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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
2.1
Konfliktlagen
Subsaharisches Afrika
Südafrika
There can be no doubt in my own mind that the arts play
a crucial role in the life of a people. […] Nor can anyone
doubt that protest theatre is a powerful instrument in a
people’s struggle for liberation. […] And it is important
that people know that in being creative they become more
than just consumers. They can transcend their often hor-
rendous circumstances and bring something new into
being.
Desmond Tutu
Auf den ersten Blick mag es als etwas abwegig er-
scheinen, eine Zusammenstellung zu Kunst im Kon-
flikt mit Südafrika zu beginnen. Die Apartheid als
spezielles südafrikanisches Problem ist spätestens
seit 1994 offiziell beendet. Eine breite Bewegung
kämpfte gegen Rassismus, Unterdrückung und die
Spätfolgen des Kolonialismus, demnach scheint es
sich eher um eine Befreiungs- und Demokratisie-
rungskampagne als um einen bewaffneten Konflikt
zu handeln. Allerdings kam es nach dem Sharpevil-
le-Massaker 1960, bei dem 69 friedliche Demonst-
ranten von der Polizei erschossen wurden, nicht nur
zu einem Verbot des African National Congress
(ANC), der noch bis 2008 in den USA als terroristi-
sche Organisation eingestuft wurde, sondern auch
zur Gründung eines militärischen Arms unter der
Leitung von Nelson Mandela. Nach dem Aufstand
von Soweto im Jahr 1976 mit 500 bis 1000 Todesop-
fern nahm der bewaffnete Widerstand erneut zu.
Resistance Art in South Africa
Andererseits war Soweto auch der Ausgangspunkt
für eine grundlegende Veränderung im Bereich der
Kunst, wie Sue Williamson in ihrer 1989 in New
York veröffentlichten Anthologie „Resistance Art in
South Africa‚ feststellt.
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War „Kunst‚ bis dahin für
die weiße Minderheit ein Mittel gewesen, sich ihrer
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Sue Williamson (Hrsg.), Resistance Art in South Africa, New York
1989.
Überlegenheit zu versichern – und für Künstler
dunkler Hautfarbe vorwiegend eine Einkommens-
quelle – so begannen nun beide Seiten, nach der
gesellschaftlichen Relevanz ihrer künstlerischen
Tätigkeit zu fragen. Die Folgen dieser Umorientie-
rung reichten weit über Südafrika hinaus, da die
südafrikanische Kunst seitdem auch international
sehr stark wahrgenommen wurde. Einige der 1989
von Williamson vorgestellten Künstlerinnen und
Künstler, allen voran William Kentridge, aber auch
Jane Alexander oder etwa der 2005 verstorbene Billy
Mandindi, finden längst weltweit Beachtung. Die
Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz von
Kunst hat seit jener Zeit, auch aufgrund der Ereig-
nisse in Osteuropa, China oder Korea, stark an Be-
deutung gewonnen. Das breite Panorama engagier-
ter südafrikanischer Kunst der 1980er Jahre, das
Williamson in dem Band vorstellt, steht mit am An-
fang dieser Entwicklung.
Es erscheint nicht als sinnvoll, hier einzelne Künstle-
rinnen und Künstler aus Williamsons Band heraus-
zugreifen oder gar alle einzeln vorzustellen. Dage-
gen kann es hilfreich sein, anhand des Bandes einige
Grundzüge der engagierten südafrikanischen Kunst
jener Zeit herauszuarbeiten, die auf äußerst vielfäl-
tige Weise am Problem der Apartheid arbeitete.
Malerei, Zeichnung, alle Arten von Druckgrafik und
Collage sind vertreten, ebenso Skulptur, Objekt- und
Installationskunst, Fotografie nur als Vorlage oder
Bestandteil von Arbeiten in Mischtechnik, nicht aber
die südafrikanische Fotografie als eigenständiges
Medium, wie sie sehr bald auch international rezi-
piert wurde.
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Allerdings lässt diese Einkreisung
noch nicht die wirkliche Vielfalt erkennen, denn eine
wichtige Entscheidung Williamsons bestand darin,
„schwarze‚ und „weiße‚ Künstlerinnen und Künst-
ler gleichberechtigt nebeneinander zu stellen. Auf-
grund ihrer Herkunft und der ihnen zur Verfügung
stehenden Ausbildungswege bietet sich so ein äu-
ßerst breites, heterogenes Panorama künstlerischer
Formen und kultureller Bezüge. Neben Künstlern,
die eine akademische oder entsprechende Schulung
in Kursen und Workshops durchlaufen haben, gibt
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So enthielt die bis dahin wichtigste deutsche Ausstellung zur
südafrikanischen Kunst, „Colours‚ 1995 im Haus der Kulturen
der Welt, etwa zu einem Viertel Arbeiten von Fotografen.
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Kunst im Konflikt: Strategien zeitgenössischer Kunst
es auch Autodidakten wie Mmakgabo Mapula He-
len Sidibi oder Noria Mabasa, die aus einer Einge-
bung heraus angefangen hatten, Zeichnungen oder
Skulpturen herzustellen. Oder die Women of the Val-
ley, die 1980 begonnen hatten, traditionelle Textil-
und Schmucktechniken der Zulu für eigenständige,
skulpturale Werke zu verwenden, die zuweilen,
etwa in Form von Militärhubschraubern, auch ge-
waltgeprägte Situationen abbilden.
