Osteuropa-institut



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OSTEUROPA-INSTITUT MÜNCHEN  Mitteilung Nr. 56
Überführung ins neu errichtete eigene politische Gefängnis 1882 vervollständigt wur­
de.
433
 Es mutet einigermaßen paradox an, dass die politischen Zwangsarbeiter durch die­
se Verschärfungen zum Müßiggang (höchstens leichte Arbeit innerhalb der Gefängnis­
mauern   war   möglich)   gezwungen   wurden,   obwohl   schwere   körperliche   Arbeit   ur­
sprünglich zum Grundverständnis der Katorga-Strafe gehört hatte, und man muss es 
wohl als Unvermögen des Verbannungssystems werten, wenn es nicht in der Lage war, 
die Voraussetzungen dafür zu bereiten. 
Für die  katoržane  bedeutete das Ende der Arbeitsmöglichkeiten außerhalb des Ge­
fängnisses insofern einen tiefen Einschnitt, als die beständige Nähe und die Monotonie 
des Alltags überhaupt erst jene im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Folgen zei­
tigten, dazu noch, etwa bis Mitte der achtziger Jahre, unter einem harschen Regime. 
Auch wenn Kennan vermutlich allzu euphorisch urteilt, wenn er von „Freude“ bei den 
Sträflingen im Zusammenhang mit der Arbeit vor 1881 spricht, trifft seine Einschät­
zung,   wonach   die   Arbeit   als   Abwechslung   und   als   Möglichkeit,   der   stickigen   Ge­
fängnisluft zu entfliehen, positiv gewertet wurde, sicherlich zu.
434
 Das jedenfalls geht aus 
den Erinnerungsberichten der Periode kurz vor der Veränderung der Situation 1880/81 
hervor. In  der  Regel  leisteten  die  „Politischen“  Erdarbeiten  oder Zuarbeiten für  die 
Goldgewinnung; im Winter ruhte die Arbeit.
435
 Die Schilderungen über die damals ver­
richteten Arbeiten und deren Umstände sind allerdings wenig gehaltvoll. 
In seinem bereits zitierten Bericht vom März 1882 kommt auch Anučin, obwohl ein 
Verfechter der getroffenen Entscheidungen, zum Schluss, die Haftumstände seien pro­
blematisch, ja „unerträglich“; er konstatiert das Auftreten von Selbstmorden und schwe­
re Fälle von psychischer und nervlicher Schwäche als Folge der fehlenden Arbeitsmög­
lichkeiten, ohne jedoch Schritte dagegen zu unternehmen.
436
  Ähnliche Beobachtungen 
notierte auch Alfred Graf Keyserling, der mit den „Politischen“ direkt nichts zu tun hat­
te. Er schildert beredt ihre Verdammung zur Untätigkeit, die sich in Nervosität, Hysterie 
und Zwietracht untereinander äußerte und mitunter zu absurden Spielchen mit den Gen­
darmen führte. Aus den Zeilen spricht keine besonders hohe Achtung für die politischen 
Häftlinge, sondern eher eine Form von Mitleid.
437
 Die letztlich der mangelnden Fähig­
keit, die (politische) Katorga im Kara-Tal effizient und den Bedürfnissen entsprechend 
zu gestalten, zuzuschreibende Situation schuf die Voraussetzung für Fluchtversuche – 
wie im Mai 1882 – und, später, für Proteste. Erst 1890 aber, nach der als „Tragödie von 
Kara“ in die Geschichte eingegangenen Auflehnung, beschritten die politisch und admi­
nistrativ Verantwortlichen einen neuen Weg.
438
 Die Isolierung der „Politischen“ in ihrem 
Gefängnis in Nižnjaja Kara unter separater, direkt Petersburg unterstellter Gendarmerie-
Bewachung wurde nun als „Privilegierung“ der politischen Häftlinge gegenüber den 
Kriminellen beurteilt. Das Kara-Tal wurde für „Politische“ geschlossen; in Akatuj, im 
433 L
EVČENKO
 Pobeg, S. 56, und B
OGDANOVIČ
 Posle pobega, S. 73f. Vgl. auch K
ENNAN
 Siberia II, S. 208f., 
M
OŠKINA
 Katorga, S. 24f., Ž
UKOV
 Iz nedr, S. 68. Der Vorgang war mit Protesten der Häftlinge verbun­
den.
434 K
ENNAN
 Siberia II, S. 207.
435 L
EVČENKO
 Pobeg, S. 56f., und B
OGDANOVIČ
 Posle pobega, S. 73. Vgl. auch M
OŠKINA
 Katorga, S. 20.
436 Zit. K
ENNAN
 Siberia II, S. 228f.
437 K
EYSERLING
 S. 29–32.
438 F
OMIN
 Katorga, S. 16. Vgl. Kap. 4.6 (S. 115).
88


