Mitteleuropa zwischen Ost und West Kosmische und menschliche Geschichte Sechster Band



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Der Mann, der so gut die Theologie kannte und bibelbeschlagen war, konnte also nicht so genau lesen, daß er das wußte, was im Buche steht. Es steht aber darinnen. So ist es um das heutige Denken beschaffen. Mit diesem heutigen Denken hat es auf allen Gebieten eine recht merkwürdige Bewandtnis, besonders wenn man sich bemüht, es so recht populär zu machen.

Aber nicht allein die Theologen erweisen sich als sündhaft, auch die Naturforscher. Da gibt es ein Büchlein «Die Mechanik des Geisteslebens». Ich weiß nicht, ob es auch schon ein Buch gibt über die Hölzernheit des Eisens. Der Verfasser trägt den Namen - ich schätze ihn sonst, wie viele, die ich angreife — Verworn. Er behandelt in diesem Büchelchen auch den Traum und macht geltend, daß beim Traum ein herabgestimmtes, abgelähmtes Gehirnleben stattfindet, daß das Gehirnleben

nur teilweise tätig ist. Wenn jemand mit einer Stecknadel kleine Stöße gegen die Fensterscheibe ausführt, sagt Verworn, können wir träumen, daß nacheinander Kanonenschüsse losgehen. - Das ist ein bekannter Traum. Das sagt Verworn oben; dann sagt er einiges dazwischen, und zum Schluß sagt er auf derselben Seite weiter unten: Der Traum trägt seinen eigentümlichen Charakter, weil das Gehirn in seiner Tätigkeit herabgestimmt ist. - Nun denken Sie sich die Gescheitheit: Wenn wir das volle Gehirn haben, dann hören wir die leisen Antupfungen, die leisen Stöße der Stecknadel; wenn das Gehirn herabgestimmt ist, weniger tätig ist, dann hören wir den Kanonendonner. - Das ist eine Erklärung, die hingenommen wird, wie manches von Freud, und wohlgefällig hingenommen wird, weil ein paar Zeilen dazwischen stehen.

Das liegt aber überhaupt unserer Zeit zugrunde: Der Wille, mit dem Denken wirklich durchzugehen durch das, was an einen herantritt, ist sehr selten in unserer Zeit. Und deshalb ist es gar nicht so besonders unbegreiflich, daß man so etwas, wie das Kommen der «Reiche der Himmel» nicht leicht verstehen will, denn dazu gehört schön einiges. Bis dahin, bis zum Mysterium von Golgatha, kamen ja die Reiche der Himmel an den Menschen wie im Traume heran. Vor der atlantischen Katastrophe nahm man sie sogar mit der Verdauung auf. Aber jetzt mußten sie herabkommen. Sie kamen herab, aber so, daß der Mensch seinen Geist anstrengen mußte, um die Reiche der Himmel zu erfassen. Nicht das ist gemeint, daß die Trauben größer werden, daß die Weizenähren voller werden, sondern daß das Reich mitten unter uns lebt, wir es aber durch die Zubereitung unseres eigenen Geistes um uns herum finden müssen.

Dieses liegt, indem ich es kurz skizziert habe, de^ grandiosen Auffassung des Christus Jesus zugrunde. Dieses ist allerdings eine Vorstellung, die Energie von unserer Seele fordert, wenn wir uns in sie hineinfühlen wollen. Und so sind viele christliche Vorstellungen. Mit diesen trat der Christus dem Imperium Romanum entgegen, dem Römischen Reich, das im vollen Gegensatz zum Christentum sich ausgebildet hat. Dieses Imperium Romanum, das ins Cäsarentum übergegangen ist, hat durch seine Gewaltherrschaft die alten Mysterien unter seine Botmäßigkeit gebracht. Augustus war der erste Cäsar, der wegen seiner

äußeren Gewalt in die Mysterien eingeweiht werden mußte. Und seine Nachfolger, Tiberius, Caligula und andere, waren in die Mysterien eingeweihte Leute. Sie wandten nur die Mysterienanschauung auf das äußere Reich der Welt an, nicht trugen sie, wie die ägyptischen Tempelpriester, das Reich des Geistes herein in das Reich der Welt. Com-modus hat sich sogar zum Initiator machen lassen, und als er einen anderen, den er zu initiieren hatte, initiierte, soll er ihm, symbolisch, einen so starken Schlag gegeben haben, daß er ihn erschlagen hat.

