Von Seelenrätseln


Das Auftreten der «Erkenntnisgrenzen»



Yüklə 416,93 Kb.
səhifə8/11
tarix23.11.2017
ölçüsü416,93 Kb.
#11818
1   2   3   4   5   6   7   8   9   10   11

2. Das Auftreten der «Erkenntnisgrenzen»

(Zu Seite 22, Anmerkung zu Zeile 18 von oben)



[135] Bei den Denkern, welche mit voller Kraft nach einem Verhältnis zur wahren Wirklichkeit streben, wie ein solches durch die innere Natur des Menschen gefordert wird, findet man in großer Menge die auf Seite 22 ff. dieser Schrift besprochenen Erkenntnisgrenzen besprochen; und man kann, wenn man die Art dieser Besprechungen ins Auge faßt, sehr wohl bemerken, wie der Anstoß, den echte Denker an solchen «Grenzen» erleben, zu der Richtung von innerer Seelenerfahrung drängt, von welcher im ersten Abschnitt dieser Schrift die Rede ist. Man sehe, wie der geistvolle Friedrich Theodor Vischer in dem gehaltvollen Aufsatz, den er über Johannes Volkelts Buch die «Traumphantasie» geschrieben hat, das Erkenntnis-Erlebnis schildert, das er an solch einer Grenze empfand: «Kein Geist, wo kein Nerven-Zentrum, wo kein Gehirn, sagen die Gegner. Kein Nerven-Zentrum, kein Gehirn, sagen wir, wenn es nicht von unten auf unzähligen Stufen vorbereitet wäre; es ist leicht, spöttlich von einem Umrumoren des Geistes in Granit und Kalk zu reden, - nicht schwerer, als es uns wäre, spottweise zu fragen, wie sich das Eiweiß im Gehirn zu Ideen aufschwinge. Der menschlichen Erkenntnis schwindet die Messung der Stufenunterschiede. Es wird Geheimnis bleiben, wie es kommt und zugeht, daß die Natur, unter welcher doch der Geist schlummern muß, als so vollkommener Gegenschlag des Geistes dasteht, daß wir uns Beulen daran stoßen; es ist eine Diremtion von solchem Schein der Absolutheit, daß mit Hegels Anderssein und Außersichsein, so geistreich die Formel, doch so gut [136] wie nichts gesagt, die Schroffheit der scheinbaren Scheidewand einfach verdeckt ist. Die richtige Anerkennung der Schneide und des Stoßes in diesem Gegenschlag findet man bei Fichte, aber keine Erklärung dafür» (vergleiche Friedr. Theodor Vischer: «Altes und Neues», 1881, Erste Abteilung Seite 229 f.). Friedrich Theodor Vischer weist scharf auf einen solchen Punkt hin, wie diejenigen sind, auf die auch Anthroposophie verweisen muß. Doch ihm kommt nicht zum Bewußtsein, daß in einem solchen Grenzorte des Erkennens eine andere Form des Erkennens eintreten kann. Er möchte mit derselben Art des Erkennens auch an diesen Grenzen leben, mit der er vor denselben auskommt. Anthroposophie versucht zu zeigen, daß Wissenschaft nicht aufhört, wo sich das gewöhnliche Erkennen «Beulen» schlägt, wo dieses «Schneiden» und « Stöße» im Gegenschlag der Wirklichkeit findet; sondern daß die Erlebnisse infolge dieser «Beulen», «Schneiden und Stöße» zur Entwickelung eines andersartigen Erkennens führen, welches den Gegenstoß der Wirklichkeit zur Geistwahrnehmung umbildet, die sich zunächst, auf ihrer ersten Stufe, mit der Tastwahrnehmung des Sinnengebietes vergleichen läßt. - Im dritten Teil von «Altes und Neues» (Seite 224) sagt Friedrich Theodor Vischer: «Gut, eine Seele neben dem Körper gibt es nicht (Vischer meint für den Materialisten); eben das, was wir Materie nennen, wird also auf der uns bekannten höchsten Stufe seiner Formung, im Gehirn, zu Seele und die Seele entwickelt sich zu Geist. Es gilt, einen Begriff zu vollziehen, der für den trennenden Verstand ein reiner Widerspruch ist.» Gegenüber der Vischerschen Ausführung muß wieder die Anthroposophie sagen: Gut, für den trennenden Verstand liegt ein [137] Widerspruch vor; aber für die Seele wird der Widerspruch zum Ausgangspunkt eines Erkennens, vor dem der trennende Verstand Halt macht, weil er den «Gegenschlag» der geistigen Wirklichkeit erlebt.

