Zeugen des gegenwärtigen Gottes Band 071 Johann Georg Hamann Ein Prediger in der Wüste



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„An diesem Markknochen nage ich und werde mich zu Tode nagen. Noch ist es finster über der Tiefe, ich warte noch immer auf einen apokalyptischen Engel mit einem Schlüssel zu diesem Abgrunde.“

An der Sprache wurde Hamann die unauflösliche Zusammengehörigkeit des Leiblichen und Geistlichen deutlich. Immer teilt sich der Geist nur so mit, daß er eine sinnlich faßbare Gestalt, einen „Leib“ annimmt. Reinen Geist, reine Vernunft hat Nietzsche später eine Lüge genannt. Er hat damit sicher Hamanns Meinung getroffen.

Von daher aber fällt neues Licht auf das Zeugnis von Gottes ewiger Offenbarung, wie wir es früher von Hamann gelernt haben. „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ In unbegreiflich schenkender Herablassung vereinigt sich Gottes Geist mit dem schwachen, vergänglichen Buchstaben, Christus mit den irdischen Elementen des Brotes und Weines im Sakrament, damit wir ihn wirklich empfangen können. Hamann wandelt hier ganz in den Spuren Luthers und lehnt Kant und seine Gesinnungsgenossen als Schwärmer und Mystiker ab, da sie die Natur, die Gott so hoch ehrte, daß er sie zum Spiegel seiner Herrlichkeit machte, in Schein aufzulösen suchen. Wer dabei bleibt, zu trennen, was Gott zusammengefügt hat, wer nicht wahrnimmt, daß „Sinnlichkeit und Verstand als zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis aus einer gemeinschaftlichen Wurzel entspringen“, daß also Äußeres und Inneres, Leib und Geist, Wort und Vernunft zusammengehören, der wird vom Wunder der ewigen Offenbarung nichts begreifen und ohne das Licht bleiben, das alle Menschen erleuchtet.

Die Schwärmer reden zwar auch von jenem Licht, aber sie suchen es dort, wo es nicht zu finden ist. Sie




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suchen es bei sich selbst, in ihrem Innern. Kant und seine Jünger glauben es in der „reinen“ Vernunft, die vor aller Erfahrung gegeben sei, entdeckt zu haben. Hamann aber bezeugt demgegenüber mit allem Nachdruck: Im Anfang war — nicht die Vernunft, sondern das Wort. Vernunft ist wie unser Auge und Ohr ein Organ, zu vernehmen und zu empfangen, was Gott uns gegeben hat. „Unsere Vernunft muß warten und hoffen, — Dienerin, nicht Gesebjgeberin der Natur sein wollen.“ Daß Kant den Menschen diese seine unter Gott gebeugte Stellung vergessen läßt und ihm eine Selbständigkeit gibt, die ihm nicht zukommt, das ist eine Irreführung, die Hamann nicht hingehen lassen kann. Es ist ein Abfall vom Evangelium, das uns von Gott und seiner Gnade allein abhängig sein läßt. Trotj einer gelegentlich bewußt christlichen Ausdrucksweise ist Kant dem Geiste Jesu Christi ebenso fern- gerüdct wie seine rationalistischen Gesinnungsgenossen. Als nach einigen Jahren ein weiteres Werk von ihm, die „Metaphysik der Sitten
“ erschien, schrieb Hamann an Herder: „Statt der reinen Vernunft ist hier von einem andern Hirngespinst und Idol die Rede: vom guten Willen. Daß Kant einer unserer scharfsinnigsten Köpfe ist, muß ihm auch sein Feind einräumen. Aber leider ist dieser Scharfsinn sein böser Dämon, fast wie Lessing seiner. Denn eine neue Scholastik und ein neues Papsttum sind die beiden Midas-Ohren unseres herrschenden Säculi (Jahrhunderts).“

