58
n
rknAlenknn
mündet die erste Frage in Überlegungen, die begrifflich und inhaltlich bereits
auf jene
verweisen, die in den folgenden Kapiteln behandelt werden.
157
3.1 Kritik der Symbolsprache: Intentionsloses, Natur, Mythos
Bodenloser Sturz im Stufenbau der Symbole. Adornos zweite Anmerkung
gegenüber Scholem betrifft dessen Deutung der kabbalistischen Bilder und
Prozesse als einer symbolischen Lektüre des Genesis-Anfangs. Die Inhalte des
biblischen Schöpfungsberichtes würden im
Sohar in einer überspitzten Weise
wörtlich genommen und erhielten damit einen neuen Sinnzusammenhang:
„Sie werden zu Symbolen, in denen sich im Medium der Wirklichkeit von Anfang,
Himmel und Erde, eine andere ankündigt. Die mystische Bibeldeutung des Sohar
ist in diesem Sinn wesentlich symbolisch interessiert. Die Weltschöpfung, wie sie
Genesis 1 erzählt, ist durchaus so, wie die Worte lehren, an der phänomenalen, an
unserer Welt geschehen, aber diesem Vorgang wird hier kaum Interesse gewidmet.
Er weist vielmehr auf ein Inneres, auf einen neuen verborgenen Zusammenhang
der Worte, der auf eine im Sohar nirgends näher bezeichnete Weise […] mit der
anderen zusammenhängt.“
158
Und zwar solle die symbolisch angedeutete „geheime Wirklichkeit“, so
Scholem weiter, wahrscheinlich eine innergöttliche Vorwegnahme und Grund-
legung der späteren Schöpfung darstellen. Scholem schließt in dieser Deutung
des
Sohar im weiteren Sinne an romantische Symboltheorien sowie Benjamins
Analyse des Barock im
Trauerspielbuch an: Im Symbol sind (im Gegensatz zur
Allegorie) Signifikant und Signifikat dasselbe. Hier steht eine Sache nicht
für eine andere, ein bestimmter Gegenstand nicht für eine Idee, sondern ist
diese bereits selbst, verkörpert sie.
159
So führt die Schilderung des
Sohar nach
Scholems symbolischer Lesart in der Wortebene zugleich über diese hinaus
und in die inneren Motive der Gottheit selbst hinein. Diese von ihm in späte-
ren Jahren weiter entfaltete „symbolische“ Interpretation
160
ist für den Materi-
alisten inakzeptabel. An Scholem schreibt er:
157
Vgl. Kapitel 4., 5.
158
Scholem.
Die Geheimnisse der Schöpfung. S. 23.
159
Engel.
Gershom Scholems „Kabbala und Mythos“. S. 205–209, untersucht die Beziehungen zu
Goethe, Kreutzer und Schelling, Schulte.
„Die Buchstaben haben ihre Wurzeln oben“, diejenigen
zu Molitor.
160
Unter anderem in Scholem.
Zur Kabbala und ihrer Symbolik. vgl. auch Idel.
Alte Welten – Neue
Bilder. S. 135–215. Scholems Deutung der Kabbala als symbolisch mit ihren Bezügen zu
n
rknAlenknn
59
„Die Sprache, in die das Symbol übertragen wird, ist aber selbst wiederum eine
bloße Symbolsprache […]. Die Frage, die ich an Sie richten möchte, ist nun die: ob
es im Stufenbau der Symbole hier überhaupt einen Grund gibt oder ob er einen
bodenlosen Sturz vorstellt. Bodenlos deshalb, weil in einer Welt, die nichts kennt
als Geist und in der noch die Andersheit als bloße Selbstentäußerung des Geistes
bestimmt wird, die Hierarchie der Intentionen kein Ende kennt.“ (BW 8, 10)
Adorno wittert also letztlich einen infiniten Regress: Wohin führen die kon-
kreten Bedeutungen („Intentionen“) der Symbole, wenn sie stets nur auf
weitere Bedeutungen verweisen, Signifikanten an Signifikanten reihen, ohne
irgendwann auf ein Signifikat bzw. ein Objekt zu stoßen? Der Aussagegehalt
bliebe demnach tautologisch, wenn nicht auf ein „Anderes“ verwiesen würde,
das selbst nicht intentionaler Struktur wäre.
161
Adorno fährt fort:
„Wenn ich aber auf Benjamins altes Theorem vom intentionslosen Charakter
der Wahrheit rekurrieren darf, die nicht eine letzte Intention darstellt, sondern
der Flucht der Intentionen Einhalt gebietet, dann drängt sich angesichts des
Sohartextes wiederum die Frage nach dem Verblendungszusammenhang des
Mythos auf. Ist nicht die Totalität des Symbolischen, wie sehr sie auch als Ausdruck
des Ausdruckslosen erscheint, deshalb naturverfallen, weil sie das Ausdruckslose –
fast möchte ich hier sagen, weil sie die Natur im eigentlichen Sinn nicht kennt?“
(a. a. O., 11) „Der Geist, der aus dem Schöpfungsakt die Welt vertreibt, ruft die
Dämonen herauf, denen die Welt zur Grenze gesetzt ward.“ (a. a. O., 10)
Diese wenigen Bemerkungen führen bereits ins Zentrum von Adornos (und
Walter Benjamins) Philosophie hinein, und zwar vor allem mit den Begrif-
fen des Intentionslosen, des Mythos und der Natur(-verfallenheit). Da diese
Begriffe in der gesamten weiteren Arbeit eine Rolle spielen, verdienen sie eine
nähere
Diskussion, die auch das obige Zitat verständlich macht.
Deutung des Intentionslosen. In der methodischen Einleitung seines Buchs
über den
Ursprung des deutschen Trauerspiels hatte Benjamin geschrieben: „Wahr-
heit tritt nie in eine Relation und insbesondere in keine intentionale. Der
Gegenstand der Erkenntnis als ein in der Begriffsintention bestimmter ist nicht
Goethe, Schelling, Kreutzer und Molitor wird ihm heute vielfach kritisch – als romantische
Verzerrung seiner philologischen Leistung – nachgetragen.
161
Vgl. auch die prägnantere Formulierung der
Negativen Dialektik: „Symbolisiert jedes Symbol
nur ein anderes, abermals Begriffliches, so bleibt sein Kern leer und damit die Religion.“
(GS 6, 392).