Von Seelenrätseln



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Brentano geht in seiner Forschung so vor, daß er die Erscheinungen des anthropologischen Gebietes bis dahin verfolgt, wo sie den Unbefangenen dazu zwingen, Vorstellungen über die Seele zu bilden, welche zusammentreffen mit dem, was die Anthroposophie auf ihren Wegen über die Seele findet. Und die Ergebnisse der beiden Wege zeigen sich gerade durch Brentanos Psychologie im vollsten Einklange. Brentano selbst wollte aber den anthropologischen Weg nicht verlassen. Daran hinderte ihn seine Auslegung des von ihm aufgestellten Leitsatzes: «Es kann die wahre Forschungsart der Philosophie keine andere sein als die in der naturwissenschaftlichen Erkennmisart anerkannte. » (23) Eine andere Auffassung dieses Leitsatzes hätte ihn dazu führen können, anzuerkennen, daß man gerade dann die naturwissenschaftliche Vorstellungsart in dem rechten Lichte sieht, wenn man sich bewußt ist, daß diese für das geistige Gebiet sich ihrem eigenen Wesen gemäß wandeln muß. Brentano hat die wahren Seelenerschenningen, welche er [96] als solche kennzeichnet, niemals zum Gegenstande eines ausgesprochenen Bewußtseins machen wollen. Hätte er dieses getan, so wäre er von der Anthropologie zur Anthroposophie fortgeschritten. Er fürchtete diesen Weg, weil er ihn nur als ein Abirren in «mystisches Dunkel und ein freies Schweifen der Phantasie in unbekannte Regionen» anzusehen vermochte. (24) Er ließ sich auf eine Prüfung dessen gar nicht ein, was seine eigene psychologische Auffassung notwendig machte. Jedesmal, wenn er vor der Notwendigkeit stand, seinen eigenen Weg fortzusetzen in das anthroposophische Gebiet hinein, blieb er stehen. Er wollte die Fragen, welche sich nur anthroposophisch beantworten lassen, anthropologisch lösen. Diese Lösung mußte scheitern. Weil sie scheitern mußte, konnte er seine angefangenen Darstellungen nicht so fortsetzen, daß die Fortsetzung für ihn hätte befriedigend werden können. Hätte er die «Psychologie vom empirischen Standpunkt» fortgesetzt: sie hätte nach dem Ergebnisse des ersten Bandes eine Anthroposophie werden müssen. Hätte er seine «Deskriptive Psychologie»wirklich geliefert: Anthroposophie müßte aus ihr überall herausleuchten. Hätte er entsprechend seinem Ausgangspunkte die Ethik seiner Schrift «Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis» weiter geführt: er hätte auf Anthrop osophie stoßen müssen.

Vor Brentanos Seele stand die Möglichkeit einer Psychologie, die nicht wie die rein anthropologische gestaltet sein kann. Die letztere kann an die Fragen gar nicht denken, welche als die bedeutungsvollsten über das Seelenleben aufgeworfen werden müssen. Die neuere Psychologie will nur anthropologisch sein, weil sie alles darüber Hinausgehende für unwissenschaftlich hält. Brentano aber sagt: «Für die [97] Hoffnungen eines Platon und Aristoteles, über das Fortleben unseres besseren Teiles nach der Auflösung des Leibes Sicherheit zu gewinnen, würden dagegen die Gesetze der Assoziation von Vorstellungen, der Entwickelung von Überzeugungen und Meinungen und des Keimens und Treibens von Lust und Liebe alles andere, nur nicht ein wahre Entschädigung sein... Und wenn wirklich der Unterschied der beiden Anschauungen die Aufnahme oder den Ausschluß der Frage nach der Unsterblichkeit besagte, so wäre er für die Psychologie ein überaus bedeutender zu nennen, und ein Eingehen in die metaphysische Untersuchung über die Substanz als Trägerin der Zustände unvermeidlich.» (25) Anthroposophie zeigt, wie nicht durch metaphysische Spekulationen in das von Brentano bezeichnete Gebiet eingetreten werden kann, sondern allein durch Betätigung solcher Seelenkräfte, welche nicht in das gewöhnliche Bewußtsein fallen können. Indem Brentano in seiner Philosophie das Wesen der Seele so schildert, daß in seiner Schilderung das Wesen der schauenden Erkenntnis deutlich zum Ausdrucke kommt, ist diese Philosophie eine vollkommene Rechtfertigung der Anthroposophie. Und man darf in Brentano sehen den philosophischen Forscher, der auf seinem Wege bis zur Pforte der Anthroposophie gelangt, diese Pforte aber nicht aufschließen will, weil das Bild von naturwissenschaftlicher Denkart, das er sich macht, ihm den Glauben erzeugt, er gelange durch dieses Aufschließen in den Abgrund der Unwissenschaft. [98]