Da ist die drohende Gefahr also klar erkannt. Zu fest wurzelte Hamann in der reformatorischen Botschaft von der freien Gnade, die allein den Sünder rettet, als daß er die kantische Achillesferse nicht hätte sehen sollen. Die Fürstin Gallitzin, von deren Freundschaft mit Hamann noch die Rede sein wird, berichtet




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vom Umgang mit ihm als das Unvergesslichste und Eindrucksvollste, daß er ihr das von allen andern bewunderte Vollkommenheitsstreben als sündlidien Stolz hingestellt habe. Damit habe er ihr, wie sie schreibt, die Haut von den Knochen gerissen und der Lahmen die Krücke geraubt. Aber, so fährt sie fort: „Ich liebte ihn mehr als jemals für diese väterliche Härte, wälzte daher die Sache ernsthaft in meiner Seele und befand sie wahr.“ Daß dieser Mann mit der Lehre Kants vom guten Willen nichts anzufangen wußte, ist selbstverständlich.

Am Schluß seiner gegen Kant gerichteten Abhandlung spricht Hamann die Vermutung aus, vielleicht sei die Scheidewand zwischen Judentum und Heidentum ein ähnlicher Idealismus wie bei Kant: „Der Jude hat das Wort und das Zeichen, der Heide die Vernunft und ihre Weisheit.“ Die Scheidewand zwischen Judentum und Heidentum, — vielleicht hätte Hamann auch sagen können; zwischen christlichem Glauben und neuheidnischer Weltanschauung. Wir sind damit aber hingeführt zu Hamanns letjter und bedeutendster Schrift, mit der er sein Zeugnis vollendet hat.




Theologie des Kreuzes

Noch einmal hatte er sich stark gemacht zur Gegenwehr wider den Angriff der glaubenslosen Zeitphilosophie. Nicht leicht ist ihm sein „Golgatha und Scheb- limini“ abgegangen. Ein ganzes Jahr hat er, wie wir in seinen Briefen lesen, daran gearbeitet, über ein Buch Papier verschmiert, immer gegen Verstopfung und Durchfall der Gedanken und des Stils zu kämpfen gehabt, bis er endlich überdrüssig geworden ist, die




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letjte Hälfte auszuglätten und zu vollenden. Endlich waren die drei Bogen fertig geworden. Und während seine „Metakritik“ gegen Kant ihm so wenig geglückt war, daß er sie nicht an die Öffentlichkeit zu bringen wagte, hatte er am „Scheblimini“ seine besondere Freude. Das Büchlein erschien ihm geradezu als der ganze Inhalt seiner kleinen Autorschaft.

Dabei handelte es sich ganz einfach um die Antwort auf eine der vielen Veröffentlichungen jenes schreibseligen Jahrhunderts, in denen die neue Weltanschauung sich kundtat, und die über den Tag hinaus kaum Bedeutung für sich in Anspruch nehmen konnte. Jedenfalls weiß heute kaum noch jemand etwas von der Schrift eines Moses Mendelssohn, des Freundes und Gesinnungsgenossen Lessings, des Begründers des Reformjudentums, der seine Abneigung gegen den ihm nahegelegten Übertritt zum christlichen Glauben zu rechtfertigen suchte. Von seinem aufklärerischen Standpunkt sah er christliche und jüdische Religion eng beieinander auf der gleichen Ebene. Der eigentliche Gehalt beider Glaubensrichtungen erschöpfte sich nach seiner Meinung in allgemeinen sittlichen Grundsätjen, wie sie uns auch die gesunde Menschenvernunft offenbart. „Ich kenne keine anderen ewigen Wahrheiten, als die der menschlichen Vernunft nicht nur begreiflich, sondern durch menschliche Kräfte dargetan und bewährt werden können.“ So redete der Aufklärer leicht daher.

