Zeugen des gegenwärtigen Gottes Band 071 Johann Georg Hamann Ein Prediger in der Wüste



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Nöten aber trat mehr und mehr ein körperliches, hämorrhoidalisches Leiden, das ihm die Tage zur Qual werden ließ und oft alle produktive Tätigkeit unmöglich machte. So schreibt er 1774 an Herder: „Mein Plan ist gewesen, diesen Sommer nicht die Feder anzusetjen und mit meinem Hänschen alle müßigen Stunden im Spazierengehen zu verbringen. Meine Gesundheit und besonders mein Kopf scheint mir durch ein verdicktes Blut schwer zu leiden. Ich lebe wie in der Wüste. Aller Umgang ist mir unausstehlich . .

Am Ende des Jahres teilt er mit, daß er seine Schulden zwar bis auf eine Kleinigkeit bezahlt habe, trotjdem aber so tief in Sorgen stecke, daß er sich nur dadurch zu retten wisse, daß er zu dem „Laienbruder-1 (Moser) seine Zuflucht nehme. — So groß wurde die Not, daß Hamann seinen liebsten Besitj, seine Bücher, zu verkaufen beschloß. Gut, daß er seinem Freunde Herder vorher davon Mitteilung machte. Er schickte ihm eine Summe Geldes und schrieb dazu: „Ihre Bücher müssen, sollen und dürfen Sie nicht verkaufen; denn sie sind die Freunde Ihrer Jugend.“ So wurde die Bibliothek gerettet, ein sorgenvolles Gemüt aber erfreut durch „ein angenehmes Opfer der Freundschaft und Liebe“ und zu neuem Vertrauen angespornt.

Das Jahr 1777 schien eine Erleichterung zu bringen. Der plötjliche Tod des bisherigen Königsberger Packhofverwalters brachte Hamann wider Erwarten auf den Posten, den er sich insgeheim längst gewünscht hatte. Ein herzliches Dankschreiben ging an den Berliner Freund, dessen Vermittlung ihm behilflich gewesen. „Mein gegenwärtiger Posten“, so schrieb er, „ist und bleibt das Non-plus-ultra und Ihnen aller Dank aufgehoben, und mit Gottes gnädiger Hilfe sol


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len Sie, bester Landsmann, noch ebensoviel Ehre und Genugtuung von Ihrer Vermittlung haben, als ich mir Ruhe und Zufriedenheit auf meine alten Tage von meinem lieblich gefallenen Lose verspreche. Der kümmerliche und wunderlich mühselige Anfang ist mir Bürge eines gründlichen und glücklichen Fortgangs.“

Trotj dieser großen Freude war das Glück nicht übermäßig. Es hatte eine scharfe Auseinanderse^ung gegeben mit der Behörde, die ihm, da der neue Dienst kein anstrengender war und Zeit und Kraft kaum ausfüllte, zumutete, daß er auch die bisherigen Pflichten beibehalte. „Es fielen Bitterkeiten und Drohungen von einem Teil vor und entschlossene Erklärung von meiner Seite. Dies war die le^te Ölung meines zehnjährigen Galeerendienstes.“ Ein heftiger Fieberanfall, der ihn drei Wochen aufs Krankenlager warf, war die Folge dieses Zusammenstoßes.

Am Schluß des schon erwähnten Dankschreibens an den Kapellmeister Reichert vom 23. November 1777 ist von höchst unerquicklichen Widerwärtigkeiten die Rede, die ihm die Witwe seines Vorgängers und dessen sonstige Angehörige bereiteten. Mit ganz ungerechtfertigten Forderungen wurde der arme Mann bedrängt; und obwohl er zu großem Entgegenkommen bereit war, kam die Sache schließlich zur Anzeige. Dabei hatten seine wirtschaftlichen Verhältnisse sich kaum wesentlich günstiger gestaltet. Das Einkommen war nicht gestiegen, nur daß Wohnung und Garten jetjt frei waren und der Anteil aus den sogenannten Fooi-Geldern eine Nebeneinnahme von rund 1000 Talern versprach. Bald wurden ihm auch diese Einkünfte genommen. Mißgeschick und Ungeschick in diesen äußeren Dingen traten auch darin zutage, daß er das mühselig erwor


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bene und instand gesetjte Häuschen am alten Graben mit beträchtlichen Verlusten wieder verkaufte. Ihm fehlte die überlegene Ruhe, die ein erfolgreiches Handeln allein hätte ermöglichen können.

