r
knSt
knA
r
arrala
173
Adorno gelegentlich aufmerksam, vor allem deren deutschen Dissidenten
Rudolf Steiner.
457
In der
Dialektik der Aufklärung werden
etwa neben anderen
esoterischen Strömungen Theosophie und Eurythmie (Steiners esoterischer
Ausdruckstanz), als Produkte „pathischer Projektion“ angeführt, welche die
„willkürliche Besetzung der Außenwelt mit Sinn“ ermöglicht und der antise-
mitischen Paranoia zugrundeliegt. (vgl. GS 3, 322) Der Einfluss theosophi-
scher Ideen auf Musik und Malerei im frühen zwanzigsten Jahrhundert wurde
erst in den letzten Jahren wieder breiter erforscht.
458
Adorno, der als Musiker
beim gleichfalls esoterisch interessierten Berg in die Schule gegangen war,
kannte die entsprechenden Neigungen diverser Künstler durchaus noch und
kritisierte die Erfolglosigkeit solcher esoterischen Versuche, Übersinnliches in
Kunstwerken manifestieren zu wollen:
„Was das
Material vergeistigen wollte, terminiert im nackten Material als einem
bloß Seienden, so wie in den späteren Entwicklungen manche Schulen, musikalisch
etwa die von John Cage, ausdrücklich es forderten. Der Geist, den Kandinsky
und sicherlich recht ähnlich der Schönberg der expressionistischen Phase als
457
Steiner wird von Adorno einmal als „Gnostiker“ gestreift (vgl. BW 7, 58 bzw. Kapitel 4.2 im
Abschnitt „Das Problem der Gnosis“) und sonst zweimal als schlechter Einfluss auf Kafka
und Bloch erwähnt: „Ein Bann liegt über Kafkas Raum; das in sich verschlossene Subjekt
hält den Atem an, als dürfe es nichts anfassen, was nicht ist wie es. Unter diesem Bann schlägt
reine Subjektivität in Mythologie, der konsequente Spiritualismus in Naturverfallenheit um.
Kafkas absonderliche Neigung zu Nacktkultur und Naturheilverfahren, seine sei‘s auch ge-
brochene Toleranz für den wüsten Aberglauben Rudolf Steiners sind nicht Rudimente in-
tellektueller Unsicherheit, sondern
gehorchen einem Prinzip, das, indem es unerbittlich das
Unterscheidende sich verbietet, die Kraft zur Unterscheidung einbüßt und von derselben
Regression bedroht wird, über die Kafka als Darstellungsmittel so souverän verfügt, vom
Vieldeutigen, Amorphen, Namenlosen.“ (GS 10.1, 275) Steiner, zu dessen Prager Anhänger-
schaft die mit Kafka bekannte Berta Fanta gehörte, hat dem Dichter einmal eine Audienz
gewährt. (vgl. Vögele.
Der andere Rudolf Steiner. S. 185–193) Walter Benjamin interessierte sich
um 1916, wie Bloch, für Alexander von Bernus‘ Zeitschrift
Das Reich, deren Herausgeber ei-
ner Reihe von ehemaligen Georgianern angehörte, die sich der Theosophie Steiners zuwand-
ten. (vgl. Scholem.
Walter Benjamin – die Geschichte einer Freundschaft. S. 39, zu Bernus vgl. Stott-
meister.
Der George-Kreis und die Theosophie. S. 265–271) Einmal stellte Benjamin heraus, dass er
seinen Begriff der Aura explizit als Gegenmodell zum theosophischen entworfen habe. (vgl.
BGS VI, 588) Kracauer widmete Theosophie und ganz besonders Anthropo sophie immer
wieder kritische Invektiven und Rezensionen, wozu er nach 1920 durchaus auch Tagungen
der Steiner-Fans besuchte. (die Aufsätze finden sich in KW 5.1–2) Ein weiterer merkwürdiger
Weg von Adorno zu Steiner findet sich bei Alexander Kluge, der Steiners
Aus der Akasha-
Chronik (Bericht über eine von geistigen Kräften vorangetriebene, fortschrittsverliebte Wel-
ten-, Menschheits- und Rassengeschichte) mit Andrej Tarkowski filmisch adaptieren wollte.