Die Schwierigkeiten, vor die sich Brentano oft gestellt sieht, wenn er seine Vorstellungen fortsetzen will, rühren davon her, daß er diese Vorstellungen über das Wesen des Seelischen auf dasjenige bezieht, was im gewöhnlichen Bewußtsein vorliegt. Dazu wird er veranlaßt, weil er innerhalb der Auffassung stehen bleiben will, die ihm als die naturwissenschaftlich berechtigte erscheint. Aber diese Auffassung kann durch ihre Erkenntuismittel eben nur zu dem gelangen, was von dem Seelischen als der Inhalt des gewöhnlichen Bewußtseins vorliegt. Dieser Inhalt ist aber nicht die Wirklichkeit des Seelischen, sondern dessen Spiegelbild. Dies durchschaut Brentano nur von der einen Seite des begreifenden Verstehens, aber nicht von der andern, der Beobachtung. In seinen Begriffen entwirft er ein Bild seelischer Erscheinungen, die sich in der Wirklichkeit der Seele abspielen; wenn er beobachtet, glaubt er in dem Spiegelbild des Seelischen eine Wirklichkeit zu haben. (26) - Eine andere philosophische Richtung, der Brentano die schärfste Abneigung entgegengebracht hat, diejenige Eduard von Hartmanns, ist auch von einer naturwissenschaftlichen Vorstellungsart ausgegangen. Eduard von Hartmann hat den Spiegelbild-Charakter des gewöhnlichen Bewußtseins durchschaut. Er sieht daher in diesem Bewußtsein keine Wirklichkeit. Aber er lehnt es auch entschieden ab, die entsprechende Wirklichkeit überhaupt in ein menschliches Bewußtsein hereinzuholen. Er verweist diese Wirklichkeit in das Gebiet des Unbewußten. Über dieses zu reden, gestattet er nur der hypothetischen Anwendung der durch gewöhnliches Bewußtsein [99] gebildeten Begriffe über dieses Gebiet hinaus. (27) Die Anthroposophie behauptet, daß über dieses Gebiet hinaus geistige Beobachtung möglich ist. Und daß dieser geistigen Beobachtung auch Begriffe zugänglich seien, die so wenig bloß hypothetisch sein dürfen wie die im sinnlichen Felde gewonnenen. - Eduard von Hartmanns Übersinnliches soll kein unmittelbar Erkanntes, sondern ein aus dem unmittelbar Erkannten Erschlossenes sein. Hartmann gehört zu denjenigen Philosophen der neueren Zeit, die Begriffe nicht bilden wollen, wenn sie zum Ausgangspunkte dieser Begriffsbildung nicht die Aussagen der sinnlichen Beobachtung und des Erlebens im gewöhnlichen Bewußtsein haben. Brentano bildet solche Begriffe. Aber er täuscht sich über die Wirklichkeit, in der sie durch Beobachtung gebildet werden können. Sein Geist erweist sich als merkwürdig zwiespältig. Er möchte ganz Naturforscher in dem Sinne sein, wie sich die naturwissenschaftliche Vorstellungsart in der neueren Zeit herausgebildet hat. Und er muß doch Begriffe bilden, welche sich vor dieser Vorstellungsart nur dann rechifertigen lassen, wenn man dieselbe nicht als die einzig geltende hinnimmt. Dieser Zwiespalt in Brentanos Forschergeist wird dem erklärlich, der sich in die ersten Schriften Brentanos vertieft; in sein Buch: «Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles » (1862); in seine «Psychologie des Aristoteles» (1867) und in seinen «Creatinismus des Aristoteles» 1882. [100] (28) - In diesen Schriften geht Brentano mit mustergiltiger Gelehrsamkeit den Gedankengängen des Aristoteles nach. Und in diesem Nachgehen eignet er sich ein Denken an, das sich nicht in den Begriffen erschöpfen lassen kann, die in der Anthropologie geltend sind. In diesen Schriften hat er einen Seelenbegriff im Bereiche seiner Aufmerksamkeit, welcher das Seelische aus dem Geistigen herleitet. Dieses aus dem Geiste herstammende Seelische bedient sich des aus physischen Vorgängen gebildeten Organismus, um innerhalb des sinnlichen Daseins sich Vorstellungen zu bilden. Was in der Seele sich Vorstellungen bildet, ist geistiger Natur, ist der «Nus» des Aristoteles. Aber dieser «Nus» ist von zweifacher Wesenheit, als «Nus pathetikos» ist er rein leidend; er läßt sich von den durch den Organismus ihm gegebenen Eindrücken zu seinen Vorstellungen anregen. Damit aber diese Vorstellungen so in die Erscheinung treten, wie sie in der tätigen Seele sind, muß diese Tätigkeit als «Nus poietikos»wirken. Was der «Nus pathetikos » liefert, wären bloß Erscheinungen in einem finsteren Seelen-sein; sie werden beleuchtet durch den «Nus poietikos». Brentano sagt darüber : Der Nus poietikos ist das Licht, welches die Phantasmen erleuchtet und das Geistige im Sinnlichen für unser Geistesauge sichtbar macht. (29) - Es kommt, wenn man Brentano verstehen will, nicht allein darauf an, inwieweit er die aristotellschen Vorstellungen in seine eigene Überzeugung aufgenommen hat, sondern vor allem darauf, daß er sich mit dem eigenen Denken in diesen Vorstellungen [101] hingebungsvoll bewegt hat. Dadurch aber betätigte sich dieses Denken in einem Bereiche, in dem der Ausgangspunkt der Sinnesanschauung, und damit die anthropologische Grundlage für die Begriffsbildung nicht vorhanden sind. Und dieser Grundzug des Denkens ist in Brentanos Forschung geblieben. Er will zwar nur gelten lassen, was nach dem Muster der gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Vorstellungsart anerkannt werden kann; aber er muß Gedanken bilden, die nicht in dieses Bereich gehören. Nun läßt sich nach rein naturwissenschaftlicher Methode über die Seelenerscheinungen nur etwas sagen, insoferne diese das durch die Leibesorganisation bedingte Spiegelbild des wirklich Wesenhaften der Seele sind, das heißt, insoferne sie in ihrem Spiegelbild-Charakter mit der Leibesorganisation entstehen und vergehen. Was aber Brentano über die Wirklichkeit des Seelischen denken muß, ist ein Geistiges, von der Leibesorganisation Unabhängiges, das sogar durch den «Nus poietikos» sich das Geistige im Sinnlichen durch unser Geistesauge sichtbar macht. - Daß Brentano sich mit seinem Denken in solchen Bereichen bewegen kann, verbietet ihm, das Seelensein durch die Leibes organisation entstehend und mit der Leibesorganisation vergehend zu denken. Weil er aber eine übersinnliche Beobachtung ablehnt, so kann ihm in diesem Seelensein kein Inhalt beobachtbar sein, der über das physische Sein hinausreicht. Sobald er der Seele einen Inhalt zuschreiben soll, den diese ohne die Mithilfe der Leibes-organisation entfalten könnte, fühlt sich Brentano in einer Welt, für die er keine Vorstellungen findet. In solcher Geistesverfassung wendet er sich an Aristoteles und findet auch bei ihm Seelenvorstellungen, die für ein außerleibliches Dasein keinen anderen Inhalt ergeben, als den im leiblichen 102 Dasein erworbenen. Charakteristisch in seiner Einseitigkeit ist, was in dieser Beziehung Brentano in seiner «Psychologle des Aristoteles » vorbringt : «Wie nun der Mensch, wenn ihm ein Fuß oder ein anderes Glied entrissen wird, keine vollendete Substanz mehr ist, so ist er natürlich noch viel weniger eine vollendete Substanz, wenn der ganze leibliche Teil dem Tode anheimgefallen ist. Der geistige Teil besteht zwar noch fort, allein die irren gar sehr, die wie Plato glauben, daß die Trennung vom Leibe für ihn eine Förderung und gleichsam eine Befreiung aus drückendem Gefängnisse sei; muß ja doch die Seele nunmehr auf alle die zahlreichen Dienste verzichten, welche die Kräfte des Leibes ihr geleistet haben.» (30) - Über die Auffassung des Aristoteles vom Wesen der Seele war Brentano in einen außerordentlich interessanten Streit mit dem Philosophen Eduard Zeller gekommen. Dieser behauptete, die Meinung des Aristoteles gehe dahin, eine Präexistenz der Seele vor ihrer Verbindung mit der Leibesorganisation anzunehmen, während Brentano dem Aristoteles eine solche Ansicht absprach, und ihn nur denken ließ, die Seele werde erst in die Leibesorganisation hinein geschaffen; sie habe also keine Präexistenz, wohl aber nach der Auflösung des Leibes eine Postexistenz. (31) Brentano meinte, eine Präexistenz nehme nur Plato, nicht aber Aristoteles an. Es ist nicht zu leugnen, daß die Gründe, welche Brentano für seine Meinung und [103] gegen die Zellersche vorbringt, viel Gewicht haben. Abgesehen von der Brentanoschen geistvollen Interpretation entsprechender aristotelischer Behauptungen bietet es ja eine Schwierigkeit, dem Aristoteles die Ansicht von der Präexistenz der Seele zuzuschreiben, weil eine solche einem Grundsatz der aristotelischen Metaphysik zu widersprechen scheint. Aristoteles sagt nämlich, daß niemals eine «Form» vor dem «Stoffe» existieren könne, der die Form trägt. Die Kugelgestalt existiere niemals ohne das sie erfüllende Stoffliche. Da aber Aristoteles das Seelische als die «Form»der Leibesorganisation faßt, so scheint es, daß man ihm nicht zuschreiben dürfe : er habe gedacht, die Seele könne vor der Entstehung der Leibesorganisation existieren.

Brentano hat sich nun mit seinem Seelenbegriff in der aristotelischen Vorstellung von der Unmöglichkeit einer Präexistenz so verfangen, daß er nicht bemerken kann, wie diese aristotelische Vorstellung selbst in einem wichtigen Punkte versagt. Kann man denn wirklich «Form» und «Materie» so denken, daß man nur annimmt : die Form könne nicht vor der sie erfüllenden Materie bestehen? Die Kugelgestalt sei doch nicht vorhanden vor der sie erfüllenden Stoffmasse? So wie sie an der Stoffmasse erscheint, ist die Kugelform gewiß nicht vor der Zusammenballung des Stoffes vorhanden. Allein bevor dieser zusammen-schießt, sind die Kräfte vorhanden, welche an diesen Stoff herankommen, und deren Ergebnis für ihn sich in seiner Kugelgestalt offenbart. Und in diesen Kräften lebt vor dem Auftreten der Kugelgestalt diese schon gewiß in andrer Art. (32) Hätte Brentano sich nicht durch seine Auslegung [104] der naturwissenschaftlichen Vorstellungsart für den Inhalt des Seelenbegriffs durch die Anschauungen über die körperliche Organisation gebunden gefühlt, so hätte er vielleicht bemerkt, daß der aristotelische Seelenbegriffselbst mit einem inneren Widerspruch behaftet ist. So hat er denn an der Betrachtung der Weltanschauung des Aristoteles nur die Möglichkeit gewonnen, über die Seele Vorstellungen zu denken, welche diese aus dem Gebiete der Leibesorganisation heraus heben, ihr aber nicht einen solchen Inhalt zuweisen, der gestattet, daß man sie bei unbefangenem Denken wirklich von der Leibesorganisation unabhängig vorstellen kann.