So blieb er auch in der neuen Stellung in gedrückten Verhältnissen, und wenn er, wie wir hörten, das widerfahrene Glück mit den höchsten Worten pries, wenn er den Posten als das Ziel seiner Wünsche, als den lebten Hafen seines Lebens und als seine letjte zeitliche Bestimmung hinstellte, so stehen andere Äußerungen daneben, die über seine verzweifelte äußere und innere Lage beweglich Klage führen. So schrieb er bereits am 13. Oktober 1777 an Herder: „Sie können sich meine Gemütslage kaum denken. Ich bin nicht imstande, das Geringste zu schreiben . . . Nun bin ich tiefer als jemals in Untätigkeit versunken, die ich nicht zu überwinden imstande bin. Bei diesem aufsaugenden feigen Gram ist an keine Autorschaft zu denken . . . Amts- und Haussorgen und mein Leiden im Unterleib erlauben mir nicht einen Augenblick, mich zu sammeln und zu besinnen . . .“

Wie ein unfruchtbarer Boden kommt er sich vor, „auf dem mein Herz und Sinn schmachtet nach Erquickungszeiten, die ich ungeachtet mancher Ahnung kaum erleben werde . . . Sie werden das Chaos meines Gemüts aus meinem Schreiben ersehen. Bis auf Feder und Tinte ist mir alles zuwider und vermehrt meine Unlust, selbst den kleinsten Übeln abzuhelfen. Also ist in diesem Jahr wohl an keine Autorschaft zu denken.“

Wir fügen hinzu, was Hamann Anfang des Jahres 1778 Johann Kaspar Lavater, seinem neuen Freunde aus der Schweiz, geschrieben hat. „Sie beten um Mut“, so heißt es in dem Schreiben, „nicht unter




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der Last der Geschäfte zu versinken, — und mir vergeht aller Mut unter der Last langer Weile ... Es ist ungefähr ein Jahr, daß ich den einzigen Dienst im Lande, den ich mir gewünscht, auf eine sehr eindrüdc- liche und recht ausgesuchte Art erhalten; aber seitdem bin ich von dem Genüsse meines Glückes mehr als jemals entfernt gewesen. So geht es den Juden, die Josua zur Ruhe brachte, ohne zu wissen, daß noch eine Ruhe vorhanden ist dem Volke Gottes.“

Noch einen Notschrei wollen wir hören. Am 13. Juli 1778 schrieb Hamann an Herder: „Ungeachtet aller meiner Talente in Essen, Trinken, Schlafen wird mir mein Leben zur Last, und ich bin gepresst wie eine Kelter. Ich muß von 7 Uhr des Morgens bis 6 Uhr des Abends auf meinem Posten Schildwache halten, ohne Arbeit als ein leidiges Lesen, wodurch ich mich zu betäuben suche.“

Am 25. November teilt er mit, daß sein armer, unglücklicher Bruder am 25. August gestorben sei, daß aber die siebente Stelle in seiner kleinen Haushaltung vor acht Tagen durch eine kleine Tochter wieder beseht sei. Es war das vierte Kind, das ihm damit von seiner treuen „Hausmutter“ geboren wurde. Er war ein reicher Vater geworden, und er wußte solchen Reichtum zu schälen. „Vater sein ist die höchste Autorschaft und ein ebenso großes Geheimnis, — ja die beste Schule der beiden höchsten äußersten Tugenden, Demut und Sanftmut.“ So schreibt er bereits 1774 an Herder. Ein andermal heißt es: „Was für eine Welt von Empfindungen und Begriffen liegt in dem Geheimnisse der Vaterschaft!“ Und als er dem Freunde zu seinem Erstgeborenen gratulieren konnte, äußerte er: „Ist jemand, der die Vaterfreuden kennt, so ist es Ihr Freund. Aber mit welcher Furcht und Zittern


