeist eintönig, unausgewogen, wegen Mangels an Frischprodukten ungesund 
358 K
ON
 Pod znamenem, S. 268, und D
EUTSCH
 Sechzehn Jahre, S. 208. Der Geldbetrag blieb „virtuell“, 
d. h. jeder Häftling besaß ein „Konto“ beim Kommandanten und konnte darüber die Sachwerte bezie­
hen, vgl. D
EUTSCH
 Sechzehn Jahre, S. 209; ebd. gibt Deutsch auch an, während seiner Zeit habe die 
monatliche individuelle Ausschüttung nie mehr als einen Rubel (100 Kopeken) betragen.
359 D
EUTSCH
 Sechzehn Jahre, S. 208. Deutsch bemerkt, dass die Beträge stets gering und zugleich die Le­
bensmittel wegen den Transportwegen in Sibirien bedeutend teurer gewesen seien als im europäischen 
Russland, vgl. ebd., S. 209.
360 Das Reglement ist im Beitrag von F
OMIN
 Katorga, S. 20–24, in Auszügen abgedruckt; hier bes. S. 23 
zur Verwendung privater Geldmittel.
361 F
REJFEL

D
 Iz prošlogo, S. 79. Er betont die „österliche Stimmung“, die sich an solch wohligen Nach­
mittagen im Gefängnis ausgebreitet habe, wenn Tee getrunken wurde und feine Brötchen verspeist 
wurden. Wohlhabender waren die „Politischen“ deshalb, weil sie oft von zu Hause unterstützt wurden
was bei kaum einem Kriminellen der Fall war.
362 F
REJFEL

D
 Iz prošlogo (okončanie), S. 97, und die literarisierte Umsetzung desselben Sachverhalts bei 
M
ELSCHIN
 Im Lande 2, S. 136f. Weitere Ausführungen zum schwierigen Verhältnis zwischen den bei­
den Häftlingsgruppen im Abschnitt „‚Politische‘ und Kriminelle“ in diesem Kapitel (S. 95).
76


4.2. Die Katorga-Gesellschaft: In der Kommune der „Politischen“
und   in   Qualität   und   Quantität   eher   dürftig.   Grundnahrungsmittel   war   Roggen-   und 
Schwarzbrot, das in ausreichender Menge zur Verfügung stand – wenn es auch, wie Kon 
bemerkt, oft zu wenig gebacken war
363
 –, sowie Gerstenbrei (kaša) oder Brühe aus wech­
selnden Produkten (Kohl, Fleisch oder Fleischresten). Letztere, im Gefängnisjargon ba­
landa genannt, war nicht selten auch mit Ungeziefer wie Wanzen (klopy), Asseln (mo­
kricy) oder Kakerlaken durchsetzt.
364
 Dem politischen Gefängnis an der Kara, das Mitte 
der 1880er Jahre, wie erwähnt, überbelegt war, eilte schon in den Etappengefängnissen 
der Ruf voraus, nur magere Kost aufzutischen. Die Versorgungslage war schlecht, und 
dem Gefängnis fehlte es an Mitteln; Ausschüttungen an die Häftlinge zur Essensaufbes­
serung sollen zuweilen auch unterschlagen worden sein.
365
 A. Pribyleva, die damals an 
der Kara einsaß, schreibt, dass das Frauengefängnis den Männern materielle Hilfe gebo­
ten habe, weil diese Hunger gelitten hätten.
366
 Auch Kon und Deutsch stimmen grund­
sätzlich in diesen Tenor ein; viele seien nach dem Essen weiterhin hungrig gewesen, zu­
mal das mit der Brühe mittags gekochte Fleisch erst abends in eine Mahlzeit verarbeitet 
worden sei. Wenigstens gab es stets genügend Brot für alle.
367
 Gleichzeitig aber erstaunt 
Deutsch mit seiner Schilderung der Wochenend- und Festtagsmahlzeiten, die das Bild 
vom hungrigen Häftling relativiert. Für den Samstag sparten die Köche (die sich im Tur­
nus aus der Gemeinschaft rekrutierten) unter der Woche Fleisch auf, um jedem eine 
große, fleisch- und reisgefüllte Teigtasche (pirog)  zubereiten zu können, die manchen 
auch noch am Sonntag zu essen gab. Leo Deutsch hält aber fest: „Nur an den großen 
Festtagen aßen wir uns satt.“ Dann wurden Koteletts, Braten und Weißbrot aufgetra­
gen.
368
 Trotz der gelegentlichen Ausschweifungen fehlten auf dem Speisezettel vor allem 
die Frischprodukte und damit die Vitamine; das führte zu Krankheitsfällen, namentlich 
zu Skorbut. Auch bei Deutsch wurde Skorbut diagnostiziert, worauf er während einiger 
Zeit täglich ein mit viel Knoblauch gekochtes Kotelett als Krankenkost bekam.
369
 Zeit­
363 K
ON
 Pod znamenem, S. 273. Orlov, Ob Akatue, S. 110, lobt hingegen das Brot ausdrücklich (1890er 
Jahre).
364 Orlov, Ob Akatue, S. 110, zu den Kakerlaken in der Kohlsuppe (šči). Vgl. M
OŠKINA
 Katorga, S. 36f., 
und K
ACZYNSKA
 Gefängnis, S. 100. Während Moškina die ungenügende Kost erwähnt, schreibt K
AC
­
ZYNSKA
, das Essen in den sibirischen Gefängnissen sei zwar eintönig gewesen, habe aber verhältnismä­
ßig reichlich zur Verfügung gestanden. Die balanda wurde auch im Gulag zum Synonym für die La­
gerkost. A
PPLEBAUM
  Gulag, S. 206, schreibt über das „Symbol  balanda“: „The vast Gulag literature 
contains many varied descriptions of camps, and reflects the experience of a wide range of per­
sonalities. But one aspect of camp life remains consistent from camp to camp, from year to year, from 
memoir to memoir: the description of the balanda, the soup that prisoners were served once or some­
times twice a day.“ – Die Voraussetzungen für die Verpflegung und diese selbst lassen sich allerdings
auch hier, nicht unbesehen mit der Katorga vergleichen.
365 M
OŠKINA
 Katorga, S. 37.
366 P
RIBYLEVA
 Moi vospominanija, S. 148.
367 K
ON
 Pod znamenem, S. 273, und D
EUTSCH
 Sechzehn Jahre, S. 212f. Nicht alle, so Deutsch, hätten aber 
so viel Brot essen wollen oder essen können.
368 D
EUTSCH
 Sechzehn Jahre, S. 212f. (Zitat 213). Für die Festtage wurden sowohl die individuellen Zu­
schüsse als auch das Essensbudget überhaupt erhöht.
369 D
EUTSCH
 Sechzehn Jahre, S. 230. Vgl. auch K
ON
 Pod znamenem, S. 273, der ergänzt, der Arzt – bzw. 
ein medizinisch ausgebildeten Mitgefangener – habe wenig gegen den Skorbut ausrichten können. 
Deutsch genas allerdings.
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