Hamann hat sich die Mühe gemacht, sein „Jerusalem“ Satj fürSat3 unter die Lupe zu nehmen. Er möchte dem Verfasser Gerechtigkeit widerfahren lassen und sucht wirklich auf ihn zu hören. Einen Augenblick nimmt er an, die Vernunft sei tatsächlich, wie der Aufklärer behauptet, ein höchster Wert, und die Welt


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unterstehe den ihr innewohnenden Gesehen der Weisheit und der Güte. Aber — wer weiß denn, ob es wirklich so ist? Wer kann es beweisen? Muß man nicht an diese Behauptung genau so glauben, wie der Christ an die in der Schrift bezeugte Offenbarung glaubt? Wird nicht deutlich, daß auch die dem Evangelium entgegenstehende Weltanschauung nicht über die Annahme legter bindender Lehrsäge, die unbeweisbar sind, hinauskommt, und daß ihr Eifer gegen die Geltung von Schrift und Bekenntnis im Namen der freien Menschenvernunft ein blinder Eifer ist? Ist nicht auch die Weltanschauung im höchsten Maße dogmengebunden, ohne daß sie es selber weiß und zugibt? Ist sie nicht, indem sie sich der Leitung durch den Geist Gottes entwand, in gesteigertem Maße dem Zeitgeiste hörig geworden?

Es ist deutlich die Absicht dieser Gedankenführung, die Selbstsicherheit des aufgeklärten Menschen zu erschüttern. Er soll merken, daß er selbst, daß die selbstherrliche Vernunft nicht das Maß aller Dinge sein kann; daß er sich schon deshalb nicht uneingeschränkt in den Mittelpunkt rücken darf, weil ja auch der andere mit demselben Recht da ist. Ist nicht dieser unser Nächster die Grenze unserer Ansprüche und unserer Wünsche? Führen nicht die immer wieder auftretenden „Kollisionsfälle“ unweigerlich zu der Einsicht, daß die legte Entscheidung nicht bei uns liegen kann, sondern bei dem liegen muß, der der Herr und Richter ist?

Das ist aber ein großes Anliegen dieser Schrift Hamanns, wie seiner ganzen Schriftstellerei: er möchte dem aufgeblasenen Geschlecht seiner Zeitgenossen diesen Herrn verkündigen, von dem es gilt: Er spricht, so geschieht’s! Beugt man sich seinem Wort und Gebot, so kommt alles zurecht. Sucht aber der Mensch


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an die Stelle seines Gesekes das von ihm erfundene „Naturrecht“ zu setjen, pocht er auf seine angeblich alles bestimmende Vernunft, dann gerät alles in Verfall und Unordnung. Der Mensch verstrickt sich immer mehr in Schuld und Irrtum. Er will die Wahrheit nicht sehen und verfällt der Lüge. „Jeder Sophist ist also nicht nur ein Lügner, sondern auch ein Heuchler und bedient sich der Sprache als eines Puppenspiels, sein Idol, das eitle Gemächte menschlicher Kunst, für einen Ausfluß göttlicher Vernunft und eine leibhafte Tochter ihrer Stimme auszugeben, abergläubische Leser durch das Blendwerk einer goldenen Hüfte oder güld- nen Kalbes hinters Licht zu führen und sich ihre Überzeugung auf Kosten und Gefahr unerkannter lebendiger Wahrheiten als ein Dieb und Mörder zu erschleichen.“

So kann Hamann urteilen, weil ihm gewiß ist, daß Gott seine Weisungen so klar und unmißverständlich unter die Menschen gestellt hat, daß sie solcher Irreführung nicht zu erliegen brauchen. Das ist ja, wie Hamann in der zweiten Hälfte seines Buches zeigt, das Besondere und Auszeichnende der jüdischen wie dann erst recht der christlichen Religion, daß hier „in der ältesten Urkunde des menschlichen Geschlechts“ das Zeugnis von Gottes wirklich geschehener Offenbarung bewahrt wird. Hierbei geht es nicht um allgemeine Ideen und philosophische Lehrmeinungen; es geht um geschichtliche Tatsachen, göttliche Ereignisse, heilige Veranstaltungen zu unserm Heil. Es geht um Gottes Verheißung im Alten und um die Erfüllung im Neuen Bund. In der alttestamentlichen Religion weist alles über sich hinaus auf das Kommende, nein, auf den Kommenden, hin, und wer diesen Weissagungscharakter des Alten Testaments übersieht, wer diesen