4.3. Arbeiten in der Katorga
Nerčinsker Kreis südlich der Šilka, sollten politische und kriminelle Katorga-Sträflinge 
gemeinsam und gleichgestellt leben und arbeiten. 
4.3.2. „Mustergefängnis“ Akatuj: Die Rückkehr zur Zwangsarbeit
Mit der Verlagerung des Schwerpunkts der politischen Katorga brachte das Jahr 1890 
eine Wende in der Katorga-Politik für das transbaikalische Strafvollzugsgebiet und da­
durch auch eine Wende für die Situation der politischen Häftlinge. Seit Mitte der acht­
ziger Jahre war im Zuge der Gefängnisreformen der Versuch unternommen worden, die 
Bedingungen in der Katorga zu vereinheitlichen. Die Sonderstellung der politischen 
Katorga an der Kara passte daher nicht mehr ins Bild.
439
 Im Widerspruch zur Haltung der 
Verantwortlichen zu Beginn des Jahrzehnts, die, wie aus dem Bericht Anučins hervor­
geht, in der Isolierung und, mangels organisatorischer Alternativen, im erzwungenen 
Müßiggang der „Politischen“ das Heil sahen, erhofften sich deren Nachfolger am Ende 
der   achtziger   Jahre   gerade   von   der   Egalisierung   der   Lebensumstände   und   von   der 
Zwangsarbeit aller Häftlinge eine Verbesserung des bis anhin unbefriedigenden Straf­
vollzugs. Zudem wurde die Gendarmerie ihrer Zuständigkeit für das politische Gefäng­
nis an der Kara entbunden, was organisatorisch eine Voraussetzung für die Zusammen­
führung der „Politischen“ und der Kriminellen in einer Strafanstalt darstellte. Während 
die   Gleichstellung   der   Gefangenenkategorien   (und   deren   Zusammenleben)   die   Ein­
engung der Freiräume der „Politischen“ im Gefängnis bewirken – das Verbot der indi­
viduellen Essensaufbesserung ist ein Beispiel dafür – und für eine Neukonstituierung 
der Katorga-Gesellschaft sorgen sollte,
440
  wurde auf die Arbeitsmöglichkeiten nun be­
sonderer Wert gelegt, da erst die Bereitstellung von genügend Arbeit, heißt es in einem 
von der Gefängnishauptverwaltung und dem Polizeidepartement gemeinsam verfassten 
Papier, zu einer Veränderung führe.
441
 Die Wende von 1890 bedeutete mithin eine Rück­
kehr zur Zwangsarbeit, deren Begriff für die politischen Häftlinge zur Farce geworden 
war. 
Das abgelegene Akatuj sollte als „Mustergefängnis“ für den neuen Strafvollzug die­
nen; es hatte sich einst durch die Härte des Strafvollzugs einen besonders üblen Ruf er­
worben und war zwischen 1875 und 1890 nicht mehr genutzt worden.
442
 In den Bergen 
der linken Talflanke befanden sich die Stollen des Silberbergwerks, das ebenfalls jahre­
439 M
OŠKINA
 Katorga, S. 28–30, und F
OMIN
 Katorga, S. 16f. Vgl. Kap. 3.1, besonders Abschnitt 3.1.2 (S. 
38) mit Fußnote 167. Die Einschätzung Keyserlings, S. 30f., wonach für die Wende in der Katorga-
Politik die „Nörgeleien“ der Gendarmerieverwaltung verantwortlich gewesen seien, die versucht habe
politische Häftlinge an der Kara in laufende Verfahren gegen die revolutionäre Bewegung zu verwi­
ckeln, um sich selbst bei der Strafverfolgung herauszuheben, klingt vor dem bedeutend komplexeren, 
in den Rahmen der Gefängnisreformen des ausgehenden Zarenreichs sowie der Missstände in Nižnja­
ja Kara (keine Arbeit, Isolierung) zu stellenden Hintergrund des Politikwechsels reichlich fragwürdig.
440 Vgl. dazu die folgenden Ausführungen im Kap. 4.4 (S. 95).
441 Der Bericht ist, leider ohne genaue Datierung, bei F
OMIN
 Katorga, S. 17–19, wiedergegeben.
442 K
ACZYNSKA
 Gefängnis, S. 107, schreibt über Akatuj: „In Akatui wurden diejenigen zu Tode gequält, 
die man für immer aus der Gesellschaft ausschließen wollte […]“ Vgl. auch  K
ENNAN
  Siberia II, S. 
286f. Bei dessen Besuch im Winter 1885/86 war bereits absehbar, dass sich die Regierung mit dem 
Gedanken der Wiedereröffnung des damals geschlossenen Gefängnisses trug. Č
UJKO
 God, S. 106, zi­
tiert den Gefängnisdirektor Archangel’skij, der Akatuj „beispielhaft für die ganze Katorga“ nannte.
89


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