Neben Aristoteles ist für Brentano auch Leibniz ein Philosoph, dem er besondere Anerkennung zuwendet. Besonders die Art der Leibnizischen Seelenbetrachtung scheint ihn angezogen zu haben. Man kann nun sagen, daß Leibniz auf diesem Gebiete eine Votstellungsweise hat, welche wie eine wesentliche Erweiterung der Meinung des Aristoteles erscheint. Während dieser den wesenhaften Inhalt des menschlichen Denkens abhängig macht von der Sinnesbeobachtung, löst Leibniz diesen Inhalt von der sinnlichen Grundlage los. Dem Aristoteles folgend wird man den Satz anerkennen : es ist nichts im Denken, was nicht vorher in den Sinnen war (nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu); Leibniz aber ist der Meinung, daß nichts von Kristallen etwa entstehen, weil da die Form unmittelbar aus den der Materie innewohnenden Kräften hervorzugehen scheint. Doch wird ein unbefangenes Denken nicht anders können als die Furmkräftc innerhalb des Materiellen vorausausetzen, bevor die geformte Materie wirklich entsteht. Völlig unhaltbar ist die aristotelische Vorstellung aber schon bei der Pflanze, derenformende Kräfte man gewiß nicht allein in den Verhältnissen im Keime suchen muß, sondern in Wirksamkeiten von der Außenwelt her, die unbegrenzt lange vor der Bildung der sinnlichen Pflanze vorhanden sind. [105] im Denken sei, was nicht vorher in den Sinnen war, außer das Denken selbst (nihil est in intellectu, quod non fuerit in sensu, nisi ipse intellectus). Es wäre unrichtig, dem Aristoteles die Ansicht zuzuschreiben, daß das im Denken sich betätigende Wesenhafte ein Ergebnis der leiblichen Wirkenskräfte sei. Aber indem er den Nus pathetikos zum leidenden Empf'änger der Sinneseindrücke, den Nus poietikos zum Beleuchter dieser Eindrücke machte, blieb innerhalb seiner Philosophie nichts, das Inhalt eines von dem Sinnessein unabhängigen Seelenlebens werden könnte. In dieser Beziehung erweist sich der Leibnizische Satz fruchtbarer. Durch ihn wird die Aufmerksamkeit besonders hin-gelenkt auf das von der Leibesorganisation unabhängige Seelenwesen. Allerdings wird diese Aufmerksamkeit eingeschränkt auf den bloß intellektiven Teil dieses Wesens. Und insofern ist Leibnizens Satz einseitig. Dennoch ist er eine Richtlinie, die im gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Zeitalter zu etwas führen kann, zu dem Leibniz zu gelangen noch nicht möglich war. Dazu waren in seiner Epoche die Vorstellungen über den rein naturgemäßen Ursprung von Eigenschaften der Leibesorganisation noch zu unvollkommen. Gegenwärtig ist dies anders. Man kann heute bis zu einem gewissen Grade naturwissenschaftlich erkennen, wie sich die organischen Leibeskräfte von den Vorfahren vererben, und wie innerhalb dieser vererbten Kräfte des Organismus die Seele wirkt. Was von vielen, die glauben, auf dem rechten «naturwissenschaftlichen Standpunkte » zu stehen, allerdings nicht zugegeben wird, erweist sich doch beim richtigen Erfassen der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse als notwendige Ansicht : daß alles, wodurch die Seele im physischen Leben wirkt, bedingt ist durch 106 die Leibeskräfte, die in der physischen Vererbung slinie von den Vorfahren auf die Nachkommen übergehen, außer dem Inhalt des Seelischen selbst. So etwa kann man gegenwärtig den Leibnizischen Satz erweitern. Dann aber ist er die anthropologische Rechtfertigung der anthroposophischenBetrachtungsart. Dann verweist er die Seele darauf, ihren wesenhaften Inhalt in einer geistigen Welt zu suchen, und zwar durch eine andere Erkenntuisart als die in der Anthropologie übliche. Denn dieser ist nur zugänglich, was im gewöhnlichen Bewußtsein durch die Leibesorganisation erlebt wird. (33) Man kann der Ansicht sein, Brentano hätte alle Vorbedingungen gehabt, um, von Leibniz ausgehend, sich den Blick auf das im Geiste verankerte Wesenhafte der Seele zu eröffnen, und das sich diesem Blick Ergebende durch die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der neueren Zeit zu erkräftigen. Wer seinen Ausführungen folgt, sieht den Weg, der vor ihm gelegen war. Es hätte der Weg zu einem rein geistig erkennbaren Seelenwesen vor ihm offenbar [107] werden können, wenn er ausgebildet hätte, was im Bereiche seiner Aufmerksamkeit lag, als er solche Sätze niederschrieb wie diesen : «Aber wie ist» das «Eingreifen der Gottheit» beim Erscheinen einer menschlichen Seele in einem Leib «zu denken? Hat sie, nachdem sie den geistigen Teil des Menschen von Ewigkeit schöpferisch hervorgebracht hatte, ihn nun mit einem Embryo in der Art verbunden, daß er, der bisher als besondere geistige Substanz für sich bestand, nun aufhörte, ein wirkliches Wesen für sich zu sein, und Teil einer menschlichen Natur wurde, oder hat sie ihn erst jetzt schöpferisch hervorgebracht? -Wenn Aristoteles das erste annahm, so mußte er glauben, daß derselbe Geist wieder und wieder mit anderen und anderen Embryonen verbunden werde; denn das Menschengeschlecht erhält sich nach ihm fortzeugend ins Unendliche, die Menge der von Ewigkeit bestehenden Geister kann aber nur eine endliche sein. Alle Ausleger sind nun darin einig, daß Aristoteles in der reiferen Zeit seines Philosophierens die Palingenese verworfen hat. Also ist diese Möglichkeit ausgeschiossen.» (34) Was nicht in der Gedankenfolge des Aristoteles liegt, die Rechtfertigung des geistigen Blickes auf die wiederholten Leben der Menschenseele durch Palingenese : für Brentano hätte es sich ergeben können aus der Verbindung der an Aristoteles verfeinerten Begriffe über die Seele mit den Erkennmissen der neueren Naturwissenschaft. - Er hätte diesen Weg um so mehr gehen können, als er empfänglichen Sinn hatte für die Erkermtuislehre der mittelalterlichen Philosophie. Wer diese Erkennmislehre wirklich erfaßt, der eignet sich eine Summe [108] von Ideen an, die geeignet sind, die neueren naturwissenschaftlichen Ergebnisse zur geistigen Welt in eine Beziehung zu setzen, welche durch die Ideen der rein naturwissenschaftlich-anthropologischen Forschung nicht zu durchschauen ist. Was eine Vorstellungsart wie diejenige des Thomas von Aquino für die Vertiefung der Naturwissenschaft nach der geistigen Seite zu leisten vermag, das wird gegenwärtig in vielen Kreisen ganz verkannt. Man glaubt in solchen Kreisen, die neueren naturwissenschaftlichen Erkenntnisse bedingten eine Abkehr von dieser Vorstellungsart. Die Wahrheit ist, daß man zunächst das naturwissenschaftlich erkannte Wesenhafte der Welt mit Gedanken umspannen will, welche bei genauerem Zusehen in sich unvollendet bleiben. Ihre Vollendung wäre, sie selbst als ein solches Wesenhaftes in der Seele zu denken, wie sie in der Vorstellungsart des Thomas von Aquino gedacht werden. Brentano befand sich auch auf dem Wege, ein rechtes Verhältnis zu dieser Vorstellungsart zu gewinnen. Schreibt er doch : «Als ich meine Abhandlung und später meine
schrieb, wollte ich in einer zweifachen Weise das Verständnis seiner Lehre fördern; einmal und vorzüglich direkt durch Aufhellung einiger der wichtigsten Lehrpunkte, dann indirekt, aber in allgemeinerer Weise, indem ich der Erklärung neue Hiifsquellen eröffnete. Ich machte auf die scharfsinnigen Kommentare des Thomas von Aquino aufmerksam und zeigte, wie man in ihnen manche Lehre richtiger als bei späteren Erklärern dargestellt findet.» (35) – Brentano [109] verlegte sich den Weg, der sich ihm durch solche Studien hätte darbieten können, durch seine Hinneigung zu der Vorstellungsart von Bacon, Locke und allem, was mit solch einer Vors tellungsart philosophisch zusammenhängt. Er hielt diese Vorstellungsart vor allem für die der natur-wissenschaftlichen Forschungsweise gemäße. (36) Doch eben diese Vorstellungsart führt dazu, den Inhalt des Seelenlebens in völliger Abhängigkeit von der Sinneswelt zu denken. Und weil diese Denkweise nur anthropologisch vorgehen will, so kommt nur dasjenige als psychologisches Ergebnis in ihren Bereich, was in Wahrheit keine seelische Wirklichkeit ist, sondern nur ein Spiegelbild dieser Wirklichkeit, nämlich der Inhalt des gewöhnlichen Bewußtseins. - Hätte Brentano die Spiegelbild-Natur des gewöhnlichen Bewußtseins durchschaut : er hätte im Verfolg der anthropologischen Forschung nicht haltmachen können vor dem Tore, das in die Anthroposophie führt. - Es wird gewiß dieser meiner Anschauung gegenüber die Meinung geltend gemacht werden können, Brentano habe eben der Gabe des geistigen Schauens ermangelt; deshalb habe er nicht den Übergang von Anthropologie zur Anthroposophie gesucht, wenn er auch durch seine besondere geistige Eigenart dazu getrieben worden ist, in interessanter Form die Seelenerscheinungen so verstandesgemäß zu charakterisieren, daß sich diese Form durch die Anthroposophie rechifertigen läßt. Ich habe aber diese Meinung nicht. Ich bin nicht der Anschauung, daß geistiges Schauen nur als [110] eine besondere Gabe für Ausnahmepersönlichkeiten erreichbar ist. Ich muß dieses Schauen für eine Fähigkeit der Menschenseele halten, die jeder sich aneignen kann, wenn er die zu ihr führenden seelischen Erlebnisse in sich wachruft. Und Brentanos Natur erscheint mir zu solchem Wach-Rufen ganz besonders geeignet. (37) Ich halte aber dafür, daß man solches Wach-Rufen durch Theorien, die ihm widerstreben, verhindern kann. Daß man das Schauen nicht aufkommen läßt, wenn man sich in Ideen verstrickt, welche dessen Berechtigung von vorneherein in Frage stellen. Und Brentano hat das Schauen in seiner Seele dadurch nicht aufkommen lassen, daß bei ihm die Ideen, welche es in so schöner Art rechifertigten, stets unterlagen denen, die es verwerfen, und die befürchten lassen, daß man durch dasselbe in « den labyrinthischen Gängen einer Pseudophilosophie sich verliere». (38)