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Fingerzeig in all diesen Schriften nicht beachtet, dem muß das gesamte jüdisch-hebräische Religionswesen als „eine Geringschäbiung Gottes und der göttlichen Vernunft“ Vorkommen. Nur vom Ziel und Ende her kann der zurückgelegte Weg richtig überschaut und verstanden werden. Nur vom Neuen Testament her begreift man das Alte.

Freilich, wer auch hier, im Neuen Testament, die Hauptsache, die Versöhnung durch das Kreuz Christi, streicht, der hat den Schlüssel zum Verständnis der Schrift verloren. Wer dagegen von diesem Ziel- und Höhepunkt her zurückblickt, dem wird deutlich, daß die „ganze Mythologie der hebräischen Haushaltung nichts war als ein Typus einer transzendenten Geschichte, das Horoskop eines himmlischen Helden, durch dessen Erscheinung alles bereits vollendet ist und noch werden wird, was in ihrem Geset} und in ihren Propheten geschrieben steht.“ Daß „die ganze Geschichte des Judentums Weissagung war“, wird von daher deutlich. Und zugleich wird das Weitere erkannt, daß das Wesen der geoffenbarten Religion des Christentums „mit Grund und Recht Glaube, Vertrauen, Zuversicht, getroste und kindliche Versicherung auf göttliche Zusagen und Verheißungen“ heiße, — und nicht etwa, wie man meinte, sittlich-moralische Vollkommenheit. Unglaube gilt hier als die einzige Sünde wider den Geist der wahren Religion, „deren Herz im Himmel und ihr Himmel im Herzen ist“. „Denn nicht in Diensten, Opfern und Gelübden, die Gott von den Menschen fordert, besteht das Geheimnis der christlichen Gottseligkeit, sondern in Verheißungen, Erfüllungen und Aufopferungen, die Gott zum Besten der Menschheit getan und geleistet; nicht im vornehmsten und größten Gebot, das er auf




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erlegt, sondern im höchsten Gute, das er geschenkt hat; nicht in Gesetjgebung und Sittenlehre, die bloß menschliche Gesinnungen und Handlungen betreffen, sondern in Ausführung göttlicher Taten, Werke und Anstalten zum Heil der ganzen Welt.“

Wir brechen hier mit der Wiedergabe der noch viel inhaltsreicheren Schrift ab und hoffen, daß deutlich geworden ist, wie hier gegenüber einer völligen Entleerung und Mißdeutung ein ganz neues Verständnis der christlichen Botschaft geschenkt wurde. Hamann hat das selbst klar erkannt und in dem seinem Büchlein gegebenen Titel zum Ausdruck gebracht. Wie man einst in Jerusalem den Herrn nach Golgatha führte, um ihn zu kreuzigen, wie aber aus dem Kreuz das „Scheblimini“ (rSe^e dich zu meiner Rechten!“) wurde, so geht es hier: „Golgatha war der letjte Triumph der außerordentlichen Gese^gebung über den Gesetj- geber selbst, und sein auf diesen Hügel gepflanztes Holz des Kreuzes ist das Panier des Christentums. In dem Worte Scheblimini aber liegt die Tugend und Kraft des einzigen, über alle Namen erhöhten Namens, außer welchem kein Heil und Seligkeit werden kann; der verborgene Schatj aller außerordentlichen Geset}- gebungen und mythologischen Religionsoffenbarungen, die köstliche Perle zwischen den beiden Autorschaften des Judentums und des Heidentums.“

Scheblimini — das ist der geheimnisvolle Name, den Luther, „der deutsche Elias und Erneuerer des . . . entstellten Christentums“, seiner Reformation gab. Hamann hat das Losungswort sich „angemaßt“, „die einsam weinende Rahel irgendeines christlich-protestantischen Lesers in der Wüsten ... zu trösten“. Es ist ja wieder die Stunde, wo man in „Jerusalem“, das freilich viel eher „Samaria“ genannt werden müßte,


