Adorno und die Kabbala (Pri ha-Pardes; 9)



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Adorno  gelegentlich  aufmerksam,  vor  allem  deren  deutschen  Dissidenten 
Rudolf  Steiner.
457
 In der 
Dialektik der Aufklärung werden etwa neben anderen 
esoterischen Strömungen Theosophie und Eurythmie (Steiners esoterischer 
Ausdruckstanz), als Produkte „pathischer Projektion“ angeführt, welche die 
„willkürliche Besetzung der Außenwelt mit Sinn“ ermöglicht und der antise-
mitischen Paranoia zugrundeliegt. (vgl. GS 3, 322) Der Einfluss theosophi-
scher Ideen auf  Musik und Malerei im frühen zwanzigsten Jahrhundert wurde 
erst in den letzten Jahren wieder breiter erforscht.
458
 Adorno, der als Musiker 
beim  gleichfalls  esoterisch  interessierten  Berg  in  die  Schule  gegangen  war, 
kannte die entsprechenden Neigungen diverser Künstler durchaus noch und 
kritisierte die Erfolglosigkeit solcher esoterischen Versuche, Übersinnliches in 
Kunstwerken manifestieren zu wollen:
„Was das Material vergeistigen wollte, terminiert im nackten Material als einem 
bloß Seienden, so wie in den späteren Entwicklungen manche Schulen, musikalisch 
etwa  die  von  John  Cage,  ausdrücklich  es  forderten.  Der  Geist,  den  Kandinsky 
und  sicherlich  recht  ähnlich  der  Schönberg  der  expressionistischen  Phase  als 
457 
Steiner wird von Adorno einmal als „Gnostiker“ gestreift (vgl. BW 7, 58 bzw. Kapitel 4.2 im 
Abschnitt „Das Problem der Gnosis“) und sonst zweimal als schlechter Einfluss auf  Kafka 
und Bloch erwähnt: „Ein Bann liegt über Kafkas Raum; das in sich verschlossene Subjekt 
hält den Atem an, als dürfe es nichts anfassen, was nicht ist wie es. Unter diesem Bann schlägt 
reine Subjektivität in Mythologie, der konsequente Spiritualismus in Naturverfallenheit um. 
Kafkas absonderliche Neigung zu Nacktkultur und Naturheilverfahren, seine sei‘s auch ge-
brochene Toleranz für den wüsten Aberglauben Rudolf  Steiners sind nicht Rudimente in-
tellektueller Unsicherheit, sondern gehorchen einem Prinzip, das, indem es unerbittlich das 
Unterscheidende sich verbietet, die Kraft zur Unterscheidung einbüßt und von derselben 
Regression bedroht wird, über die Kafka als Darstellungsmittel so souverän verfügt, vom 
Vieldeutigen, Amorphen, Namenlosen.“ (GS 10.1, 275) Steiner, zu dessen Prager Anhänger-
schaft die mit Kafka bekannte Berta Fanta gehörte, hat dem Dichter einmal eine Audienz 
gewährt. (vgl. Vögele. 
Der andere Rudolf  Steiner. S. 185–193) Walter Benjamin interessierte sich 
um 1916, wie Bloch, für Alexander von Bernus‘ Zeitschrift 
Das Reich, deren Herausgeber ei-
ner Reihe von ehemaligen Georgianern angehörte, die sich der Theosophie Steiners zuwand-
ten. (vgl. Scholem. 
Walter Benjamin – die Geschichte einer Freundschaft. S. 39, zu Bernus vgl. Stott-
meister. 
Der George-Kreis und die Theosophie. S. 265–271) Einmal stellte Benjamin heraus, dass er 
seinen Begriff  der Aura explizit als Gegenmodell zum theosophischen entworfen habe. (vgl. 
BGS VI, 588) Kracauer widmete Theosophie und ganz besonders Anthropo sophie immer 
wieder kritische Invektiven und Rezensionen, wozu er nach 1920 durchaus auch Tagungen 
der Steiner-Fans besuchte. (die Aufsätze finden sich in KW 5.1–2) Ein weiterer merkwürdiger 
Weg von Adorno zu Steiner findet sich bei Alexander Kluge, der Steiners 
Aus der Akasha-
Chronik (Bericht über eine von geistigen Kräften vorangetriebene, fortschrittsverliebte Wel-
ten-, Menschheits- und Rassengeschichte) mit Andrej Tarkowski filmisch adaptieren wollte. 
(vgl. Kluge/Fagard. 
Die Fliege im Bernstein, Sünner. Eine Reise ins innere Atlantis).
458 
Vgl. für einen Überblick Bauduin. 
Abstract Art as „By-Product of  Astral Manifestation“, Wuidar. 
Music and Esotericism.


