Von Seelenrätseln


III. Franz Brentano - Ein Nachruf



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III. Franz Brentano - Ein Nachruf


[78] Über das Verhältnis von Anthropologie und Anthroposophie in genügender Form zu sprechen ist aus den im vorigen Abschnitt dieser Schrift angeführten Gründen in Anknüpfung an Max Dessoirs Buch «Vom Jenseits der Seele» nicht möglich. Ich glaube nun aber, daß dieses Verhältnis anschaulich werden kann, wenn ich an diese Stelle die Ausführungen setze, die ich in andrer Absicht niedergeschrieben habe, nämlich als Nachruf für den im März 1917 in Zürich verstorbenen Philosophen Franz Brentano. Der Hingang des von mir aufs höchste verehrten Mannes hat bei mir bewirkt, daß dessen bedeutungsvolles Lebenswerk erneut mir vor die Seele getreten ist; er hat mich bestimmt, das Folgende auszusprechen.

*

Es scheint mir, daß ich den Versuch machen darf, vom anthroposophischen Gesichtspunkte aus zu einer Ansicht über Franz Brentanos philosophisches Lebenswerk zu gelangen in diesem Augenblick, da der Tod der verehrten Persönlichkeit die Fortsetzung dieses Werkes unterbrochen hat. Ich glaube, daß der anthroposophische Gesichtspunkt mich nicht in eine einseitige Schätzung der Brentanoschen Weltanschauung verfallen lassen kann. Dies nehme ich aus zwei [79] Gründen an. Erstens kann die Vorstellungsart Brentanos von niemand beschuldigt werden, daß sie selbst auch nur die geringste Hinneigung zu einer anthroposophischen Richtung habe. Ihr Träger hätte diese, wenn er selbst zu einem Urteile über sie Veranlassung gehabt hätte, wohl mit aller Entschiedenheit abgelehnt. Zweitens bin ich, von meinem anthroposophischen Gesichtspunkte aus, in der Lage, der Philosophie Franz Brentanos rückhaltlose Verehrung entgegenzubringen.



Was das erste betrifft, so glaube ich nicht zu irren, wenn ich sage, Brentano hätte, wenn er über die von mir gemeinte Anthroposophie zu einem Urteil gekommen wäre, dies so gestaltet, wie dasjenige, das er sich über Plotins Philosophie gebildet hat. Wie dieser gegenüber würde er wohl auch von der Anthroposophie gesagt haben: «Mystisches Dunkel und ein freies Schweifen der Phantasie in unbekannten Regionen.» (1) Wie dem Neuplatonismus würde er auch gegenüber der Anthroposophie zur Vorsicht gemahnt haben, «damit man nicht, von eitlem Scheine verlockt, in den labyrinthischen Gängen einer Pseudophilosophie sich verliere». (2) Ja, er hätte vielleicht die Denkweise der Anthroposophie für zu dilettantisch befunden, um sie auch nur für würdig zu halten, sie den Philosophien beizuzählen, über die er so urteilte wie über die Fichte-Schelling-Hegelsche. In seiner Wiener Antrittsrede sagt er über diese : «Vielleicht ist auch die jüngstvergangene Zeit eine... Epoche des Verfalles gewesen, in der alle Begriffe trüb ineinander schwammen, und von sachentsprechender Methode nicht eine Spur mehr [80] zu finden war.» (3) Ich glaube, daß Brentano so geurteilt hätte, wenn ich auch selbstverständlich nicht nur dieses Urteil für völlig grundlos, sondern auch jede Zusammenstellung der Anthroposophie mit den Philosophien, mit denen sie dieser Philosoph wahrscheinlich zusammengestellt hätte, für unberechtigt halte.