(vgl. Kluge/Fagard.
Die Fliege im Bernstein, Sünner.
Eine Reise ins innere Atlantis).
458
Vgl. für einen Überblick Bauduin.
Abstract Art as „By-Product of Astral Manifestation“, Wuidar.
Music and Esotericism.
174
r
knSt
knA
r
arrala
unverschandelt, unmetaphorisch wahren verfochten hatten – auch bei Schönberg
ging es nicht ohne Theosophie ab, die den Geist gleichsam ins Dasein zitiert –, wird
unverbindlich und eben deshalb um seiner selbst willen verherrlicht: ‚Du mußt an
den Geist glauben!‘“ (GS 10.1, 437 f.)
Ohne dem Okkultismus um 1900 irgendwie nachsichtig zu begegnen, sah
Adorno in der künstlerischen Reflexion seiner Geisterwelten jedoch auch den
scheiternden Ausdruck verstellter Hoffnungen. Eine solche Interpretation
deutete er zumindest mit Blick auf Blochs
Geist der Utopie an – ein Buch,
das in
weiten Teilen eine Synthese aus George und Steiner darstellte:
459
„Das Desperate, welches das spekulative Element annimmt,
sobald es aus der
Dialektik herausfällt, tönt in Blochs Musik als die sich übertreibende Leidenschaft
zur Möglichkeit, die inmitten des Wirklichen als unmöglich unterliegt. Wie jeder
menschenwürdige Gedanke gedeiht der Blochische am Rand des Mißlingens: hart
an der Sympathie fürs Okkulte.“ (GS 11, 567)
Was aber bedeutet die fluide Präsenz aller möglichen okkultistischen Versatz-
stücke in der Kunst und Literatur des 20. Jahrhunderts für die These einer
„unterirdischen, mystischen Tradition“? Zweifellos setzte Schönberg sich
schließlich innig mit dem Judentum auseinander,
Moses und Aron ist nicht das
geringste Zeugnis davon.
460
Wahrscheinlich kannte er auch kabbalistische
Themen. Diese wären aber vor dem Hintergrund der spezifischen religiösen
Interessen im Umfeld der Zweiten Wiener Schule zu betrachten, in die zahlrei-
che Traditionen hineinspielten. Die versuchte Anbindung Schönbergs an eine
esoterisch-kabbalistische Überlieferung greift zu kurz und ist zu vage, weil
sie die konkrete historische Vermittlung der einzelnen Gehalte ausblendet.
Scholem
geht nicht zu Unrecht so weit, die Annahme zu einer „jungianischen
Hypothese“ zuzuspitzen: Bedingung einer solchen unsichtbaren Überlie-
ferung wären archetypische Figuren, die in einem kollektiven Unbewussten
459
Über Blochs Steiner-Rezeption in
Geist der Utopie schreibt Adorno im Aufsatz
Blochs Spuren:
„Eine Dimension wird aufgestoßen, die der Philosophie, seit dem Überschwang ihrer spe-
kulativen Tage, tabu war und die sie dem Apokryphen eingeräumt hatte, bis hinab zu jenem
Rudolf Steiner, von dem das Utopiebuch nicht ohne ironischen Respekt redet.“ (GS 11,
567) Vgl. zu Bloch und Steiner Zander.
Geschichte der Seelenwanderung in Europa. S. 560–564,
Stottmeister.
Der George-Kreis und die Theosophie. S. 271–286, mit dem m. E. zutreffenden Fazit:
„Zur Verdrängung seiner theosophischen Sympathien sorgte nicht Bloch, sondern die Bloch-
rezeption.“ (a. a. O. S. 286).
460
Allerdings hängt selbst das Thema des Bilderverbots mit esoterischen Diskursen zusammen.
(vgl. Hanegraaff. „
The Trouble with Images“ ).