Kostenfreier Abdrucktext
Die folgende Geschichte ist dem Buch Frauen an der Heimatfront -
Zeitgut Band 26 entnommen.
Den Text stellen wir zum kostenfreien Abdruck zu Verfügung.
Als Gegenleistung erwarten wir lediglich die Veröffentlichung der
nachstehenden bibliographischen Daten mit einem kleinen Buchcover von
mindestens 30 mm Breite. Zudem bitten wir um ein Belegexemplar.
Herzlichen Dank!
Frauen an der Heimatfront
Erinnerungen 1939-1945
36 Geschichten und Berichte von Zeitzeuginnen.
320 Seiten mit vielen Abbildungen, Chronologie,
Ortsregister, Zeitgut Verlag, Berlin.
Gebundene Ausgabe
ISBN 978-3-86614-206-0, Euro 13,90
Taschenbuch-Ausgabe
ISBN 978-3-86614-208-4, Euro 10,90
Wir bedanken uns für die Zusammenarbeit und stehen Ihnen gern für
Rückfragen bereit.
Mit freundlichen Grüßen
Daniel Schlie
Öffentlichkeitsarbeit
Zeitgut Verlag GmbH
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Daniel Schlie
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12107 Berlin
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Gertrud Walther: Laufgräben schaufeln in Hinterpommern
[Ahlbeck/Usedom, Vorpommern –
Freudenfier, Kreis Deutsch-Krone*),
Hinterpommern;
August/September 1944]
Gertrud Walther
Laufgräben schaufeln in Hinterpommern
Bei einem Urlaubsaufenthalt in Kolberg begleitete uns ein pol-
nischer Reiseleiter, der fast akzentfrei deutsch sprach. Seine
Ausführungen waren sehr wahrheitsgetreu. Er schilderte die
Vergangenheit so, wie sie sich zugetragen hat, unter anderem
auch den Bau des Ostwalls. Die Polen nennen ihn Pommern-
wall. Während einer Unterhaltung erzählte ich, daß auch ich
damals dort schaufeln mußte. Nachdem er mich eine ganze
Weile angesehen hatte, war seine Reaktion: „Da waren Sie doch
noch ein Kind!“
Ja, so war es wirklich, ich war gerade erst 15 Jahre alt
und lebte in Ahlbeck auf der Insel Usedom. Im Krieg eine
Lehrstelle zu bekommen, war äußerst schwierig, aber bei
der Eisenwarenhandlung Langhoff in Swinemünde klappte
es. Kindergärtnerin wollte ich eigentlich werden, das war
aber leider eine Wunschvorstellung. Die einzige Ausbildungs-
stätte befand sich in Greifswald. Die Entfernung, die Bom-
benangriffe, die Ernährungslage, Zugverspätungen und noch
viele andere Gründe waren ausschlaggebend, daß sich die-
ser Traum zerschlug.
Sehr überraschend kam eines Tages ein Befehl der Swine-
münder Stadtkommandantur ins Haus geflattert, sich für
*) heute Szwecja bei Wa³cz
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Gertrud Walther: Laufgräben schaufeln in Hinterpommern
einen Einsatz in Hinterpommern bereitzuhalten. Einige Tage
später ging es dann mit der Bahn in Richtung Schneidemühl.
So kam ich mit vielen meiner ehemaligen Klassenkameradin-
nen nach Freudenfier.
Sehr freundlich begrüßte uns unsere Quartiermutter. So
nanntenwir sie immer liebevoll, denn wir hätten ihre Kinder
sein können. In ihrem schönen Haus mit einer Fleischerei,
die allerdings nicht mehr geöffnet hatte, weil der Meister ein-
gezogen worden war, waren wir acht Mädchen aus Ahlbeck
vom 1. August 1944 an untergebracht: In einem hellen Zim-
mer war der Fußboden dick mit Stroh ausgelegt, das war un-
sere Schlafstelle. Einen Schrank gab es nicht, dafür Holzlei-
sten mit reichlich Haken. Wir besaßen ja nicht viel Kleidung,
es genügte. In den unteren Räumen war für eine Waschgele-
genheit gesorgt. Im Kessel, in dem sonst die Wurst gebrüht
wurde, konnten wir uns Badewasser bereiten. Von der großen
Holzmiete auf dem Hof durften wir nehmen, was benötigt wur-
de. Unsere Wirtin sagte immer: „Nehmt, nehmt nur! Wer weiß,
wie noch alles kommt ...“ Sie sah dann immer sehr traurig
aus.