Da standen sich also gegenüber zwei mächtige Gegensätze: das Imperium Romanum und das Christentum. Dieser Gegensatz muß seine Ausgleichung finden. Er hat sie bis heute noch nicht gefunden. Wir müssen fähig werden, den Geist anzuerkennen, den Geist auch in das Leben einzuführen. Nur soviel will ich über diesen Punkt sagen, denn in unserem Denken, in unserem Empfinden lebt vielfach dasjenige fort, was in die Menschen eingezogen ist als die Logik, die Art des Denkens und Fühlens, wie sie im Römischen Reich herrschend war. Unsere Gymnasiasten lernten als erstes lateinisch und damit die Denkweise des Imperium Romanum, die sich fortgepflanzt hat. Man weiß nicht, wieviel von dem an dem innersten Grundnerv unseres Lebens ist, man weiß heute noch nicht den Geistesweg zu dem Christus im richtigen Sinne zu suchen und zu finden. Dieser Weg kann aber nur ein solcher sein, der den Willen zum Denken hat, der besonders zurückgegangen ist in unserer Zeit, man kann sagen, die Intelligenz eigentlich. Unsere auf die Intelligenz so stolze Zeit entbehrt eigentlich der Intelligenz, weil sie der Gewissenhaftigkeit entbehrt auf dem Boden des Denkens.

Ein viel gelesenes Büchelchen, das über das «Christentum im Weltanschauungskampfe der Gegenwart» handelt, gibt Vorträge wieder, die vor Tausenden und aber Tausenden von Menschen gehalten worden sind von einem sehr führenden Geist der Gegenwart, der selbstverständlich Philosophie, Theologie durchaus studiert hat. Da werden Ideen entwickelt - es ist zum die Wände hinauf kriechen! Zuletzt stolpert man noch über den schönen Satz, schon Goethe habe ja gesagt:

Ins Innre der Natur

Dringt kein erschaffner Geist,

Glückselig, wem sie nur Die äußre Schale weist!

Dahin müßten wir eigentlich kommen, so etwas anzuerkennen! So gut kennt der Mann seinen Goethe, daß er diesen Hallerschen Ausspruch zitiert als einen Goetheschen, trotzdem Goethe dazu gesagt hat:

Ich fluche drauf, aber verstohlen. Natur hat weder Kern noch Schale, Alles ist sie mit einem Male. Dich prüfe du nur allermeist, Ob du Kern oder Schale seist.

So wird den Menschen heute aufgeschwatzt als Goethesche Anschauung, worüber Goethe selber sagte: «Ich fluche drauf»! Aber die Leute hören es willig an, das ist das allgemeine Denken der heutigen Zeit. Es nützt nichts, daß man wollüstig aufblickt zu gewissen Ideen, die aus der Geisteswissenschaft kommen. Diese Ideen müssen in das seelische Leben voll eingehen, dann begründet sich die andere Strömung, die spirituelle Strömung, die nicht die heutige Denkweise über die Menschheit kommen läßt, sondern die Menschen individuell sich entwickeln läßt, so daß sie in die allgemeine Entwickelung dasjenige hineintragen können, das sich nun herauslösen kann aus dem, was von selbst da ist. Aber vieles wird noch kommen müssen, bevor solche Dinge im richtigen konkreten Sinne erfaßt werden, so erfaßt werden, daß wirklich wirklichkeitsgetragenes Denken die Menschen erreicht.