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ich selbige genieße, weiß niemand wie Er. Wie unmöglich ist es bei diesem süßen Weine, mäßig zu sein!“

Ja, er wußte um die Verantwortung, die er für seine Kinder zu tragen hatte. Er wußte aber auch davon, wie sehr der, der solche Lasten auf einen Menschen legt, mit Freude und getrostem Mut ausrüsten kann. „Gott hat mir“, so lesen wir 1776 in einem Briefe, „eine kleine baufällige Hütte und drei gesunde Kinder gegeben, die mir den Kopf bisweilen recht warm machen, aber zugleich meine größte Freude und Wonne sind, und denen nichts als Vater und Mutter zur Erziehung fehlt. Nun, es wird alles zu seiner Zeit kommen. Der Leben und Gesundheit gibt, wird es auch an der Hülle und Fülle nicht mangeln lassen — und an dem übrigen dieses eitlen Lebens unter der Sonne.“

Wie hätte er, der sich „von Gram, Unruhe, Verdruß und Sorgen ausgemergelt“ vorkam, fertig werden sollen ohne dieses Vertrauen! Die Erziehung der Kinder machte ihm viel Not. Die Frage, was mit dem Jungen, mit dem ihm „alles krebsgängig“ zu gehen schien, werden sollte, trieb ihn um. „Dies ist mein größter Kummer“, schrieb er Herder, „der mir Angst und graue Haare macht, daß ich nichts für seine Erziehung tun und ebensowenig daran wenden kann . . . In diesem Stück habe ich zu wenig Beihilfe von meiner ehrlichen Hausmutter, kann aber nicht mehr als den guten Willen von ihr fordern. Ach, liebster Gevatter in spe, über häusliche Freuden geht nichts! Hierin besteht der einzige Himmel auf Erden; aber häusliche Leiden sind auch die wahre Hölle selbst für Patriarchen und Davide gewesen. Gottes Geist und des Menschen Sohn sind hier die einzigen Schulmeister.“

Während der Vater den Knaben selbst unterrichtete




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und das begabte Kind nach der ihm eigenen Methode so zu fördern verstand, daß er mit dem Elfjährigen bereits griechische Philosophen und das Neue Testament in der Ursprache las, wuchsen die Töchter zu seinem Schmerz „ohne feinere Sitte, Kultur und Kenntnisse auf“ und konnten von der Mutter nicht einmal im Nähen unterrichtet werden. 1785 gelang es, die Älteste in ein Pensionat zu bringen.

Schließlich hat auch er in seinem unruhe- und kummervollen Dasein erfahren dürfen, daß die Hilfe immer zur rechten Zeit da war. Er hat dieser Erfahrung seines Lebens im Jahre 1784 einmal beredten Ausdruck gegeben: „Der das Leben gibt, wird auch alles, was dazu gehört, uns schenken, und Ernte wird erfolgen zu seiner Zeit, wenngleich die Sichel ebenso müde macht und zuweilen mehr Schweiß auspresst als der Pflug. Gott wird für Kelter und Tenne sorgen, den Mühseligen erquicken.“

Da er von solcher Zuversicht sein Leben lang gehalten und getragen wurde, ist er schließlich doch der Last nicht erlegen, sondern ist darunter „als ein Palmenbaum getrieben“. Die reifsten Früchte, die ihm unter solchem Druck geschenkt wurden, müssen wir nun noch kennenlernen.