Gideon Spicker, der außer einer Reihe scharfsinniger Schriften auch (1910) das «Philosophische Bekenntnis eines ehemaligen Kapuziners» geschrieben hat, weist mit Worten, die wahrlich eindringlich genug sind, auf einen der Grenzpunkte des gewöhnlichen Erkennens hin (siehe Seite 30 dieses Bekenntnisses): «Zu welcher Philosophie man sich bekenne: ob zur dogmatischen oder skeptischen, empirischen oder transzendentalen, kritischen oder eklektischen: alle ohne Ausnahme gehen von einem unbewiesenen und unbeweisbaren Satz aus, nämlich von der Notwendigkeit des Denkens. Hinter diese Notwendigkeit kommt keine Untersuchung, so tief sie auch schürfen mag, jemals zurück. Sie muß unbedingt angenommen werden und läßt sich durch nichts begründen; jeder Versuch, ihre Richtigkeit beweisen zu wollen, setzt sie immer schon voraus. Unter ihr gähnt ein bodenloser Abgrund, eine schauerliche, von keinem Lichtstrahl erhellte Finsternis. Wir wissen also nicht, woher sie kommt, noch auch wohin sie führt. Ob ein gnädiger Gott oder ein böser Dämon sie in die Vernunft gelegt, beides ist ungewiß.» Also auch die Betrachtung des Denkens selbst führt den Denker an einen Grenzort des gewöhnlichen Erkennens. Anthroposophie setzt mit ihrem Erkennen an dem Grenzorte ein; sie weiß, vor der Kunst des verstandesmäßigen Denkens steht die Notwendigkeit wie eine undurchdringliche Wand. Für das erlebte Denken schwindet die Undurchdringlichkeit der Wand; dieses erlebte Denken findet ein Licht, um die «von [138] keinem Lichtstrahl» des nur verstandmäßigen Denkens «erhellte Finsternis» schauend zu erhellen; und der «bodenlose Abgrund» ist ein solcher nur für das Reich des Sinnenseins; wer an diesem Abgrund nicht stehen bleibt, sondern das Wagnis unternimmt, mit dem Denken auch dann weiter zu schreiten, wenn dieses ablegen muß, was ihm die Sinneswelt eingefügt hat, der findet in «dem bodenlosen Abgrund» die geistige Wirklichkeit.

Und so könnte fortgefahren werden, ohne absehbares Ende, in der Aufzeigung der Erlebnisse, welche ernste Denker an den «Erkenntnisgrenzen» haben. - Man würde aus solcher Aufzeigung ersehen, daß Anthroposophie als sachgemäßes Ergebnis der Gedanken-Entwickelung der neueren Zeit sich einstellt. Vieles weist auf sie hin, wenn dieses Viele in rechtem Lichte gesehen wird.



3. Von der Abstraktheit der Begriffe

(Zu Seite 26, Anmerkung zu Zeile 16 von oben)



