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Der Preis der notwendigen Lebensmittel ist also beinah zweimal, und der der Kleidung genau zweimal so
hoch als vor zwanzig Jahren.
<734> Selbst abgesehn von diesem Mißverhältnis, ergäbe bloße Vergleichung der in Geld ausgedrückten
Lohnrate noch lange kein richtiges Resultat. Vor der Hungersnot wurde die große Masse der ländlichen
Löhne in natura entrichtet, in Geld nur der kleinste Teil; heute ist Geldzahlung Regel. Schon daraus folgt,
daß, welches auch die Bewegung des wirklichen Lohns, sein Geldrate steigen mußte.
"Vor der Hungersnot besaß der Ackerbautagelöhner ein Stückchen Land, worauf er Kartoffeln baute und
Schweine und Geflügel zog. Heutzutage muß er nicht nur alle seine Lebensmittel kaufen, sondern es ent-
gehn ihm auch die Einnahmen aus dem Verkauf von Schweinen, Geflügel und Eiern."
In der Tat flossen früher die Landarbeiter zusammen mit den kleinen Pächtern und bildeten meistens nur
den Nachtrab der mittleren und großen Pachtungen, auf denen sie Beschäftigung fanden. Erst seit der
Katastrophe von 1846 hatten sie angefangen, einen Bruchteil der Klasse reiner Lohnarbeiter zu bilden,
einen besonderen Stand, der mit seinen Lohnherren nur noch durch Geldverhältnisse verknüpft ist.
Man weiß, was ihr Wohnungszustand von 1846 war. Seitdem hat er sich noch verschlimmert. Ein Teil der
Landtaglöhner, der indes von Tag zu Tag abnimmt, wohnt noch auf den Ländereien der Pächter in über-
füllten Hütten, deren Scheußlichkeiten das Schlimmste weit übertreffen, das uns die englischen Landdi-
strikte in dieser Art vorführten. Und das gilt allgemein, mit Ausnahme einiger Striche von Ulster; im Sü-
den in den Grafschaften Cork, Limerick, Kilkenny etc.; im Osten in Wicklow, Wexford etc.; im Zentrum
in King's und Queen's County, Dublin etc.; im Norden in Down, Antrim, Tyrone etc.; im Westen in Sligo,
Roscommon, Mayo, Galway etc. "Es ist", ruft einer der Inspektoren aus, "es ist eine Schande für die Reli-
gion und die Zivilisation dieses Landes." Um den Taglöhnern die Wohnlichkeit ihrer Höhlen erträglicher
zu machen, konfisziert man systematisch die seit undenklicher Zeit dazugehörigen Stückchen Land.
"Das Bewußtsein dieser Art von Acht, in die sie von den Grundherrn und ihren Verwaltern getan sind, hat
bei den Landtaglöhnern entsprechende Gefühle des Gegensatzes und Hasses hervorgerufen gegen die,
welche sie als eine rechtlose Race behandeln."
Der erste Akt der Ackerbaurevolution war, auf allergrößtem Maßstab und wie nach einem von oben ge-
gebenen Losungswort, die auf dem Arbeits- <735> feld gelegenen Hütten wegzufegen. Viele Arbeiter
wurden so gezwungen, in Dörfern und Städten Schutz zu suchen. Dort warf man sie wie Schund in Dach-
kammern, Löcher, Keller und in die Schlupfwinkel der schlechtesten Viertel. Tausende irischer Familien,
die sich selbst nach dem Zeugnis von in nationalen Vorurteilen befangnen Engländern durch ihre seltne
Anhänglichkeit an den heimischen Herd, durch ihre sorglose Heiterkeit und durch häusliche Sittenreinheit
auszeichneten, fanden sich so plötzlich verpflanzt in die Treibhäuser des Lasters. Die Männer müssen
jetzt Arbeit suchen bei benachbarten Pächtern und werden nur auf den Tag gemietet, also in der prekär-
sten Lohnform; dabei
"haben sie jetzt weite Wege zur Pachtung und zurück zu machen, oft naß wie die Ratten und andren Un-
bilden ausgesetzt, die häufig Abschwächung, Krankheit und damit Mangel herbeiführen".
"Die Städte hatten Jahr um Jahr aufzunehmen, was als Überschuß von Arbeitern in den Landdistrikten
galt ", und dann wundert man sich noch, "daß in den Städten und Dörfern Überschuß, und auf dem Lande
Mangel an Arbeitern herrscht!"187d) Die Wahrheit ist, daß dieser Mangel nur fühlbar wird "zur Zeit
dringlicher Ackerbauarbeiten, im Frühjahr und Herbst, während den Rest des Jahres viele Hände müßig
bleiben"; daß "nach der Ernte, vom Oktober bis zum Frühling, es kaum Beschäftigung für sie gibt", und
daß sie auch während der beschäftigten Zeit "häufig ganze Tage verlieren und Arbeitsunterbrechungen
aller Art ausgesetzt sind".