Es ist ein sehr schönes Buch erschienen: «Der Staat als Lebensform» von Kjellen, dem berühmten schwedischen Staatswissenschafter. Ich führe ihn aus dem Grunde an, weil er ein Mann ist, welcher gerade mit großem Wohlwollen unserer Sache, meiner Sache entgegengekommen ist, so daß man nicht glauben darf, daß ich irgendwelche Rankünen habe. Aber gerade deshalb darf ich ihn als charakteristisch anführen für gewisse Arten des Lebens.

Er versucht in diesem Buch, Ideen über den Staat zu gewinnen, die aus mancherlei Irrtümern hinausführen können. Er kommt natürlich

zurück auf die Idee von dem Staat als Organismus. Er ist weiter als Wilson. Wilson hat seinerzeit sehr scharf getadelt, daß zu Newtons Zeit die Menschen nicht selbständig über den Staat nachgedacht haben, sondern sich von der Schwerkraftslehre so haben beeinflussen lassen, daß sie die verschiedenen Impulse beim menschlichen Denken nach der abstrakten Schwerkraft beurteilten. Man müsse über den Staat so denken wie über einen Organismus. Dabei merkt er nicht, daß die Leute Newtonisch dachten und er darwinistisch. Kjellen denkt auch, der Staat sei ein Organismus; die einzelnen Menschen sind dann die Zellen. Nun gewiß, man kann ein Ganzes, das in sich Lebensregungen hat, mit einem Organismus vergleichen und seine Teile mit Zellen. Aber vergleichen kann man eigentlich alles, wenn die Ideen nicht willig sind, in die Wirklichkeit unterzutauchen, schließlich auch eine Eidechse mit einem Taschenmesser. Vergleichen läßt sich alles. Erst wenn man Sinn für Wirklichkeit hat, dann führt der Vergleich von selber auf das Richtige. Dieser Vergleich bei Kjellen würde dahin führen, den einen Staat als Organismus, und den zweiten als angrenzenden Organismus aufzufassen. Wer wirklichkeitsgemäß denken kann, kann aber die Menschen ganz unmöglich als Zellen denken. Der Vergleich könnte gelten, wenn man das Ganze der Staaten mit einem Organismus vergleicht, und die einzelnen Staaten als Zellen; dann aber geht der ganze Mensch nicht auf in dem Staat. Es läßt sich dann nur das soziale Leben über die ganze Erde hin mit dem Organismus vergleichen. Wollte man aber den Menschen jetzt einfügen, da würde das so ausschauen: Stellen wir uns einen Organismus vor, so müßten die Zellen überall herausstechen. Eine merkwürdige Art von Igel käme da heraus. Nur wenn das so wäre, ein Organismus, wo überall Lebendiges herauskäme, dann wäre das ein solcher Organismus, mit dem wir das ganze soziale Leben auf der Erde vergleichen können.

Das heißt aber: Das gesamte Leben des Menschen kann überhaupt nicht in der staatlichen Ordnung aufgehen. Es muß überall herausragen in das Geistige hinein aus dem, was der Staat zu umfassen vermag. Das vergißt man im Praktischen heute allzusehr auf allen Gebieten, und man könnte Einrichtung über Einrichtung anführen, die beweisen würde, wie man das vergißt, wie man vergißt, neben dem

äußeren, nach dem Modell des Imperium Romanum Aufgerichteten, das Reich des Geistes, das der Christus bringen wollte, über die Erde hin aufzurichten. Es war sehr nötig, diesen Gedanken in seinem vollen Ernst zu würdigen.

