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4.1.4 Wiener Kartenverlage in den Sammelatlanten des Schottenstifts
4.1.4.1 Artaria und Compagnie
320
Die Familie Artaria stammt ursprünglich aus Blevio am Comosee und ist das erste Mal im
Wienerischen Diarium im November 1768 in Wien nachweisbar, in dem ihr Sortiment an
englischen und französischen Kupferstichen angepriesen wird. 1770 eröffneten Carlo und
Francesco Artaria unter der Bezeichnung Artaria und Compagnie ihr Geschäftslokal in Wien.
321
Neben Kunst- und Musikalienstichen vertrieb Artaria und Compagnie auch Karten. Der
Kartenhandel spielte in den ersten Jahrzehnten des Verlages allerdings eine untergeordnete Rolle.
Unter den angebotenen Kartenmaterialien befinden sich nicht nur Landkarten, sondern auch
Kriegsschauplätze, zu denen das 1788 erschienene, in Sammelatlas 5 mit der Signatur 108.10.
enthaltene Kriegstheater zählt.
322
Die Karte bezieht sich auf den Eintritt Österreichs in den
kriegerischen Konflikt zwischen Russland und dem Osmanenreich im Jahr 1788. Die Verlage
reagierten also ausgesprochen schnell auf aktuelle politische Situationen, um Zeitgenossen das
räumliche Verfolgen der Geschehnisse zu ermöglichen.
323
Wie im Kartenverlagswesen üblich,
publizierte Artaria und Compagnie nicht nur verlagseigene Karten, sondern kaufte auch
Kupferplatten zu, um das Sortiment ohne Zeitaufwand zu erweitern.
324
Die Karten des Verlages
waren verhältnismäßig günstig zu erstehen, da sie als Begleitung zur Zeitungslektüre vor allem
für den Tagesbedarf ausgelegt waren. Die handwerkliche Qualität der Karten ist im Vergleich zur
inhaltlichen Qualität und Aktualität der Karten sehr hoch.
325
Das Kriegstheater aus dem Sammelatlas 5 mit der Signatur 108.10. wurde von Carl Schütz
entworfen und von Franz Müller in Kupfer gestochen, der zwischen 1786 und 1802 für Artaria
und Compagnie 20 Karten gefertigt hat.
326
Dörflinger bezeichnet ihn als „Haus-Kartenstecher“
327
des Verlages.
320
Schottenstift, 108.10.-42, Kriegstheater oder Graenzkarte Oesterreichs, Russlands, und der Türkey.
321
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 271f. Nach zwei Übersiedlungen bezog der Verlag ein Gebäude am Kohlmarkt, in
dem sich noch heute die Reisebuchhandlung der Kartographischen Anstalt Freytag-Berndt u. Artaria KG befindet.
322
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 272f., 279 Kat. Art 3. Schottenstift, 108.10.-42, Kriegstheater oder Graenzkarte
Oesterreichs, Russlands, und der Türkey.
323
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 279-288, 312.
324
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 308. Ritter, Konkurrenten, 192.
325
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 312f.
326
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 312. Diese Karte ist nicht die einzige Kooperation der beiden Künstler. Müller und
Schütz arbeiteten auch bei der sog. Landständischen Karte von Oberösterreich zusammen. In einer Anzeige der
„Wiener Zeitung“ vom 15. 07. 1789 wurde ein Kriegstheater zum „jetzigen Türkenkrieg“ beworben, das ebenfalls
72
Im Jahr 1801 gibt es einen Bruch in der bewegten Verlagsgeschichte, da die Gesellschaft
zwischen Francesco und Carlo Artaria und Francesco Cappi aufgelöst wurde. Tranquillo Mollo
und Francesco Cappi, zwei Angestellte des Unternehmens, wurden 1793 als Gesellschafter bei
Artaria und Compagnie aufgenommen. Tranquillo Mollo schied 1796 schon wieder aus und
gründete 1798 seinen eigenen Verlag. Francesco Cappi trennte sich, wie schon erwähnt, im Jahr
1801 vom Verlag und trat in den Verlag von Tranquillo Mollo ein. Auch Francesco Artarias Sohn
Domenico entschloss sich dazu, Gesellschafter bei Tranquillo Mollo zu werden.
328
Die
gemeinsame Unternehmung wurde aber schon 1804 wieder aufgelöst und Domenico Artaria
übernahm 1805 den Verlag Artaria und Compagnie von seinem Vater Francesco. Domenicos
Strategie bestand weiter darin, Kupferplatten anzukaufen, kaum veränderte Abzüge anzufertigen
und als „neue“ Landkarten zu verkaufen. Die Kritik an dieser Praxis von zeitgenössischen
Fachleuten änderte nichts am wirtschaftlichen Erfolg der Karten aus dem Verlag Artaria und
Compagnie.
