Adorno und die Kabbala (Pri ha-Pardes; 9)



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Seit 1942 findet sich bei Adorno eine ähnliche Metapher,
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 die sogar in 
der 
Negativen Dialektik auftaucht: „Im richtigen Zustand wäre alles, wie in dem 
jüdischen Theologumenon, nur um ein Geringes anders als es ist, aber nicht 
das Geringste läßt so sich vorstellen, wie es dann wäre.“ (GS 6, 294) Dieses 
Motiv wird auch in den 
Minima Moralia verwendet. Wie dem aus den Ferien 
heimgekehrten Kind werde die Welt „unverändert fast, im steten Lichte ihres 
Feiertages“ erscheinen.
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 Der 
Ästhetischen Theorie zufolge schließlich wird die 
im Kunstwerk reproduzierte „Welt in ihrer Komposition aus den Elementen 
der ersten versetzt, gemäß den jüdischen Beschreibungen vom messianischen 
Zustand, der in allem sei wie der gewohnte und nur um ein Winziges anders.“ 
(GS 7, 208 f.) Fast unverändert, aber unvorstellbar, vom Platz gerückt, aber 
an den richtigen – in solchen wie beiläufigen Formulierungen kristallisieren 
sich  Adornos  Vorstellungen  von  Erlösung.  Die  Rede  von  einer  Welt,  die 
‚nur um ein Geringes‘ anders sei, findet sich auch bei Ernst Bloch und Wal-
ter Benjamin: Bloch beschreibt, dass Strauch, Stein und „alle Dinge“ durch 
den Messias „nur ein wenig […] verrücken“ und benennt einen „kabbalisti-
schen“ Rabbi als Quelle des Spruchs.
125
 Benjamin schrieb in seinem Aufsatz 
über Franz Kafka, der Messias werde nicht mit Gewalt in die Welt kommen, 
„sondern nur um ein Geringes sie zurechtstellen“. Auch diese Formulierung 
drückt eine wörtlich so zu verstehende Veränderung der physischen Welt aus. 
Benjamin bezieht sich dafür auf  „einen großen Rabbi“,
126
 an anderer Stelle 
123 
Nachweis bei: Braunstein. 
Adornos Kritik der politischen Ökonomie. S. 373.
124 
„Dem Kinde, das aus den Ferien heimkommt, liegt die Wohnung neu, frisch, festlich da. 
Aber nichts hat darin sich geändert, seit es sie verließ. Nur daß die Pflicht vergessen ward, 
an die jedes Möbel, jedes Fenster, jede Lampe sonst mahnt, stellt ihren sabbatischen Frieden 
wieder her, und für Minuten ist man im Einmaleins von Zimmern, Kammern und Korridor 
zu Hause, wie es ein ganzes Leben lang nur die Lüge behauptet. Nicht anders wird einmal 
die Welt, unverändert fast, im stetigen Licht ihres Feiertags erscheinen, wenn sie nicht mehr 
unterm Gesetz der Arbeit steht, und dem Heimkehrenden die Pflicht leicht ist wie das Spiel 
in den Ferien war.“ (GS 4, 127).
125 
„Und ein anderer Rabbi, ein wirklich kabbalistischer, sagte einmal: um das Reich des Friedens 
herzustellen, werden nicht alle Dinge zu zerstören sein und eine ganze neue Welt fängt an; 
sondern diese Tasse oder jener Strauch oder jener Stein und so alle Dinge sind nur ein wenig 
zu verrücken. Weil aber dieses Wenige so schwer zu tun und sein Maß so schwierig zu finden 
ist, können das, was die Welt angeht, nicht die Menschen, sondern dazu kommt der Messias.“ 
(Bloch. 
Spuren. S. 201).
126 
Unter Bezug auf  das Lied vom 
Bucklig Männlein schreibt Benjamin: „Dies Männlein ist der 
Insasse des entstellten Lebens; es wird verschwinden, wenn der Messias kommt, von dem ein 
großer Rabbi gesagt hat, daß er nicht mit Gewalt die Welt verändern wolle, sondern nur um 
ein Geringes sie zurechtstellen werde.“ (BGS II.2, 432).