Auch unter den anderen Ortsansässigen war stets etwas
von Traurigkeit und Ungewißheit zu spüren. Kein Wunder in
diesem Kriegsjahr 1944.
Der kleine Ort war vollgestopft mit Arbeitskräften. Jun-
ge, fast noch Kinder, aber auch viele alte Männer, vom so-
genannten Volkssturm. In Scheunen, Dachböden, Kellern
und Wohngebäuden hatten sie Unterschlupf gefunden.
Am zweiten Tag unserer Ankunft mußten wir zum Appell
antreten. Hier wurde uns klargemacht, wie wichtig unser Ein-
satz sei. Vor allem sollten wir fleißig und diszipliniert sein.
Unsere sogenannten Vorgesetzten waren durch Kriegsverlet-
zungen nicht mehr fronttaugliche Unteroffiziere der Marine.
Ein langer Marsch zu unserem Arbeitsabschnitt stand uns
bevor, vorbei an großen Blumen-, Weiß- und Rotkohlfeldern,
durch Wiesen und Wälder, bis wir an einen ungeheuer breiten
Wall kamen: ein Panzergraben. Der sollte die russischen Pan-
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Gertrud Walther: Laufgräben schaufeln in Hinterpommern
zer aufhalten. Gestaffelt in drei unterschiedlichen Höhen mußte
hier geschaufelt werden, um das Hindernis noch unüberwind-
licher zu machen. Es gab keinerlei Technik, alles erfolgte per
Hand. Diese Arbeit führten Männer aus, die unsere bestand
darin, Laufgräben auszuheben. Auf einer genau abgemessenen
Strecke ging es mit einem Spaten ans Werk. Diese Distanz war
als Pensum festgelegt, das wir zu schaffen hatten, ganz gleich,
welches Wetter herrschte. Ob starker Regen oder Sturm, nichts
berechtigte zu einer Pause. Die Arbeit wurde immer kontrol-
liert, erst wenn wir unser Soll gut erfüllt hatten, durften wir
den Graben verlassen. Da war gegenseitige Hilfe ganz wichtig,
nur so war die Arbeit erträglich.
Sträucher und Wurzeln erschwerten den Ablauf sehr. Der
Spaten war schwer und der Griff für unsere Hände viel zu
groß. Es bildeten sich schnell Blasen, die große Schmerzen
verursachten. Sand und Staub taten das Übrige. Die Sanitä-
ter tupften Jod auf die blutenden Stellen, und weiter ging es.
Verbandszeug war knapp, das wurde ja an anderen Stellen
noch viel nötiger gebraucht!
Wir bekamen eine einzige kleine Mullbinde für die ganze
Zeit. Unsere Wirtin sah, wie es uns ging. Sie opferte Laken,
riß schmale Streifen ab, damit umwickelten wir unsere Hän-
de. Den Tip, mit Eigenurin die Handflächen einzureiben, be-
folgten wir auch. Es brannte fürchterlich, aber es half.