Wissen Sie, wo es auf das Konkrete geht, da reicht gewöhnlich das Denken nicht hinein. Denken Sie, wie in der letzten Zeit alles danach getrachtet hat, die Autonomie der gelehrten Bildung zurückzudrängen in der Form, daß man all die Dinge, die an den gelehrten Anstalten hängen, zurückgedrängt hat und das Staatsprinzip darübergestellt hat. Heute muß schon ein Mediziner, damit er überhaupt Mediziner werden kann, die Staatsprüfung vorher ablegen, dann kann er den medizinischen Doktortitel wie eine Art Dekoration erhalten. Die Autonomie der Geistesanstalt als solcher ist vollständig zurückgedrängt. Viele Beispiele könnten wir anführen, wo ein wahrer Enthusiasmus herrscht, sich in dieser Richtung zu bewegen. Die Leute können sich nicht genug tun, alle Titel zu verstaatlichen. Ingenieur hat man zusammengebracht mit «ingenium». Jetzt bestrebt man sich nicht mehr, das zu tun, sondern man strebt nach dem Diplom. Wenn darauf steht, daß man Ingenieur ist, dann darf man sich so nennen; sonst hilft das Ingenium nichts. Dies liegt in der Richtung, die abführt von einer geistigen Auffassung der Welt. Daran denken die Menschen nicht. Sie sind im Gegenteil begeistert für diesen Kampf gegen den Geist auf allen Gebieten. Man müßte schon, um das bemerklich zu machen, weil man heute so gern auf Worte schwört, vielleicht ein neues Wort erfinden und sagen: Die Menschen sind «beleibert» für die Entgeistigung. Dann würden vielleicht einzelne anfangen, doch ein bißchen aufzupassen auf das, was die Richtung ist, die man einschlägt! Aber daß man nicht aufpaßt, das ist ja gerade der Beweis für die Gedankenlosigkeit des Lebens, für den Haß, den man geradezu gegen den Willen zum Denken hat.

Da sehen Sie, wie es notwendig ist, Geisteswissenschaft schon wirklich einzuführen in das alleralltäglichste Leben. Sie ist eine ernste Sache, diese Geisteswissenschaft. Deshalb mußte schon neben dem Bedeutsamen von gestern auch das unmittelbar Aktuelle erwähnt werden. Denn es darf nicht dasjenige, was Geisteswissenschaft will, dadurch beeinträchtigt werden, daß es verphilistert und vercliquiert wird, daß

durch die Anthroposophische Gesellschaft Hemmnisse über Hemmnisse geschaffen werden für das, was Geisteswissenschaft will. Bei vernünftigen Leuten wird man natürlich immer wieder Verständnis dafür finden, daß ja in die Anthroposophische Gesellschaft gerade die Menschen hereinkommen, die in irgendeiner Weise in Zwiespalt gekommen sind mit dem Leben, und zwar so stark, daß sie das Gleichgewicht verloren haben. Immer entsteht dann die Frage: Will man diesen Menschen entgegenkommen, oder hart sein? - Es verwandeln sich dann manchmal solche Menschen so, daß sie noch mehr das Gleichgewicht verlieren, oder sie verwandeln sich so, daß sie nachher Dinge erzählen, wie sie jetzt erzählt werden, die geeignet sind, eine heilige Sache in den Tratsch, in die Verleumdung, in die Verunglimpfung einmünden zu lassen. Wenn es als ungerecht befunden worden ist, was ich gestern gesagt habe: Daß man im Grunde genommen wenig gibt auf das, was ich sage -, dann ist das natürlich das gute Recht des einzelnen. Ich habe auch nur gesagt: Draußen spricht man von «blinden Anhängern». Für die Lehre braucht man dies nicht, denn sie kann geprüft werden. Nur für manche Dinge, die sich auf Einrichtungen beziehen, ist manchmal Vertrauen notwendig. Aber gerade in solchen Dingen geschieht gewöhnlich das Gegenteil von dem, was ich selber meine. Und so kann das ungerecht empfunden werden, was ich gestern als notwendige Maßregel hingestellt habe. Aber diese Maßregel wird schon aufrechterhalten werden, trotzdem andererseits dafür gesorgt werden wird, daß derjenige eine esoterische Entwicklung durchmachen kann, der sie energisch durchmachen will. Lassen wir uns nur ein wenig Zeit. Wie viele Dinge werden gerade durch jene Wirtschaft in der Anthroposophischen Gesellschaft sich zur Offenbarung bringen, wieviel wird gerade dadurch dem Mißverständnis, der Verleumdung der Welt preisgegeben! Menschen, die ganz gut wissen, wieviel Zeit manches in Anspruch genommen hat, sie werden sich überzeugen, daß Bücher, die nicht erschienen sind, erscheinen werden, wenn diese Maßregel einige Zeit durchgeführt sein wird. Seinerzeit ist mir abgerungen worden der Druck der Zyklen, den ich nicht durchsehen kann. Mein Wille war es nicht; der Wille anderer war es, die sie lesen wollen. Gewiß, man braucht nicht auf seinem Willen zu verharren, es ist nach-