Im Kampf mit der neuen Weltanschauung

Trotj Kummer und Gram hat seine Feder auch in den schwersten Jahren nicht ganz geruht. Mochten Sorgen ihn bedrängen, Mühsal des Amtes und Beschwernis des Alters ihm die Tage vergällen, immer wieder hat er sich aufgerafft zu wuchtigen Schlägen gegen eine Weltanschauung, die auf allen Kanzeln




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und Kathedern verkündigt, in allen Schulen gelehrt und in allen Büchern gepriesen wurde. Worum handelt es sich eigentlich bei dem, was man „Aufklärung“ nannte? Hamann ist sich darüber nicht im unklaren gewesen. „Unser Zeitalter“, so sagt er, „ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muß.“ Er meint dann zwar: „Religionen durch ihre Heiligkeit und Gesetjgebung, durch ihre Majestät, wollen sich gemeiniglich derselben entziehen.“ „Aber“, so fährt er fort, „alsdann erregen sie gerechten Verdacht wider sich und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen, welche die Vernunft nur demjenigen bewilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aushalten können.“

Es ist also im Denken der Menschen ein grundlegender Wandel eingetreten. Der Maßstab, an dem alle Dinge gemessen, der Höchstwert, nach dem sie bewertet werden, ist ein anderer geworden. An die Stelle Gottes und der göttlichen Offenbarung ist die menschliche Vernunft getreten. Was man Aufklärung nennt, ist nichts anderes als Auflehnung des Menschengeistes, als Emanzipation, Loslösung des sich „mündig“ dünkenden Menschen aus der Bindung an Gottes Gebot und Verheißung. So hatte es der Philosoph Kant klar und treffend ausgesprochen, Aufklärung sei der Ausgang des Menschen aus einer selbstverschuldeten Vormundschaft, wobei es für Hamann klar war, daß damit nur der Ausgang menschlichen Lebens und Denkens aus der Abhängigkeit von Gott und Gottes Wort gemeint sein konnte.

In der Anerkennung dieses höchsten, entscheidenden Grundsa^es bestand zwischen den mancherlei Geistern, mochten sie sonst auch verschiedene Wege gehen, eine merkwürdige Einmütigkeit. Sie beugten


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sich willig derii Geiste der Zeit; sie erkannten die Vernunft als letjte Größe an. Die neue Weltanschauung war zu einer neuen Religion geworden. Hamann spricht geradezu von der Religion des Unglaubens: „Der Unglaube ist die älteste, stärkste und neben dem Aberglauben die einzige natürliche Religion.“ Er weiß, daß diese Religion, die mit lauten Worten Freiheit, Brüderlichkeit und Toleranz verkündigt, unduldsamer sein kann als das Papsttum und die Römische Kirche, und er ist nicht müde geworden, vor diesem „metaphysisch-moralischen Despotismus“ zu warnen, „der seinen Si§ an eben dem Orte hat, wo man soviel Zetergeschrei über das Papsttum erhebt“. Er denkt an Berlin, damals die Hochburg der Aufklärung.

Die eigentliche Stärke der neuen Weltanschauung gründete in der Tat darin, daß sie die „echte, allgemein seiende Religion“ zu sein behauptete, und daß sie es als ihre Aufgabe hinstcllte, das Christentum von der ihm durch die geschichtliche Offenbarung gegebenen Grundlage zu lösen und auf allgemeine religiöse und moralische Grundsätje zurückzuführen. Was sich nicht vor der gesunden Menschenvernunft aus- weisen kann, wird als jüdischer oder heidnischer Restbestand, als Theologenfündlein und Erzeugnis des finsteren Mittelalters verworfen und abgetan. So will man das Werk der Reformation, das Luther angefangen, vollenden; es geht um die Freiheit nicht allein von menschlicher Überlieferung, sondern auch von der Bindung an die Schrift und das aus der Schrift geschöpfte Bekenntnis. Man merkt nicht, daß diese „Freiheit“ gerade zur Menschenknechtschaft wird, eben zu jenem Despotismus, von dem schon die Rede war.




