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Wie die Arbeit selbst, so erscheint hier auch Rohmaterial und Produkt in einem ganz andren Licht als
vom Standpunkt des eigentlichen Arbeitsprozesses. Das Rohmaterial gilt hier nur als Aufsauger eines
bestimmten Quantums Arbeit. Durch diese Aufsaugung verwandelt es sich in der Tat in Garn, weil die
Arbeitskraft in der Form der Spinnerei verausgabt und ihm zugesetzt wurde. Aber das Produkt, das Garn,
ist jetzt nur noch Gradmesser der von der Baumwolle eingesaugten Arbeit. Wird in einer Stunde 1 2/3
Pfund Baumwolle versponnen oder in 1 2/3 Pfund Garn verwandelt, so zeigen 10 Pfund Garn 6 einge-
saugte Arbeitsstunden an. Bestimmte und erfahrungsmäßig festgestellte Quanta Produkt stellen jetzt
nichts dar als bestimmte Quanta Arbeit, bestimmte Masse festgeronnener Arbeitszeit. Sie sind nur noch
Materiatur von einer Stunde, zwei Stunden, einem Tag gesellschaftlicher Arbeit.
Daß die Arbeit grade Spinnarbeit, ihr Material Baumwolle und ihr Produkt Garn, wird hier ebenso gleich-
gültig, als daß der Arbeitsgegenstand selbst schon Produkt, also Rohmaterial ist. Wäre der Arbeiter, statt
in der Spinnerei, in der Kohlengrube beschäftigt, so wäre der Arbeitsgegenstand, die Kohle, von Natur
vorhanden. Dennoch stellte ein bestimmtes Quantum aus dem Bett losgebrochener Kohle, z.B. ein Zent-
ner, ein bestimmtes Quantum aufgesaugter Arbeit dar.
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Beim Verkauf der Arbeitskraft ward unterstellt, daß ihr Tageswert = 3 sh., und in den letztren 6 Arbeits-
stunden verkörpert sind, dies Arbeitsquantum also erheischt ist, um die Durchschnittssumme der tägli-
chen Lebensmittel des Arbeiters zu produzieren. Verwandelt unser Spinner nun während einer Arbeit s-
stunde 1 2/3 Pfund Baumwolle im 1 2/3 Pfund Garn[12], so in 6 Stunden 10 Pfund Baumwolle in 10
Pfund Garn. Während der Dauer des Spinnprozesses saugt die Baumwolle also 6 Arbeitsstunden ein. Die-
selbe Arbeitszeit stellt sich in einem Goldquantum von 3 sh. dar. Der Baumwolle wird also durch das
Spinnen selbst ein Wert von 3 sh. zugesetzt.
Sehn wir uns nun den Gesamtwert des Produkts, der 10 Pfund Garn, an. In ihnen sind 2 1/2 Arbeitstage
vergegenständlicht, 2 Tage enthalten in Baumwolle und Spindelmasse, 1/2 Tag Arbeit eingesaugt wäh-
rend des Spinnprozesses. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einer Goldmasse von 15 sh. dar. Der dem
Wert der 10 Pfund Garn adäquate Preis beträgt also 15 sh., der Preis eines Pfundes Garn 1 sh. 6 d.
Unser Kapitalist stutzt. Der Wert des Produkts ist gleich dem Wert des vorgeschossenen Kapitals. Der
vorgeschossene Wert hat sich nicht verwertet, keinen Mehrwert erzeugt, Geld sich also nicht in Kapital
verwandelt. Der Preis der 10 Pfund Garn ist 15 sh., und 15 sh. wurden verausgabt auf dem Warenmarkt
für die Bildungselemente des Produkts oder, was dasselbe, die Faktoren des Arbeitsprozesses: 10 sh. für
Baumwolle, 2 sh. für die verzehrte Spindelmasse und 3 sh. für Arbeitskraft. Der aufgeschwollne Wert des
Garns hilft nichts, denn sein Wert ist nur die Summe der früher auf Baumwolle, Spindel und Arbeitskraft
verteilten Werte, und aus einer solchen bloßen Addition vorhandner Werte kann nun und nimmermehr ein
Mehrwert entspringen.[13] Diese Werte sind jetzt alle auf ein Ding konzentriert, aber so waren sie in der
Geldsumme von 15 sh., bevor diese sich durch drei Warenkäufe zersplitterte.
An und für sich ist dies Resultat nicht befremdlich. Der Wert eines Pfund Garn ist 1 sh. 6 d., und für 10
Pfund Garn müßte unser Kapitalist daher auf dem Warenmarkt 15 sh. zahlen. Ob er sien Privathaus fertig
auf dem
[12] Die Zahlen hier sind ganz willkürlich.
[13] Dies ist der Fundamentalsatz, worauf die Lehre der Physiokraten von der Unpruduktivität
aller nicht agrikolen Arbeit beruht, und er ist unumstößlich für den Ökonomen – von Fach. "Diese
Art, einem einzigen Gegenstand den Wert mehrerer anderer zuzurechnen" (z.B. dem Flachs den
Lebensunterhalt des Leinewebers), "also sozusagen verschiedene Werte schichtweise auf einen
einzigen aufzuhäufen, bewirkt, daß dieser in gleichem Umfang anwächst ... Der Ausdruck Addi-
tion bezeichnet sehr gut die Art, wie der Preis der handwerklichen Erzeugnisse gebildet wird; die-
ser Preis
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Markt kauft oder es selbst bauen läßt, keine dieser Operationen wird das im Erwerb des Hauses ausge-
legte Geld vermehren.