Den ganzen Tag an der frischen Luft und immer schwer
arbeiten, das machte hungrig. Morgens vor Arbeitsbeginn
ging es zur Verpflegungsstelle. Eine dicke Scheibe Brot, fünf-
zig Gramm Butter, etwas Wurst oder Käse – das war die Kalt-
verpflegung für den ganzen Tag. Erst am späten Nachmit-
tag bekamen wir etwas Warmes zu essen. Im großen Saal
der Gaststätte nahmen wir unsere Mahlzeit ein. Das war
immer ein Eintopf: Möhren – Weißkohl – Kohlrüben – Erb-
sen, in dieser Reihenfolge. In den Wäldern gab es reichlich
Wild, und so war die Fleischversorgung gesichert. Alles wur-
de nur mit Hirsch- oder Wildschweinfleisch zubereitet.
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Gertrud Walther: Laufgräben schaufeln in Hinterpommern
Abends auf dem Heimweg versuchten wir, ganz am Schluß
unserer Kolonne zu gehen. Aber nur dort, wo ein Kohlfeld
in der Nähe war. Mit dem triftigen Grund, uns in die Bü-
sche schlagen zu müssen, gelang das immer. Schnell ein paar
Köpfe abgeschnitten, im Rucksack versteckt, und dann lie-
fen wir weiter. Abends haben wir dann rohe Kohlblätter
geknabbert. Hatten wir Blumenkohl erwischt, kochte ihn
die Wirtin für uns, zwar ohne Semmelbrösel, aber für uns
war es eine Delikatesse.
Mit der Zeit fiel uns die kräftezehrende Arbeit immer
schwerer und wir schafften das Arbeitstempo nicht mehr.
Daraufhin wurden wir beim Flechten eingesetzt. Ein Rah-
men aus vier langen Leisten, der zur Befestigung der Lauf-
gräben dienen sollte, mußte mit Kiefern-, Tannen-, Buchen-
und Weidenzweigen durchflochten werden. Diese Arbeit war
Diese Aufnahme zeigt
mich nach Beendigung
der Schule 1944.
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Gertrud Walther: Laufgräben schaufeln in Hinterpommern
auch nicht leicht. Wegen des unterschiedlichen Arbeitsma-
terials wurde aber wenigstens keine Norm festgelegt. Ohne
Handschuhe Zweige von Nadelbäumen biegen, da haben nicht
nur die Hände geschmerzt, das ging auch auf die Arme!
Die Verpflegungsstelle für Kaltproviant oblag einer Ar-
beitsmaid vom Reichsarbeitsdienst. Eines Tages sprach sie
mich an: „Du, kleine Blonde, hättest du nicht Lust, hier zu
arbeiten?“
Und ob ich Lust hatte, natürlich!
Sie regelte alles mit meinen Vorgesetzten und so konnte
ich nun den Spaten zur Seite legen. Dafür führte ich ein
scharfes Messer, um Brot, Butter, Wurst und Käse zu por-
tionieren und bei der Ausgabe zu helfen. In den großen
Kesseln blieben immer Reste. Der Küchenchef hatte nichts
dagegen, wenn ich sie auskratzte und damit mein Eimer-
chen füllte. Das war immer eine kleine Zusatzverpflegung
für meine Freundinnen, die ja nach wie vor schwer im Frei-
en arbeiten mußten. Sonntags gab es immer Grießpudding
mit Pflaumen. An diesem Tag brauchten wir nicht zu ar-
beiten, da schliefen wir fast den ganzen Tag.
Aus den Nachrichten wußten wir, daß die Front sich ver-
ändert hatte, und der schon hörbare Kanonendonner, zwar
noch in der Ferne, war beunruhigend. Was wird nun?, frag-
ten wir uns. Können wir denn nicht bald nach Hause?
In den letzten Septembertagen kam endlich die frohe Bot-
schaft: Wir durften heim!
Eine lange Bahnfahrt stand uns bevor, sehr oft standen wir
auf offener Strecke. Züge an die Front und Lazarettzüge in
die Heimat hatten Vorfahrt. Ich kann mich nicht mehr erin-
nern, wieviele Tage wir für unsere Heimkehr brauchten, aber
die Freude war natürlich groß, als wir endlich wieder heimat-
lichen Boden unter den Füßen hatten und unsere Angehöri-
gen in die Arme schließen konnten.
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