gegeben worden; aber Sie können die Vorwürfe lesen, die gemacht werden, indem gesagt wird, es wäre ein Trick, und in den Zyklen herrsche ein Stil, den man nur tadeln müsse. Alles wird zuletzt verkehrt durch den bösen Willen. Aber, meine lieben Freunde, wenn Geisteswissenschaft im rechten Verhältnis zur Anthroposophischen Gesellschaft stehen soll, dann muß sich die Anthroposophische Gesellschaft auch verbunden fühlen mit dem Leben der Geisteswissenschaft als solcher. Wie viele fühlen sich aber nur verbunden mit ihrem eigenen, persönlichen Leben!

Es gibt ja wirklich in der Anthroposophischen Gesellschaft, hat immer gegeben zahlreiche Menschen, die es in der einen oder anderen Form einfach ausgesprochen haben, daß sie eigentlich nur in die Anthroposophische Gesellschaft hereinkommen, um dieses oder jenes Esoterische mit mir besprechen zu können, und die es ablehnen, Menschen Vertrauen entgegenzubringen, denen ich selber Vertrauen entgegenbringe. In dieser Beziehung wird ja besonders Schlimmes erlebt. Das nützt gar nichts, daß ich dem oder jenem Freunde in der Gesellschaft da oder dort Vertrauen entgegenbringe; man will den betreffenden Menschen nicht, und man sucht über ihn hinwegzugehen. Nun, diese Dinge haben alle ihren Ursprung darin, daß so viel, so unzähliges Persönliche hineingetragen wird in diese Anthroposophische Gesellschaft. Wissen Sie, welches Wort ich bei den sogenannten esoterischen Besprechungen wirklich am öftesten gehört habe? Glauben Sie nicht, daß ich am öftesten habe reden hören über solche Angelegenheiten, wie Freiheit, Gleichheit, Menschheitsentwickelung und so weiter. Am meisten habe ich gehört das Wort «Ich» von jedem einzelnen. Mit ihren allerpersönlichsten Angelegenheiten kommen da die Menschen. Dem wurde auch mit Freuden Rechnung getragen, aber es geht eben nicht weiter, aus den gestern angegebenen Gründen. Und das muß verstanden werden.

Ich weiß, am besten wird es gerade bei denjenigen verstanden, welche wirklich hingebungsvoll und verständnisvoll mit der anthroposophischen Entwicklung mitarbeiten, welche in der anthroposophischen Entwickelung eine Menschheitsaufgabe zu sehen vermögen, welche nicht bloß eine Erleichterung ihrer Familienangelegenheiten oder son-