Was nun den zweiten der oben angegebenen Gründe, mich mit der Brentanoschen Philosophie auseinanderzusetzen, betrifft, so darf ich bekennen, daß sie für mich zu den anziehendsten Leistungen der Seelenforschung in der Gegenwart gehört. Ich konnte zwar nur wenige der Wiener Vorlesungen Brentanos vor etwa sechsunddreißig Jahren hören; aber von diesem Zeitraum an habe ich seine schriftstellerische Tätigkeit mit wärmstem Anteile verfolgt. Leider erschienen seine Veröffentlichungen, gemessen an meinem Wunsche, von ihm zu vernehmen, in viel zu großen Zeitabständen. Und sie sind zumeist so gehalten, daß man durch sie nur wie durch kleine Öffnungen in einen Raum mit einer Fülle von Schätzen, so durch gelegentliche Veröffentlichungen auf ein weites Reich unveröffentlichter Gedanken blickte, das der hervorragende Mann in sich trug. So in sich trug, daß es in fortwährender Ausgestaltung hohen Erkenntniszielen zustrebte. Als nach langer Pause 1911 Brentanos Buch über «Aristoteles», seine glänzende Schrift «Aristoteles' Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes» und sein Wiederabdruck des wichtigsten Teiles seiner Psychologie mit den so scharfsinnigen «Nachträgen» erschienen waren, da war [81] das Lesen dieser Schriften für mich eine Reihe von Festesfreuden. (4)

Ich fühle mich Franz Brentano gegenüber von einer solchen Gesinnung durchdrungen, von der ich glaube sagen zu dürfen, daß man sie erwirbt, wenn die vom anthroposophischen Gesichtspunkte aus gewonnene wissenschaftliche Überzeugung - eben die Gesinnung ergreift. Ich bestrebe mich, seine Anschauungen in ihrem Werte zu durchschauen, wenn ich mich auch keiner Täuschung darüber hingebe, daß er in dem oben angedeuteten Sinne über Anthroposophie hätte denken können, ja wohl, müssen. Dies bringe ich hier wahrlich nicht vor, um in alberner Art über meine Gesinnung gegenüber gegnerischen oder abweichenden Anschauungen in eine eitle Selbstkritik zu verfallen, sondern weil ich weiß, wie viel Mißverständnisse meiner Urteile über andere Geistesrichtungen es mir gebracht hat, daß ich mich in meinen Veröffentlichungen oft so ausgesprochen habe, wie es eine Folge dieser Gesinnung ist.

Die ganze Brentanosche Seelenforschung methodisch durchdringend erscheinen mir die Grundgedanken, welche ihn 1868 zur Aufstellung seines Leitsatzes führten. Als er damals in Würzburg seine philosophische Professur antrat, rückte er seine Vorstellungsart in das Licht der These : es könne die wahre philosophische Forschungsart keine andere sein als die in dem naturwissenschaftlichen Erkennen berechtigte. «Vera philosophiae methodus nulla alia nisi [82] scientiae naturalis est.» (5) Als er dann den ersten Band seiner « Psychologie vom empirischen Standpunkte » 1874 erscheinen ließ - in der Zeit, als er seine Wiener Professur antrat -, suchte er die Seelenerscheinungen in Gemäßheit des angeführten Leitsatzes wissenschaftlich darzulegen. (6) Für mich bildet, was Brentano mit diesem Buche gewollt hat, und was von diesem Wollen während seiner Lebenszeit durch seine Veröffentlichungen zutage getreten ist, ein bedeutsames wissenschaftliches Problem. Brentano hatte - das geht aus seinem Buche hervor- seine Psychologie auf eine Reihe von Büchern berechnet. Das zweite hatte er versprochen, kurze Zeit nach dem ersten erscheinen zu lassen. Es ist keine Fortsetzung des nur die Anfangsvorstellungen seiner Psychologie enthaltenden ersten Teiles erschienen. Als er 1889 seinen in der Wiener Juristischen Gesellschaft gehaltenen Vortrag «Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis » abdrucken ließ, schrieb er in der Vorrede : «Man würde irren, wenn man um des zufälligen Anstoßes willen den Vortrag für ein flüchtiges Werk der Gelegenheit hielte. Er bietet Früchte von jahrelangem Nachdenken. Unter allem, was ich bisher veröffentlicht, sind seine Erörterungen wohl das gereifteste Erzeugnis. - Sie gehören zum Gedankenkreise einer , den ich, wie ich nunmehr zu hoffen wage, in nicht ferner Zeit seinem ganzen Umfange nach der Öffentlichkeit erschließen kann. Man wird dann an weiten [83] Abständen von allem Hergebrachten, und insbesondere auch an wesentlichen Fortbildungen eigener, in der


vertretener Anschauungen genugsam erkennen, daß ich in meiner langen literarischen Zurückgezogenheit nicht eben müßig gewesen bin.» (7) Auch diese «Deskriptive Psychologie» ist nicht erschienen. Die Verehrer der Brentanoschen Philosophie können ermessen, welchen Gewinn sie ihnen gebracht hätte, wenn sie die ein enges Gebiet umfassenden 1907 erschienenen «Untersuchungen zur Sinnespsychologie» studieren. (8)