*

1895 hat Brentano den Abdruck eines Vortrages erscheinen lassen, den er in der « Literarischen Gesellschaft in Wien» mit Rücksicht auf H.Lorms Buch «Der grundlose Optimismus» gehalten hat. (39) Dieser enthält seine Ansicht über « die vier Phasen der Philosophie und ihren augenblicklichen Stand». Brentano vertritt in diesen Ausführungen die Meinung, daß sich der Entwickelungsgang des philosophischen Forschens in einer gewissen Beziehung [111] vergleichen lasse mit der Geschichte der schönen Künste. «Während andere Wissenschaften, so lange sie überhaupt betrieben werden, einen stetigen Fortschritt aufweisen, der nur einmal durch eine Zeit des Stillstandes unterbrochen wird, zeigt die Philosophie, wie die schöne Kunst, neben den Zeiten aufsteigender Entwickelung Zeiten der Decadence, die oft nicht minder reich, ja reicher an epochemachenden Erscheinungen sind als die Zeiten gesunder Fruchtbarkeit.» (40) Drei solcher Perioden, die von gesunder Fruchtbarkeit zur Decadence fortlaufen, unterscheidet Brentano im verflossenen Entwickelungsgang der Philosophie. Eine jede beginnt damit, daß aus dem reinen philosophischen Staunen über die Rätsel der Welt sich wahrhaft wissenschaftliches Interesse regt, und dieses Interesse eme Erkenntnis aus echtem, reinem Wissenstrieb sucht. Auf diese gesunde Epoche folgt dann eine andere, in der das erste Stadium des Verfalls erscheint. Da tritt das reine wissenschaftliche Interesse zurück, und man sucht nach Gedanken, durch die man das soziale und persönliche Leben regeln und sich in denselben zurechtfinden kann. Die Philosophie will da nicht mehr dem reinen Erkenntnisstreben, sondern den Interessen des Lebens dienen. Ein weiterer Verfall tritt in der dritten Epoche ein, Man wird durch die Unsicherheit der Gedanken, die einem nicht reinen wissenschaftlichen Interesse entsprungen sind, an der Möglichkeit wahrer Erkenntnis irre und verfällt in Skeptizismus. Die vierte Epoche ist dann diejenige des völligen Niederganges. Der Zweifel der dritten Epoche hat alle wissenschaftliche Grundlage der Philosophie unterhöhlt. Man sucht aus unwissenschaftlichen Untergründen in [112] phantastischen, verschwimmenden Begriffen, durch mystisches Erleben zur Wahrheit zu kommen. Den ersten Entwickelungskreis denkt sich Brentano mit der griechischen Naturphilosophie beginnend; und mit Aristoteles, meint er, schließe die gesunde Phase ab. Anaxagoras schätzt er innerhalb dieser Phase besonders hoch ein. Er ist der Ansicht, daß, trotzdem in dieser Zeit die Griechen in bezug auf viele wissenschaftliche Fragen, ganz im Anfange standen, die Art ihres Forschens doch einen solchen Charakter hatte, der vor einer strengen naturwissenschaftlichen Denkungsart seine Rechtfertigung findet. Auf diese erste Phase folgen die Stoiker, die Epikuräer. Sie bringen schon einen Verfall. Sie wollen Ideen, die im Dienste des Lebens stehen. In der Neueren Akademie, besonders aber durch Aenesidemus, Agrippa, Sextus Empirikus sieht man den Skeptizismus allen Glauben an sichergestellte wissenschaftliche Wahrheiten austilgen. Und im Neuplatonismus, bei Ammonius Sakkas, Plotin, Porphyrius, Jamblichus, Proklus tritt an die Stelle des wissenschaftlichen Forschens das in den labyrinthischen Gängen einer Pseudophilosophie sich ergehende mystische Erleben. - Im Mittelalter sieht man, wenn auch vielleicht nicht mit solcher Deutlichkeit, diese vier Phasen sich wiederholen. Mit Thomas von Aquino hebt eine philosophisch gesunde Vorstellungsart an, die den Aristotelismus in einer neuen Form aufleben läßt. In der darauf folgenden Zeit, deren Repräsentant Duns Scotus ist, herrscht durch eine ins Ungeheuerliche getriebene Disputierkunst, eine Art Analogon zur ersten griechischen Verfallsperiode. Auf sie folgt der Nominalismus, der einen skeptischen Charakter trägt. Wilhelm von Occam verwirft die Ansicht, daß sich die allgemeinen [113] Ideen auf etwas Wirkliches beziehen, und gibt dadurch dem Inhalte der menschlichen Wahrheit nur den Wert einer außer der Wirklichkeit stehenden begrifflichen Zusammenfassung; während die Wirklichkeit nur in den individuellen Einzeldingen liegen soll. Dieses Analogon der Skepsis wird abgelöst durch die nicht in wissenschaftlichen Bahnen strebende Mystik der Eckhardt, Tauler, Heinrich Suso, des Verfassers der Deutschen Theologie und anderer. Dies sind die vier Phasen der philosophischen Entwickelung im Mittelalter. - In der Neuzeit beginnt mit Bacon von Verulam wieder eine gesunde, auf naturwissenschaftlichem Denken ruhende Entwickelung, in welcher dann Descartes, Locke, Leibniz fruchtbringend weiter wirken. Auf sie folgt die französische und englische Aufklärungsphilosophie, in denen Grundsätze, wie man sie für das Leben sympathisch fand, die Haltung des philosophischen Gedankenganges beherrschten. Darauf tritt mit David Hume die Skepsis ein; und auf sie folgt die Phase des Niedergangs, die in England mit Thomas Reid, in Deutschland mit Kant einsetzt. Brentano betrachtet an Kants Philosophie eine Seite, die ihm gestattet, diese zusammenzu-bringen mit der Plotinschen Verfallsperiode der griechischen Philosophie. Er tadelt an Kant, daß dieser nicht wie ein wissenschaftlicher Forscher die Wahrheit in einer Übereinstimmung der Vorstellungen mit den wirklichen Gegenständen suche, sondern vielmehr darin, daß sich die Gegenstände nach dem menschlichen Vorstellungsvermögen richten sollen. Damit glaubt Brentano der Kantschen Philosophie eine Art mystischen Grundzuges zuschreiben zu müssen, der sich dann in der Verfallsphilosophie Fichtes, Schellings und Hegels in völliger Unwissenschaftlichkeit [114] offenbart. - Einen neuen Aufschwung der Philosophie erhofft Brentano von einer wissenschaftlichen Arbeit innerhalb ihres Gebietes nach dem Muster der in der neueren Zeit herrschend gewordenen naturwissenschaftlichen Denkungsart. Zur Einleitung einer solchen Philosophie hat er seine These aufgestellt : die wahre philosophische Forschungsart sei keine andere als die in der naturwissenschaftlichen Erkennntisart anerkannte. (41) Ihr wollte er seine Lebensarbeit widmen.