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Hamann hat sich nicht irreführen lassen. Fast ganz einsam führte er den Kampf, richtete über den Wogen des Unglaubens das Zeichen und Zeugnis ewiger Wahrheit auf, das heute noch steht. Hamann lebt als Zeuge der Wahrheit, während die aufklärerischen Geister seiner Zeit uns kaum noch etwas bedeuten. Schonungslos hat er den Gegensatz aufgedeckt: Christentum und Weltanschauung, Evangelium und Men- schensatjung, Offenbarung und Vernunft sind widereinander wie Feuer und Wasser. Der Zeitgeist ist dem Geiste Jesu Christi zuwider und verfolgt den lebendigen Gotteshauch, der da weht, wo er will, und sich seinen Gesehen nicht fügt; der Zeitgeist haßt das Leben, das aus Gott ist, weil er darüber nicht Herr sein kann.

Da war ein Sprach- und Schriftverbesserer, der Exrektor und Wolfianer Tobias Damm, Moses Mendelssohns Lehrer im Griechischen. Der gesunde Menschenverstand hatte ihm eingegeben, daß das kleine h doch eigentlich ein ganz unnütjer und überflüssiger Buchstabe im Alphabet sei, da er nie mitgesprochen und wohl nur aus alter Gewohnheit zwischen zwei andere Schriftzeichen geschoben werde. Der Sprachverbesserer wollte das h aus der Orthographie entfernen, wie er gleich vielen anderen Aufklärern seiner Zeit in der christlichen Religion den Geist des Lebens bekämpfte. Ihm schien es, daß das zusammengehöre: Rechtschreibung allein nach Aussprache und Gehör, Glaube und Bekenntnis allein nach der Vernunft. Hamann mußte ihm widerstehen, im einen wie im andern Fall. Er fühlte sich bewogen, eine „Apologie“, eine Verteidigung des Buchstabens h zu schreiben, weil er befürchtete, daß mit seiner Beseitigung auch der lebendige Gotteshauch des ewigen Wortes unterdrückt und




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beseitigt werden sollte. Wie man aber Schrift und Sprache verstümmeln würde, wollte man das kleine h entfernen, so wäre der Glaube nichts ohne den lebendigen Hauch aus Gott.

Der Oberhofprediger Stark war ein Aufklärer vom reinsten Wasser. Er glaubte sich durch seine aufklärerischen Gedanken in den Stand gesetjt, das Christentum zu reinigen von allem, was ihm vom Judentum und Heidentum noch anhafte. Hamann weist in den „Hierophantischen Briefen“ nach, was noch übrigbleibt bei solcher Kritik: ein „materielles Nichts und ein geistiges Etwas“, ein saft- und kraftloses Gebilde, von dem keine Wirkung ausgeht, und von dem kein Mensch leben kann. Umgekehrt aber: Erweist nicht das von der Weltanschauung verlästerte Evangelium fort und fort seine Wahrheit darin, daß eine Kraft von ihm ausgeht, die schwache Menschen unter schwerstem Druck „als einen Palmbaum“ treiben läßt, wie Hamann es erfahren? Hat nicht das als Sekte verschriene Christentum ein Reich in der Welt angerichtet von einer solchen Ausbreitung und Dauerhaftigkeit, daß keine irdische Monarchie oder Republik sich mit ihm messen kann? Ist nicht das „Märchen des Himmelreichs“, mag es „in Vergleichung aller übrigen Universalmonardiiert und ihrer pragmatischen Geschichte ein kleines Senfkorn sein“, der Same, der die ganze Welt durchdringt, wogegen alle Gebilde der Weltanschauung nicht mehr als eine „Modeseuche“ darstellen?

