D
AS
K
APITAL
B
AND
1
Karl Marx, Friedrich Engels
110
[42] "Der Wert eines Mannes ist wie der aller anderen Dinge gleich seinem Preis: das will besa-
gen, so viel, wie für den Gebrauchs seiner Kraft gezahlt wird." (Th. Hobbes, "Leviathan", in
"Works", edit. Molesworth, London 1839-1844, v.III, p.76.)
{185}
kraft selbst nur ein bestimmtes Quantum in ihr vergegenständlichter gesellschaftlicher Durchschnittsar-
beit. Die Arbeitskraft existiert nur als Anlage des lebendigen Individuums. Ihre Produktion setzet also
seine Existenz voraus. Die Existenz des Individuums gegeben, besteht die Produktion der Arbeitskraft in
seiner eignen Reproduktion oder Erhaltung. Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige Individuum einer
gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst
sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Ar-
beitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel. Die Arbeitskraft ver-
wirklicht sich jedoch nur durch ihre Äußerung, betätigt sich nur in der Arbeit. Durch ihre Betätigung, die
Arbeit, wird aber ein bestimmtes Quantum von menschlichem Muskel, Nerv, Hirn usw. verausgabt, das
wieder ersetzt werden muß. Diese vermehrte Ausgabe bedingt eine vermehrte Einnahme.[43] Wenn der
Eigentümer der Arbeitskraft heute gearbeitet hat, muß er denselben Prozeß morgen unter denselben Be-
dingungen von Kraft und Gesundheit wiederholen können. Die Summe der Lebensmittel muß also hinrei-
chen, das arbeitende Individuum als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebenszustand zu er-
halten. Die natürlichen Bedürfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung usw., sind ver-
schieden je nach den klimatischen und andren natürlichen Eigentümlichkeiten eines Landes. Andrerseits
ist der Umfang sog. notwendiger Bedürfnisse, wie die Art ihrer Befriedigung, selbst ein historisches Pro-
dukt und hängt daher großenteils von der Kulturstufe eines Landes, unter andrem auch wesentlich davon
ab, unter welchen Bedingungen, und daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprüchen die Klasse
der freien Arbeiter sich gebildet hat.[44] Im Gegensatz zu den andren Waren enthält also die Wertbe-
stimmung der Arbeitskraft ein historishes und moralisches Element. Für ein bestimmtes Land, zu einer
bestimmten Periode jedoch, ist der Durchschnitts-Umkreis der notwendigen Lebensmittel gegeben.
Der Eigentümer der Arbeitskraft ist sterblich. Soll also seine Erscheinung auf dem Markt eine kontinuier-
liche sein, wie die kontinuierliche Verwandlung von Geld in Kapital voraussetzt, so muß der Verkäufer
der Arbeitskraft sich verewigen, "wie jedes lebendige Individuum sich verewigt,
[43] Der altrömische villicus, als Wirtschafter an der Spitze der Ackerbausklaven, empfing daher,
"weil er leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes Maß als kiese". (Th. Mommsen, "Röm.
Geschichte", 1856, p.810.)
[44] Vgl. "Over-Population and its Remedy", London 1846, von W. Th. Thornton.
{186}
durch Fortflanzung"[45]. Die durch Abnutzung und Tod dem Markt entzogenen Arbeitskräfte müssen
zum allermindesten durch eine gleiche Zahl neuer Arbeitskräfte beständigt ersetzt werden. Die Summe
der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der Ersatz-
männer ein, d.h. der Kinder der Arbeiter, so daß sich diese Race eigentümllicher Warenbesitzer auf dem
Warenmarkte verewigt.[46]
Um die allgemein menschliche Natur so zu modifizieren, daß sie Geschick und Fertigkeit in einem be-
stimmten Arbeitszweig erlangt, entwickelte und spezifische Arbeitskraft wird, bedarf es einer bestimmten
Bildung oder Erziehung, welche ihrerseits eine größere oder geringere Summe von Warenäquivalenten
kostet. Je nach dem mehr oder minder vermittelten Charakter der Arbeitskraft sind ihre Bildungskosten
verschieden. Diese Erlernungskosten, verschwindend klein für die gewöhnliche Arbeitskraft, gehn also
ein in den Umkreis der zu ihrer Produktion verausgabten Werte.
Der Wert der Arbeitskraft löst sich auf in den Wert einer bestimmten Summe von Lebensmitteln. Er
wechselt daher auch mit dem Wert dieser Lebensmittel, d.h. der Größe der zu ihrer Produktion erheisch-
ten Arbeitszeit.