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den König der Wahrheit ans Kreuz erhebt und das Gedächtnis seines Namens auszulöschen sucht. Wieder wird im Namen der natürlichen Religion, im Namen der Weltanschauung das Ende des christlichen Glaubens verkündet. Aber wieder wird es sich erweisen, daß zu Golgatha das Scheblimini gehört, daß der König, dessen Gedächtnis man austilgen möchte, doch der ist, der nach „dem königlichen Wort seiner Verheißung“ bei den Seinen alle Tage ist bis an der Welt Ende.

„Diesem Könige, dessen Name wie sein Ruhm groß und unbekannt ist, ergoß sich der kleine Bach meiner Autorschaft, geachtet wie das Wasser zu Siloah, das stille geht“, so ruft Hamann aus. Mit dem „Fliegenden Brief an Niemand, den Kündbaren“, dem diese wie auch die vorher zitierten Sätje entstammen, hat er diesem seinem 25jährigen Dienste ein Ziel und Ende gesetjt. Er legt die Feder aus der Hand. Er hat sein Zeugnis ausgerichtet. Durch diese 25 Jahre hat er den Kampf geführt mit den Feinden des Königs der Wahrheit, die ihm keinen Platj gönnen wollten im deutschen Geistesleben, und noch immer glüht seine Zunge, wenn er daran denkt, wie man in Berlin und anderswo „jeden dürren Halm seiner Muse“ verfolgte; wie man es ihm übel vermerkte, daß er für den längst zum Tode verurteilten, den ans Kreuz Gehängten zu streiten wagte. Es wird ihm nie vergessen werden, daß er diesen Kreuzzug bis zule^t durchgehalten hat, daß das Ziel und der Inhalt seiner Arbeit in nichts anderem als darin bestand: „Wie ein lieber Buhle mit dem Namen seines lieben Buhlen das willige Echo ermüdet und keinen jungen Baum des Gartens und Waldes mit den Schriftzügen und Malzeichen des markinnigen Namens verschont, so war das Gedächtnis




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des Schönsten unter den Menschenkindern mitten unter den Feinden des Königs eine ausgeschüttete Magda- lenensalbe und floß wie der köstliche Balsam vom Haupte Aarons hinab in seinen Bart, hinab in sein Kleid.“

Christentum und Luthertum heißen die beiden Gegenstände, die nach Hamanns Worten seine „geheime Autorschaft“ über ein Vierteljahrhundert im Schilde geführt. Solcher Einsatj kann nie ohne Frucht bleiben. Nicht, als ob Hamanns Eintreten Christentum und Luthertum gerettet hätte. Aber er ist in dieser dunklen Zeit der erste und vornehmste Zeuge dessen, der durch das Kreuz seinen Sieg, sein Scheblimini an den Tag bringt. Als solcher redet er, obwohl er längst gestorben ist.




Um den Abend wird es licht

Es erfüllte sich, was der prophetische Zeuge ahnungsvoll erwartete: Ein friedlicher, freundlicher Lebensabend war dem durch so viele kummervolle Jahre Gereiften noch Vorbehalten. Ein Kreis treuer Freunde erwartete ihn und bereitete dem geplagten Manne für die letzten Monde seines kurzen, unruhevollen und doch so gesegneten Lebens die Herberge. Hamann durfte etwas davon erfahren, wie seine Lebensarbeit, während er selbst schon den Weg des Sterbens ging, Frucht zu tragen begann.

