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Die Arbeit verbraucht ihre stofflichen Elemente, ihren Gegenstand und ihr Mittel, verspeist dieselben und
ist also Konsumtionsprozeß. Diese produktive Konsumtion unterscheidet sich dadurch von der individu-
ellen Konsumtion, daß letztere die Produkte als Lebensmittel des lebendigen Individuums, erstere sie als
Lebensmittel der Arbeit, seiner sich betätigenden Arbeitskraft, verzehrt. Das Produkt der individduellen
Konsumtion ist daher der Konsument selbst, das Resultat der produktiven Konsumtion ein vom Konsu-
menten unterschiednes Produkt.
Sofern ihr Mittel und ihr Gegenstand selbst schon Produkte sind, vezehrt die Arbeit Produkte, um Pro-
dukte zu schaffen, oder vernutzt Produkte als Produktionsmittel von Produkten. Wie der Arbeitsprozeß
aber ursprünglich nur zwischen dem Menschen und der ohne sein Zutun vorhandnen Erde vorgeht, dienen
in ihm immer noch auch solche Produktionsmittel, die von Natur vorhanden, keine Verbindung von Na-
turstoff und menschlicher Arbeit darstellen.
Der Arbeitsprozeß, wie wir ihn in seinen einfachen und abstrakten Momenten dargestellt haben, ist
zweckmäßige Tätigkeit zur herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des Natürlichen für menschli-
che Bedürfnisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbe-
dingung des menschlichen Lebens und daher unabhängig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr allen
seinen Gesellschaftsformen gleich gemeinsam. Wir hatten daher nicht nötig, den Arbeiter im Verhältnis
zu andren Arbeitern darzustellen. Der Mensch und seine Arbeit auf der
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einen, die Natur und ihre Stoffe auf der andren Seite genügten. So winig man dem Weizen anschmeckt,
wer ihn gebaut hat, so wenig sieht man diesem Prozeß an, unter welchen Bedingungen er vorgeht, ob
unter der brutalen Peitsche des Sklavenaufsehers oder unter dem ängstlichen Auge des Kapitalisten, ob
Cincinnatus ihn verrichtet in der Bestellung seiner paar jugera oder der Wilde, der mit einem Stein eine
Bestie erlegt.[9]
Kehren wir zu unsrem Kapitalisten in spe zurück. Wir verließen ihn, nachdem er auf dem Warenmarkt
alle zu einem Arbeitsprozeß notwendigen Faktoren gekauft hatte, die gegenständlichen Faktoren oder die
Produktionsmittel, den persönlichen Faktor oder die Arbeitskraft. Er hat mit schlauem Kennerblick die für
sein besondres Geschäft, Spinnerei, Stiefelfabrikation usw., passenden Produktionsmittel und Arbeit s-
kräfte ausgewählt. Unser Kapitalist setzt sich also daran, die von ihm gekaufte Ware, die Arbeitskraft, zu
konsumieren, d.h., er läßt den Träger der Arbeitskraft, den Arbeiter, die Produktionsmittel durch seine
Arbeit konsumieren. Die allgemeine Natur des Arbeitsprozesses ändert sich natürlich nicht dadurch, daß
der Arbeiter ihn für den Kapitalisten, statt für sich selbst verrichtet. Aber auch die bestimmte Art und
Weise, wie man Stiefel macht oder Garn spinnt, kann sich zunächst nicht ändern durch die Dazwischen-
kunft des Kapitalisten. Er muß die Arbeitskraft zunächst nehmen, wie er sie auf dem Markt vorfindet, also
auch ihre Arbeit, wie sie in einer Periode entsprang, wo es noch keine Kapitalisten gab. Die Verwandlung
der Produktionsweise selbst durch die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital kann sich erst später
ereignen und ist daher erst später zu betrachten.
Der Arbeitsprozeß, wie er als Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft durch den kapitalisten vorgeht, zeigt
nun zwei eigentümliche Phänomene.
Der Arbeiter arbeitet unter der Kontrolle des Kapitalisten, dem seine Arbeit gehört. Der Kapitalist paßt
auf, daß die Arbeit ordentlich vonstatten geht und die Produktionsmittell zweckmäßig verwandt wer-
den,also kein
[9] Aus diesem höchst logischen Grund entdeckt wohl Oberst Torrens in dem Stein des Wilden –
den Ursprung des Kapitals. "In dem ersten Stein, den der Wilde auf die Bestie wirft, die er ver-
fofgt, in dem ersten Stock, den er ergreift, um die Frucht niederzuziehn, die er nicht mit den Hän-
den fassen kann, sehn wir die Aneignung eines Artikels zum Zweck der Erwerbung eines andren
und entdecken so – den Ursprung des Kapitals." (R. Torrens, "An Essay on the Production of
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Wealth etc.", p.70, 71.) Aus jenem ersten Stock ist wahrscheinlich auch zu erklären, warum stock
im Englischen synonym mit Kapital ist.
