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er eine Metaphysik des werdenden Gottes zu. (vgl. NL IV/14, 23)
117
Adorno
zeigte allerdings an derlei rein philosophiehistorischen
Ableitungen relativ
wenig Interesse, was Tiedemann auch Scholem zuschreibt, der sich zur Ver-
bindung von Kabbala und dialektischem Idealismus kaum geäußert habe.
118
2.4 Am rechten Ort – um ein Winziges verrückt.
Zu einer Erlösungsmetapher bei Adorno, Scholem,
Benjamin, Bloch und Buber
Die Präsenz kabbalistischer Ideen bei Adorno lässt sich auch an Metaphern
aufzeigen, die er selbst nicht so benannt hat, die aber – z. T. in Formulie-
rungsdetails – seine Auseinandersetzung mit weiteren deutsch-jüdischen
Intellektuellen erkennen lassen. An einem Beispiel soll hier Adornos ideeller
Zusammenhang mit Scholem, Benjamin, Bloch und Buber illustriert werden.
In einer Notiz vom 2. Juni 1962 beruft Adorno sich auf eine Idee der
‚jüdischen Theologen‘: Philosophie kritisiere einen theologischen Ordnungs-
begriff, weil dieser „als geoffenbarter heteronom“ sei, „dem Subjekt aufge-
zwungen“. Aber sei nicht dadurch wiederum die Philosophie dem Ziel der
Theologie verpflichtet? „Meint sie nicht dadurch, was die jüdischen Theo-
logen von Gerechtigkeit als Ordnung wollen: daß die Dinge an ihre rechte
Stelle kommen.“ (FAB 8, 22) Die Formulierung vom ‚rechten Ort‘, an den
Menschen und Dinge, Subjekt und Objekt in einer vollendeten ‚Ordnung
des Möglichen‘ gerückt werden, gebrauchte Adorno auch an anderen Stel-
len. Der Ausblick auf eine solche Welt zeigt sich aber höchstens flüchtig und
prekär – in emphatisch hingegebener Erfahrung oder in der Sprache großer
117
In Bezug auf Schelling wurde das Gemeinte oben im Kapitel diskutiert, Adornos Interesse
an Marcion werde ich in Kapitel 4.2 im Abschnitt „Das Problem der Gnosis“ besprechen.
Schon in der Antrittsvorlesung
Die Aktualität der Philosophie (1931) heißt es über Scheler:
„Die letzte Wendung Schelers scheint mir ihr eigentliches exemplarisches Recht daher zu
besitzen, daß sie den Sprung zwischen den ewigen Ideen und der Wirklichkeit, den zu über-
winden die Phänomenologie sich in die materiale Sphäre hineinbegab, nun selber material-
metaphysisch anerkannte und die Wirklichkeit einem blinden ‚Drang‘ überließ, dessen Bezie-
hung zum Ideen himmel dunkel und problematisch ist und nur gerade der schwächsten Spur
von Hoffnung noch Raum läßt.“ (GS 1, 329) Umgehend wendet Adorno allerdings ein, dass
diese Perspektive dazu einlade, Transzendenz auf Vitalismus zu reduzieren. (vgl. a. a. O., 330)
Ansonsten ist Scheler keine zentrale Referenz in Adornos Werk, sondern eher Gegenstand
einzelner kritischer Seitenhiebe im Rahmen von Phänomenologie und Existenzialismus, etwa
in der Husserl-Kritik (vgl. GS 5, 43, 92, 185, 191) oder in der
Negativen Dialektik. (GS 6, 57,
97, 115, 235) Vgl. zum Kontext Jaitner.
Zwischen Metaphysik und Empirie.
118
Vgl. Tiedemann.
Erinnerung an Scholem. S. 212.
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Kunstwerke.
119
Dies erinnert an eine Formulierung in Scholems Hauptwerk
Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen: „Die Errettung Israels schließt die
Errettung aller Dinge ein. Wenn jedes Ding an seinen rechten Ort gesetzt ist,
wenn der Makel an allen Dingen ausgebessert ist, so ist eben das ‚Erlösung‘.
Hier verbindet sich in der lurianischen Theorie das messianische Element am
sichtbarsten mit dem mystischen.“
120
Gemeint ist die Idee des Tikkun Olam,
einer – je nach Variante – sukzessiven oder endzeitlichen Reparatur der zer-
borstenen Schöpfung, ja Gottes selbst, die nicht zuletzt von den Taten der
Menschen abhängt. Die dafür gewählte Formulierung erläuterte Scholem in
einem Vortrag 1973 ausführlicher: Jüdische Theologie teile mit säkularisier-
ter Apokalyptik oder Revolutionstheorien die Ablehnung einer radikal verin-
nerlichten Erlösung. Der Weg nach Innen bedeute für das Judentum immer
ebenso einen nach Außen: „Die Wiederherstellung der Dinge an ihren rechten
Ort, welche die Erlösung ist, stellt eben das Ganze wieder her, das nichts
von einer solchen Scheidung von Innerlichkeit und Äußerlichkeit weiß.“
121
Mit Adorno gelesen wäre die Anerkennung der Dinge auch die der Natur,
der eigenen Leiblicheit, im Subjekt. Die Formulierung wäre damit keine bloße
Metapher, sondern wörtlich gemeint: Im Zustand der Erlösung sind die Dinge
an einen anderen – zweifellos also den optimalen – Platz gerückt. Die Dif-
ferenz zwischen jüdisch-theologischer und säkularer Konzeption besteht
nach Scholem darin, dass Letztere diese Wiederherstellung als
rein immanent
auffasse und die bisherige Geschichte als Vorgeschichte bestimme. Scholem
nennt – ohne das implizierte Konzept der Vorgeschichte auf Marx zurückzu-
führen – „Ideologen des revolutionären Messianismus wie Walter Benjamin,
Theodor Adorno, Ernst Bloch und Herbert Marcuse“ als Verfechter dieser
Idee; „deren eingestandene oder uneingestandene Bindung an ihr jüdisches
Erbe“ sei somit „evident“.
122
119
Etwa in den folgenden Passagen: „Nur Denken, das ohne Mentalreservat, ohne Illusion des
inneren Königtums seine Funktionslosigkeit und Ohnmacht sich eingesteht, erhascht viel-
leicht einen Blick in eine Ordnung des Möglichen, Nichtseienden, wo die Menschen und
Dinge an ihrem rechten Ort wären.“ (GS 10.1, 472) „Soweit von Kunstwerken eine gesell-
schaftliche Funktion sich prädizieren läßt, ist es ihre Funktionslosigkeit. Sie verkörpern durch
ihre Differenz von der verhexten Welt negativ einen Stand, in dem, was ist, an die rechte
Stelle käme, an seine eigene.“ (GS 7, 337).
120
Scholem.
Die jüdische Mystik. S. 301.
121
Ders.
Es gibt ein Geheimnis in der Welt. S. 34.
122
A. a. O. S. 35. Scholems kritischer Diagnose einer „hemmungslosen optimistischen Utopie“
bei den genannten Autoren lässt sich zumindest im Hinblick auf Adorno wohl eher nicht
zustimmen.