Peace Parks
Williamson schließt aber auch anonyme Werke –
Plakate, Wandmalereien, Graffiti, T-Shirts, Kinder-
zeichnungen oder die sogenannten Peace Parks – mit
ein, die 1985 in verschiedenen Townships aus dem
Boden schossen: Jugendliche hatten zunächst be-
gonnen, herumliegenden Müll einzusammeln und
zum Teil zu fantasievollen Installationen zu verar-
beiten. Bäume und Sträucher wurden gestiftet, ge-
sammelte Spenden zur Anschaffung von Farben
verwendet, die Mauern und skulpturale Objekte mit
bildlichen
Darstel-
lungen, Texten und bunter Bemalung überzogen.
Die Peace Parks wurden zu Treffpunkten und Orten
der Selbstbehauptung und Aneignung des öffentli-
chen Raums, was sie in den Augen des Apartheid-
Systems suspekt machte. Sie wurden nach kurzer
Zeit von den Sicherheitskräften systematisch zer-
stört.
Themen und Genres, nationale und internationale
Netzwerke
Thematisch spannt Williamsons Band einen weiten
Bogen, der vom Beginn der Kolonisierung in „Roots
of the Conflict‚, dem ersten von sieben Kapiteln, bis
„Elusive Vision‚ im letzten Kapitel reicht und auf
diesem Weg psychische Deformationen (A Mutant
Society), wirtschaftliche Ungleichheit (Exploitation),
Widerstand und moralische Abgründe (Probing the
Darkness) mit anspricht. Über den Band hinaus zeigt
die damalige südafrikanische Kunst eine prinzipielle
Offenheit auch für interdisziplinäre Zusammen-
arbeit. Verschiedene Theater und Compagnien wur-
den zu Brennpunkten des Widerstands gegen das
Apartheid-Regime wie das 1976 gegründete Market
Theatre, in dem von Anfang an „schwarze‚ und
„weiße‚ Künstler zusammenarbeiteten, oder auch
die Handspring Puppet Company: Angeregt durch
eine Ausstellung traditioneller Marionetten aus Mali
im Museum von Botswana kamen Adrian Kohler
und Basil Jones auf die Idee, mit Marionetten zu
arbeiten. Der Anstoß, die Puppenspieler sichtbar auf
der Bühne agieren zu lassen kam vom japanischen
Bunraku Figurentheater. Diese eklektische Orientie-
rung setzt sich in der Arbeit des Theaters fort. Willi-
am Kentridge, der seine berühmten Kohlezeichnun-
gen und Trickfilme aus der Theaterarbeit mit der
Junction Avenue Theatre Company und der Handspring
Puppet Company entwickelte, wurde ein enger Mit-
arbeiter. Die Musik schrieben Komponisten wie
Kevin Volans, aber auch Warrick Sony, der Kopf der
Punk-Band Kalahari Surfers.
Die 1981 gegründeten Kalahari Surfers konnten ihre
erste LP „Living in the Heart of the Beast‚ erst 1985
bei dem Londoner Independent-Label Recommended
Records veröffentlichen, nachdem größere Platten-
firmen, nicht nur in Südafrika, sondern auch in Eng-
land, aus politischen Gründen abgesagt hatten. Im
Booklet verwendeten sie Gemälde des Künstlers
Gary van Wyk, der zu dieser Zeit mit großformati-
gen
Schwarzweißbildern
von
Aufstän-
dischen, Soldaten und Polizisten auf blutrotem
Grund Aufsehen erregte, die auf Medienbildern von
Aufständen basierten, über die in der Presse nicht
mehr unzensiert berichtet wurde. Sie wurden bei
Versammlungen aufgehängt, als Postkartenmotive
gedruckt und in einer dokumentarischen Ausstel-
lung über den Apartheidstaat in Mainz gezeigt.
Der Vorgang zeigt exemplarisch, wie sehr auch die
internationale Bühne eine entscheidende Rolle spiel-
te. Bereits in den 1960er Jahren hatten Musiker wie
Miriam Makeba, Hugh Masekela, Dollar Brand oder
die Blue Notes um Chris McGregor, die sich 1970
mit englischen Musikern zur damals vielleicht spek-
takulärsten Jazz-Formation „Brotherhood of Breath‚
zusammentaten, dazu beigetragen, auf die Miss-
stände des Apartheidstaates aufmerksam zu ma-
chen. Im Bereich populärer Musik spielten das Al-
bum „Graceland‚ des Folksängers Paul Simon mit
dem südafrikanischen Chor „Ladysmith Black
Mambazo‚ und die Boykottbewegung „Artists Uni-
ted Against Apartheid‚ mit der erfolgreichen Single
„Sun City‚, beide 1985, eine nicht unwesentliche
Rolle in den Bemühungen, Aufmerksamkeit auf das
Problem der Apartheid zu lenken. In Amsterdam
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