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Bunsens Experimentalchemie-Vorlesung
Anders als an seinen vorherigen Wirkungsstätten, hielt Bunsen
in Heidelberg nur eine einzige Vorlesung. Er wiederholte sie
jedes Semester, letztlich 72 Semester lang. Sie fand an sechs
Tagen der Woche in den Morgenstunden statt. In ihr hatte er
seine bisherigen Vorlesungen zur allgemeinen Chemie, zur
Stöchiometrie und zur Elektrochemie verschmolzen. Eigene
Forschungen, Entdeckungen und daraus abgeleitete Versuche
integrierte er zeitnah. Bunsens „Experimentalchemie“ war reich
an Demonstrationen und sein Vortrag galt als ausgezeichnet, ja
geradezu als theatralisch. Er führte seine Versuche selbst und
offenbar mit beträchtlichem Geschick aus, was zahlreiche Hörer
anzog. Die Höchstzahl an offiziell registrierten Vorlesungs-
teilnehmern wurde im Sommersemester 1884 mit 104 Hörern
erreicht, im Mittel lag sie bei etwa 63 Hörern – ‚Schwarzhörer’
nicht mitgerechnet.
„Zugleich begleitete er [Bunsen] den Vortrag mit
experimentellen Demonstrationen von wunderbarer
Vollendung. [...] Er versetzte so den Zuhörer derart
mitten in die Erforschung des Gegenstandes, als
wenn dieser selbst sie ausführte. Da das alte Audi-
torium, in welchem diese Vorlesung stattfand, die
Zuhörer kaum faßte, so stand die vorderste Bank,
auf der ich mir einen Platz verschaffen konnte, dicht
am Experimentiertisch, so daß diese Vorstellung,
das Experiment selbst zu machen, fast zur Illusion
wurde, während zugleich die Art, wie Bunsen
manche Experimente vorführte, darauf berechnet
schien, den Eindruck auf den Zuhörer möglichst
zu steigern.“
(Wilhelm Wundt, 1920).
Bei seinen Lehrveranstaltungen wurde Bunsen von zwei (von
1872 an: drei) Assistenten unterstützt. Dabei handelte es sich oft
um frisch promovierte Chemiker, die gut mit seinen Methoden
und experimentellen Kniffen vertraut waren. Der „Erste
Assistent“ hatte die Experimente und die Tafelanschriebe für die
Vorlesung vorzubereiten, während der „Zweite Assistent“ die
Anfänger im Praktikum betreute. Für Bunsens 36jährige Amts-
zeit lassen sich 30 von der Universität angestellte Assistenten
nachweisen. Daneben gab es im Laufe der Jahre eine Reihe von
Privatassistenten, die Bunsen aus eigener Tasche bezahlte und
die die anderen beiden Assistenten unterstützten. Ein Beispiel
hierfür ist Carl König (1838–1885), späterer technischer Direk-
tor der Farbwerke Hoechst, der ein 258seitiges Vorbereitungs-
buch zur Vorlesung angefertigt hat.
Bunsens „Experimentalchemie“ war eine Grundlagenvorlesung.
In etwa 100 Stunden gab er eine Einführung in die anorganisch-
analytische Chemie. Die ersten 14–16 Vorlesungsstunden
verwandte er auf eine allgemeine Einleitung, in der er zunächst
alle Elemente in nur einer Vorlesungsstunde vorstellte, um dann
zu allgemeinen Grundlagen überzugehen, wie z.B. die Unter-
scheidung von Metallen und Nichtmetallen, Säuren und Basen,
die Erläuterung von elektrochemischer Spannungsreihe und den
Aggregatzuständen (mit einem Schwerpunkt auf den Gasen),
und schließlich die Unterscheidung von homogenen und hetero-
genen Gemischen und chemischen Verbindungen.
Aus dem Vorbereitungsbuch zu Bunsens Experimentalchemie-Vorlesung von der Hand Carl Königs (Sommersemester 1859).
Zu sehen ist eine Tabelle der Elemente; nachträglich eingefügt sind Cäsium und Rubidium. Universitätsbibliothek Heidelberg.
Die Leistung Bunsens und Kirchhoffs, die ihnen weltweite
Anerkennung sicherte, bestand darin, die Spektralanalyse wis-
senschaftlich zu fundieren, d.h. eine nachvollziehbare chemi-
sche Analysemethode zu entwickeln und diese theoretisch zu
begründen. Das bedeutete im Wesentlichen, eine Erklärung für
die Koinzidenz heller im Labor erzeugter Spektrallinien mit den
dunklen Linien im Sonnenspektrum zu finden und die charak-
teristischen Linien einzelnen Elementen zuzuordnen. Damit
ermöglichte die Spektralanalyse einen qualitativen Nachweis
geringster Stoffmengen und wurde zum wichtigen Hilfsmittel
bei der Identifizierung bekannter und noch unbekannter chemi-
scher Elemente.
Den Prototyp ihres Spektralapparates bauten Bunsen und Kirch-
hoff aus Einzelkomponenten selbst zusammen. Von Hand des
Heidelberger Universitätszeichenlehrers Friedrich Veith (1817–
1907) ist eine Skizze erhalten, die als Vorlage für die Litho-
graphie in Bunsens und Kirchhoffs bahnbrechendem Aufsatz
„Chemische Analyse durch Spectralbeobachtungen“ diente.
Am Beispiel der Alkali- und Erdalkalimetalle entwickelten
Bunsen und Kirchhoff mit Hilfe dieses einfachen Apparates die
Spektralanalyse zu einer qualitativen Nachweismethode von
bisher ungekannter Präzision und Empfindlichkeit fort. Binnen
kurzer Zeit folgten zunehmend ausdifferenzierte bzw. auf
spezielle Bedürfnisse zugeschnittene Apparaturen. Bunsen und
Kirchhoff arbeiteten dafür mit dem renommierten Münchener
Instrumentenhersteller Carl August von Steinheil (1801–1870)
zusammen.
Bereits in der Erstpublikation hatten Bunsen und Kirchhoff
vermutet, dass sich mit Hilfe des Spektrometers weitere, bisher
unbekannte Elemente auffinden lassen sollten. In der Tat konn-
ten sie bereits innerhalb eines Jahres nach Veröffentlichung der
Methode die Entdeckung der Metalle Cäsium und Rubidium
bekanntgeben und damit ihre Vorhersage bestätigen. Außerdem
erkannte Kirchhoff, dass man die Spektralanalyse auch einsetzen
konnte, um die Zusammensetzung kosmischer Materie zu
bestimmen. Damit konnte die breit diskutierte Frage, ob die
Sterne aus den gleichen Materialien bestehen wie die Erde, im
Prinzip beantwortet werden: Die Tür zu den Sternen war aufge-
stoßen und der Entstehung der Astrophysik der Weg geebnet.