Der Kaptalist, der in der Vulgärökonomie Bescheid weiß, sagt vielleicht, er haben sein Geld mit der Ab-
sicht vorgeschossen, mehr Geld daraus zu machen. Der Weg zur Hölle ist jedoch mit guten Absichten
gepflastert, und er konnte ebensogut der Absicht sein, Geld zu machen, ohne zu produzieren.[14] Er
droht. Man werde ihn nicht wieder ertappen. Künftig werde er die Ware fertig auf dem Markt kaufen, statt
sie selbst zu fabrizieren. Wenn aber alle seine Brüder Kapitalisten desgleichen tun, wo soll er Ware auf
dem Markt finden? Und Geld kann er nicht essen. Er katechisiert. Man soll seine Abstinenz bedenken. Er
konnte seine 15 sh. verprassen. Statt dessen hat er sie produktiv konsumiert und Garn daraus gemacht.
Aber dafür ist er ja im Besitz von Garn statt von Gewissensbissen. Er muß beileibe nicht in die Rolle des
Schatzbildners zurückfallen, der uns zeigte, was bei der Asketik herauskommt. Außerdem, wo nichts ist,
hat der Kaiser sein Recht verloren. Welches immer das Verdienst seiner Entsagung, es ist nichts da, um
sie extra zu zhlen, da der Wert des Produkts, der aus dem Prozeß herauskommt, nur gleich der Summe der
hineingeworfenen Warenwerte. Er beruhige sich also dabei, daß Tugend Lohn. Statt dessen wird er zu-
dringlich. Das Garn ist ihm unnütz. Er hat es für den Verkauf produziert. So verkaufe er es, oder, noch
einfacher, produziere in Zukunft nur Dinge für seinen eignen Bedarf, ein Rezept, das ihm bereits sien
Hausarzt MacCulloch als probates Mittel gegen die Epidemie der Überproduktion verschrieben hat. Er
stellt sich trutzig auf die Hinterbeine. Sollte der Arbeiter mit seinen eignen Gliedmaßen in der blauen Luft
Arbeitsgebilde schaffen, Waren produzieren? Gab er ihm nicht den Stoff, womit und worin er allein seine
Arbeit verleiblichen kann? Da nun der größte Teil der Gesellschaft aus solchen Habenichtsen besteht, hat
er nicht der Gesellschaft durch seine Produktionsmittel, seine Baumwolle und sene Spindel, einen uner-
meßlichen Dienst erwiesen, nicht dem Arbeiter selbst, den er obendrein noch mit Lebensmitteln versah?
Und soll er den Dienst nicht berechnen? Hat der Arbeiter ihm aber nicht den Gegendienst ersiesen,
Baumwolle und
ist nur die Gesamtsumme mehrerer verbrauchter und zusammengezählter Werte; addieren jedoch
bedeutet nicht multiplizieren." (Mercier de la Rivière, l.c. p.599.)
[14] So z.B. entzog er 1844-1847 [einen] Teil seines Kapitals dem produktiven Geschäft, um es
in Eisenbahnaktien zu verspekulieren. So, zur Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs, schloß er
die Fabrik und warf den Fabrikarbeiter aufs Pflaster, um auf der Liverpooler Baumwollbörse zu
spielen.
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Spindel in Garn zu verwandeln? Außerdem handelt es sich hier nicht um Dienste.[45] Ein Dienst ist
nichts als die nützliche Wirkung eines Gebrauchswerts, sei es der Ware, sei es der Arbeit.[16] Hier aber
gilt's den Tauschwert. Er zahlte dem Arbeiter den Wert von 3 sh. Der Arbeiter gab ihm ein exaktes Äqui-
valent zurück in dem der Baumwolle zugesetzten Wert von 3 sh. Wert für Wert. Unser Freund, eben noch
so kapitalübermütig, nimmt plötzlich die anspruchslose Haltung seines eignen Arbeiters an. Hat er nicht
selbst gearbeitet? nicht die Arbeit der Überwachung, der Oberaufsicht über den Spinner verrichtet? Bildet
diese seine Arbeit nicht auch Wert? Sein eigner overlooker und sein Manager zucken die Achseln. Unter-
des hat er aber bereits mit heitrem Lächeln seine alte Physiognomie wieder angenommen. Er foppte uns
mit der ganzen Litanei. Er gibt keinen Deut darum. Er überläßt diese und ähnliche faule Ausflüchte und
hohle Flausen den dafür eigens bezahlten Professoren der politischen Ökonomie. Er selbst ist ein prakti-
scher Mann, der zwar nicht immer bedenkt, was er außerhalb des Geschäfts sagt, aber stets weiß, was er
im Geschäft tut.
Sehn wir näher zu. Der Tageswert der Arbeitskraft betrug 3 sh., weil in ihr selbst ein halber Arbeitstag
vergegenständlicht ist, d.h. weil die täglich zur Produktion der Arbeitskraft nötigen Lebensmittel einen
halben Arbeitstag kosten. Aber die vergangne Arbeit, die in der Arbeitskraft steckt, und die lebendige
Arbeit, die sie leisten kann, ihre täglichen Erhaltungskosten und ihre tägliche Verausgabung, sind zwei
ganz verschiedne