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unverschandelt, unmetaphorisch wahren verfochten hatten – auch bei Schönberg 
ging es nicht ohne Theosophie ab, die den Geist gleichsam ins Dasein zitiert –, wird 
unverbindlich und eben deshalb um seiner selbst willen verherrlicht: ‚Du mußt an 
den Geist glauben!‘“ (GS 10.1, 437 f.)
Ohne  dem  Okkultismus  um  1900  irgendwie  nachsichtig  zu  begegnen,  sah 
Adorno in der künstlerischen Reflexion seiner Geisterwelten jedoch auch den 
scheiternden  Ausdruck  verstellter  Hoffnungen.  Eine  solche  Interpretation 
deutete er zumindest mit Blick auf  Blochs 
Geist der Utopie an – ein Buch, das in 
weiten Teilen eine Synthese aus George und Steiner darstellte:
459
„Das Desperate, welches das spekulative Element annimmt, sobald es aus der 
Dialektik herausfällt, tönt in Blochs Musik als die sich übertreibende Leidenschaft 
zur Möglichkeit, die inmitten des Wirklichen als unmöglich unterliegt. Wie jeder 
menschenwürdige Gedanke gedeiht der Blochische am Rand des Mißlingens: hart 
an der Sympathie fürs Okkulte.“ (GS 11, 567)
Was aber bedeutet die fluide Präsenz aller möglichen okkultistischen Versatz-
stücke in der Kunst und Literatur des 20. Jahrhunderts für die These einer 
„unterirdischen,  mystischen  Tradition“?  Zweifellos  setzte  Schönberg  sich 
schließlich innig mit dem Judentum auseinander, 
Moses und Aron ist nicht das 
geringste  Zeugnis  davon.
460
 Wahrscheinlich kannte er auch kabbalistische 
Themen. Diese wären aber vor dem Hintergrund der spezifischen religiösen 
Interessen im Umfeld der Zweiten Wiener Schule zu betrachten, in die zahlrei-
che Traditionen hineinspielten. Die versuchte Anbindung Schönbergs an eine 
esoterisch-kabbalistische  Überlieferung  greift  zu  kurz  und  ist  zu  vage,  weil 
sie  die  konkrete  historische  Vermittlung  der  einzelnen  Gehalte  ausblendet. 
Scholem geht nicht zu Unrecht so weit, die Annahme zu einer „jungianischen 
Hypothese“  zuzuspitzen:  Bedingung  einer  solchen  unsichtbaren  Überlie-
ferung wären archetypische Figuren, die in einem kollektiven Unbewussten 
459 
Über Blochs Steiner-Rezeption in 
Geist der Utopie schreibt Adorno im Aufsatz Blochs Spuren
„Eine Dimension wird aufgestoßen, die der Philosophie, seit dem Überschwang ihrer spe-
kulativen Tage, tabu war und die sie dem Apokryphen eingeräumt hatte, bis hinab zu jenem 
Rudolf   Steiner,  von  dem  das  Utopiebuch  nicht  ohne  ironischen  Respekt  redet.“  (GS  11, 
567) Vgl. zu Bloch und Steiner Zander. 
Geschichte der Seelenwanderung in Europa. S. 560–564, 
Stottmeister. 
Der George-Kreis und die Theosophie. S. 271–286, mit dem m. E. zutreffenden Fazit: 
„Zur Verdrängung seiner theosophischen Sympathien sorgte nicht Bloch, sondern die Bloch-
rezeption.“ (a. a. O. S. 286).
460 
Allerdings hängt selbst das Thema des Bilderverbots mit esoterischen Diskursen zusammen. 
(vgl. Hanegraaff. „
The Trouble with Images“ ).


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