Man muß sich die Frage stellen: was hat Brentano dazu gebracht, in der Fortsetzung seiner Veröffentlichungen immer wieder inne zu halten, ja, das als in kurzer Zeit fertig Geglaubte dann doch nicht zu veröffentlichen? Ich bekenne, daß ich mit innerlichster Erschütterung in dem Nachruf für Franz Brentano, den Alois Höfler im Mai 1917 hat erscheinen lassen, die Worte las: «Wie er an seinem Hauptproblem, dem Gottesbeweis, so zuversichtlich weiterarbeitete, daß mir noch vor wenigen Jahren ein mit Brentano innig befreundeter, ausgezeichneter Wiener Arzt erzählte, Brentano habe ihm kürzlich versichert, nun habe er den Gottesbeweis binnen wenigen Wochen fertig ... » (9) Ebenso empfand ich, als ich aus einem andern Nachruf (von Utitz) vernahm: (10) « Das Werk, das er am heißesten geliebt, an dem er sein ganzes Leben lang geschaffen, ist unveröffentlicht geblieben.»

Ich halte für wichtig, ins Auge zu fassen, daß Brentano in seiner psychologischen Forschung in scharfsinniger Weise eine reine Vorstellung des wirklich Seelischen zugrunde legen will. Er fragt sich : was ist Charakteristisches in allen Vorkommnissen, die man als seelische ansprechen muß. Und er fand, was er in den Nachträgen zur Psychologie 1911 so ausdrückte : «Das Charakteristische für jede psychische Tätigkeit besteht, wie ich gezeigt zu haben glaube, in der Beziehung zu etwas als Objekt.» (11) Vorstellen ist eine psychische Tätigkeit. Das Charakteristische ist, daß ich nicht nur vorstelle, sondern daß ich etwas vorstelle, daß meine Vorstellung sich auf etwas bezieht. Mit einem der mittelalterlichen Philosophie entlehnten Ausdruck bezeichnet Brentano diese Eigenheit der seelischen Erscheinungen als «intentionale Beziehung». «Der gemeinsame Charakterzug» - so führt er an einem andern One aus - «alles Psychischen besteht in dem, was man häufig mit einem leider sehr mißverständlichen Ausdruck Bewußtsein genannt hat, das heißt in einem subj ektischen Verhalten, in einer,wie man sie bezeichnete, intentionalen Beziehung zu etwas, was vielleicht nicht wirklich, aber doch innerlich gegenständlich gegeben ist. Kein Hören ohne Gehörtes, kein Glauben ohne Geglaubtes, kein Hoffen ohne Gehofftes, kein Streben ohne Erstrebtes, keine Freude ohne etwas, worüber man sich freut, und (85) so im übrigen.» (12) Dieses intentionale Innesein ist nun in der Tat etwas, was wie ein Leitmotiv so führt, daß man alles, dem man es beilegen kann, eben dadurch in seiner seelischen Eigenart erkennt.

Den psychischen Erscheinungen stellt Brentano die physischen gegenüber: Farben, Schall, Raum und viele andere. Er findet, daß sich diese von jenen eben dadurch unterscheiden, daß ihnen eine intentionale Beziehung nicht eigen ist. Und er beschränkt sich darauf, diese Beziehung den psychischen Erscheinungen zu-, den physischen abzusprechen. Nun wird aber gerade, wenn man Brentanos Ansicht über die intentionale Beziehung kennen lernt, die Vorstellung zu der Frage hingeführt : macht ein solcher Gesichtspunkt nicht notwendig, auch das Physische von ihm aus anzusehen? Wer nun in diesem Sinne wie Brentano das Psychische so, das Physische auf ein Gemeinsames hin prüft, der findet, daß jede Erscheinung dieses Gebietes durch etwas anderes ist. Löst sich ein Körper in einer Flüssigkeit auf, so tritt diese Erscheinung am gelösten Körper durch die Beziehung der lösenden Flüssigkeit zu ihm auf. Wenn Phosphor seine Farbe durch die Einwirkung der Sonne ändert, so weist dies in dieselbe Richtung. Alle Eigenschaften in der physischen Welt sind durch die Verhältnisse der Dinge zu einander. Es ist für physisches Sein richtig, wenn Moleschott sagt : «Alles Sein ist ein Sein durch Eigenschaften. Aber es gibt keine Eigenschaft, die nicht durch ein Verhältnis besteht. » (13) Wie [86] alles Psychische in sich etwas enthält, wodurch es auf ein außer ihm Befindliches weist, so ist umgekehrt ein Physisches so geartet, daß das, was es ist, es durch die Beziehung eines Äußeren auf es ist. Muß nicht jemand, der in so scharfsinniger Weise wie Brentano die intentionale Beziehung alles Seelischen betont, die Aufmerksamkeit auch auf das Charakteristische der physischen Erscheinungen richten, das sich durch den gleichen Gedankenvorgang ergibt? Sicher scheint zum mindesten, daß eine solche Betrachtung des Seelischen die Beziehung desselben zur physischen Welt nur finden kann, wenn sie dieses Charakteristische in Erwägung zieht. (14)