Aber freilich, das merken die aufklärerischen Geister nicht. Denn der Geist, der die Schrift durchwaltet, ist ihnen fremd. Ohne ihn aber kann man dieses Buch nicht verstehen. „Wenn also unsere Religionsbücher auf den Vorzug einer allerhöchsten Eingebung An-


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Spruch machen, so fordern sie, mit und im Geiste desjenigen anbetungswürdigen und uns verborgenen Wesens gelesen zu werden, der sich als den Schöpfer Himmels und der Erden erklärt.“ Ja, sie „fordern schlechterdings, in und mit dem Geiste desjenigen Theisten gelesen zu werden, der als ihr König eines schmählichen, freiwilligen und verdienstlichen Todes starb und die fröhliche Botschaft seiner Auferstehung und Erlösung und Wiederkunft zum Weltgerichte vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne, vom Süd- bis zum Nordpol hat verkündigen und erschallen lassen“.

Die „Sophisten“ wissen nichts vom Geist der Offenbarung und verstehen die Sprache Gottes nicht. Als 1774 in Herders „Ältester Urkunde des Menschengeschlechts“ ein Buch erschien, in dem ein frischer Lebensodem wehte, und an dem Hamann seine helle Freude hatte, da er die eigenen Grundsätje der Schriftauslegung hier wirksam werden sah, erhielt er von dem Philosophen Kant zwei Briefe, die ihm zeigten, wie wenig auch dieser imstande war, das Zeugnis des neuen Lebens, das ihm hier entgegentrat, zu verstehen und aufzunehmen. Was Kant vom Evangelium wußte und verstand, suchte er in ein System, in eine Lehre, ein Gesetj zu fassen, und es erschien ihm unmöglich, eine Religion auf ein Buch, zu gründen, das Zeugnis gibt von geschichtlichen Tatsachen und Ereignissen, von dem also, was Gott ein für allemal für die Menschheit getan hat. Er stimmte dem von Lessing formulierten Satje zu, nach dem „zufällige Geschichtswahrheiten nie der Beweis allgemeiner Vernunftwahrheiten sein können“.

Hamann war ganz anderer Meinung. Er hatte erkannt, daß Gott zum Verdruß aller Philosophen und


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Religionswissenschaftler in seiner Offenbarung andere Wege geht, als sie meinen erwarten zu müssen. Das hat er bereits 1762 in einer seiner feinsten und tiefsinnigsten Schriften, der „Aesthetica in nuce“ in unübertrefflicher Weise zum Ausdruck gebracht. Hatte der Göttinger Theologe Johann David Michaelis in seinen Kommentaren zum Alten Testament Kritik geübt an der unphilosophischen, bilderreichen, sinnlichkonkreten Sprache der Heiligen Schrift und eine Beseitigung derjenigen Bestandteile gefordert, die nach seiner Meinung Gottes nicht würdig seien, so zeigt Hamann, daß Gott gerade so zu den Menschen reden muß, um gehört und verstanden zu werden. Er nennt Gott den Herrn den großen Poeten vom Anfang der Tage, der uns seine Gedanken im großen Bilderbuch der Schöpfung und der Geschichte anschaulich vor Augen stellt. Alle seine Werke sind ein Preis und eine Verkündigung seiner Herrlichkeit und fordern uns auf, ihn zu fürchten und ihm die Ehre zu geben. Weil es um diese Entscheidung geht und nicht darum, daß wir richtige Gedanken und Ansichten von Gott gewinnen, weil es um den ganzen Menschen geht und nicht nur um seinen Verstand, darum redet Gott so zu uns und nicht anders. Der Mensch ist mehr als ein nur geistiges Wesen; er hat, so kann Hamann sagen, „Sinne und Leidenschaften“. Dementsprechend teilt sich Gott dem Menschen mit. Er begegnet ihm konkret, sinnenhaft, in leiblicher Gestalt, nie abstrakt-gedanklich. „Sinne und Leidenschaften reden und verstehen nichts als Bilder“, so ruft Hamann aus. Und ein andermal heißt es: „Gesetj und Propheten gehen auf Leidenschaft von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von allen Kräften, auf Liebe.“

Mit dieser Auffassung aber lehnt Hamann alle ein-




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seitige, öde Verstandeskultur ab. Er hält es für die philosophische Ursünde, daß die Vernunft scheidet, was Gott zusammengefügt hat, und daß sie zusammenfügt, was getrennt sein soll. Man kann nicht eine Seite des menschlichen Wesens von seinem Gesamtsein ablösen und über alle anderen Gaben und Kräfte stellen. In solcher falschen Ablösung des Verstandes vom Leben überhaupt, in der Überbewertung der Denkkraft und der Verachtung des Sinnlichen sieht der Magus den Irrweg seiner Zeit begründet.