Solche Frucht zeigte sich eben darin, daß überall im deutschen Vaterlande sich kleine Kreise sammelten, die seinem Ruf zufolge vom Zeitgeist sich entschlossen abwandten und zur Wahrheit des Evangeliums sich bekannten. War im Norden Matthias Claudius, der


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„Wandsbeker Bote“, durch seine kindlichen Lieder wie durch seine tiefsinnigen Schriften ganz im Sinne des nordischen Magus, dem er sich freundschaftlidj verbunden fühlte, ein Rufer zu echter christlicher Frömmigkeit, so gingen die Beziehungen auf der andern Seite zu dem berühmten Prediger an der Peterskirche in Zürich, Johann Kaspar Lavater, dessen mystisch-theosophisches Verständnis des Evangeliums ihn allerdings nicht befriedigen konnte. „Ihnen von Grund meiner Seele zu sagen“, so schreibt er ihm 1778, „ist mein ganzes Christentum“ — allen schwärmerischen Spekulationen gegenüber — „ein Geschmack an Zeichen und an den Elementen des Wassers, des Brotes und des Weines. Hier ist Fülle für Hunger und. Durst, eine Fülle, die nicht bloß, wie das Gesetj, einen Schatten der zukünftigen Güter hat, sondern das Wesen der Dinge selbst, insofern selbige, durch einen Spiegel im Rätsel dargestellt, gegenwärtig und anschaulich gemacht werden können; denn das Vollkommene liegt jenseits“. In einem späteren Schreiben bekennt er sich dem aus dem reichen Schat} seines Innenlebens Schöpfenden gegenüber zu der Armut des Geistes, der der Herr das Himmelreich verheißen: „Bin arm, lieber Lavater, auch arm am Geist — muß selber auf die Seligkeit des Gebens und die Pflicht des Wiedergebens Verzicht tun.“

Trot} solchen „Bestrafungen“, mit denen Hamann den Züricher Freund nicht verschonte, und die dieser sich gern gefallen ließ, fehlte es nicht an der Gemeinschaft des Geistes, von der freilich nur wenige Schreiben Zeugnis geben. Viel ausgiebiger war der Austausch mit dem 1743 zu Düsseldorf geborenen Münchener Hofrat Friedrich Heinrich Jacobi, der sich in zahlreichen Schriften an der philosophischen







Auseinandersetjung der Zeit beteiligte. Die Bekanntschaft hatte Claudius vermittelt, der die Söhne Jacobis unterrichtete und Hamann mit dessen Werken bekannt machte. Der Magus erkannte sofort die gemeinsame Grundlinie: im Gegensatj zu Kant Absage an jeden einseitigen Verstandesdogmatismus, ein neues Ringen um ein Erfassen der ganzen Lebenswirklichkeit und ihrer Verankerung in Gott. Nachdem Hamann im August 1783 nach Empfang einer Sendung mit Schriften Jacobis diesem zum ersten Male geschrieben hatte, wurde der Verkehr immer anregender und immer herzlicher. Das große Leid, das Jacobi 1784 durch den Verlust eines Sohnes und seiner Gattin sowie durch persönliche Krankheitsnot erfuhr, und an dem er seinen Königsberger Freund teilnehmen ließ, mag dieses wahrhaft brüderliche Verhältnis noch vertieft haben. Jedenfalls vernehmen wir, daß Hamann bald seinem „lieben Bruder Jonathan“ schreibt, während Jacobi den Gefährten als „Vater, lieber Herzensvater“ anredet. Im August 1786 konnte Hamann einen Brief an Jacobi mit den Worten beginnen: „Liebster Fritj, ich erhielt im August 1783 Deinen ersten Brief und gestern den 49. von Deiner Hand.“ Dabei hatte der Briefwechsel ein ganzes Jahr geruht.

Jacobi gehörte im Westen einem Kreise geistig bewegter Zeitgenossen an, denen Hamann längst kein Unbekannter mehr war. Seine Schriften wurden gelesen und besprochen. Man konnte sie nicht jedem in die Hand geben. Vielen blieb ihr Sinn verborgen. Wer aber anfing, ihn zu erfassen, der kam nicht mehr davon los und schaute dankbar auf zu dem unbekannten Verfasser, von dessen unscheinbarer äußerer Existenz er vielfach nichts ahnte.




