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ideengeschichtlichen Würdigung philosophisch weiter nichts gesagt. Insofern
es sich aber auf einen realen „sakralen Gehalt“ historischer kabbalistischer
Strömungen beziehen will, ist Adornos Konzept der Kabbala, milde gesagt,
äußerst fragwürdig. Etwa der postulierte intrinsische Umschlag der Mystik in
Aufklärung, im Sinne einer verwandelnden Einwanderung des sakralen Gehalts
in die Moderne und messianisch über sie hinaus als negativer Fingerzeig auf
die wie auch immer prekäre Möglichkeit einer versöhnten Welt. Scholem, der
diesen aufklärerischen ‚Umschlag‘ dokumentiert habe, plädierte in seinem
Hauptwerk lediglich dafür, eine strukturelle Analogie der Sabbatianer zu Pie-
tisten, Anabaptisten und Quäkern zu sehen, deren religiöse Motive zur Affi-
nität mit den – überdies aus anderen Quellen stammenden – aufklärerischen
Ideen führten.
464
Von hier ließe sich eher ein Weg zu Max Webers Protestan-
tismus-Kapitalismus-These finden als etwa zu Benjamins Löschblattgleichnis.
Schlussendlich sind Scholems Arbeiten inzwischen von Jahrzehnten der For-
schung erweitert und immer wieder problematisiert worden. Kritik gab es auch
bezüglich des Sabbatianismus oder am allzu breit angewandten Gnosisbegriff.
Selbst die Bezeichnung der Kabbala als ‚jüdische Mystik‘ wurde als unhaltbare
Konstruktion problematisiert.
465
Mit diesen Feststellungen soll weder Scho-
lem als Historiker verabschiedet noch Webers These rehabilitiert werden und
mitnichten sollen Subversions- oder Befreiungskonzepte religiöser Provenienz
geleugnet werden. Aber über die bloß angedeuteten Irrungen und Wirrungen
der historischen Transformationsprozesse bricht die ‚Einwanderung in die
Profanität‘ zusammen. Der Weg der Kabbala in die Moderne lässt sich nicht
derart normativ vereindeutigen, ihr „Verfall“ gibt nicht die Gehalte preis, auf
die Adornos Theologie sich stützen möchte.
466
Selbst seine Lektüre Scholems
ist eine materialistisch-benjaminische Aneignung unter dem Banner des Profa-
nisierungspostulats, Selbstprotokoll einer verzweifelten Hoffnungssuche. Auf
Adornos Konzept der Kabbala trifft zu, was er vom religiösen Erbe verlangte.
464
Vgl. Scholem.
Die jüdische Mystik. S. 330.
465
Vgl. Fußnote 2.
466
Zu den erstaunlichen Transformationen des kabbalistischen Komplexes ins 20. Jahrhundert
gehören etwa auch Rezeptionen im Umfeld der Theosophischen Gesellschaft, bei Ernst Jün-
ger oder bei der populären Sängerin Madonna, auch wenn Scholem sie zweifellos als des
Studiums unwürdig betrachtet hätte. (vgl. Pasi.
Oriental Kabbalah and the Parting of East and
West, Wasserstrom. „
The Great Goal of Political Will is Leviathan“, Stuckrad.
Madonna and the
Shekhinah) Gerade hier wäre aber mehr als Ideengeschichte, nämlich auch die soziologische
und sozialpsychologische Analyse der Rezeptions- und Wirkungsformen entkontextualisier-
ter religiöser Überlieferungen in der Populärkultur einzufordern.
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Es offenbart sich als „Bildungsreminiszenz“ ohne Basis eines „Offenbarungs-
kerns“, muss seinerseits „vorbehaltlos“ preisgegeben, deutend negiert werden,
soll sein Anliegen nicht als „romantisches Wünschen“ verdächtig werden, wie
er selbst das zu Prousts metaphysischen Erfahrungen befürchtete, die darum
nur noch negativ zu erhalten seien.
Diese „vorbehaltlose Preisgabe“ darf aber wiederum keine unbedächtige
sein, denn die wie auch immer ungenaue Rezeption kabbalistischer Topoi lässt
philosophische Spuren zurück, die sich in Adornos Gesellschaftskritik bewäh-
ren, etwa zum Traditions- und Erfahrungsbegriff. Der Suche des Denkens
nach „Schutz bei Texten“ glückt dabei die reflexive Selbstrückbindung an jüdi-
sche Philosophie. Aber alle anverwandelten Figuren werden spezifisch gebro-
chen. Zum Klingen bringt sie Adornos radikale Verpflichtung auf Negativität,
deren bedauerliche Unabweisbarkeit sich schon an der Reflexhaftigkeit zeigt,
mit der sie seither abgelehnt wurde. Die Feststellung, dass „etwas fehlt“
467
,
ist unaufgehoben, die Permanenz menschlichen Leidens in der Geschichte
ungebrochen. Nach den Gräueln des 20. Jahrhunderts kommt eine realistische
Geschichtsbetrachtung um den Pessimismus nicht herum. Auch das gegen-
wärtige globale Zeitgeschehen scheint die Diagnose „triumphalen Unheils“
(GS 3, 19) eher nicht zu widerlegen. Angesichts dessen erweist sich der Kern
von Adornos Kabbala-Deutung, die profane Mobilisierung religiöser Ideen
zur „Protestation gegen das wirkliche Elend“
468
, als traurig aktuell. Seine
scheinbare Ausweglosigkeit ist die jedes Gedankens, der an dem offensichtlich
unverwirklichten humanistischen Versprechen von universalem Glück fest-
zuhalten versucht. Es ist inzwischen sowohl veraltet als auch utopisch, klingt
jedenfalls phrasenhaft. Das ist das eigentlich Alarmierende. In diesem Sinne
erscheint die Welt verfremdet im messianischen Licht: Am ‚garstig breiten
Graben‘ zwischen Realität und Versöhnung lässt sich die Verkehrtheit der ers-
teren erkennen. Das illusionslose Andenken gegen diesen Zustand, der bei
Scholem „Nichts Gottes“ und bei Adorno „Naturgeschichte“ heißt, vereint
sie in ihren beträchtlichen Differenzen. Für beide speist sich dabei nun eben
die noch so hoffnungslose Hoffnung aus Ideen des Judentums, die sie mit
Benjamin für die Konstruktion ihrer je spezifischen „Theologie“ verwenden.
Ohne dass Sinn im Nichts behauptet würde, kristallisiert sich derart in ihren
467
Vgl. Adorno/Bloch.
Etwas fehlt – der Titel zitiert Brecht.
Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny.
S. 349.
468
Marx.
Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. S. 378.