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Diese Folgen der agrikolen Revolution, d.h. der Verwandlung von Ackerland in Viehweide, der Anwen-
dung von Maschinerie, der strengsten Arbeitsersparung etc. – werden noch verschärft durch die Muster-
Grundherren, solche, die, statt ihre Renten im Ausland zu verzehren, so gnädig sind, in Irland auf ihren
Domänen zu wohnen. Damit das Gesetz von Nachfrage und Angebot ganz ungekränkt bleibe, ziehen die-
se Herren
"jetzt fast ihren ganzen Arbeitsbedarf aus ihren kleinen Pächtern, die so gezwungen sind, für ihre Grund-
herrn zu schanzen für einen im allgemeinen geringeren Lohn als der der gewöhnlichen Taglöhner, und
das ohne alle Rücksicht auf die Unbequemlich- <736> keiten und Verluste, die daraus entstehn, daß sie
zur kritischen Zeit der Saat oder Ernte ihre eignen Felder vernachlässigen müssen".
Die Unsicherheit und Unregelmäßigkeit der Beschäftigung, die häufige Wiederkehr und lange Dauer der
Arbeitsstockungen, alle diese Symptome einer relativen Übervölkerung figurieren also in den Berichten
der Armenverwaltungs-Inspektoren als ebensoviel Beschwerden des irischen Ackerbauproletariats. Man
erinnert sich, daß wir beim englischen Landproletariat ähnlichen Erscheinungen begegnet sind. Aber der
Unterschied ist, daß in England, einem industriellen Lande, die industrielle Reserve sich auf dem Lande
rekrutiert, während in Irland, einem Ackerbauland, die Ackerbaureserve sich in den Städten, den Zu-
fluchtsorten der vertriebenen Landarbeiter, rekrutiert. Dort verwandeln sich die Überzähligen des Land-
baus in Fabrikarbeiter; hier bleiben die in die Städte Gejagten, während sie gleichzeitig auf den städti-
schen Lohn drücken, Landarbeiter und werden beständig aufs Land auf Arbeitsuche zurückgeschickt.
Die amtlichen Berichterstatter fassen die materielle Lage der Ackerbautaglöhner zusammen, wie folgt:
"Obwohl sie mit der äußersten Frugalität leben, reicht ihr Lohn doch kaum hin, ihnen und ihren Familien
Nahrung und Wohnung zu bestreiten; für Kleidung bedürfen sie weiterer Einnahmen... Die Atmosphäre
ihrer Wohnungen, im Verein mit andern Entbehrungen, setzt diese Klasse in ganz besondrem Grade dem
Typhus und der Schwindsucht aus."
Hiernach ist es kein Wunder, daß, nach dem einstimmigen Zeugnis der Berichterstatter, ein finstres Miß-
vergnügen die Reihen dieser Klasse durchdringt, daß sie die Vergangenheit zurückwünscht, die Gegen-
wart verabscheut, an der Zukunft verzweifelt, "sich den verwerflichen Einflüssen von Demagogen hin-
gibt" und nur die eine fixe Idee hat, nach Amerika auszuwandern. Das ist das Schlaraffenland, worin das
große malthusische Allerweltsheilmittel, die Entvölkerung, das grüne Erin
verwandelt hat!
Welches Wohlleben die irischen Manufakturarbeiter führen, dafür genügt ein Beispiel:
"Bei meiner neulichen Inspektion des Nordens von Irland", sagt der englische Fabrikinspektor Robert
Baker, "frappierte mich die Bemühung eines geschickten <737> irischen Arbeiters, aus den allerdürftig-
sten Mitteln seinen Kindern Erziehung zu verschaffen. Ich gebe seine Aussage wörtlich, wie ich sie aus
seinem Mund erhielt. Daß er eine geschickte Fabrikhand, weiß man, wenn ich sage, daß man ihn zu Arti-
keln für den Manchester Markt verwendet. Johnson: Ich bin ein beetler und arbeite von 6
Uhr morgens bis 11 Uhr in die Nacht, von Montag bis Freitag; Samstag endigen wir um 6 Uhr abends und
haben 3 Stunden für Mahlzeit und Erholung. Ich habe 5 Kinder. Für diese Arbeit erhalte ich 10 sh. 6 d.
wöchentlich; meine Frau arbeitet auch und verdient 5 sh. die Woche. Das älteste Mädchen, zwölfjährig,
wartet das Haus. Sie ist unsre Köchin und einzige Gehilfin. Sie macht die jüngeren zur Schule fertig.
Meine Frau steht mit mir auf und geht mit mir fort. Ein Mädchen, welches unser Haus entlanggeht, weckt
mich um halb 6 Uhr morgens. Wir essen nichts, bevor wir zur Arbeit gehn. Das zwölfjährige Kind sorgt
für die Kleineren des Tags über. Wir frühstücken um 8 und gehn dazu nach Hause. Wir haben Tee einmal
die Woche; sonst haben wir einen Brei (stirabout), manchmal von Hafermehl, manchmal von Maismehl,
je nachdem wir fähig sind, es zu beschaffen. Im Winter haben wir ein wenig Zucker und Wasser zu uns-
rem Maismehl. Im Sommer ernten wir einige Kartoffeln, womit wir selbst ein Bodenfetzchen bepflanzen,
und wenn sie zu Ende sind, kehren wir zum Brei zurück. So geht's tagaus, tagein, Sonntag und Werkeltag,