Brentano sagt in der Vorrede zu dem Abdruck des Vortrages, in dem er diese Ansicht von den « vier Phasen der Philosophie» gegeben hat : diese « seine Auffassung der Geschichte der Philosophie mag manchen als neu befremden; mir selbst steht sie seit Jahren fest und wurde auch seit mehr als zwei Dezennien, wie von mir, so von einigen Schülern den akademischen Vorlesungen über Geschichte der Philsophie zugrunde gelegt. Daß sie Vorurteilen begegnen, und daß diese vielleicht zu mächtig sein werden, um beim ersten Anprall zu weichen, darüber ergebe ich mich keiner Täuschung. Immerhin hoffe ich von den vorgeführten Tatsachen und Erwägungen, daß sie bei dem, welcher denkend folgt, nicht ohne Eindruck bleiben können.» (42) -Daß man von diesen Ausführungen Brentanos einen bedeutenden Eindruck empfangen kann, ist durchaus meine Meinung. Insofern sie eine Klassifikation der im Laufe der philosophischen Entwickelung auftretenden Erscheinungen von einem gewissen Gesichtspunkte aus darbieten, beruhen sie auf gut begründeten Einsichten in diesen Entwikkelungsgang. [115] Die vier Phasen der Philosophie bieten Unterschiede, die in der Wirklichkeit begründet sind. - Sobald man aber in eine Betrachtung der in den einzelnen Phasen treibenden Kräfte eintritt, kann man nicht finden, daß Brentano diese Kräfte zutreffend charakterisiert. Sogleich bei seiner Ansicht über die erste Phase der Philosophie des Altertums tritt das zutage. Die Grundzüge der griechischen Philosophie von den jonischen Anfängen bis zu Aristoteles weisen gewiß viele Züge auf, welche Brentano das Recht geben, in ihnen eine naturwissenschaftliche Denkart in seinem Sinne zu sehen. Aber kommt denn diese Denkart wirklich durch dasjenige zustande, was Brentano die naturwissenschaftliche Methode nennt? Sind die Gedanken dieser griechischen Philosophen nicht vielmehr ein Ergebnis dessen, was sie als das Wesen des Menschen und dessen Stellung zum Weltall in der eigenen Seele erlebten? (43) Wer sich diese Frage sachgemäß beantwortet, wird finden, daß die inneren Impulse für den Gedankengehalt dieser Philosophie gerade im Stoizismus, im Epikuräismus, in der ganzen praktischen Lebensphilosophie der späteren Griechenzeit zum unmittelbaren Ausdruck kamen. Man kann bemerken, wie in den Seelenkräften, welche Brentano in der zweiten Phase wirksam findet, der Ausgangspunkt liegt für die erste Phase der Philosophie des Altertums. Diese Kräfte waren [116] der sinnlichen und sozialen Erscheinungsform des Weltalls zugewendet und konnten daher in der Phase des Skeptizismus, der zum Zweifel an der unmittelbaren Wirklichkeit dieser Erscheinungsform getrieben wird, und in der folgenden Phase des schauenden Erkennens, das über diese Form hinausgehen muß, nur unvollkommen auftreten. Aus diesem Grunde zeigen sich diese Phasen innerhalb der Philosophie des Altertums als solche des Verfalls. - Und welche Seelenkräfte wirken im philosophischen Entwickelungsgang des Mittelalters? Daß im Thomismus die Höhe dieses Entwickelungsganges liegt in bezug auf diejenigen Verhältnisse, die Brentano ins Auge faßt, wird niemand bezweifeln können, der die in Betracht kommenden Tatsachen wirklich kennt. Aber man kann doch nicht verkennen, daß durch den christlichen Standpunkt des Thomas von Aquino die in der griechischen Lebensphilosophie wirksamen Seelenkräfte nicht mehr bloß aus philosophischen Impulsen heraus wirken, sondern einen überphilosophischen Charakter angenommen haben. Welche Impulse aber wirken bei Thomas von Aquino, insoferne er Philosoph ist? Man braucht keine Neigung für die Schwächen der nominalistischen Philosophen des Mittelalters zu haben; aber man wird doch finden können, daß die im Nominalismus wirkenden Seelenimpulse die subjektive Grundlage bilden auch für den thomistischen Realismus. Wenn Thomas die Allgemeinbegriffe, welche die Erscheinungen der Sinneswahrnehmungen zusammenfassen, als dasjenige erkennt, was sich auf ein geistig Wirkliches bezieht, so gewinnt er die Kraft zu dieser seiner realistischen Vorstellungsart aus dem Gefühl desjenigen heraus, was diese Begriffe abgesehen davon, daß sie sich auf Sinneserscheinungen beziehen, in dem Dasein der Seele [117] selbst bedeuten. Gerade weil Thomas die Allgemeinbegriffe nicht unmittelbar auf die Vorkommnisse des Sinnesdaseins bezog, empfand er, wie in sie eine andere Wirklichkeit hereinleuchtet, und wie sie eigentlich für die Erscheinungen des Sinnenlebens nur Zeichen sind. Als dann im Nominalismus dieser Unterton des Thomismus als selbständige Philosophie auftrat, mußte er naturgemäß seine Einseitigkeit offenbaren. Das Gefühl, daß die in der Seele erlebten Begriffe einen ins Geistige gewandten Realismus begründen, mußte schwinden, und das andere vorherrschend werden, daß die Allgemeinbegriffe bloße zusammenfassende Namen sind. Wenn man die Wesenheit des Nominalismus so auffaßt, versteht man auch die ihm vorangehende zweite Phase der mittelalterlichen Philosophie, den Skotismus, als einen Übergang zum Nominalismus. Man wird aber doch nicht umhin können, die ganze Kraft der mittelalterlichen Denkarbeit, insoferne sie Philosophie ist, aus der Grundauffassung heraus zu verstehen, die sich in einseitiger Art im Nominalismus gezeigt hat. Dann aber wird man zu der Ansicht kommen, daß die wirklich treibenden Kräfte dieser Philosophie in den Seelenimpulsen liegen, welche man im Sinne der Brentanoschen Klassifikation als der dritten Phase angehörig bezeichnen muß. Und in derjenigen Epoche, welche Brentano als die mystische Phase des Mittelalters kennzeichnet, tritt dann auch klar hervor, wie die ihr angehörigen Mystiker, durch die nominalistische Natur des begreifenden Erkennens bewogen, sich nicht an dieses, sondern an andere Seelenkräfte wenden, um zum Kerne der Welterscheinungen vorzudringen. - Verfolgt man nun für die Philosophie der neueren Zeit die Wirksamkeit der treibenden Seelenkräfte an dem Faden der Brentanoschen Klassifikation, so findet man, daß [118] die inneren Wesenszüge dieser Epoche ganz andere sind, als diejenigen, welche von Brentano verzeichnet werden. Die Phase der naturwissenschaftlichen Denkart, welche Brentano durch Bacon von Verulam, Descartes, Locke, Leibniz verwirklicht findet, will sich gewisser ihr eigener Charakterzüge wegen durchaus nicht als rein naturwissenschaftlich im Brentanoschen Sinne denken lassen. Wie soll man dem Grundgedanken Descartes' «Ich denke, also bin ich» rein naturwissenschaftlich beikommen; wie soll man Leibnizens Monadologie, oder dessen «vorbestimmte Harmonie » in die naturwissenschaftliche Vorstellungsart Brentanos hineinbringen? Auch die Brentanosche Auffassung der zweiten Phase, welcher er die französische und englische Aufklärungsphilosophie zuteilt, macht Schwierigkeiten, wenn man bei seinen Vorstellungen stehen bleiben will. Man wird dieser Epoche gewiß den Charakter einer Verfallszeit der Philosophie nicht absprechen wollen; aber man kann sie verstehen aus der Tatsache heraus, daß in ihren Trägern die in der christlichen Lebensanschauung energisch wirksamen außerphilosophlschen Seelenimpulse gelähmt waren, so daß ein Verhältnis zu den übersinnlichen Weltkräften philosophisch nicht gefunden werden konnte. Zugleich wirkte die nominalistische Skepsis des Mittelalters noch nach, wodurch verhindert wurde, daß eine Beziehung des seelisch erlebten Erkennmis-Inhaltes zu einem geistig Wirklichen gesucht wurde. - Und schreitet man dann zu dem neuzeitlichen Skeptizismus und derjenigen Vorstellungsweise fort, die Brentano einer mystischen Phase zueignet, dann verliert man die Möglichkeit, seiner Klassifikation noch zuzustimmen. Gewiß muß man die skeptische Phase mit David Hume beginnen lassen. Aber [119] Kant, den Kritiker, als Mystiker kennzeichnen, erweist sich denn doch als stark einseitige Charakteristik. Und die Philosophien Fichtes, Schellings, Hegels und anderer Denker der auf Kant folgenden Zeit lassen sich nicht als mystische fassen, besonders, wenn man den Brentanoschen Begriff der Mystik zugrunde legt. Man wird vielmehr gerade im Sinne der Brentanoschen Klassifikation von David Hume über Kant, bis zu Hegel einen gemeinsamen Grundzug finden. Dieser besteht in der Ablehnung, auf Grund derjenigen Vorstellungen, die aus der Sinneswelt gewonnen sind, das philosophische Weltbild einer wahren Wirklichkeit zu zeichnen. So paradox es scheint, Hegel einen Skeptiker zu nennen : er Ist es doch in dem Sinne, daß er den Vorstellungen, welche der Natur entnommen sind, keinen unmittelbaren Wirklichkeitswert zuschreibt. Man weicht von dem Brentanoschen Begriff des Skeptizismus nicht ab, wenn man die Entwickelung der Philosophie von Hume bis Hegel als die Phase des neuzeitlichen Skeptizismus auffaßt. Die vierte neuzeitliche Phase kann man erst nach Hegel beginnen lassen. Was in ihr als naturwissenschaftliche Vorstellungsart auftritt, wird aber Brentano sicherlich nicht in die Nähe des Mystizismus bringen wollen. Doch man fasse ins Auge, in welcher Art Brentano selbst sich mit seinem Philosophieren in diese Epoche hineinstellen will. Mit einer kaum zu überbietenden Energie fordert er für die Philosophie eine naturwissenschaftliche Methode. In seiner psychologischen Forschung strebt er die Innehaltung dieser Methode an. Und was er zutage fördert, ist eine Rechtfertigung der Anthroposophie. Was als Fortsetzung seines anthropologischen Strebens auftreten müßte, wenn er im Sinne des von ihm Vorgestellten weiter schritte, wäre Anthroposophie. Allerdings [120] eine Anthroposophie, welche mit der naturwissenschaftlichen Denkungsart in voller Harmonie steht. - Ist nicht Brentanos Lebensarbeit selbst der vollgültigste Beweis dafür, daß die vierte Phase der neuzeitlichen Philosophie ihre Impulse aus denjenigen Seelenkräften ziehen muß, welche der Neuplatonismus ebenso wie die Mystik des Mittelalters betätigen wollten, aber nicht konnten, weil sie mit dem inneren Seelenwirken nicht bis zu einem solchen Erleben der geistigen Wirklichkeit zu kommen vermochten, das in völliger bewußter Klarheit des Denkens (oder der Begriffe) sich vollzieht? Wie die griechische Philosophie ihre Kraft aus den Seelenimpulsen schöpfte, welche Brentano in der zweiten philosophischen Phase sich verwirklichen sieht, aus der praktischen Lebensphilosophie; wie die mittelalterliche Philosophie den Impulsen der dritten Phase, dem Skeptizismus ihre Stärke verdankt; so muß die neuzeitliche Philosophie ihre Impulse aus den Grund-Kräften der vierten Phase holen, aus dem erkennenden Schauen. Darf also Brentano in dem Neuplatonismus und in der mittelalterlichen Mystik Verfallsphilosophien in Gemäßheit seiner Vorstellungsart annehmen, so könnte man in der die Anthropologie ergänzenden Anthroposophie die fruchtbare Phase der neueren Philosophie anerkennen, wenn man dieses Philosophen eigene Ideen über Philosophie-Entwickelung zu den Konsequenzen führt, die er nicht selbst gezogen hat, die aber ganz ungezwungen sich aus ihnen ergeben.