D
AS
K
APITAL
B
AND
1
Karl Marx, Friedrich Engels
111
Ein Teil der Lebensmittel, z.B. Nahrungsmittel, Heizungsmittel usw., werden täglich neu verzehrt und
müssen täglich neu ersetzt werden. Andre Lebensmittel, wie Kleider, Möbel usw., verbrauchen sich in
längeren Zeiträumen und sind daher nur in längeren Zeiträumen zu ersetzen. Waren einer Art müssen
täglich, andre wöchentlich, vierteljährlich usf. gekauft oder gezaht werden. Wie sich die Summe dieser
Ausgaben aber immer während eines Jahres z.B. verteilen möge, sie muß gedeckt sein durch die Durch-
schnittseinnahme tagein, tagaus. Wäre die Masse der täglich zur Produktion der Arbeitskraft erheischten
Waren = A, die der wöchentlich erheischten = B, die der vierteljährlich erheischten = C usw., so wäre der
täglich Durchschnitt dieser Waren =(365A + 52B + 4C + usw.)/365. Gesetzt, in dieser für den Durch-
schnittstag nötigen Warenmasse steckten 6 Stunden gesellschaftlicher Arbeit, so vergegenständlicht sich
in der Arbeitskraft
[45] Petty.
[46] "Ihr" (der Arbeit) "natürlicher Preis ... besteht in einer solchen Menge von Subsistenzmitteln
und Dingen der Bequemlichkeit, wie sie entsprechend dem Klima und den Gewohnheiten eines
Landes notwendig sind, um den Arbeiter zu erhalten und es ihm zu ermöglichen, eine Familie
aufzuziehen, die auf dem Markt ein unvermindertes Angebot von Arbeit zu schern vermag." (R.
Torrens, "An Essay on the external Corn Trade", London 1815, p.62.) Das Wort Arbeit steht hier
fälschlich für Arbeitskraft.
{187}
täglich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit, oder ein halber Arbeitstag ist zur täglichen
Produktion der Arbeitskraft erheischt. Dies zu ihrer täglichen Produktion erheischte Arbeitsquantum bil-
det den Tageswert der Arbeitskraft oder den Wert der täglich reproduzierten Arbeitskraft. Wenn sich ein
halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ebenfalls in einer Goldmasse von 3 sh. oder einem Taler
darstellt, so ist ein Taler der dem Tauschwert der Arbeitskraft entsprechende Preis. Bietet der Besitzer der
Arbeitskraft sie feil für einen Taler täglich, so ist ihr Verkaufspreis gleich ihrem Wert und, nach unsrer
Voraussetzung, zahlt der auf Verwandlung seiner Taler in Kapital erpichte Geldbesitzer diesen Wert.
Die letzte Grenze oder Minimalgrenze des Werts der Arbeitskraft wird gebildet durch den Wert einer
Warenmasse, ohne deren tägliche Zufuhr der Träger der Arbeitskraft, der Mensch, seinen Lebensprozeß
nicht erneuern kann, also durch den Wert der physisch unentbehrlichen Lebensmittel. Sinkt der Preis der
Arbeitskraft auf diese Minimum, so sinkt er unter ihren Wert, denn sie kann sich so nur in verkümmerter
Form erhalten und entwickeln. Der Wert jeder Ware ist aber bestimmt durch die Arbeitszeit, erfordert, um
sie in normaler Güte zu liefern.
Es ist eine außerordentlich wohlfeile Sentimentalität, diese aus der Natur der Sache fließende Wertbe-
stimmung der Arbeitskraft grob zu finden und etwa mit Rossi zu jammern:
"Das Arbeitsvermögen (puissance de travail) begreifen, während man von den Subsistenzmitteln
der Arbeit während des Produktionsprozesses abstrahiert, heißt ein Hirngespinst (être de raison)
begreifen. Wer Arbeit sagt, wer Arbeitsvermögen sagt, sagt zugleich Arbeiter und Subsistenz-
mittel, Arbeiter und Arbeitslohn."[47]
Wer Arbeitsvermögen sagt, sagt nicht Arbeit, so wenig als wer Verdauungsvermögen sagt, Verdauen
sagt. Zum letztren Prozeß ist bekanntlich mehr als ein guter Magen erfordert. Wer Arbeitsvermögen sagt,
abstrahiert nicht von den zu seiner Subsistenz notwendigen Lebensmitteln. Ihr Wert ist vielmehr ausge-
drückt in seinem Wert. Wird es nicht verkauft, so nützt es dem Arbeiter nichts, so empfindet er es viel-
mehr als eine grausame Naturnotwendigkeit, daß sein Arbeitsvermögen ein bestimmtes Quantum Subsi-
stenzmittel zu seiner Produktion erheischt hat und stets wieder von neuem zu seiner Reproduktion er-
heischt. Er entdeckt dann mit Sismondi: "Das Arbeitsvermögen ... ist nichts, wenn es nicht verkauft
wird"[48].
[47] Rossi, "Cours d'Écon. Polit.", Bruxelles 1843, p.370, 371.
[48] Sismondi, "Nouv. Pric. etc.", t.I, p.113.