stiger persönlicher Angelegenheiten durch ihre Zugehörigkeit zur Anthroposophischen Gesellschaft suchen, welche nicht bloß ein vor dem Gesetz unerlaubtes Hintertürchen suchen, weil sie sich immerfort zurückziehen würden, wenn es sich darum handelte, öffentlich zu bekämpfen das materialistische Ärztewesen; aber ein Hintertürchen suchen sie, um kuriert zu werden, abgesehen von diesem materialistischen Ärztewesen! - Es ist auf keinem anderen Wege mehr möglich, all den Dingen, die als Schäden aus der Gesellschaft zur Schädigung der anthroposophischen Bewegung hervorgegangen sind, entgegenzutreten, als durch diese Maßregeln, von denen ich gestern gesprochen habe, und von denen sicherlich für die nächste Zeit nicht abgegangen werden wird. Nur dadurch wird man wirklich dasjenige bekämpfen können, was sich so furchtbar eingenistet hat. Die Anthroposophische Gesellschaft wird gerade dadurch immer besser und besser gedeihen können. Und auch das esoterische Leben — dafür werde ich sorgen - wird gerade dadurch immer besser und besser gedeihen können. Jenen Erfindungen - und darauf kommt es an -, auf die ich gestern hingedeutet habe, denen wird vielleicht doch noch einigermaßen der Boden entzogen werden können, wenn nur die gestern erwähnte, aus zwei Teilen bestehende Maßregel energisch durchgeführt wird. Verstehen Sie dies, denn mit diesem Verständnis zeigen Sie Verständnis für die Eigenart und Aufgabe der anthroposophischen Bewegung. Draußen sind heute genug Leute, die sich nicht fähig fühlen, Anthroposophie, wie sie hier gemeint ist, [sachlich] zu bekämpfen. Das ist ihnen auch zu unbequem, das macht ja notwendig, daß man die Anthroposophie erst kennt. Das ist eine unbequeme Sache für viele, die sie bekämpfen wollen. Aber sich zutragen lassen Verleumdungen und Verunglimpfungen und diese verbreiten, das gibt ein Mittel, um Anthroposophie zu bekämpfen, ohne daß man sie versteht. Denn unsere Zeitgenossen sind ja recht sehr zugänglich für Verleumdungen und Verunglimpfungen. Nichts liest man so gerne als Verleumdungen und Verunglimpfungen. Fassen wir die Aufgabe der Anthroposophie ernsthaft, fassen wir den Ernst der Lage auf, dann werden wir auch mit dieser Maßregel zurechtkommen. In diesem Sinne wollen wir schließen. Hoffentlich bleiben wir, arbeitend in der entsprechenden Weise mit unseren Kräften, zusammen.

NEUNTER VORTRAG

München, 14. Februar 1918

Bevor ich zu dem Gegenstand unserer heutigen Betrachtung übergehe, ist es mir ein Herzensbedürfnis, in meinem persönlichen und im Namen unserer Sache meine tiefste Befriedigung darüber auszusprechen, daß die Räumlichkeiten, in denen wir uns heute hier zusammenfinden, einem Ziel, einer Arbeit, einer Bestrebung hier in München dienen können, die in so außerordentlich segensreicher Weise zu wirken verspricht, zu wirken auch schon begonnen hat, und von der wir uns denken müssen, daß sie bedeutende Impulse senden kann in das Geistesleben unserer Zeit.

Übergehend zu dem Gegenstand unserer Betrachtung, möchte ich, insbesondere in dieser Zeit, bei dieser Gelegenheit, nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß demjenigen, der sich für die Bestrebungen unserer anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft wirklich herzlich interessiert, naheliegen muß in dieser Zeit schwerster Menschheitsprüfung, nachzusinnen über die Beziehungen, welche bestehen zwischen der Tatsache, daß gerade in dieser Zeit vom Beginne des 20. Jahrhunderts an, diese geisteswissenschaftliche Richtung versuchte, ihre Impulse in die Menschheitsentwickelung hineinzusenden, und der anderen Tatsache, daß die Menschheit in der Gegenwart mit ihren anderen Bestrebungen, wie man wohl zugeben muß, in katastrophale Ereignisse auf vielen Gebieten hineingekommen ist. In welch katastrophalen Ereignissen die Menschheit darinnen ist, davon macht man sich heute in den weitesten Kreisen noch nicht einen genügend schweren und eindrucksvollen Begriff. Man ist ja heute vielfach gewohnt, ohne den Geist leben zu wollen. Ohne den Geist leben zu wollen, heißt aber im Grunde genommen doch oberflächlich leben, und oberflächlich leben bedingt auf der anderen Seite, daß man vieles verschläft, was im besonderen Eindruck macht aus den Ereignissen, die um uns herum sind. Und man muß schon sagen, die Menschen in der Gegenwart sind besonders darauf hinorganisiert, vieles zu verschlafen. Die wenigsten suchen sich einen hinlänglichen Begriff von der Schwere und Eindring-