329
Im frühen 19. Jahrhundert war der Vertrieb von Landkarten bedeutender für den
Verlag als der Musikalienhandel, der Ende der 20er Jahre nahezu eingestellt wurde.
330
Die
inhaltliche Qualität der Karten verbesserte sich erst ab 1815, als die Kartographen Maximilian de
Traux und Franz Fried, deren Karten zuvor beim Kunst- und Industrie-Comptoir erschienen
waren, bei Artaria und Compagnie publizierten.
331
unter der Beteiligung von Müller und Schütz entstanden ist und um einen Gulden bei Artaria und Compagnie zu
erstehen war.
327
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 312.
328
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 275f. Dörflinger, 19. Jahrhundert, 353, 419-421.
329
Dörflinger, 19. Jahrhundert, 354-359, 415f.
330
Dörflinger, 19. Jahrhundert, 356.
331
Dörflinger, 19. Jahrhundert, 417f.
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4.1.4.2 Tranquillo Mollo
332
Tranquillo Mollo stammte ursprünglich aus Norditalien und zog Anfang der 90er Jahre nach
Wien, wo er Arbeit beim Verlag Artaria und Compagnie fand und 1793 Gesellschafter des
Unternehmens wurde. 1796 schied er als Gesellschafter aus und gründete 1798 seinen eigenen
Verlag Tranquillo Mollo und Compagnie.
333
Sein Geschäftsanteil wurde im teilweise bar und
teilweise in Waren ausgezahlt, wodurch er in den Besitz vieler Kupferplatten kam, die schon bei
Artaria und Compagnie verlegt worden sind. Kurzzeitig war auch Francesco Artarias Sohn
Domenico am Verlag Tranquillo Mollo beteiligt. Die Wege der beiden Geschäftsmänner trennten
sich 1804 wieder und ab 1805 führte Domenico den Verlag Artaria und Compagnie erfolgreich
weiter. Tranquillo Mollos Karten, die nach 1805 veröffentlicht wurden, weisen den Zusatz „und
Compagnie“ nicht mehr auf. 1831 übertrug Tranquillo Mollo den Verlag an seine Söhne Eduard
und Florian, die den Verlag bis 1834 unter dem Namen „Tranquillo Mollo’s Söhne“ führten.
Danach lief der Verlag unter dem Namen von Eduard Mollo und ab 1841 wurde das
Unternehmen „E. Mollo & A. O. Witzendorf“ gegründet.
334
Wie die Entstehungsgeschichte des
Verlages vermuten lässt, handelt es sich bei den von Tranquillo Mollo verlegten Karten
hauptsächlich um Neuauflagen, da der Verlag viele Kupferplatten aus dem ehemaligen Bestand
von Artaria und Compagnie besaß.
335
Seine Karten orientierten sich, wie die Karten des
Konkurrenzverlages Artaria und Compagnie, hauptsächlich an zeitgenössischen politischen
Ereignissen, also dem Russisch-Türkischen Krieg und den Koalitionskriegen. Da viele Karten
ursprünglich aus dem Bestand von Artaria und Compagnie stammen, sind die beiden Verlage in
Bezug auf die niedrige inhaltliche Qualität vergleichbar, die sich erst gegen Ende der
Verlagstätigkeit verbesserte.
336
Die Karte mit der Signatur 108.9-82 bezieht sich auf die zeitgenössischen politischen Ereignisse,
nämlich die Teilungen Polens in den Jahren 1772, 1793 und 1795. Bei der 3. Polnischen Teilung
1795 fiel ein Gebiet an Österreich, das in der Folge als Westgalizien bezeichnet wurde.
337
Dass
332
Schottenstift, 108.9-115, Topographische Karte Der Gegenden Wiens (Wien 1803).
Schottenstift, 108.9- 82, Tranquillo Mollo, Polen Unter Oesterreich Russland und Preussen getheilt (Wien, s.a.).
Dörflinger, 19. Jahrhundert, 432, 437 Kat. Mol 11, Mol 13/10.
333
Siehe: Kapitel 4.1.4.1 Artaria und Compagnie. Dörflinger, 19. Jahrhundert, 419. Ritter, Konkurrenten, 192.
334
Dörflinger, 19. Jahrhundert, 353, 419-422. Die Karten der Zeit mit Domenico Artaria wurden unter der
Bezeichnung „Tranquillo Mollo, Artaria und Compagnie“ veröffentlicht.
335
Dörflinger, 19. Jahrhundert, 489.
336
Dörflinger, 19. Jahrhundert, 490f.
337
Dörflinger, 18. Jahrhundert, 127f. Dörflinger, 19. Jahrhundert, 437 Kat. Mol 13/10. Kozica, Ritter, Zeit- und
Verlagsgeschichte, 4.
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