*

In dem gekennzeichneten Verhältnis Brentanos zu den Erkenntnis-Forderungen der Gegenwart ist es wohl gelegen, daß man beim Lesen seiner Schriften Eindrücke empfängt, [121] welche sich nicht in dem erschöpfen, was der unmittelbare Inhalt der von ihm vorgebrachten Begriffe enthält. Es klingen in dieses Lesen überall Untertöne hinein. Diese kommen aus einem Seelenleben, das hinter den ausgesprochenen Ideen weit zurückliegt. Was Brentano im Geiste des Lesers anregt, ist oft stärker in diesem wirksam, als das von dem Verfasser in scharf umrissenen Vorstellungen Gesagte. Man fühlt sich auch veranlaßt, oftmals zum Lesen einer Brentanoschen Schrift zurückzukehren. Man kann vieles von dem durchdacht haben, was gegenwärtig über das Verhältnis der Philosophie zu andern Erkenntnisvorstellungen gesagt wird; Brentanos Schrift «Über die Zukunft der Philosophie» wird bei solchem Durchdenken fast immer in der Erinnerung auftauchen. Diese Schrift gibt einen Vortrag wieder, den er in der «Philosophischen Gesellschaft» in Wien 1892 gehalten hat, um seine Auffassung über die Zukunft der Philosophie den hierauf bezüglichen Ansichten entgegenzuhalten, welche der Rechtsgelehrte Adolf Exner in einer Inaugurationsrede über «politische Bildung» (1891) vorgebracht hatte. (44) Der Abdruck des Vortrages ist mit «Anmerkungen» versehen, die weitweisende geschichtliche Ausblicke in den geistigen Entwickelungsgang der Menschheit geben. - In dieser Schrift klingt alles an, was sich dem Betrachter der gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Vorstellungsart über die Notwendigkeit ergeben kann, von dieser Vorstellungsart aus zu einer anthroposophischen fortzuschreiten. [122] Die Träger dieser naturwissenschaftlichen Vorstellungsart leben zumeist in dem Glauben, daß sie ihnen von dem wirklichen Sein der Dinge selbst aufgedrängt ist. Sie sind der Meinung, daß sie ihre Erkenntnisse so einrichten, wie die Wirklichkeit sich offenbart. Doch dieser Glaube ist eine Täuschung. Die Wahrheit ist, daß in der neueren Zeit die menschliche Seele aus ihrer eigenen, im Laufe der Jahrtausende tätigen, Entwickelung heraus Bedürfnisse nach solchen Vorstellungen entfaltet hat, welche das naturwissenschaftliche Weltbild ausmachen. Helmholtz. Weisman, Huxiey und andere sind zu ihren Vorstellungen nicht deshalb gekommen, weil die Wirklichkeit ihnen diese als die absolute Wahrheit gegeben hat, sondern weil sie in sich diese Vorstellungen bilden mußten, um durch sie auf die ihnen entgegentretende Wirklichkeit ein gewisses Licht zu werfen. Man formt sich ein mathematisches oder mechanisches Weltbild nicht, weil eine außerseelische Wirklichkeit dazu zwingt, sondern weil man in seiner Seele die mathematischen und mechanischen Vorstellungen ausgebildet und sich dadurch eine innere Beleuchtungsquelle für das eröffnet hat, was in der Außenwelt auf mathematische und mechanische Art sich offenbart. - Obgleich nun im allgemeinen das eben Gekennzeichnete für jede Entwickelungsstufe der menschlichen Seele gilt : es erscheint an den neueren natur-wissenschaftlichen Vorstellungen noch auf eine besondere Weise. Diese Vorstellungen vernichten, wenn sie folgerecht von einer Seite durchdacht werden, die Begriffe über das Seelische. An dem durchaus nicht unerheblichen aber höchst fragwürdigen Begriffe einer «Seelenlehre ohne Seele», der nicht von philosophischen Dilettanten allein, sondern von sehr ernsten Denkern gebildet worden ist, [123] zeigt sich dieses. (45) Solche Vorstellungen bringen dazu, die Erscheinungen des gewöhnlichen Bewußtseins in ihrer Abhängigkeit von der Leibesorganisation immer mehr zu durchschauen. Wird damit nicht zugleich erkannt, daß in dem, was in dieser Art als Seelisches auftritt, nicht dieses selbst, sondern nur dessen Spiegelbild sich offenbart, dann entwindet sich der Betrachtung die wirkliche Idee des Seelischen, und die Schein-Idee tritt auf, die in dem Seelischen nur sieht, was Ergebnis der Leibesorganisation ist. Nun läßt sich andrerseits für das unbefangene Denken die letztere Ansicht aber doch nicht halten. Die Ideen, welche die Naturwissenschaft über die Natur bildet, erweisen vor diesem unbefangenen Denken ihren seelischen Zusammenhang mit einer hinter der Natur liegenden Wirklichkeit, der in diesen Ideen selbst sich nicht offenbart. Keine anthropologische Betrachtungsart kann von sich aus zu erschöpfenden Vorstellungen über diesen Zusammenhang kommen. Denn er tritt nicht in das gewöhnliche Bewußtsein herein. - Diese Tatsache tritt bei den gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Vorstellungen stärker zutage als bei geschichtlich vergangenen Erkenntnisstufen. Die letzteren bildeten bei der Beobachtung der Außenwelt noch Begriffe, welche in ihren Inhalt etwas von der geistigen Unterlage dieser Außenwelt hereinnahmen. Und die Seele fühlte sich in ihrer eigenen Geistigkeit mit dem Geiste der Außenwelt als in einer Einheit. Die neuere Naturwissenschaft muß, ihrem Wesen nach, die Natur eben rein naturgemäß denken. Dadurch [124] gewinnt sie die Möglichkeit, wohl den Inhalt ihrer Ideen durch die Naturbeobachtung zu rechtfertigen, nicht aber das Dasein dieser Ideen, als inneres Seelisch-Wesenhaftes, selbst. - Aus diesem Grunde ist gerade die echt natur-wissenschaftliche Vorstellungsart ohne allen Boden, wenn sie ihr eigenes Dasein nicht rechtfertigen kann durch eine anthroposophische Beobachtung. Mit Anthroposophie kann man in uneingeschränkter Art sich zu der naturwissenschaftlichen Vorstellungsweise bekennen; ohne Anthroposophie wird man immer aufs neue den vergeblichen Versuch machen wollen, aus naturwissenschaftlichen Beobachtungsergebnis sen heraus selbst den Geist zu entdecken. Die naturwissenschaftlichen Ideen der neueren Zeit sind eben Erzeugnisse des Zusammenlebens der Seele mit einer geistigen Welt; aber wissen kann die Seele von diesem Zusammenleben nur in lebendiger Geistbetrachtung. (46)