Auf Seite 26 dieser Schrift spreche ich von der «Herablähmung» der Vorstellungen, wenn diese zu Nachbildnern einer sinnenfälligen Wirklichkeit werden. - In dieser «Herablähmung» ist die wirkliche Tatsache zu suchen, die dem Verfahren der Abstraktion im Erkenntnisprozeß zugrunde liegt. Der Mensch bildet sich über die sinnenfällige Wirklichkeit Begriffe. Für die Erkenntnistheorie entsteht die Frage, wie sich dasjenige, das der Mensch als Begriff von einem wirklichen Wesen oder Vorgang in seiner Seele zurückbehält, zu diesem wirklichen Wesen oder Vorgang verhält. Hat dasjenige, was ich in mir als den Begriff eines [139] Wolfes herumtrage, irgend eine Beziehung zu einer Wirklichkeit, oder ist es bloß ein von meiner Seele geformtes Schema, das ich mir gebildet habe, indem ich von demjenigen absehe (abstrahiere), was diesem oder jenem Wolfe eigentümlich ist, dem aber in der Welt des Wirklichen nichts entspricht. Eine ausgedehnte Betrachtung erfuhr diese Frage in dem mittelalterlichen Streite zwischen Nominalisten und Realisten. Für den Nominalisten ist an dem Wolf nur wirklich die an diesem als einzelnem Individuum vorhandenen sichtbaren Stoffe, Fleisch, Blut, Knochen usw. Der Begriff «Wolf» ist «bloß» eine gedankliche Zusammenfassung der verschiedenen Wölfen gemeinsamen Merkmale. Der Realist erwidert darauf: irgend ein Stoff, den man am einzelnen Wolf findet, den trifft man auch bei andern Tieren an. Es muß etwas geben, das den Stoff in den lebendigen Zusammenhang hineinordnet, in dem er sich im Wolfe findet. Dieses ordnende Wirkliche ist durch den Begriff gegeben. - Man wird nun zugeben müssen, daß Vincenz Knauer, der hervorragende Kenner des Aristoteles und der mittelalterlichen Philosophie, in seinem Buche «Die Hauptprobleme der Philosophie» (Wien 1892) bei Besprechung der aristotelischen Erkenntnistheorie (Seite 137) etwas Vortreffliches sagt mit den Worten: «Der Wolf zum Beispiel besteht aus keinen andern materiellen Bestandteilen als das Lamm; seine materielle Leiblichkeit baut sich aus assimiliertem Lammfleisch auf; aber der Wolf wird doch kein Lamm, auch wenn er zeitlebens nichts als Lämmer frißt. Was ihn also zum Wolf macht, das muß selbstverständlich etwas anderes sein als die Hyle, die sinnfällige Materie, und zwar kein bloßes Gedankending muß und kann es sein, obwohl es nur dem Denken, nicht dem Sinne zugängig ist, sondern ein [140] Wirkendes, also Wirkliches, ein sehr Reales.» Doch wie will man im Sinne einer bloß anthropologischen Betrachtung der Wirklichkeit beikommen, auf die hiermit gedeutet wird? Was durch die Sinne der Seele vermittelt wird, das ergibt nicht den Begriff «Wolf». Was aber im gewöhnlichen Bewußtsein als dieser Begriff vorliegt, das ist sicher kein «Wirkendes». Aus der Kraft dieses Begriffes konnte doch gewiß nicht die Zusammenordnung der im Wolfe vereinigten «sinnfälligen» Materien entstehen. Die Wahrheit ist, daß Anthropologie mit dieser Frage an einem der Grenzorte ihres Erkennens ist. Anthroposophie zeigt, daß außer der Beziehung des Menschen zum Wolfe, die im «Sinnfälligen» vorhanden ist, noch eine andere besteht. Diese tritt in ihrer unmittelbaren Eigenart nicht in das gewöhnliche Bewußtsein ein. Aber sie besteht als ein lebendiger übersinnlicher Zusammenhang zwischen dem Menschen und dem sinnlich angeschauten Objekte. Das Lebendige, das im Menschen durch diesen Zusammenhang besteht, wird durch seine Verstandesorganisation herabgelähmt zum «Begriff». Die abstrakte Vorstellung ist das zur Vergegenwärtigung im gewöhnlichen Bewußtsein erstorbene Wirkliche, in dem der Mensch zwar lebt bei der Sinneswahrnehmung, das aber in seinem Leben nicht bewußt wird. Die Abstraktheit von Vorstellungen wird bewirkt durch eine innere Notwendigkeit der Seele. Die Wirklichkeit gibt dem Menschen ein Lebendiges. Er ertötet von diesem Lebendigen denjenigen Teil, der in sein gewöhnliches Bewußtsein fällt. Er vollbringt dieses, weil er an der Außenwelt nicht zum Selbstbewußtsein kommen könnte, wenn er den entsprechenden Zusammenhang mit dieser Außenwelt in seiner vollen Lebendigkeit erfahren müßte. [141] Ohne die Ablähmung dieser vollen Lebendigkeit müßte sich der Mensch als Glied innerhalb einer über seine menschlichen Grenzen hinausreichenden Einheit erkennen; er würde Organ eines größeren Organismus sein. Die Art, wie der Mensch seinen Erkenntnisvorgang nach innen in die Abstraktheit der Begriffe auslaufen läßt, ist nicht bedingt durch ein außer ihm liegendes Wirkliches, sondern durch die Entwickelungsbedingungen seines eigenen Wesens, welche erfordern, daß er im Wahrnehmungsprozeß den lebendigen Zusammenhang mit der Außenwelt abdämpft zu diesen abstrakten Begriffen, welche die Grundlage bilden, auf der das Selbstbewußtsein erwächst. Daß dieses so ist, das zeigt sich der Seele nach der Entwickelung ihrer Geistorgane. Durch diese wird der lebendige Zusammenhang (in dem Sinne, wie das Seite z6 dieser Schrift dargestellt ist) mit einer außer dem Menschen liegenden Geist-Wirklichkeit wieder hergestellt; wenn aber das Selbstbewußtsein nicht bereits ein Erworbenes wäre vom gewöhnlichen Bewußtsein her: es könnte im schauenden Bewußtsein nicht ausgebildet werden. Man kann hieraus begreifen, daß das gesunde gewöhnliche Bewußtsein die notwendige Voraussetzung für das schauende Bewußtsein ist. Wer glaubt, ein schauendes Bewußtsein ohne das tätige gesunde gewöhnliche Bewußtsein entwickeln zu können, der irrt gar sehr. Es muß sogar das gewöhnliche normale Bewußtsein in jedem Augenblicke das schauende Bewußtsein begleiten, weil sonst dies letztere Unordnung in die menschliche Selbstbewußtheit und damit in das Verhältnis des Menschen zur Wirklichkeit brächte. Anthroposophie kann es bei ihrer schauenden Erkenntnis nur mit einem solchen Bewußtsein, nicht aber mit irgend einer [142] Herabstimmung des gewöhnlichen Bewußtseins zu tun haben.


Yüklə 416,93 Kb.

Dostları ilə paylaş:
1   2   3   4   5   6   7   8   9   10   11




Verilənlər bazası müəlliflik hüququ ilə müdafiə olunur ©genderi.org 2024
rəhbərliyinə müraciət

    Ana səhifə