Brentano findet nun drei Arten von intentionalen Beziehungen im seelischen Leben. Die erste ist das Vorstellen von etwas; die zweite die Anerkennung oder Verwerfung, die sich im Urteilen aussprechen; die dritte die des Liebens oder Hassens, welche im Fühlen erlebt werden. Wenn ich sage: Gott ist gerecht, so stelle ich etwas vor; aber ich anerkenne oder verwerfe das Vorgestellte noch nicht; wenn ich aber sage : es gibt einen Gott, so anerkenne ich das Vorgestellte durch ein Urteil Sage ich: die Freude ist mir lieb, so urteile ich nicht bloß, sondern ich erlebe ein Gefühl. Brentano unterscheidet aus solchen Voraussetzungen heraus drei Grundklassen der psychischen Erlebnisse: Vorstellen, Urteilen, Fühlen (oder die Erscheinungen des Liebens und Hassens). Diese drei Grundklassen setzt er an die Stelle der von anderen anerkannten Teilung der psychischen Erscheinungen [87] in: Vorstellen, Fühlen und Wollen. (15) Während nämlich Vorstellen und Urteilen viele in eine Klasse zusammenfassen, trennt Brentano die beiden. Er ist mit der Zusammenfassung nicht einverstanden, weil er nicht wie andere in dem Urteil nur eine Verbindung von Vorstellungen sieht, sondern eben eineAnerkennung oder einVerwerfen des Vor-gestellten, was beim bloßen Vorstellen nicht vollzogen wird. Gefühl und Wille hinwiederum, welche andere trennen, fallen für Brentano, ihrem seelischen Gehalte nach, in eins zusammen. Was seelisch erlebt wird, indem man sich zum Verrichten einer Handlung hingezogen oder davon abgestoßen fühlt, ist dasselbe, was man erlebt, wenn man zur Freude sich hingezogen oder vom Schmerze abgestoßen fühlt.

Es ist aus Brentanos Schriften ersichtlich, daß er einen großen Wert darauf legt, die von ihm vorgefundene Gliederung des seelischen Erlebens in Denken, Fühlen und Wollen durch die andere ersetzt zu haben, in Vorstellen, Urteilen und in Lieben und Hassen. Von dieser Gliederung aus sucht er sich einen Weg zu bahnen zum Verständnis dessen, was die Wahrheit auf der einen Seite, die sittliche Güte auf der anderen Seite ist. Die Wahrheit stützt sich ihm auf das richtige Urteilen; die sittliche Güte auf das richtige Lieben. Er findet : «Wir nennen etwas wahr, wenn die daraufbezügliche Anerkennung richtig ist. Wir nennen etwas gut, wenn die darauf bezügliche Liebe richtig ist.» (16)

Man kann in Brentanos Ausführungen finden, daß er mit der richtigen Anerkennung im Urteile bei der Wahrheit, mit [88] dem richtigen Erleben der Liebe bei der sittlichen Güte einen seelischen Tatbestand scharf ins Auge faßt und umschreibt. Allein man kann innerhalb seines Vorstellungsbereiches nichts finden, was genügen würde, um von dem seelischen Erlebnis des Vorstellens zu dem des Urteilens den Übergang zu finden. Wo man auch hinblickt in diesem Vorstellensbereich: man sucht vergebens nach der Beantwortung der Frage: was liegt denn vor, wenn sich die Seele bewußt ist, sie stelle nicht bloß vor, sondern sie finde sich veranlaßt, den Gegenstand des Vorstellens durch ein Urteil anzuerkennen? - Ebenso wenig kann man eine Frage vermeiden bei dem richtigen Lieben für die sittliche Güte. Innerhalb desjenigen Bereiches, welchen Brentano als « Seelisches » umschreibt, ist für das sittliche Verhalten allerdings kein anderer Tatbestand vorhanden als das richtige Lieben. Aber ist denn einer sittlichen Handlung nicht auch eine Beziehung zu der äußeren Welt eigen? Kann dieses, was eine solche Handlung für die Welt charakterisiert, erschöpft werden dadurch, daß man sagt : sie ist eine Handlung, die richtig geliebt wird? (17)