Man könnte leicht auf die Frage kommen : Warum sucht denn die Seele naturwissenschaftliche Vorstellungen auszubilden, wenn sie sich dadurch geradezu einen Inhalt schafft, der sie von ihrer Geist-Grundlage abschneidet? Vom Standpunkte einer solchen Meinung, welche die naturwissenschaftlichen Vorstellungen deshalb gebildet glaubt, weil die Welt nun einmal ihnen gemäß sich offenbart, läßt sich auf diese Frage keine Antwort finden. Wohl aber ergibt sich eine solche, wenn man auf die Bedürfnisse des seelischen Lebens [125] selbst sieht. Mit Vorstellungen, wie sie eine vornaturwissenschaftliche Zeit allein ausgebildet hat, könnte das seelische Erleben niemals zum vollen Bewußtsein seiner selbst gelangen. Es würde zwar in den Natur-Ideen, die Geistiges mitenthalten, einen unbestimmten Zusammenhang mit dem Geiste erfühlen, nicht aber des Geistes volle, unabhängige Eigenart erleben können. Es strebt daher das Seelische im Entwickelungsgang der Menschheit nach der Aufstellung solcher Ideen, welche dieses Seelische selbst nicht enthalten, um an ihnen, sich selbst unabhängig vom Naturdasein zu wissen. Der Zusammenhang mit dem Geiste muß aber dann nicht durch diese Natur-Ideen, sondern durch geistiges Schauen erkennend gesucht werden. Die Ausbildung der neueren Naturwissenschaft ist eine notwendige Stufe im Seelen-Entwickelungsgange der Menschheit. Man erkennt ihre Grundlage, wenn man einsieht, wie die Seele ihrer bedarf, um sich selbst zu finden. Man erkennt auf der andern Seite ihre erkenntnistheoretische Tragweite, wenn man durchschaut, wie gerade sie das geistige Schauen zu einer Notwendigkeit macht. (47)

Adolf Exner, gegen dessen Meinung Brentanos Schrift «Die Zukunft der Philosophie» gerichtet ist, stand einer Naturwissenschaft gegenüber, welche zwar die Natur-Ideen rein ausbilden will, die aber nicht bereit ist, zur Anthroposophie fortzuschreiten, wenn es sich um die Erfassung der seelischen Wirklichkeit handelt. Er fand die «naturwissenschaftliche Bildung» unfruchtbar für die Ausgestaltung der [126] Ideen, die im gesellschaftlichen Zusammenleben der Menschen wirken müssen. Er fordert daher eine Denkungsart für die Lösung der dem kommenden Zeitalter bevorstehenden Fragen des Gesellschaftslebens, die nicht auf naturwissenschaftlicher Grundlage ruht. Er findet, daß die großen juristischen Fragen, welchen das Römertum gegenüberstand, von diesem gerade deshalb so fruchtbringend gelöst worden sind, weil die Römer für naturwissenschaftliche Vorstellungsart wenig Begabung hatten. Und er versucht, zu zeigen, daß das achtzehnte Jahrhundert trotz seiner Neigung zu naturwissenschaftlicher Denkungsart sich der Bezwingung der Gesellschaftsfragen wenig gewachsen gezeigt hat. Exner richtet seinen Blick auf eine naturwissenschaftliche Vorstellungsart, die nicht um ihre eigenen Grundlagen wissenschaftlich bemüht ist. Man kann verstehen, daß er einer solchen gegenüber zu seinen Ansichten gekommen ist. Denn sie muß ihre Ideen so ausgestalten, daß diese das Naturgemäße in seiner Reinheit vor die Seele führen. Aus ihnen läßt sich kein Impuls für Gedanken gewinnen, die im Gesellschaftsleben fruchtbar sind. Denn innerhalb dieses Lebens stehen Seelen den Seelen als solchen gegenüber. Ein solcher Impuls kann sich nur ergeben, wenn das Seelische in seiner geistigen Art durch erkennendes Schauen erlebt wird, wenn die naturwissenschaftlich-anthropologische Betrachtung in der anthroposophischen ihre Ergänzung findet. - Brentano trug in seiner Seele Ideen, die durchaus in das anthroposophische Gebiet münden, trotzdem er nur im Anthropologischen bleiben wollte. Deshalb sind seine Ausführungen gegen Exner von durchschlagender Kraft, auch wenn Brentano den Übergang zur Anthroposophie nicht selbst machen will. Sie zeigen, wie [127] Exner gar nicht von dem spricht, was eine sich selbst verstehende naturwissenschaftliche Vorstellungsart wirklich vermag, sondern wie er einen Windmühlenkampf führt gegen eine sich selbst mißverstehende Denkart. Man kann Brentanos Schrift lesen und überall durchfühlen, wie berechtigt alles ist, was durch seine Ideen in diese oder jene Richtung weist, ohne daß man findet, er spreche restlos aus, worauf er verweist.

Mit Franz Brentano ist eine Persönlichkeit hinweggegangen, welche in ihrem Werke zu erleben einen unermeßlichen Gewinn bedeutet. Dieser Gewinn ist völlig unabhängig von dem Grade der verstandesgemäßen Übereinstimmung, die man diesem Werke entgegenbringen kann. Denn er entspringt aus den Offenbarungen einer Menschenseele, die viel tiefer in der Welt-Wirklichkeit ihren Ursprung haben, als die Sphäre ist, in welcher im gewöhnlichen Leben sich Verstandes-Übereinstimmungen finden. Und Brentano ist eine Persönlichkeit, bestimmt fortzuwirken im geistigen Entwickelungsgang der Menschheit, durch Impulse, die sich nicht in der Fortführung der von ihm entwickelten Ideen erschöpfen. Ich kann mir gut vorstellen, wie jemand durchaus nicht mit dem einverstanden ist, was ich über Brentanos Verhältnis zur Anthroposophie hier ausgeführt habe; daß man aber, auf welchem wissenschaftlichen Standpunkte man auch stehe, zu weniger verehrenden Empfindungen dem Werte von Brentanos Persönlichkeit gegenüber kommen kann als die sind, welche den Absichten meiner Ausführungen zugrunde liegen, scheint mir unmöglich, wenn man den philosophischen Geist auf sich wirken läßt, der durch die Schriften dieses Mannes weht.



 

Anmerkungen:


(1) Vergleiche Brentanos Schrift: «Was für ein Philosoph manchrnal Epoche macht» (Wien, Pest, Leipzig, Hartlebens Verlag, 1876), Seite 14.

(2) Vergleiche Seite 23 der ehen angeführten Schrift Brentanos.

(3) Vergleiche den Abdruck der 1874 heim Antritt seiner Wiener Professur gehaltenen Antrittsrede : «Über die Gründe der Entmutigung auf philosophischem Gebiete» (Wien 1874), Seite 18.

(4) Vergleiche Brentano : «Aristoteles und seine Weltanschauung » (1911, Verlag von Quelle und Meyer in Leipzig); Brentano : «Aristoteles' Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes» (Leipzig, Verlag von Veit und Comp., 1911); Brentano: «Von der Klassifiltation der psychischen Phänomene» (Leipzig, Verlag von Duneker und Humblot, 1911).

(5) Später sprach er sich über die Aufstellung dieser These aus in dem Vortrage, den er 1892 in der Wiener Philosophischen Gesellschaft gehalten hat und der abgedruckt ist als Schrift: «Über die Zukunft der Philosophie» (Wien, Alfred Hölder, 1893). Da findet man Seite 3 den hier gemeinten späteren Hinweis Brentanos auf seine These.

(6) Vergleiche Brentano : «Psychologie vom empirischen Standpunkte», 1. Band (Leipzig, Verlag von Duneker und Humblot, 1874)

(7) Vergleiche Brentanos Schrift «Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis» (Leipzig, Verlag Daneker und Humblot, 1889), Seite Vf.

(8) Brentano : «Untersuchungen zur Sinnespsychologie» (Leipzig, Verlag Duncker und Humblot, 1907).

(9) Süddeutsche Monatshefte, Mai 1917, in dem Aufsatz : «Franz Brentano in Wien», Seite 319 ff.

(10) Erschienen in der Vossischen Zeitung. 84 Mir scheint, daß Brentanos Schicksale mit seinen geplanten Veröffentlichungen ein schwerwiegendes geisteswissenschaftliches Problem darstellen. Nähern wird man sich diesem wohl nur, wenn man dasjenige in seiner Eigenart betrachten will, was er der Welt hat mitteilen können.

(11) Vergleiche Brentano : «Von der Klassifikation der psychischen Phänomene», Seite 122.

(12) Vergleiche Brentano : «Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis», Seite 14. Und über den Grundrug des Intentionellen «Psychologie vom empirischen Standpunkte», Seite 115 ff.

(13) Besonders prägnant hat dieses dargestellt Richard Wallascheck in einem bedeutenden Aufsatz der Wiener Wochensehrift «Die Zeit», Nr.96 und 97 des Jahrganges 1896 (vom 1. und 8. August).

(14) Man vergleiche damit den Schluß des 7. Kapitels der am Ende dieser Schtift gegebenen «Skizzenhaften Erweiterungen des Inhaltes...». «7. Die Sonderung des Seelischen von dem Außer-Seelischen durch Franz Brentano.»