lichkeit der Gegenwartsereignisse zu machen. Die meisten leben von heute auf morgen. Und wenn man je einmal den Versuch macht, von einer Zeit zu sprechen, die später kommen könnte, dann weisen das die Menschen, und oftmals gerade diejenigen, auf die mancherlei ankommt, in der heftigsten Weise zurück. Wenn Geisteswissenschaft unter ihren mancherlei Aufgaben diese erfüllt, die Menschenseele etwas energischer zu machen, etwas aufgewachter zu machen, dann hat sie ja im Grunde genommen gerade für unsere Gegenwart ein Wichtiges erfüllt. Geisteswissenschaftliche Begriffe erfordern eben eine größere Anstrengung des Denkens, eine größere Intensität des Fühlens und Empfindens als andere Begriffe, namentlich als diejenigen, die die Gegenwart eigentlich beherrschen.

Insbesondere in dieser Zeit ist es nicht unwichtig, sich bekanntzumachen gerade mit den aus der Geistesforschung zu gewinnenden Begriffen, die hineinweisen, hineinleiten können in das Verständnis der Gegenwart im weitesten Sinn. Ich will heute einige grundlegende Begriffe entwickeln, auf denen wir dann am nächsten Zweigabend einiges aufbauen können, Begriffe, die geeignet sind, Wichtiges in der Gegenwart zu beleuchten. Heute will ich von allgemeineren Vorstellungen, von mehr das Persönliche des Menschen berührenden Vorstellungen ausgehen, die aber dann, von einem gewissen Gesichtspunkte aus, die Grundlagen für die nächsten Betrachtungen im geisteswissenschaftlichen Sinne uns bieten sollen.

Man muß es ja im Verlaufe der geisteswissenschaftlichen Betrachtungen immer wieder und wiederum betonen, wie ein Wechsel unserer Bewußtseinszustände unser Leben durchzieht zwischen unserer Geburt oder Empfängnis und unserem Tode: der Wechsel zwischen Schlafen und Wachen. Im allgemeinen Sinne, in großen Zügen kennt der Mensch den Unterschied zwischen Schlafen und Wachen; in intimerer Bedeutung kann erst eine geisteswissenschaftliche Anschauung den wahren Unterschied zwischen Schlafen und Wachen vor die menschliche Seele führen. Im gewöhnlichen Leben meint man, man schlafe nur eben vom Einschlafen bis zum Aufwachen, und man sei wach vom Aufwachen bis zum Einschlafen. So ist aber die Sache nur in groben Zügen. In Wahrheit ist diese Grenze, die wir da ziehen zwischen Schlafen und Wachen,

durchaus falsch gezogen. Denn der Zustand des dumpfen Bewußtseins, der in vieler Beziehung kein Bewußtsein ist, das, was wir so als Schlafzustand durchmachen, das dehnt sich hinein in unser Tagesleben, darin sind wir mit einem Teil unseres Wesens auch vom Aufwachen bis zum Einschlafen. Wir wachen nämlich vom Aufwachen bis zum Einschlafen keineswegs mit unserem gesamten menschlichen Wesen, sondern wir wachen nur mit einem Teil davon, und ein anderer Teil schläft fort, auch wenn wir uns wachend meinen. Wir sind immer in einer gewissen Beziehung schlafende Menschen. Richtig wach sind wir eigentlich nur mit Bezug auf unser Wahrnehmen und mit Bezug auf unser Vorstellen. Indem wir durch unsere Sinne die Außenwelt wahrnehmen, indem wir hören, sehen und so weiter, sind wir in diesem Hören, Sehen, kurz, in diesem Wahrnehmen wachend; da wachen wir vollständig. Wir sind auch wachend, obwohl in einem geringeren Grade, im Vorstellen. Wenn wir uns Gedanken bilden, wenn Vorstellungen in uns ablaufen, wenn die Erinnerungen heraufziehen aus dunklen Untergründen des Seelenlebens, dann sind wir wach in bezug auf die Vorgänge, die wir da durchleben, also mit Bezug auf die Vorgänge des Wahrgenommenen, des Wahrnehmens, des Vorstellens.


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