Man hat beim Verfolgen Brentanoscher Gedankengänge zumeist das Gefühl : sie seien immer fruchtbringend, weil sie ein Problem nach einer Richtung hin scharfsinnig und mit wissenschaftlicher Besonnenheit in Angriff nehmen; aber man empfindet auch, Brentano führt mit solchen Gedankengängen nicht zu dem Ziel, das seine Ausgangspunkte versprechen. Solch eine Empfindung kann sich auch aufdrängen, wenn man seine Dreiteilung des Seelenlebens in Vorstellen, [89] Urteilen, Lieben und Hassen vergleicht mit der andern in Vorstellen, Fühlen und Wollen. Man folgt mit einer gewissen Zustimmung dem, was er für seine Meinung beizubringen weiß; und man kann zuletzt doch wohl kaum die Überzeugung gewinnen, daß er alle Gründe hinreichend würdigt, die für die andere sprechen. Man nehme nur als besonderes Beispiel die Folgerung, die Brentano aus seiner Gliederung für die Kennzeichnung des Wahren, Schönen und Guten zieht. Wer das Seelenleben nach erkennendem Vorstellen, Fühlen und Wollen gliedert, wird kaum anders können, als das Streben nach Wahrheit mit dem Vorstellen, das Erleben der Schönheit mit dem Fühlen, das Vollbringen des Guten mit dem Wollen in einen näheren Zusammenhang zu bringen. Im Lichte der Brentanoschen Gedanken erscheint die Sache anders. Da haben die Vorstellungen als solche keine Beziehung zu einander, durch die sich als solche schon die Wahrheit offenbaren könnte. Strebt die Seele nach einem Vollkommenen in der Beziehung von Vorstellungen, so kann daher ihr Ideal dabei nicht die Wahrheit sein; es ist vielmehr die Schönheit. Die Wahrheit liegt nicht auf dem Wege des bloßen Vorstellens, sondern des Urteilens. Und das sittlich Gute findet sich nicht als ein dem Wollen Wesentliches, sondern ist Inhalt eines Fühlens; denn richtig zu lieben, ist Gefühls-Erlebnis. (18) - Nun kann aber die Wahrheit für das gewöhnliche Bewußtsein doch nur im vorstellenden Erkennen gesucht werden. Denn, wenn auch das Urteil, das zur Wahrheit führt, nicht in einer bloßen [90] Verbindung von Vorstellungen sich erschöpft, sondern auf einer Anerkennung oder Verwerfung von Vorstellungen beruht, so kann diese Anerkennung oder Verwerfung von diesem Bewußtsein nur in Vorstellungen erlebt werden. - Und wenn auch die Vorstellungen, durch die ein Schönes dem Bewußtsein sich darstellt, in gewissen innerhalb des Vorstellungslebens gelegenen Verhältnissen sich offenbaren: erlebt wird die Schönheit doch durch das Gefühl. - Und obgleich ein sittlich Gutes in der Seele ein richtiges Lieben hervorrufen soll : sein Wesentliches ist doch die Verwirklichung des richtig Geliebten durch das Wollen.