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So ging es dem jungen Mann, der am 7. August 1784 voll innerster Ergriffenheit und jugendlicher Begeisterung an den armen Packhofverwalter in Königsberg schrieb, ihm seine Dankbarkeit bezeugend und von ihm, dem Unbekannnten, die Gunst erbittend, an Sohnesstelle von ihm an- und in sein Haus aufgenommen zu werden. Hamann war so gerührt von so viel Liebe und Vertrauen, daß er unbekümmert auf das Angebot einging und dem Fremden rückhaltlos seine bedrängten Lebensumstände darlegte. Die Antwort war eine überraschende. Franz Buchholz, der wohilbe- güterte Eigentümer eines Landsi^es bei Münster in Westfalen, sandte ein „fürstliches Geschenk“, bestimmte für jedes der vier Kinder Hamanns die Summe von tausend Talern und befreite damit den armen Vater mit einem Schlage von allen Sorgen. Hamann war noch mehr beschämt. Sein Dankesschreiben vom 15. Dezember läßt das deutlich werden. Unter anderem schreibt er: „Ob die Zeichen und Wunder meines ganzen Lebens meinen Glauben stärken oder meinen Unglauben beschämen sollen, weiß der Herzenskün- diger am besten . . . “

Er sollte noch mehr Überraschungen erleben.

Die Frontstellung war eine andere geworden. Quer durch das Lager der römischen und protestantischen Kirche formierte sich der Widerstand gegen den Geist des Unglaubens, erwachte das Bekenntnis zum gekreuzigten und auferstandenen Christus zu neuem Leben. In Münster sammelte sich um den geistreichen wie frommen Minister und bischöflichen Generalvikar Franz v. Fürstenberg ein Kreis bedeutender Persönlichkeiten, dessen Seele die Fürstin Amalie von Gallium war. Sie stellte in der damaligen geistigen und religiösen Welt eine besondere Erscheinung dar. Nach


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dem sie, die Tochter des preußischen Generalfeldmarschalls Graf von Sdimettau, deren Mutter katholisch war, im Kloster ihre Erziehung gefunden hatte, verheiratete sie sich mit dem russischen Gesandten im Haag, dem Fürsten Gallitjin, ohne jedoch in dieser Verbindung zu finden, was sie suchte. Mit Einwilligung ihres Gatten trennte sie sich von ihm, um ganz ihren wissenschaftlichen und schöngeistigen Neigungen und der Erziehung ihrer Kinder zu leben. Während lange Zeit der französische Aufklärer Diderot und der platonisierende niederländische Philosoph Hemster- huis ihr Wegweiser waren, fand sie mehr und mehr den Weg zu Christus. Das um so mehr, nachdem sie unter den Einfluß des schon erwähnten Freiherrn von Fürstenberg, den sie wegen der Erziehung ihrer Kinder um Rat anging, getreten war. Sie wurde von seinem anziehenden Wesen so gefesselt, daß sie beschloß, ihren Wohnsi^ nach Münster zu verlegen.

Eines Tages wurde in dem Kreise, der sich regelmäßig in ihrem Hause versammelte, und zu dem auch Jacobi gehörte, von Hamann gesprochen. Die Fürstin wurde begierig, mehr von ihm zu erfahren. Es war umsonst, daß man ihr abriet, sich mit den dunklen Schriften des nordischen Magus zu befassen. Ihr Verlangen wurde nur noch größer. Sie las die „Sokrati- schen Denkwürdigkeiten“ einmal, zweimal, immer von neuem, verstand zunächst wenig, bald aber mehr und wünschte weitere Schriften von ihm kennenzulernen. Kurz entschlossen wandte sie sich daher an die in Königsberg lebende Gräfin Keyserling, obwohl diese ihr von einer früheren Begegnung her nur flüchtig bekannt war. Sie bat um nähere Auskunft über den Packhofverwalter und sein literarisches Schaffen.




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