(15) Vergleiche Brentano : «Psychologie vom empirischen Standpunkte» Seite 233 ff., und seine Schrift : «Von der Klassifikation der psychischen Phänomene.»

(16) Vergleiche Brentano: «Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis». Seite 17.

(18) Vergleiche Brentano : «Psychologie vom empirischen Standpunkte», Seite 340 ff., und seine Schrift : «Von der Klassifikation der psychischen Phänomene», Seite 110 ff., sowie auch das von ihm in seiner Schrift «Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis», Seite 17 ff., Gesagte.

(19) Vergleiche hierzu mein Buch «Vom Menschenrätsel», 4. Auflage, Seite 156. Ich möchte die für viele gewiß überflüssige Bemerkung hier anfügen, daß ich - aus der Wesenheit der Sache heraus - bei meinem Vergleiche des Bewußtseins mit einem Spiegelbilde nicht im Auge habe, was man gewöhnlich tut, die Vorstellungswelt ein Spiegelbild der Außenwelt zu nennen, sondeen daß ich, was die Seele im gewöhnlichen Bewußtsein erlebt, als ein Spiegelbild des wahrhaft Seelischen bezeichne.

(20) Man vergleiche damit das 6. Kapitel der am Ende dieser Schrift gegebenen «Skizzenhaften Erweiterungen des Inhaltes...» : «6. Die physischen und die geistigen Abhängigkeiten der Menschen-Wesenheit.»

(21) Vergleiche meine «Theosophie», 28. Auflage, Seite 96.

(22) Die erste Form des «schauenden Erkennens», die imaginative, geht über in die zweite, die in meinen Schriften die inspirierte genannt wird. Wie eigentlich in der Brentanoschen Definition des Liebens und Hassens schon die in die Inspiration übergegangene Imagination lebt, das findet man dargestellt in den Schlußausfiihrungen des 6. Kapitels der am Ende dieser Schrift gegebenen «Skizzenhaften Erweiterungen des Inhaltes...» : «6. Die physischen und die geistigen Abhängigkeiten der Menschen-Wesenheit.»

(22) Vergleiche Brentano : «Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis», Seite 14.

(23) Vergleiche ohen Seite 81 f. dieser Schrift.

(24) Vergleiche oben Seite 79 dieser Schrift.

(25) Vergleiche Brentano : «Psychologie vom empirischen Standpunkte», Seite 20.

(26) Vergleiche hiertnit das 7. Kapitel der am Ende dieser Schrift gegehenen «Skizzenhaften Erweiterungen des Inhaltes...» : «7. Die Sonderung des Seelischen von dem Außer-Seelischen durch Franz Brentano.»

(27) Die in bezug auf obiges zielenden Anschauungen Eduard von Hartmanns findet man in übersichtlicher Art dargestellt in dessen zwei Büchern: «Die moderne Psychologie» (Leipzig 1901, Hermann Haackes Verlag) und «Grundriß der Psychologie» (Band 3 von E.v. Hartmanns System der Philosophie im Grnndriß, Bad Sachsa im Harz 1908, Hermann Haacke, Verlagsbuchhandlung).

(28) Franz Brentano : «Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles» (Freiburg im Breisgau, Herdersche Verlagshandlung); dessen «Die Psychologie des Aristoteles» (Mainz, Verlag von Franz Kirchheim); dessen «Über den Creatinismus des Aristoteles » (Wien, Tempsky).

(29) Vergleiche Brentano : «Die Psychologie des Aristoteles», Seite 172 ff.

(30) Vergleiche Brentano: «Psychologie des Aristoteles», Seite 196.

(31) Über den Inhalt des wissenschaftlichen Streites zwischen Brentano und Zeller vergleiche Brentano : «Offener Brief an Herrn Professor Dr. Eduard Zeller aus Anlail meiner Schrift üher die Lehre des Aristoteles von der Ewigkeit des Geistes» (Leipzig 1883, Duneker und Humhlot) und dessen : «Aristoteles' Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes» (Leipzig 1911, Veit und Comp.).

(32) Die Täuschung üher eine Berechtigung zu der oben gekennzeichneten Behauptung von Form und Materie kann nur im Hinblick auf die Bildung

(33) Es gibt Denker, welche die Ansicht, daß des Menschen seelischer Wesenskern nicht von den Vorfahren ererbt ist, sondern aus der geistigen Welt kommt, abstoßend finden, weil sie dadurch den Fortpflanzungsvorgang herabgewürdigt sehen. Zu diesen Denkern gehürt der Philosoph J. Frobschamaner (man vergleiche dessen Schrift «Über den Ursprung der menschlichen Seelen», Seite 98 ff.). Dieser meint, es müsse angenommen werden, daß auch die Seelen der Kinder von den Eltern stammen, da «diese lebendigen Menschen nicht etwa bloße Leiber oder gar Tiere zeugen» (vergleiche Frohschammers Schrift über «Die Philosophie des Thomas von Aquino», Leipzig, Brockhaus 1889, Seite VIII). Von einem aus dieser Meinung kommenden Einwand kann die Anschauung, die in den Ausführungen der vorliegenden Schrift zur Darstellung kommt, nicht betroffen werden. Denn man braucht den Seelenkern, der, aus der geistigen Welt kommend, sich mit dem von den Vorfahren Vererbten verbindet, vor der Emp-fängnis nicht ohne Beziehung zu den Seelen der Eltern zu denken, wenn manihn auch nicht durch den Fortpflanzungsakt entstehend denkt.

(34) Vergleiche Brentano : «Aristoteles und seine Weltanschauung» (1911), Seite 134.

(35) Vergleiche Brentano : «Aristoteles' Lehre vom Ursprung des menachlichen Geistes» (1911), Seite 1.

(36) Vergleiche unter anderem Brentano : «Die vier Phasen der Philosophie» (1895), Seite 22, und die ganze Haltung seiner Wiener Antrittsrede «Über die Gründe der Entmutigung auf philosophischem Gebietc» (Wien 1874, W. Braumüller).

(37) Man vergleiche Herzu das 8. Kapitel der am Ende dieser Schrift gegebenen «Skizzenhaften Erweiterungen des Inhaltes...» : «8. Ein oft erhobener Einwand gegen die Anthroposophie.»

(38) Vergleiche oben Seite 79.

(39) Brentano : «Die vier Phasen der Philosophie und ihr augenblicklicher Stand» (Stuttgart 1895, J. G.Cottasche Buchhandlung Nachfolger).

(40) Vergleiche «Vier Phasen», Seite 9.

(41) Vergleiche oben Seite 8' f. dieser Schrift.

(42) Vergleiche Brentano: «Die vier Phasen der Philosophie...», Seite 5 f.

(43) Im ersten Bande meines Buches «Die Rätsel der Philosophie » habe ich den Versuch gemacht, diese Prage im bejahenden Sinne zu beantworten. Ich bestrebe mich da, zu zeigen, wie die ersten griechischen Philosophen nicht aus der Naturbeobachtung heraus zu ihren Ideen kommen, sondern weil sie die äußere Natur von dem Erlebnisse ihres Seelen-Innern aus beurteilten. Thales sprach davon, daß alles aus dem Wasser stamme, weil er diesen Wasser-Entstehungs-Prozeß als das Wesen des eigenen menschlichen Inneren erlebte. Und so die ihm verwandten Philosophen. Vergleiche meine «Rätsel der Philosophie», Seite 52 ff.

(44) Brentano: «Über die Zukunft der Philosophie». Mit apologetisch-kritischer Berücksichtigung der Inaugurationsrede von Adolf Exner «Über politische Bildung» als Rektor der Wiener Universität (Wien, Alfred Hölder, 1893).

(45) Auch diese Vorstellung «Seelenlehre ohne Seele» gehört in den Bereich der in dieser Schrift gekennzeichneten Rätsel an den «Grenzorten des Erkennens»; und wird sie nicht so durchlebt, daß sie als Ausgangspunkt für das schauende Bewußtsein genommen wird, so vermauert sie den Zugang zu dem wahren Seelen-Erkennen, Statt einen Weg zu ihm zu zeigen.

(46) Wohin eine echte natutwissenschaftliche Bettachtungsart kommt, das zeigt in einleuchtender Att das in vielen Beziehungen hetvotragende Buch Oskar Hertwigs: «Das Werden der Organismen, Widerlegung von Darwins Zufallstheotie» (1916). Gerade wenn eine Arbeit, wie die dieser Schrift zugrund liegende, in so mustergiltiger Art natutwissensehaftlieh-methodiseh gehalten ist, führt sie zu unzähligen Seelen-Erlehnissen an den «Grenzorten des Erkennens».



(47) Das oben Ausgesprochene findet man im einzelnen dargestellt in meinem Buche: «Die Rätsel der Philosophie.» Zu zeigen, wie das naturwissenschaftliche Erkennen im Seelenfortschritt der Menschheit seine Kraft hewährt, bildet einen der Grundgedanken dieses Buches.


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