Man erkennt erst, was in Brentanos Gedanken über die Dreigliederung des Seelenlebens vorliegt, wenn man durchschaut, daß er von etwas ganz anderem spricht als diejenigen, welche diese Gliederung nach Vorstellen, Fühlen und Wollen vollziehen. Diese wollen einfach die Erfahrung des gewöhnlichen Bewußtseins beschreiben. Und dieses erfährt von sich selbst in den von einander unterschiedenen Verrichtungen des Vorstellens, Fühlens und Wollens. Was wird da eigentlich erfahren? In meinem Buche «Vom Menschenrätsel» habe ich versucht, diese Frage zu beantworten. Die dort vorgebrachten Ergebnisse habe ich in der folgenden Art zusammengefaßt. «Zunächst ist das seelische Erleben des Menschen, wie es sich im Denken, Fühlen und Wollen offenbart, an die leiblichen Werkzeuge gebunden. Und es gestaltet sich so, wie es durch diese Werkzeuge bedingt ist. Wer aber meint, er sehe das wirkliche Seelenleben, wenn er die Äußerungen der Seele durch den Leib beobachtet, der ist in demselben Fehler befangen, wie einer, der glaubt, seine Gestalt werde von dem Spiegel hervorgebracht, vor dem er steht, weil der Spiegel die notwendigen Bedingungen enthalte, [91] durch die sein Bild erscheint. Dieses Bild ist sogar in gewissen Grenzen als Bild von der Form des Spiegels usw. abhängig: was es aber darstellt, das hat mit dem Spiegel nichts zu tun. Das menschliche Seelenleben muß, um innerhalb der Sinneswelt sein Wesen voll zu erfüllen, ein Bild seines Wesens haben. Dieses Bild muß es im Bewußtsein haben; sonst würde es zwar ein Dasein haben; aber von diesem Dasein keine Vorstellung, kein Wissen. Dieses Bild, das im gewöhnlichen Bewußtsein der Seele lebt, ist nun völlig bedingt durch die leiblichen Werkzeuge. Ohne diese würde es nicht da sein, wie das Spiegelbild nicht ohne den Spiegel. Was aber durch dieses Bild erscheint, das Seelische selbst, ist seinem Wesen nach von den Leibeswerkzeugen nicht abhängiger als der vor dem Spiegel stehende Beschauer von dem Spiegel. Nicht die Seele ist von den Leibeswerkzeugen abhängig, sondern allein das gewöhnliche Bewußtsein der Seele.» (19) - Schildert man diesen von der Leibesorganisation abhängigen Bewußtseinsbereich, so gliedert man richtig nach Vorstellen, Fühlen und Wollen. (20) Aber Brentano schildert etwas anderes. Man fasse zunächst ins Auge, daß er unter dem «Urteilen» ein Anerkennen oder Abweisen eines Vorstellungsinhaltes versteht. Das Urteilen betätigt sich innerhalb des Vorstellungslebens; aber es nimmt die Vorstellungen, [92] die in der Seele auftreten, nicht einfach hin, sondern es setzt sie durch Anerkennung oder Ablehnung in Beziehung zu einer Wirklichkeit. Sieht man genauer zu, so kann diese Beziehung der Vorstellungen auf eine Wirklichkeit nur in einer Tätigkeit der Seele gefunden werden, welche in dieser selbst sich vollzieht. Dem entspricht aber niemals restlos, was die Seele bewirkt, wenn sie eine Vorstellung umteilend auf eine Sinneswahmehmung bezieht. Denn da ist es der Zwang des äußeren Eindruckes, der nicht rein innerlich erlebt, sondern nur nacherlebt wird, und so als vorgestelltes Nach-Erlebnis zur Anerkennung oder zum Verwerfen führt. Dagegen entspricht, was Brentano beschreibt, in dieser Beziehung vollkommen demjenigen Erkennen, das im ersten Abschnitt dieser Schrift das imaginative genannt wird. In diesem wird das Vorstellen des gewöhnlichen Bewußtseins nicht einfach hingenommen, sondern in innerem Seelen-Erleben weiter gebildet, so daß aus ihm sich die Kraft auslöst, das seelisch Erfahrene auf eine geistige Wirklichkeit so zu beziehen, daß diese anerkannt oder verworfen wird. Brentanos Urteilsbegriff wird also nicht im gewöhnlichen Bewußtsein vollkommen verwirklicht, sondern in der Seele, die in imaginativem Erkenntnis sich betätigt. - Des weiteren ist klar, daß durch Brentanos vollständige Ablösung des Vorstellungs- von dem Urteilsbegriff, von ihm das Vorstellen als bloßes Bild gefaßt wird. So aber lebt das gewöhnliche Vorstellen in der imaginativen Erkenntnis. Auch diese zweite Eigenschaft, welche die Anthroposophie