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Rohmaterial vergeudet und das Arbeitsinstrument geschont, d.h. nur so weit zerstört wird, als sein Ge-
brauch in der Arbeit ernötigt.
Zweitens aber: Das Produkt ist Eigentum des Kapitalisten, nicht des unmittelbaren Produzenten, des Ar-
beiters. Der Kapitalist zahlt z.B. den Tageswert der Arbeitskraft. Ihr Gebrauch, wie der jeder andren Wa-
re, z.B. eines Pferdes, das er für einen Tag gemietet, gehört ihm also für den Tag. Dem Käufer der Ware
gehört der Gebrauch der Ware, und der Besitzer der Arbeitskraft gibt in der Tat nur den von ihm ver-
kauften Gebrauchswert, indem er seine Arbeit gibt. Von dem Augenblicke, wo er in die Werkstätte des
Kapitalisten trat, gehörte der Gebrauchswert seiner Arbeitskraft, also ihr Gebrauch, die Arbeit, dem Ka-
pitalisten. Der Kapitalist hat durch den Kauf der Arbeitskraft die Arbeit selbst als lebendigen Gärungs-
stoff den toten ihm gleichfallls gehörigen Bildungselementen des Produkts einvereibt. Von seinem Stand-
punkt ist der Arbeitsprozeß nur die Konsumtion der von ihm gekauften Ware Arbeitskraft, die er jedoch
nur konsumieren kann, indem er ihr Produktionsmittel zusetzt. Der Arbeitsprozeß ist ein Prozeß zwischen
Dingen, die der Kapitalist gekauft hat, zwischen ihm gehörigen Dingen. Das Produkt dieses Prozesses
gehört ihm daher ganz ebensosehr als das Produkt des Gärungsprozesses in seinem Weinkeller.[10]
2. Verwertungsprozeß
Das Produkt – das Eigentum des Kapitalisten – ist ein Gebrauchswert, Garn, Stiefel usw. Aber obgleich
Stiefel z.B. gewissermaßen die Basis des gesellschaftlichen Fortschritts bilden und unser Kapitalist ein
entschiedner
[10] "Die Produkte sind appropriiert, bevor sie in Kapital verwandelt werden; diese Verwandlung
entzieht sie nicht jener Appropriation." (Cherbuliez, "Richesse ou Pauvreté", édit. Paris 1841,
p.54.) "Indem der Proletarier sene Arbeit gegen ein bestimmtes Quantum Lebensmittel (approvi-
sionnement) verkauft, verzichtet er vollständig auf jeden Anteil am Produkt. Die Appropriation
der Produkte bleibt dieselbe dieselbe wie vorher; sie ist in keiner Weise durch die erwähnte Kon-
vention verändert. Das Produkt gehört ausschließlich dem Kapitalisten, der die Rohstoffe und das
Approvisionnement geliefert hat. Es ist dies eine strenge Konsequenz des Gesetzes der Appro-
priation, dessen Fundamentalprinzip umgekehrt das ausschließliche Eigentumsrecht jedes Arbei-
ters an seinem Produkte war." (ibid., p.58.) James Mill, "Elements of Pol. Econ. etc.", p.70, 71:
"Wenn die Arbeiter für Arbeitslohn arbeiten, ist der Kapitalist Eigentümer nicht nur des Kapitals"
(meint hier die Produktionsmittel), "sondern auch der Arbeit (of the labour also). Wenn man das,
was für Arbeitslohn gezahlt wird, wie dies gebräuchlich,
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Fortschrittsmann ist, fabriziert er die Stiefel nicht ihrer selbst wegen. Der Gebrauchswert ist überhaupt
nicht das Ding qu'on aime pour lui-même in der Warenproduktion. Gebrauchswerte werden hier über-
haupt nur produziert, weil und sofern sie materielles Substrat, Träger des Tauschwerts sind. Und unsrem
Kapitalisten handelt es sich um zweierlei. Erstens will er einen Gebrauchswert produzieren, der einen
Tauschwert hat, einen zum Verkauf bestimmten Artikel, eine Ware. Und zweitens will er eine Ware pro-
duzieren, deren Wert höher als die Wertsumme der zu ihrer Produktion erheischten Waren, der Produkti-
onsmittel und der Arbeitskraft, für die er sein gutes Geld auf dem Warenmarkt vorschoß. Er will nicht nur
einen Gebrauchswert produzieren, sondern eine Ware, nicht nur Gebrauchswert, sondern Wert, und nicht
nur Wert, sondern auch Mehrwert.
In der Tat, da es sich hier um Warenproduktion handelt, haben wir bisher offenbar nur eine Seite des Pro-
zesses betrachtet. Wie die Ware selbst Einheit von Gebrauchswert und Wert, muß ihr Produktionsprozeß
Einheit von Arbeitsprozeß und Wertbildungsprozeß sein.