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gibt er einen chassidischen Ursprung an.
127
 Obwohl Scholem sich selbst als 
den Rabbi identifizierte,
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 lässt die Formulierung sich schon bei dem Zaddik 
Rabbi Nachman von Bratzlaw (1772–1810) finden, und zwar in dessen Erzäh-
lung 
Vom Königssohn und dem Sohn der Magd.  In  deren  Nacherzählung  durch 
Martin Buber – und in dieser Form werden sie Bloch, Benjamin und Adorno 
vermutlich gekannt haben
129
 – lautet das Ende der Erzählung, wenn der verlo-
rene Königssohn in seinen Palast heimkehrt, wie folgt:
„Hierauf  bestieg er den Stuhl und entzündete den Leuchter. Und er überschaute das 
ganze Land und alle Gedanken und Taten, die vergangenen und die gegenwärtigen. 
Und er begriff, daß der alte König vor seinem Tode alles mit Absicht so verwirrt 
hatte, auf  daß der Weise gefunden werde, der es wiederherstellen und jedes Ding 
an seinen rechten Ort bringen könnte. Und er sah die Tiere auf  den Wegen stehen 
und bemerkte, daß auch sie um ein weniges von ihrer Stelle gerückt waren. Und er 
ließ alle Tiere an ihren alten Ort rücken, und die Tiere ließen die Menschen an sich 
herankommen. Und als das letzte Tier an seine Stelle kam, da war es Mitternacht, 
und  alle  stimmten  die  wunderbare  Weise  an.  Da  gaben  sie  dem  Jüngling  das 
Königtum.“
130
In solchen Bildern einer liebevollen Umstellung des Gegenwärtigen hat man 
sich die Erlösung der Menschheit, wie sie Adorno imaginiert, vorzustellen. 
„Die Revolution käme auf  Samtpfoten daher.“
131
 Im Licht dieses ersten wah-
ren Feiertages liegt das ‚ganze Land‘ offen da, werden Subjekt und Objekt, 
Geist und Natur aus dem gesellschaftlichen Bann befreit und finden an ihren 
wahren Platz. Schon in seiner Habilitationsschrift Kierkegaard dürfte dies Adorno 
vor Augen gestanden haben, wenn er schreibt: „Wahrheit ist nicht dinglich. 
Sie ist der göttliche Blick, der als intellectus archetypus auf  die entfremdeten 
Dinge geht und aus ihrer Verzauberung sie erlöst.“ (GS 2, 60) Dies detailliert 
127 
„Es gibt bei den Chassidim einen Spruch von der kommenden Welt, der besagt: es wird dort 
alles eingerichtet sein wie bei uns. Wie unsre Stube jetzt ist, so wird sie auch in der kommen-
den Welt sein; wo unser Kind jetzt schläft, da wird es auch in der kommenden Welt schlafen. 
Was wir in dieser Welt am Leibe tragen, das werden wir auch in der kommenden Welt anha-
ben. Alles wird sein wie hier – nur ein klein wenig anders.“ (BGS IV.1, 419).
128 
Vgl. Benjamin/Scholem. 
Briefwechsel. S. 154.
129 
Vgl. zu Adornos Buber-Lektüre (genauer wohl nur Texte zum Chassidismus) seinen Brief  
an Scholem vom 22. Juni 1965, der aber vor allem ein kritisches Bild zeichnet: Buber sei im 
postnazistischen Deutschland ein umgekehrter Sündenbock, der „durchaus in den finstersten 
Zusammenhang der deutschen Ideologie gehört.“ (BW 8, 357).
130 
Buber. 
Die Geschichten des Rabbi Nachman. S. 99.
131 
Braunstein. 
Adornos Kritik der politischen Ökonomie. S. 374 f., vgl. Bobka. Geschichtsphilosophie vom 
Standpunkt der Erlösung. S. 83.


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