dem imaginativen Erkennen beilegt, findet sich also in Brentanos Charakteristik der psychischen Erscheinungen. - Ferner: Brentano spricht die Erlebnisse des Fühlens als Erscheinungen der Liebe und des Hasses an. Wer zum imaginativen [93] Erkennen aufsteigt, der muß in der Tat diejenige Art des seelischen Erlebens, die für das gewöhnliche Bewußtsein als Lieben und Hassen - im Brentanoschen Sinn -sich offenbart, für das übersinnliche Schauen so umwandeIn, daß er sich gewissen Eigenarten der geistigen Wirklichkeit gegenübersetzen kann, welche in meiner «Theosophle» zum Beispiel in der folgenden Art geschildert werden : «Es gehört zu dem ersten, was man sich für die Orientierung in der seelischen Welt aneignen muß, daß man die verschiedenen Arten ihrer Gebilde in ähnlicher Weise unterscheidet, wie man in der physischen Welt feste, flüssige und luft- oder gasförmige Körper unterscheidet. Um dazu zu kommen, muß man die beiden Grundkräfte kennen, die hier vor allem wichtig sind. Man kann sie Sympathie und Antipathie nennen. Wie diese Grundkräfte in einem seelischen Gebilde wirken, danach bestimmt sich dessen Art.» (21) Während Lieben und Hassen für das Leben der Seele in der Sinneswelt etwas Subjektives bleibt, erlebt das imaginative Erkennen das objektive Verhalten in der Seelenwelt mit durch innere Erfahrungen, die dem Lieben und Hassen gleichkommen. Brentano beschreibt auch da, indem er von Seelenerscheinungen spricht, eine Eigenheit des imaginativen Erkennens (durch die dasselbe aber schon in den Bereich einer noch höheren Erkenntnisart (22) hlneinreicht). Und daß [94] er von der objektieven Art des Liebens und Hassens im Gegensatz zur subjektiven Gefühlsweise des gewöhnlichen Bewußtseins eine Vorstellung hat, das ersieht man daraus, daß er die sittliche Güte als ein richtiges Lieben darstellt. - Zuletzt muß ganz besonders in Betracht gezogen werden, daß für Brentano das Wollen aus dem Kreise der Seelenerscheinungen herausfällt. Nun gehört das aus dem gewöhnlichen Bewußtsein erfließende Wollen ganz der physischen Welt an. Es verwirklicht sich in der Gestalt, wie es von diesem Bewußtsein gedacht werden kann, restlos in der physischen Welt, obwohl es ein in der physischen Welt sich offenbaren des rein geistig-Wesenhaftes an sich ist. Schildert man das in der physischen Welt vorhandene gewöhnliche Bewußtsein, so kann in dieser Schilderung das Wollen nicht fehlen. Schildert man das schauende Bewußtsein, so kann in diese Schilderung nichts von den Vorstellungen über das gewöhnliche Wollen übergehen. Denn in der seelischen Welt, auf welche das imaginative Bewußtsein sich bezieht, erfolgt das Geschehen auf einen seelischen Impuls hin anders als durch Akte des Wollens, wie solche der physischen Welt eigen sind. Indem also Brentano die seelischen Erscheinungen in dem Gebiete ins Auge faßt, in dem die imaginative Erkenntnis sich betätigt, muß ihm der Begriff des Wollens sich verflüchtigen.

Es scheint wirklich einleuchtend zu sein, daß Brentano dazu getrieben worden ist, indem er das Wesen der psychischen Erscheinungen beschrieben hat, eigentlich das Wesen der schauenden Erkenntnis zu schildern. Selbst aus Einzelheiten seiner Darstellung geht dies klar hervor. Man nehme ein Beispiel für viele, die angeführt werden könnten. Er sagt : «Der gemeinsame Charakterzug alles Psychischen besteht [95] in dem, was man häufig mit einem leider sehr mißverständlichen Ausdruck Bewußtsein genannt hat ... ». (22) Aber wenn man nur diejenigen Seelenerscheinungen schildert, welche als dem gewöhnlichen Bewußtsein angehörig von der Leibesorganisation bedingt sind, so ist der Ausdruck gar nicht mißverständlich. Brentano hat eine Empfindung davon, daß die wirkliche Seele aber in diesem gewöhnlichen Bewußtsein nicht lebt, und er fühlt sich veranlaßt, von dem Wesen dieser wirklichen Seele in Vorstellungen zu sprechen, die allerdings mißverstanden werden müssen, wenn man auf sie den gewöhnlichen Bewußtseinsbegriff anwenden will.


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