Absage an Kant

Von daher versuchen wir nun noch die letzten Äußerungen Hamanns zu verstehen, die ihn in der Abwehr des fremden Geistes und im Eintreten für die Wahrheit des Evangeliums auf den Höhepunkt führten. Dabei ging es einmal um eine Entgegnung auf Kants Erstlingsschrift, seine 1781 veröffentlichte „Kritik der reinen Vernunft“, das Buch, das den Königsberger Philosophen berühmt gemacht und einen ungeheuren Einfluß ausgeübt hat. Hamann hatte von vornherein seine eigene Meinung und brachte sie klar zum Ausdruck. Wenn er es trotjdem nicht gewagt hat, seine „Meta-Kritik“ zu veröffentlichen, so war es zum Teil persönliche Rücksichtnahme auf den Landsmann, dessen Eintreten er seine Anstellung verdankte. Darüber hinaus aber war er mit seinem Entwurf selber nicht zufrieden. „Die ganze Idee ist mir verunglückt“, so schreibt er, „und ich habe dem Ding ein Ende zu machen gesucht, daß ich mich des Gedankens daran entschlagen könnte.“

Im Grunde sind seine Bedenken aber ganz klar. Hamann lehnte den Weg Immanuel Kants ab, weil er




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ihm auf eine Ideologie, auf einen Idealismus hinauszulaufen schien, der der Wahrheit und Wirklichkeit nicht gerecht wird. Zwar setjt Kant dem natürlichen menschlichen Erkenntnisvermögen eine Schranke, indem er lehrt, daß das „Ding an sich“ vom Menschen nicht erkannt werde, damit also zugibt, daß es über die äußere, sinnlich wahrnehmbare Wirklichkeit dieser Welt hinaus Dinge gibt, die das natürliche Denken nicht erreichen kann. Aber nun hat Kant nach Hamanns Meinung durch seine Kritik die Vernunft doch erst recht auf den Thron gesetzt, ohne daß er sich darüber ganz im klaren war. Er macht die Vernunft zur Schöpferin der Welt, indem er lehrt, die Wirklichkeit, wie sie uns erscheint, sei eine nur erdachte und erträumte Wirklichkeit; das Bild, das sich uns vor die Augen stellt, habe mit dem „Ding an sich“ nichts zu schaffen, sondern werde von unserm Geiste gestaltet. Solches zu behaupten und zu lehren, ist ein Frevel, den Hamann der Philosophie nicht verzeihen kann.

Es ist ein Idol, ein Hirngespinst, dem die Philosophie hier nachjagt. Hamann ringt darum, das klar herauszustellen. Es ist ihm nach seinem eigenen Eingeständnis nicht ganz gelungen. Was er sagen will, ist etwa dieses: Vernunft ist nicht schöpferisch. Es ist wirklich ein Frevel, das zu sagen. Es gibt überhaupt keine „reine Vernunft“, d. h. ein von der Erfahrung abgelöstes, abstraktes Denken. Unsere Gedanken bedeuten erst dann etwas, wenn wir ihnen eine sinnliche Gestalt geben, wenn wir sie hörbar oder sichtbar werden lassen, sie aussprechen oder aufschreiben. So steckt für Hamann alles in dem Geheimnis des Wortes, der Sprache. Er wünscht sich eine Beredsamkeit, wie Demosthenes sie besaß, und möchte ein einziges Wort dreimal wiederholen: Ve r n u n f t ist Sprache.




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